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Dienstag, den 01. Oktober 2019

Vor 30 Jahren: Trotz Angst und Gewalt demonstrierten 20.000 Menschen auf dem Ring – Vortrag und Zeitzeugengespräch am 2. Oktober 2019

Kategorie: Pressemitteilung

Es war ein bis dahin nie gesehener Anblick bei den Montagsdemonstrationen: Bei dem bisher brutalsten Einsatz der SED-Regierung stellten sich Spezialeinheiten in Sonderausrüstung mit Helm, Schild, Schlagstock und Hunden den bis zu 20.000 friedlich demonstrierenden Menschen entgegen. Es war der bis dahin größte Demonstrationszug, der erstmals vorbei an der Stasi-Bezirksverwaltung, der „Runden Ecke“, lief.

Am Mittwoch, den 2. Oktober 2019, berichten um 19.00 Uhr im ehemaligen Stasi-Kinosaal der Gedenkstätte Zeitzeugen vom großen Andrang bei den Friedensgebeten, erstmals auch in der Reformierten Kirche, ihrer Wahrnehmung der Demonstration mit samt der Brutalität seitens der Spezialeinheiten, den Einschüchterungsversuchen der Regierung und einer Verhaftung eines Demonstrationsteilnehmers. Der Eintritt ist frei.

Aus Anlass des 30. Jahrestages der Friedlichen Revolution lädt das Bürgerkomitee Leipzig e.V. zu einer Gesprächsreihe mit Zeitzeugen ein. Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe „Heute vor 30 Jahren – Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ stehen herausragende Ereignisse des politischen Protestes in Leipzig, die zur Friedlichen Revolution, zum Sturz der SED-Diktatur und zu einem demokratischen Neuanfang führten. Ebenso wie der Beginn der Weimarer Republik 1919 und die Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 in der Bundesrepublik ist die Friedliche Revolution von 1989 ein zentrales Datum der Demokratiegeschichte in Deutschland, dem wir uns wieder stärker bewusst werden sollten. Die mit ihr wiedererrungenen Werte – Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – sind heute für ein gemeinsames Zusammenleben in Europa grundlegend und unveräußerlich.

Rückblick auf die bisherige Veranstaltungsreihe seit Januar

Rückblick: Am 15. Januar 2019 befasste sich die Gesprächsreihe zu Beginn mit der ersten ungenehmigten Demonstration für demokratische Grundrechte am 15. Januar 1989 in Leipzig. An dieser hatten sich nach der Verteilung von über 4.000 Flugblättern etwa 500 Bürger beteiligt; 53 von ihnen sind festgenommen worden. Die nächste bedeutende öffentliche Protestaktion war am 13. März 1989, als mehr als 500 DDR-Bürger, vorwiegend Ausreisewillige, nach einem Friedensgebet in der Nikolaikirche auf die Straße gingen und bei ihren Protesten lautstark riefen: „Wir wollen raus! Wir wollen raus!“ Wegen der zur Messe anwesenden westlichen Journalisten griffen die Sicherheitskräfte nicht ein. Die Situation wurde durch die gefälschte Kommunalwahl am 7. Mai 1989 verschärft. Zur Absicherung dieser „Schein-Wahl“ hatte die Stasi die Aktion „Symbol“ vorbereitet, doch Oppositionsgruppen hatten, so auch in Leipzig, eine Kontrolle der öffentlichen Stimmenauszählung organisiert. Dadurch konnte der regelmäßige Wahlbetrug der SED erstmals nachgewiesen werden. Rund vier Wochen später, am 4. Juni 1989, folgte dann eine Aktion des politischen Protests gegen die Umweltzerstörung in der DDR. Die Route des Pleißepilgerweges verlief entlang des wegen seiner starken Verschmutzung unterirdisch kanalisierten Flusses, der Pleiße. Für die Teilnehmer des Protestzuges war der Pleißepilgerweg „Geländer für gesellschaftliche Veränderungen“. Eine Woche später wurde Leipzig erneut Zentrum der Opposition, als sich am 10. Juni 1989 Musiker aus der ganzen DDR zu einem verbotenen Straßenmusikfestival unter dem Motto „Für die Freiheit der Kunst“ trafen. Höhepunkt war dann der Kirchentag mit dem Statt-Kirchentag am 9. Juli 1989, an dem etwa 2.500 Personen teilnahmen. In der Lukaskirche bei Pfarrer Christoph Wonneberger traf sich die Opposition aus der ganzen DDR und tauschte sich über die aktuelle Lage sowie über zukünftige Konzepte und Aktionen aus. Nach der Sommerpause kam es ab dem 4. September 1989 wieder regelmäßig im Anschluss an das Friedensgebet zu Demonstrationen und anderen Aktionen für die Genehmigung der ständigen Ausreise in die Bundesrepublik. Bei der Demonstration am 4. September 1989 war erstmals auch der Ruf „Wir bleiben hier!“ zu hören. Im Laufe des Septembers gingen immer mehr Menschen zu den Friedensgebeten und schlossen sich danach den Montagsdemonstrationen in Leipzig an. Bei der Demonstration am 25. September 1989 beteiligten sich über 5.000 Menschen. Erstmals liefen sie auch über den Ring. Erst vor der „Runden Ecke“, dem Gebäude der Staatssicherheit, kehrten sie ohne Äußeren Anlass um und liefen zurück zum Hauptbahnhof.

