Sie sind hier: Runde-Ecke-Leipzig.de / Presse

einzelne Meldung

Freitag, den 08. März 2002

Schwarzer Freitag für die Aufarbeitung

Kategorie: Pressemitteilung
Von: Bürgerkomitee Leipzig e.V.

Nur eine Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes kann das Ende der Aufklärung verhindern

Das Bundesverwaltungsgericht hat heute bestätigt: Die Stasi-Akten Helmut Kohls müssen unter Verschluss bleiben. Dieses Urteil wird die zukünftige Aufarbeitung der DDR-Geschichte lahm legen. Der Gesetzgeber ist nun dringend gefordert, das Stasi-Unterlagen-Gesetz noch vor der Sommerpause zu novellieren.

Aktenschließung ist Verrat an der Friedlichen Revolution

Zehn Jahre lang konnten Forscher und Journalisten bei ihren Recherchen zur DDR-Diktatur auf Akten von Personen der Zeitgeschichte sowie Funktions- und Amtsträgern zurückgreifen. Die Geschichte des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) ist auch aus diesem Grund immer wieder als Erfolgsgeschichte gelobt worden. Denn es macht die Aufarbeitung der DDR-Diktatur so unmittelbar und zeitnah möglich, dass noch die von ihr betroffenen Personen und nicht erst nachfolgende Generationen umfassende Aufklärung über begangenes Unrecht erhalten.

Nun ist vom Bundesverwaltungsgericht die bisherige Herausgabepraxis der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) für unrechtmäßig erklärt worden. Das StUG, einst zum Zweck umfassender Aufarbeitung geschaffen, erscheint plötzlich als Gesetz, das Aufarbeitung weitgehend verhindert. Damit steht das Erbe der Friedlichen Revolution auf dem Spiel.

Gerichtsurteil bedeutet Ende der Aufarbeitung

Offene Akten und rigorose Aufklärung - das waren die wichtigsten Forderungen des Jahres 1989. Nach der bisher bewährten Rechtsauffassung durften Akten über Funktions- und Amtsträger sowie Personen der Zeitgeschichte von Forschern und Journalisten genutzt werden, auch wenn die Genannten damit nicht einverstanden waren. Herausgegeben wurde dabei alles Material über das öffentliche und amtliche Wirken dieses Personenkreises, niemals schutzwürdige Informationen aus der Privat- und Intimsphäre.

Nun sah Helmut Kohl in einer missverständlichen Zusatzformulierung des §32 offenbar die Chance, die alleinige Deutungshoheit über Quellen zu erlangen, die seine Rolle in der Zeitgeschichte beleuchtenkönnen. Er hat damit auch eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt, die Aufklärung über das Funktionieren des diktatorischen Systems der SED und den Widerstand dagegen praktisch unmöglich macht. So dürfen bei konsequenter Umsetzung des Urteils auch künftig Funktions- und Amtsträger der hemaligen DDR selbst darüber bestimmen, ob das von ihnen begangene Unrecht publik wird oder nicht.

Da die Staatssicherheit ein eigenes Archiv für NS-Akten angelegt hatte, daß nunmehr Bestandteil der BStU ist, fallen auch diese Akten unter die neue Auslegung des StUG. Das heißt auch diese Akten über Euthanasie-Ärzte, KZ-Leiter, NS-Funktionäre und andere bleiben gesperrt. Ein Skandal von internationaler Dimenssion.

Bundestag muss umgehend novellieren

Eine solche Entwicklung widerspricht diametral den Intensionen des Gesetzgebers bei der Verabschiedung des StUG und schränkt im übrigen das Grundrecht der Presse- und Wissenschaftsfreiheit spürbar ein.

Das Bürgerkomitee erneuert vor diesem Hintergrund seine Forderung nach einer Novellierung des Gesetzes noch in dieser Legislaturperiode. Dringender Handlungsbedarf besteht nicht nur in Bezug auf §32, sondern auch auf §14 des StUG. Letzterer lässt ab 01.01.2003 die Anonymisierung oder gar Vernichtung von Originalakten auf Antrag zu. Dieser Vorgang dürfte in der europäischen Archivgeschichte wohl einmalig sein. Nach dem heutigen Urteilsspruch könnte im übrigen auch Helmut Kohl als nunmehr "Betroffener" seine Akten vernichten lassen.

Das Bürgerkomitee Leipzig hat im Januar dieses Jahres einen Novellierungsentwurf vorgelegt, der unter anderem die Streichung von §14 und eine Klarstellung des §32 vorsieht. Er wird von zahlreichen Politikern, Wissenschaftlern, Journalisten, Datenschützern und Archivaren unterstützt. Namhafte Vertreter stellten auf einer Fachtagung des Bürgerkomitees am 12.01.2002 in Leipzig fest, dass die bisherige Praxis der Bundesbeauftragten in voller Übereinstimmung mit den bundesdeutschen Archiv- und Datenschutzgesetzen steht.

Die für April angesetzte Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundestags zum StUG muss nun zu einer intensiven und sachlichen Debatte genutzt werden, in der die Meinungen aller Aufarbeitungsexperten gehört werden. An ihrem Ende muss eine Novelle stehen, die sicherstellt, dass die ursprünglichen Intensionen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes dauerhaft zum Tragen kommen.