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Dienstag, den 16. Mai 2006

Experten-Empfehlung für Zukunft der bundesdeutschen Gedenk- und Erinnerungslandschaft als Arbeitsgrundlage ungeeignet

Kategorie: Pressemitteilung

Konzept setzt auf Zentralisierung statt Pluralität und verschweigt Finanzierungsproblem

Die heute veröffentlichten Empfehlungen der Expertenkommission zur SED-Aufarbeitung sind als Grundlage für die Entwicklung der bundesdeutschen Gedenk- und Erinnerungslandschaft ungeeignet. Sie berücksichtigen nur einen Teil der seit Jahren gewachsenen Strukturen, setzen auf Zentralisierung statt Pluralität und sind nicht einmal ansatzweise auf ihre Finanzierbarkeit geprüft.

Voraussetzung für ein handhabbares Konzept wäre eine offene, pluralistische und transparente Debatte gewesen. Stattdessen tagte die Kommission ein Jahre lang hinter verschlossenen Türen – eine Zeit, in der Experten und Beteiligte intensiver in die Diskussion hätten einbezogen werden können. Die Evaluation von Gedenk- und Erinnerungsorten per Fragebogen sowie Kurzbesuche in einzelnen Einrichtungen waren sicher Schritte in diese Richtung, allerdings bei weitem nicht ausreichend und berücksichtige auch nur einen Teil der im Bereich DDR-Aufarbeitung aktiven Einrichtungen. Allein schon die Zusammensetzung der Kommission ist fragwürdig, gehört ihr doch kein einziger Gedenkstättenfachmann an, obwohl eine zentrale Frage eben gerade die Zukunft von Gedenkstätten an authentischen Orten ist.

 

Vorhandene Konzepte bleiben außen vor – Kommission beginnt wieder bei Null

Lange bevor die Expertenkommission ihre Arbeit aufnahm, existierten bereits Konzepte und Überlegungen für die Struktur der Gedenk- und Erinnerungslandschaft in Deutschland. Diese werden in den nun veröffentlichten Empfehlungen vollkommen ignoriert, was allein im Fall der Gedenkstättenkonzeption des Bundes (Bundestags-Drucksache 14/1569), 1999 im Ergebnis der Arbeit zweier Enquet-Kommissionen entstanden, fatal ist. Denn auf Basis dieses ausgewogenen Papiers wird seither Gedenk- und Erinnerungsarbeit geleistet und auch gefördert, sodass es unsinnig ist, aktuelle konzeptionelle Überlegungen wieder bei Null zu beginnen. Ebenfalls unerwähnt bleibt in den Empfehlungen ein Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion aus dem Jahr 2004 (Bundestags-Drucksache 15/3048), der seinerzeit äußerst kontrovers diskutiert wurde, aber wesentlich weit reichender als das jetzt vorgelegte Dokument die Struktur der Gedenk- und Erinnerungslandschaft erfasst.

 

„Aufarbeitungskombinat“ droht - Millionenausgaben für unnötige Neugründungen absehbar

Obwohl die Kommission ausdrücklich versichert, keine Zentralisierung anzustreben, focussiert sie diese mit ihren praktischen Vorschlägen explizit: So bedeutet die Schaffung von drei neuen „Leiteinrichtungen“ nichts anderes als staatliche Zentralisierung, die den Prinzipien der Heterogenität und Pluralität entgegenläuft. Die Übernahme von bisher frei getragenen Einrichtungen in öffentliche Trägerschaft wird als eine Art Patentlösung gehandelt, die aber auf deren Kosten der gewachsenen Struktur der Gedenkstättenlandschaft gehen würde. Konzeptionell und finanziell vollkommen unsinnig ist etwa der Vorschlag, ein Dokumentationszentrum Alltagskultur in Berlin einzurichten, obwohl ein solches bereits seit Jahren in Eisenhüttenstadt existiert und qualitätvoll arbeitet. Wenn der Bund sich an dieser Stelle in der Verantwortung sieht, dann sollte er – allein im Sinne der Subsidiarität – vorhandene Einrichtungen konsequenter fördern, statt neue aus dem Boden zu stampfen.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Kritik der Kommission, es gebe „eine nach Ost und West geteilte Wahrnehmung der DDR-Geschichte, die in den alten Bundesländern nur sehr bedingt als Teil der gesamtdeutschen Geschichte verstanden wird“, in völlig neuem Licht. Es ist geradezu absurd, diesen Zustand zu beklagen und gleichzeitig die zumindest in den neuen Bundesländern breit verteilten Aufarbeitungseinrichtungen zugunsten einer immer stärkeren Berlin-Zentralisierung zu vernachlässigen.