2. Oktober 1989 – 20.000 Demonstranten auf dem Ring – Die Montagsdemonstrationen werden zur Massenbewegung

Im Sommer 1989 verließen Zehntausende die DDR über Ungarn, Polen und die CSSR in den Westen, sodass die SED-Führung am 3. Oktober 1989 die Grenzen endgültig schloss, was die Spannung im Land massiv erhöhte. Die Massenflucht veranlasste aber auch immer mehr Menschen, ihren Protest auch im Land offen zu artikulieren.

Im Auftrag der SED-Bezirksleitung verstärkte die Leipziger Volkszeitung unterdessen am Freitag, den 29. September 1989, ihre Angriffe gegen die Friedensgebete. Unter der Überschrift „Wir wollen weiter in Ruhe und Geborgenheit leben“ wurden die ersten der bestellten Leserbriefe abgedruckt. All diese „offensiv-politischen Maßnahmen“ der SED gingen jedoch an den eigentlichen Ursachen der Unzufriedenheit vorbei.

Das Friedensgebet am 2. Oktober 1989 fand wegen des großen Andrangs erstmals auch in der Reformierten Kirche statt. Am Abend formierte sich auf dem heutigen Augustusplatz der bisher größte Demonstrationszug. Bis zu 20.000 Menschen demonstrierten friedlich auf dem Ring. Sie zogen auf dem Ring entlang, vorbei am Hauptbahnhof zum Kaufhaus „Konsument“.

Auf dem Tröndlinring versuchte eine Polizeikette den Demonstrationszug in Höhe der Reformierten Kirche aufzuhalten. Diese Kette wurde durchbrochen und die Menschen zogen weiter über den Ring vorbei an der Stasi-Bezirksverwaltung, der „Runden Ecke“, bis hin zur Thomaskirche. Als die nun noch circa 2.000 Demonstranten wieder in die Innenstadt zurückkehren wollten, griff die Polizei erneut ein. Dabei kam es erstmals zum Einsatz von Spezialeinheiten in Sonderausrüstung mit Helm, Schild und Schlagstock sowie mit Hunden. Es war ein in der Stadt Leipzig bis dahin nie gesehener Anblick. Es wurden wieder viele Beteiligte festgenommen. Die SED rechtfertigte den bisher brutalsten Einsatz in Leipzig und diffamierte die Demonstranten in der Leipziger Volkszeitung als Rowdys.

Zeitzeugen erzählen

Bei der Veranstaltungsreihe „Heute vor 30 Jahren: Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ werden die jeweiligen Ereignisse aus dem Jahr 1989 und deren Hintergründe zunächst in einem einführenden Vortrag beleuchtet. Im Anschluss kommen die Zeitzeugen Wilhelm Schlemmer, Christian Günther, Gerhard Müller und Matthias Müller unter der Moderation von Reinhard Bohse vom Bürgerkomitee Leipzig e.V. über das damalige Geschehen, aber auch über dessen Bedeutung für die heutige Gesellschaft miteinander und mit dem Publikum ins Gespräch.

Pfarrer i.R. Gerhard Müller, der in Wurzen die Friedensgebete und Demonstrationen initiierte, besuchte die Friedensgebete auch in der Leipziger Nikolaikirche. Gemeinsam mit seinen Kindern, um die er auf Grund ihrer sehr kritischen Haltung stets in Angst war, nahm er an der Montagsdemonstration am 2. Oktober 1989 teil. Über sein Erlebtes, besonders an das Jahr 1989, verfasste er das Buch „Mein Sohn aber ist so frei“. Sein Sohn Matthias Müller, der heute Küster an der Leipziger Nikolaikirche ist, war damals bei der Demonstration dabei – genauso auch bei anderen Aktionen der Friedlichen Revolution. Anwesend ist außerdem Wilhelm Schlemmer, der damals Oberkirchenrat in Freiberg war. Er fuhr an jenem Tag vor 30 Jahren extra nach Leipzig. Dort sah er die Brutalität bei der Auflösung des Demonstrationszuges. In seiner Heimat Freiberg erlebte er zudem, wie brutal die Polizei am Bahnhof mit den Flüchtlingszügen aus der Prager Botschaft umging. Schließlich berichtet Christian Günther, wie er nach der Auflösung des Demonstrationszuges am 2. Oktober 1989 verhaftet wurde. Auch im Publikum werden weitere Teilnehmer sein, die an der Demonstration am 2. Oktober 1989 teilgenommen hatten.

Veranstaltungsort: ehem. Stasi-Kinosaal der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ (Nachbareingang, Goerdelerring 20). Eintritt frei.

Der nächste Termin der Reihe ist der 7. Oktober 2019, als es am 40. Jahrestag der DDR zu landesweiten Protesten gegen das Regime kam.

Die Pressemitteilung als PDF-Datei.