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Tuesday, den 11. June 2002

Opferschutz darf nicht Täterschutz werden

Category: Pressemitteilung
By: Bürgerkomitee Leipzig e.V.

Seit Freitag vergangener Woche liegt ein Novellierungsvorschlag der Regierungsfraktionen vor. In den vergangenen Tagen haben verschiedene Gegner einer Novellierung des StUG argumentiert, die Akten über Funktions- und Amtsträger sowie über Personen der Zeitgeschichte dürften nicht ohne deren Einwilligung für die Forschung zur Verfügung stehen. Eine andere Regelung widerspräche dem Opferschutz. Dieser unzulässigen Schlußfolgerung stellt sich das Bürgerkomitee energisch entgegen. Nur eine offene und ungehinderte Aufarbeitung der Funktionsmechanismen der SED-Diktatur dient den Opfern und wird von diesen auch seit 1989 gefordert.

Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode notwendig

In den Verhandlungen um die Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes wurde am 7. Juni 2002 ein Vorschlag der Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Grüne im Bundestag in erster Lesung behandelt. Das Bürgerkomitee Leipzig stimmt diesem Vorschlag grundsätzlich zu, auch wenn es einzelne Formulierungen insbesondere im Bereich des Benachrichtigungsverfahrens für verbesserungswürdig hält. Kernpunkt des Vorschlages ist die weitere Nutzung von personenbezogenen Informationen zu Personen der Zeitgeschichte, Amtsträgern und Funktionären über ihre zeithistorische Rolle, ihr amtliches oder politisches Handeln. Eine Nutzung dieser für die öffentliche Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur wichtigen Daten darf nicht vom Einverständnis dieser Personen abhängig sein. Das Benachrichtigungsverfahren muß so gestaltet werden, dass es angemessen und vor allem praktikabel ist. Gleichzeitig wird in diesem Vorschlag gesichert, daß auch weiterhin keine privaten oder intimen Informationen verwendet werden.

Nur offene Akten dienen dem Schutz der Opfer

Von den Gegnern einer fälligen Novellierung, insbesondere in den Fraktionen von CDU/CSU und FDP, aber auch von Bundesinnenminister Schily, wird immer wieder das Argument des Opferschutzes ins Feld geführt. Auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Jacob äußerte sich gestern gegen den vorliegenden Vorschlag mit der Begründung, dass auch hier das "Prinzip des Opferschutzes gelten müsse.

Dieser Argumentation widersprechen wir hier ausdrücklich. Dem Schutz der Opfer dient es, wenn die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes und die Mechanismen der SED-Diktatur umfassend aufgearbeitet werden. Hätte man sich nach der Friedlichen Revolution 1989 nicht für die breite Öffnung der Stasi-Akten entschieden, wäre das frühere Herrschaftswissen noch immer in den Köpfen der ehemaligen Stasi-Mitarbeiter monopolisiert. Ihre einseitigen Publikationen wären heute die wichtigsten zeithistorischen Quellen. Noch immer wären Opfer der SED-Diktatur auf Mutmaßungen über die wahren Ursachen des ihnen zugefügten Leids angewiesen. Das Bürgerkomitee verweist auf die Erklärung der Opferverbände und Aufarbeitungsinitiativen vom 31. Mai 2002, in der auch im Interesse der Stasi-Opfer eine schnelle Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes gefordert wird. Novellierungsgegner mißbrauchen den Begriff des Opferschutzes

Die Benutzung des Opferbegriffes dient der Irreführung, wenn damit die Informationen über das dienstliche und offizielle Handeln von Funktions- und Amtsträgern sowie Personen der Zeitgeschichte gemeint ist. Alle Daten über den persönlichen und Intimbereich - also die Opferdaten - waren immer geschützt und bleiben es auch. Es ist geradezu grotesk, wenn das Verschließen der Akten über ehemalige Funktions- und Amtsträger der SED-Diktatur, also beispielsweise Richter, Staatsanwälte, Gefängnisleiter und all die anderen staatlichen Funktionäre mit "Opferschutz" begründet wird. Wer sind dann eigentlich die Täter?

"Koalition der Vernunft" muß Aufarbeitung gewährleisten

Der immer wieder beschworenen "Koalition der Vernunft" kann nicht angehören, wer aus sachfremden oder durchsichtigen Eigeninteressen die weitere wissenschaftliche Aufarbeitung anhand der Stasi-Akten verhindert. Das Ausland verfolgt mit Interesse, wie wir Deutschen mit dem Erbe der zweiten Diktatur umgehen. Das vereinte Deutschland hat hier eine wichtige Vorbildfunktion, wie man unblutig und friedlich mit einer Diktatur umgehen kann, ohne den Opfern ihre Würde ein zweites Mal zu nehmen.

Die Aufarbeitung der Zusammenhänge der zweiten deutschen Diktatur ist ebenso wie die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wer sich dem heute aus kurzsichtigem Eigeninteresse entgegenstellt, fördert die Extremisten von morgen.

In diesem Sinne fordern wir alle Politiker und Fachleute auf, sich für eine sachgerechte Lösung im Intersse der weiteren Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur einzusetzen und die wenige verbleibende Zeit in diesem Sinne zu nutzen.