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Montag, den 11. März 2002

Um das Stasi-Unterlagen-Gesetz muss zum zweiten Mal gekämpft werden

Kategorie: Pressemitteilung
Von: Bürgerkomitee Leipzig e.V.

Um das Stasi-Unterlagen-Gesetz muss zum zweiten Mal gekämpft werden

Erstmals hat sich Bundeskanzler Gerhard Schröder in einem Interview mit der Leipziger Volkszeitung zur Zukunft des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG) geäußert. Doch statt sachdienliche Argumente in die Debatte einzubringen, verdreht er die Fakten. Er macht sich dabei gemein mit Schlussstrich-Protagonisten wie dem letzten DDR-Innenminister, Peter-Michael Diestel, der in derselben Zeitung wieder einmal ein Ende der "unmoralischen" Behandlung von IM und ein "Freudenfeuer" mit den MfS-Akten fordert. Auf ähnlichem Niveau argumentierte bereits am Freitag der Berliner PDS-Fraktionsvorsitzende Roland Klaus mit seinem Ruf nach einem "anderen Umgang" mit den MfS-Akten.

Nur weiterhin offene Akten garantieren gerechte Aufklärung

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im "Kohl-Prozess" dürfe durch eine Entscheidung des Deutschen Bundestags nicht wieder rückgängig gemacht werden, forderte Schröder und sprach sich damit de facto gegen eine Novellierung des StUG im Sinne der Aufarbeitung aus. Doch alle Argumente, die er ins Feld führt, sprechen bei genauer Betrachtung nicht gegen, sondern für die Beibehaltung der bisherigen Herausgabepraxis der Birthler-Behörde. Denn nur wenn Wissenschaftler und Journalisten weiterhin in die Akten von Funktions- und Amtsträgern sowie Personen der Zeitgeschichte (aus Ost und West) einsehen dürfen, lässt sich vermeiden, wovor Schröder warnt: Das pauschale Abstempeln von Ostdeutschen als "Täter" ebenso wie die Belangung ausschließlich des "kleinen Mannes" für begangenes Unrecht in der DDR. Auch Diestels Befürchtung, dass die SED-Funktionäre als Drahtzieher der Diktatur vergessen werden, während man jeden "kleinen IM totschlägt", lässt sich nur bei weiterhin offenen Akten abwenden. Im übrigen ist bis heute kein einziger IM geschlagen geschweige denn totgeschlagen worden.

Träger der DDR-Diktatur waren neben den hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern des MfS auch Funktionäre und Helfer der SED, von hochrangigen Parteifunktionären wie Egon Krenz bis hin zu Polizeidienststellenleitern auf Kreisebene. Da sie nicht Mitarbeiter der Staatssicherheit waren, können sie die Herausgabe ihrer Akten künftig ablehnen und somit verhindern, dass ihre Verstrickung ins diktatorische System jemals aufgeklärt wird.

Gesetzgeber hat laut Einigungsvertrag Verpflichtung zur Aufarbeitung

Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist ein Regelwerk, für das es sich zu kämpfen lohnt. Seine Verabschiedung war eine wichtige Bedingung dafür, dass die Friedliche Revolution auch tatsächlich friedlich blieb. Die Menschen wollten nach 1989 nicht die viel zitierte "Hexenjagd" auf die Täter eröffnen, aber sie wollten die Verantwortlichen benannt wissen. Nicht umsonst wurde deshalb der Deutsche Bundestag im Einigungsvertrag dazu verpflichtet, ein entsprechendes Aufarbeitungsgesetz zu verabschieden. Es entstand mit dem Stasi-Unterlagen-Gesetz ein Regelwerk, das kein Fremdkörper im bundesdeutschen Rechtssystem ist, sondern im Gegenteil mit der bewährten Archiv- und Datenschutzpraxis konform geht. So ist es beispielsweise keine Erfindung des StUG, dass Personen der Zeitgeschichte sowie Funktions- und Amtsträgern weniger beziehungsweise nicht auf Persönlichkeitsrechte berufen können. Es muss neuerlich betont werden, dass private und intime Informationen schon immer vom Gesetz geschützt waren und daher noch nie von der Birthler-Behörde herausgegeben wurden.

Der Gesetzgeber ist nun aufgefordert, sich - wie im Einigungsvertrag festgeschrieben - klar zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu bekennen. Gefragt ist gleichermaßen der intensive Einsatz aller anderen Befürworter ehrlicher Aufklärung. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sollte nicht Anlass zur Resignation, sondern im Gegenteil zu einem unmissverständlichen Plädoyer für die Notwendigkeit der offenen Akten sein. Wir brauchen dazu eine sachliche, von Faktenwissen geprägte Debatte, die frei von populistischen Argumenten und Wahlkampfüberlegungen ist.