Auch die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ ist von dieser Tendenz betroffen: Die Expertenkommission spricht ihr eine überregionale Bedeutung ab, wenngleich die Einrichtung nun bereits seit vier Jahren von der Bundesrepublik Deutschland gefördert und bundesweit wie international als wichtiger und viel frequentierter Gedenkort wahrgenommen wird. Nationale Bedeutung hat sie schon allein deshalb, weil es sich um die einzige noch original erhaltene Bezirksverwaltung des MfS handelt, an deren Beispiel die flächendeckende Überwachung des Ministeriums für Staatssicherheit in der gesamten DDR dargestellt werden kann.

 

Vernetzung vorhandener Einrichtungen statt zentralistischer Vorgaben

Die sinnvolle Alternative zu „Leiteinrichtungen“ und anderen Neugründungen wäre es, die Zusammenarbeit und Vernetzung der bestehenden Einrichtungen auf Arbeitsebene zu fördern. Um Doppelarbeiten zu vermeiden, müssen diese künftig ihre Profile schärfen – allerdings auf der Grundlage von Kooperationen und nicht durch zentralistische Vorgaben.

Die mangelnde Professionalität der Arbeit mancher bestehender Aufarbeitungseinrichtungen, die im Empfehlungspapier zu Recht kritisiert wird, ist in den meisten Fällen auf die äußerst dürftige finanzielle Ausstattung zurückzuführen. Diese Defizite könnten durch gezielte Förderung abgestellt werden, ohne dass es Änderungen in der Trägerschaft oder gar Neugründungen bedürfte. Ohnehin ist es ein zentrales Manko des Experten-Papiers, dass es keine Angaben zur Finanzierung der enorm kostenintensiven Vorschläge enthält. Die zweifellos nötigen Millionen könnten wesentlich sinnvoller in den Ausbau und die Vernetzung vorhandener Strukturen investiert werden. Zusätzlich sind mehr Gelder für die Förderung von Projekten nötig, weshalb der Etat der zuständigen Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur aufgestockt werden muss.

 

BStU hat Nachholebedarf bei Kernaufgaben – Abwicklung kann noch nicht zur Debatte stehen

Die vorgeschlagene Umwandlung der BStU in ein Forschungs- und Dokumentationszentrum ist angesichts der schon vorhandenen Pluralität in diesem Bereich überflüssig. Ohnehin kann an eine Abwicklung der Behörde erst dann gedacht werden, wenn sie ihre wesentlichen Aufgaben erledigt hat. Gegründet wurde sie 1992 mit dem Auftrag, die Aktenhinterlassenschaft des MfS zu erschließen und sowohl Betroffenen als auch Forschern Einsicht in diese Unterlagen zu gewähren. Hier gibt es großen Nachholebedarf – verwiesen sei allein auf die oft jahrelangen Wartezeiten bei der Beantragung persönlicher Akteneinsicht. Die BStU braucht also keine neuen Aufgaben, sondern muss zunächst einmal ihren eigentlichen Auftrag erfüllen. Vorhandene Mittel sollten nicht in neue Strukturen, sondern in längst fällige Projekte, wie etwa die computergestützte Rekonstruktion zerrissener Akten, investiert werden.

Erst wenn diese Aufgaben erfüllt sind, kann die Verantwortung für die Akten an eine andere Stelle, etwa das Bundesarchiv, übergehen. Wichtig dabei ist nicht, welche Einrichtung den Bestand übernimmt, sondern allein, das dieser zugänglich bleibt. Denn das schützenswerte Erbe der Friedlichen Revolution sind die offenen Akten, nicht die damit befassten Einrichtungen.