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Montag, den 14. März 2011

Neuer Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen sollte neue Prioritäten setzen

Kategorie: Pressemitteilung

Die Leiter der Gedenkstätten Museum in der „Runden Ecke“ in Leipzig und Normannenstraße
in Berlin kritisieren die bisherige Aktenerschließungspraxis der Stasi-Unterlagenbehörde

Am Montag, den 14. März 2011, wird Marianne Birthler aus dem Amt der Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen verabschiedet, gleichzeitig wir Roland Jahn als neuer Bundesbeauftragter in dieses Amt eingeführt. Diese Zäsur ist Anlass, ein Resümee zu ziehen.

Die Öffnung der Stasiakten für die private Einsichtnahme sowie die wissenschaftliche und publizistische Nutzung ist eines der wichtigsten Ergebnisse der Friedlichen Revolution von 1989/1990. Neben der Öffnung der Archive der Parteien und Massenorganisationen ist der Zugang zu den Stasiakten die wichtigste Voraussetzung für die umfassende Auseinandersetzung mit der Geschichte der SED-Diktatur.

Das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) betraut die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) mit der exklusiven Verwaltung der Stasiakten und regelte deren Zugänglichkeit. Damit sind alle Personen und Institutionen, die sich auf verschiedenste Weise mit der DDR auseinandersetzen, auf die Arbeitsfähigkeit und die Erschließungsergebnisse der Stasi-Unterlagenbehörde zwingend angewiesen.

 

Birthler hat Zusage nicht gehalten 2011 mit der Erschließung der Sachakten fertig zu sein

Verfolgtenverbände und Aufarbeitungsinitiativen forderten schon im Juni 2005 in einer gemeinsamen Erklärung die Stasi-Unterlagenbehörde zu einer Erschließungsoffensive auf. 15 Jahre nach dem Ende der Diktatur sollte die vollständige Erschließung bisher unbearbeiteter Bestände und die Bearbeitung von Anträgen auf Akteneinsicht die vordringliche Aufgabe der BStU sein. Marianne Birthler reagierte im Jahr 2006 auf diese Forderungen mit der öffentlichen Ankündigung: „Wir wollen mit der Erschließung bis 2011 fertig sein.“

Laut dem aktuellen 10. Tätigkeitsbericht sind derzeit gerade einmal 84 % der sogenannten Sachakten erschlossen. Bezogen auf den Gesamtaktenbestand sind dies allerdings nur 45 %, also nicht einmal die Hälfte. Marianne Birthler erwähnt das nicht erreichte Ziel in ihrem Bericht mit keinem Wort. Sie strich hingegen die bisher üblichen Erschließungsstatistiken ersatzlos, so dass die Arbeitsweise der Behörde noch intransparenter wird.

Statt vorrangig die ihr per Gesetz exklusiv übertragenen Aufgaben zu erfüllen und damit die unabdingbare Voraussetzung für die private, publizistische und wissenschaftliche Beschäftigung mit der SED-Diktatur zu schaffen, hat sich die Stasi-Unterlagenbehörde unter der Leitung von Marianne Birthler in den vergangenen Jahren immer mehr auf Feldern betätigt, die längst von anderen Institutionen und Initiativen bearbeitet werden. So wurden erhebliche Ressourcen in den Auf- und Ausbau von Dokumentationszentren, die Herstellung von Informationsmaterialien und die Ausrichtung von Bildungsveranstaltungen geleitet, die dann bei der Erschließung der Akten fehlten.

 

 

Auch personenbezogene Akten müssen inhaltlich erschlossen werden

Hinzukommt, dass eine archivarische Erschließung der personenbezogenen Unterlagen – etwa Operativvorgänge, Gerichtsakten, IM-Akten und andere – nach sachlichen Kriterien bisher fast nicht stattgefunden hat. Somit stehen diese Dokumente zwar für die persönliche Akteneinsicht zur Verfügung, bleiben aber der wissenschaftlichen Forschung weitgehend verschlossen. Die vielfältigen Belege für Zivilcourage und widerständischem Verhalten, die ein Zeugnis des Mutes vieler DDR-Bürger sind, können somit nicht oder nur unzureichend wissenschaftlich erforscht und publiziert werden.

 

Aktenvernichtung durch die BStU muss transparent sein und öffentlich diskutiert werden

In den zurückliegenden Jahren wurden in großem Umfang Stasi-Akten durch die BStU vernichtet. Der diesen Arbeiten zugrundeliegende Bewertungskatalog enthält jedoch eine Reihe von Unterlagen die für die künftige historische Aufarbeitung von Wert sind und nicht weiter durch die BStU vernichtet werden dürfen.

Um ihre Monopolstellung nicht zu verlieren, hat die Behörde in den zurückliegenden Jahren Mehrfachexemplare von Befehlen, Dienstanweisungen und Schulungsmaterialien, also Unterlagen ohne jeden Personenbezug – vernichtet, statt diese an Gedenkstätten, Museen oder Bibliotheken abzugeben. Diese Einrichtungen könnten mit diesen Materialien die Öffentlichkeit über Struktur und Arbeitsweise des MfS und der SED-Diktatur informieren, ohne das aufwändige Antragsverfahren der Stasi-Unterlagenbehörde.

 

Stasi-Unterlagenbehörde soll sich auf das Kerngeschäft konzentrieren – Erschließungsoffensive für alle Stasi-Akten dringend nötig

Wir bitten den neue Bundesbeauftragte Roland Jahn ausdrücklich, die Stasi-Unterlagenbehörde in den kommenden Jahren wieder auf ihr Kerngeschäft zu fokussieren, damit die einzigartige Möglichkeit des Einblicks in das Herrschaftswissen der DDR-Diktatur optimal ausgenutzt werden kann. Die Aktenerschließung muss die BStU im Rahmen einer Erschließungsoffensive mit aller Energie vorantreiben.

Die bestehenden Aufarbeitungsinitiativen, Museen, Gedenkstätten und Forschungseinrichtungen sind auf die Kooperation und Unterstützung der Stasi-Unterlagenbehörde angewiesen. Wir wünschen Roland Jahn die Kraft nach 20 Jahren neue Impulse zu setzen und damit die Aufarbeitung der SED-Diktatur deutlich voranzubringen.

 

Jörg Drieselmann

Leiter des Stasi-Museums Normannenstraße, Berlin

 

Tobias Hollitzer

Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker, Leipzig

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