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Montag, den 09. April 2001

Einschränkung der DDR-Geschichtsforschung

Kategorie: Pressemitteilung
Von: Bürgerkomitee
DDR-Funktionäre werden geschützt

Eine neue Arbeitsrichtlinie der Gauck-Behörde leistet der aktuellen Schlussstrichdebatte Vorschub. Ohne jede gesetzliche Notwendigkeit räumt sie den Funktions- und Amtsträgern des DDR-Regimes ein Einspruchs- und Mitspracherecht ein, wenn es darum geht, Informationen über deren dienstliche Tätigkeit im Rahmen wissenschaftlicher und journalistischer Arbeit zu verwenden. Dies ist das Ende der Aufarbeitung.

Offene Akten sind das Vermächtnis der Friedlichen Revolution

1989 befreiten wir uns friedlich von der Diktatur der SED und ihrem Unterdrückungsapparat. Ein wesentlicher Akt dieser Selbstbefreiung war die Entmachtung der Staatssicherheit: Bürger besetzten im Dezember 1989 die MfS-Zentralen und verhinderten, dass der berüchtigte DDR-Geheimdienst weiter Akten vernichtete. Die Täter sind während dieser unblutigen Revolution bewusst verschont worden. Doch der Gewaltverzicht war von Anfang an zwingend an eine Bedingung geknüpft: Die Strukturen und Arbeitsweisen der Diktatur sollten aufgedeckt und rechtsstaatlich aufgearbeitet werden. Dies schloss auch die Forderung ein, die persönliche Verantwortung einzelner offenzulegen.

Diese Forderungen fanden 1990 Eingang in das Stasi-Unterlagengesetz der ersten frei gewählten Volkskammer der DDR. Erst nach massiven Protesten wurden sie auch im Einigungsvertrag festgeschrieben. So ist das Stasi-Unterlagengesetz, das der Deutschen Bundestag im Dezember 1991 verabschiedete, die logische Konsequenz und insoweit auch das Vermächtnis der Friedlichen Revolution. In den zurückliegenden zehn Jahren war es gesellschaftlicher Konsenz, dass die Tätigkeit der Funktionäre und Amtsträger des DDR-Systems in wissenschaftlichen Arbeiten und journalistischen Beiträgen aufgedeckt werden muss. Erwartungsgemäß stieß dies beständig auf Widerstand bei den betreffenden Personen. Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen hat sich jedoch in allen Fällen strikt an die gesetzliche Grundlage gehalten und ist in Zweifelsfällen von der Rechtsprechung bestätigt worden. Im Ergebnis entstand eine Vielzahl detaillreicher und fundierter wissenschaftlicher Beiträge. Diese legen wesentliche Funktionsmechanismen der SED-Diktatur offen und machen sie so durchschaubar. Intimdaten sind in dem beschriebenen Prozess nie leichtfertig veröffentlicht, sondern immer besonders akribisch geschützt worden.

West-Politiker wollen Aufarbeitung verhindern

Nun, da die Aufarbeitung zunehmend auch die alte Bundesrepublik erreicht, mehrt sich der Widerstand gegen ein Gesetz, das sich mehr als zehn Jahre lang bewährt hat. Doch statt eine offene Debatte über diese Tendenz zu führen, versucht die neue Hüterin der Stasi-Akten, Marianne Birthler, den Konflikt durch interne Regelungen zu entschärfen. Es ist ein gefährlicher Weg, momentanen Gegenströmungen nachzugeben, da so das Gesetz unmerklich Stück für Stück ausgehölt würde.

Die neue Richtlinie hätte, so sie nicht korrigiert wird, eine ganze Reihe von Problemen zur Folge: Zum einen wäre die Behörde mit der Bearbeitung sämtlicher Einsprüche und Rücksprachen heillos überlastet - an dieser Stelle sei nur daran erinnert, dass Betroffene noch immer bis zu vier Jahre lang auf ihre persönliche Akteneinsicht warten. Zum anderen würden Wissenschaftler und Journalisten drastisch in der Forschung eingeschränkt. Täter könnten praktisch selbst über den Grad der Aufklärung über ihrer Verstrickungen bestimmen.

Behörde muss Richtlinie zurücknehmen

Eine Gleichsetzung von Funktions- und Amtsträgern des Regimes mit den unschuldig Bespitzelten darf es unter keinen Umständen geben. Sie widerspräche den Grundsätzen des Stasi-Unterlagengesetzes und dem parteiübergreifenden Konsenz, der bei der Verabschiedung des Regelwerks gefunden wurde. Die neue interne Arbeitsrichtlinie wird Forschung und Aufarbeitung massiv be- wenn nicht gar verhindern. Wissenschaftler und Journalisten, Politiker und Initiativen sind deshalb aufgefordert, sich öffentlich für die Wahrung der Grundsätze des Stasi-Unterlagengesetzes einzusetzen. Die Aufarbeitungsmöglichkeiten, die es gewährleistet, sind einmalig in einem Staat, der den Wandel von der Diktatur zur Demokratie zu bewältigen hat.