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Sonntag, den 26. Mai 2002

Stasi- und SED-Seilschaften im Sport

Kategorie: Pressemitteilung
Von: Bürgerkomitee Leipzig e.V.

DDR-Vergangenheit muß auch im Sport endlich kritisch aufgearbeitet werden

Trotz großem Interesse der Turnfestgäste boykottierte das Organisationskomitee die Veranstaltungen in der "Runden Ecke"

Die Medienberichte der vergangenen Tage haben es ans Licht gebracht: Im Sport funktionieren die alten Strukturen aus DDR-Tagen heute noch so gut wie in kaum einem anderen gesellschaftlichen Bereich. Ehemalige Funktionäre und MfS-Mitarbeiter konnten sich hier an exponierter und einflussreicher Stelle festsetzen und steuern bis heute Teilbereiche des Sports.

Das Bürgerkomitee Leipzig e.V. hat in den vergangenen Wochen selbst erfahren müssen, wie die erhaltenen Strukturen wirken können. Trotz Zusage hat das Organisationskomitee des Turnfestes unsere Veranstaltungen, die sich kritisch mit dem Sport in der DDR auseinandersetzten, nicht in den offiziellen Festführer aufgenommen. Auch die danach vereinbarte Verteilung von 8.000 zusätzlich gedruckten Einladungsflyern in den Quartierschulen fand nicht statt.

Die Ausstellung in der Gedenkstätte Museum in der ”Runden Ecke” wurde während des Turnfestes von Tausenden interssierten Turnfestteilnehmern besucht, die aus Reiseführern oder durch mündliche Empfehlung davon wußten. Allein am letzten Tag waren es über 1.200 Besucher. Es fanden wichtige und für die Gäste der Stadt Leipzig aufschlußreiche Gespräche statt. Die zusätzlichen Veranstaltungsangebote dagegen konnten nur von sehr wenigen Turnfestgästen wahrgenommen werden, da ihnen die Termine vorenthalten wurden.

Im Sport herrschen noch immer die alten Strukturen

Es fällt schwer, nach so massivem Ausbremsen noch an Zufälle zu glauben. Zumal dann, wenn bis vor kurzem mit Volker Mattausch ein ehemaliger hoher DDR-Sportfunktionär und DDR-Geheimdienstler als Geschäftsführer des Organisationskomitees die Fäden des Turnfestes zog. Und wenn, wie sich inzwischen herausgestellt hat, noch zahlreiche seiner Gesinnungsgenossen in vielen Bereichen des Sports mitmischen.

So spielt beispielsweise auch Klaus Köste, bekanntermaßen ab 1977 Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit, beim Turnfest 2002 eine gewichtige Rolle. Dabei war er in seiner Zeit als IM ”Michael Woronin” gerade auch im Bereich des Sports aktiv gewesen. Bereits beim Turn- und Sportfest 1977 hatte er der Staatssicherheit Berichte geliefert - nachzulesen derzeit in der Sonderausstellung ”Die Kehrseite der Medaille. Sport in der DDR - (Körper)Erziehung im Dienste der SED” in der Gedenkstätte Museum in der ”Runden Ecke”. In dem jüngst erschienenen Buch "Leipzig sportlich" erklärt Köste in altbekannter Weise, daß er nie IM gewesen sei, sondern seine dienstlichen Informationen wären wohl ohne sein Wissen bei der Staatssicherheit gelandet. Auf die Frage nach seiner Tätigkeit in der PDS-Bundestagsfraktion erklärt er: "Wo ich politisch stehe, ist kein Geheimnis." Dies alles ficht auch das Stadtgeschichtliche Museum nicht an: Es bietet nach wie vor Führungen mit IM "Michael Woronin" durch die Sonderausstellung "Sport:Schau" an. Auch im Beirat des Turnfestes sitzt Klaus Köste noch immer.

Kritische Betrachtung der Vergangenheit findet nicht statt

Die städtische Sonderausstellung "Sport:Schau" besticht durch ihre unpolitische und unkritische Sicht auf die Sportfeste an sich, vor allem aber während der beiden deutschen Diktaturen. Im Begleitband zur Ausstellung wird der Sachbeitrag zur Osttribüne vom letzten Leiter des Gestalterkollektivs verfaßt. Wie groß dessen Problem mit der Materie ist, sieht man allein daran, daß er im gesamten Beitrag von sich in der dritten Person schreibt, wohl um vermeintliche Objektivität vorzugeben.

Im jüngst erschienenen Band ”Leipzig sportlich”, der in enger Zusammenarbeit mit dem Stadtgeschichtlichen Museum entstand, stellen ebenfalls überwiegend SED-Altkader ihre Sicht auf den DDR-Sport dar. Eine kritische Darstellung darf man bei einem Blick in das Autorenverzeichnis auch hier nicht erwarten. So beklagt der ehemalige Rektor der DDR-Sportkaderschmiede, Günter Wonneberger, "die Liquidierung der DHFK” als einen ”Fehler bei der Vereinigung” oder der ehemalige Parteisekretär und stellvertretende Chefredakteur des SED-Bezirksorgans "Leipziger Volkszeitung", Hans-Werner Stadie, schreibt über den Fußball in Leipzig. 1995 verließ Stadie die LVZ, als seine IM-Tätigkeit bekannt wurde. Die Aufzählung ließe sich weiter fortführen.

Kein Platz ist hingegen für kritische Stimmen in diesen öffentlich geförderten Publikationen oder Ausstellungen. Wissenschaftler, die auch die Kehrseite des DDR-Sports untersucht haben, wurden gar nicht erst um einen Beitrag gefragt. Daß der Oberbürgermeister der Stadt Leipzig solch einem einseitigen Buch ein Vorwort voranstellt, zeigt, wie unsensibel man in der Stadt der Friedlichen Revolution mit diesem Thema noch umgeht.

MDR hat aus der Debatte der letzten Monate nichts gelernt

Auch Jörg Strenger, der letzte Leiter der berüchtigten Abteilung XX der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig, hat sich einen wichtigen Posten gesichert: Er leitet den deutschen Bereich der Friedensfahrt. 1989 war er noch dafür zuständig, die ”politische Untergrundtätigkeit” - also Opposition und Bürgerbewegung in der DDR - zu bekämpfen, den Großteil des gesellschaftlichen Lebens zu kontrollieren und nicht zuletzt die Gleichschaltung des Sports und der Medien zu garantieren. Die von ihm geleitete, fast 100 Mitarbeiter starke, Abteilung war es auch, der die Hauptverantwortung bei der Unterdrückung der Montagsdemonstrationen und der Friedlichen Revolution zufiel. Bis heute war von Stasi-Major Strenger kein einziges Wort der Entschuldigung oder auch nur des Nachdenkens über seine langjährige menschenrechtswidrige Tätigkeit für den zentralen Unterdrückungsapparat der SED-Diktatur zu vernehmen.

Der Medienpartner der Friedensfahrt, der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR), hat im übrigen wissen lassen, dass er die Biographie des Friedensfahrt-Leiters nicht für relevant hält. Offenbar hat der Intendant Udo Reiter nichts aus den Ereignissen des vergangenen Jahres gelernt. Auch mit Klaus Köste alias IM "Michael Woronin" der unter anderem die Übertragung des Festumzuges zum Turnfest moderieren durfte, ist ein neuer Stasi-Mann auf dem Bildschirm aufgetaucht.

Dass die meisten der im letzten Jahr enttarnten IM wieder auf dem Bildschirm und hinter dem Mikrofon stehen und wie selbstverständlich entgegen anderslautender Beteuerungen des Intendanten auch DDR-Themen behandeln, wundert einen schon nicht mehr. Dass derart persönlich belastete Menschen nicht in der Lage sind, objektiv und auch kritisch mit diesen Themen umzugehen, haben die Ereignisse der letzten Tage gezeigt. Die Sachbeiträge beispielsweise, die sich auf der Homepage des Senders finden, glänzen durch unreflektierte und verharmlosende Darstellungen der DDR-Sportfeste. Udo Reiter ist offenbar nach wie vor gänzlich unwillig, sich des Problems DDR-Vergangenheit in seinem Sender zu stellen. Alle anderslautenden Beteuerungen des Senders waren wohl doch nur Schutzbehauptungen.

Aufarbeitung ist notwendig

Schnell sind nach den Presseberichten der vergangenen Wochen wieder Forderungen laut geworden, man möge die Vergangenheit ruhen lassen, um dem Anliegen des Sports keinen Schaden zuzufügen. Doch was das Anliegen des Sports diskreditiert, ist in Wahrheit das Schweigen über den Mißbrauch, wie ihn die SED-Führung und die hunderten willigen Funktionäre in 40 Jahren Diktatur organisiert haben. Auch hier gilt, daß wir nur unbeschwert Neues aufbauen können, wenn wir uns der Vergangenheit vergewissern und offen über sie reden und schreiben.

Wenn sich Leipzig als Stadt der Friedlichen Revolution erfolgreich auch um die Olympiade und weitere sportliche Großereignisse bewerben will, so muß sie sich diesem Thema offen stellen und darauf achten, daß die entsprechenden Voraussetzungen für eine ehrliche Debatte geschaffen werden. In den Bewerbungsunterlagen für Olympia 2012 beruft sich Leipzig ausdrücklich auf die Wurzeln von 1989, die Friedlichkeit der Revolution und die Macht und den Veränderungswillen Hundertausender Montagsdemonstranten. Die Friedlichkeit der Revolution von 1989 hatte aber einen Preis und der hieß ehrliche und offene Aufarbeitung der SED-Diktatur. Eine Forderung der Montagsdemonstration lautete: ”Stasi in die Volkswirtschaft”. Von ”Stasi in das Management" war nie die Rede.