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Dienstag, den 05. Dezember 2006

Bürgerkomitee fordert wissenschaftliche Untersuchung zur Entstehung und Entwicklung der Stasi-Unterlagen-Behörde

Kategorie: Pressemitteilung

Das Bürgerkomitee Leipzig hat den Kulturausschuss des Deutschen Bundestags und Kulturstaatsminister Bernd Neumann aufgefordert, die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) von unabhängigen Historikern untersuchen zu lassen. Dabei sollen vor allem frühere MfS-Mitarbeiter sowie SED-Systemträger und deren Wirken ins Auge gefasst werden, die bis heute in großer Zahl in der Behörde beschäftigt sind.

In der vergangenen Woche berichtete die Tageszeitung „Die Welt“, dass bei der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) mehr als 50 ehemalige hauptamtliche sowie Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit tätig sind. Ebenso wie viele andere Aufarbeitungsinitiativen, Opferverbände und auch Forscher war das Bürgerkomitee entsetzt über diese hohe Zahl, die der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt gewesen ist. Am Wochenende hatte der Sächsische Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen zudem noch auf die noch wesentlich höhere Zahl ehemaliger DDR-Systemträger in der BStU hingewiesen.

 

Ansehen der BStU durch verfehlte Personalpolitik beschädigt

Die verfehlte Personalpolitik hat das Ansehen der Behörde bereits jetzt nachhaltig beschädigt. Eine Einrichtung, die an derart herausragender Stelle die Aufarbeitung der Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit, einer der wichtigsten Stützen der SED-Diktatur, voranbringen soll, kann nicht selbst MfS-Mitarbeiter und SED-Systemträger in derart großer Zahl beschäftigen. Denn diese Personen sind aufgrund ihres Verhaltens in der DDR nicht geeignet für die Arbeit in der BStU.

Die jetzt von der Behörde vorgebrachten Rechtfertigungen erinnern in fataler Weise an die Beschwichtigungen, die beispielsweise der Mitteldeutsche Rundfunk 2001 vorbrachte, als die Stasi-Verstrickung Dutzender Mitarbeiter des Senders bekannt geworden war. Die BStU zerstört somit noch weiter das Ansehen der Behörde und das in sie gesetzte Vertrauen. Sie delegitimiert sich als ernst zu nehmendes wissenschaftliches Archiv, wenn sie jetzt die Bedeutung der Hauptabteilung Personenschutz und deren Einbindung in das Gesamtsystem der kommunistischen Geheimpolizei herunterzuspielen versucht.

Im Interview mit der Sächsischen Zeitung vom heutigen Tag verweist Marianne Birthler auf andere Behörden, in denen ebenfalls Stasi-Mitarbeiter beschäftigt seien. Auch dieser Ablenkungsversuch geht fehl, da an die BStU und ihr Personal besonders hohe Anforderungen zu stellen sind. Dies hat der Bundestag erst jüngst in seiner Novelle zum Stasi-Unterlagen-Gesetz noch einmal ausdrücklich betont.

Die immer wieder vorgebrachte Schutzbehauptung, die Stasi-Mitarbeiter hätten „den Bürgerkomitees ihr Wissen zur Verfügung gestellt“ ist falsch. Sie haben den Bürgerrechtlern nicht geholfen, sondern vielmehr versucht, ihnen ihre Sicht auf die Dinge einzuflüstern und den Prozess der Auflösung mitzubestimmen. So war der bis zu seinem Tod in der BStU beschäftigte Oberst Klaus Bäcker einer der Stasi-Vertreter am Zentralen Runden Tisch Berlin und versuchte dort, die Interessen des MfS gegen die neuen demokratischen Kräfte durchzusetzen. Sein ehemaliger Mitarbeiter im Dienstrang eines Oberstleutnants war ab Anfang Dezember 1989 nach Leipzig beordert, um hier konspirativ und aus dem Hintergrund die Interessen des alten Apparates gegen die Bürgerkomitees zu wahren.

 

Belastete Mitarbeiter müssen aus verantwortlichen und leitenden Positionen versetzt werden

Am 4. und 5. Dezember 1989, genau vor 17 Jahren also, besetzten Bürger überall in der DDR die Dienststellen der Staatssicherheit. Sie stoppten die seit Tagen laufende Aktenvernichtung und ebneten somit den Weg für die Aufarbeitung der MfS-Hinterlassenschaft. Die jetzt bekannt gewordene Zahl belasteten Personals in der Aktenverwaltungsbehörde wirkt geradezu wie ein Verrat an den Forderungen der Friedlichen Revolution.

Die Personalentscheidungen werden aus rechtlichen Gründen nicht grundsätzlich zu revidieren sein, gleichwohl müssen Umsetzungen weg von verantwortlichen und leitenden Funktionen stattfinden. Gleichzeitig muss sofort damit begonnen werden, die Geschichte der Behörde, ihren Aufbau und die Arbeit der ersten 15 Jahre von unabhängigen Historikern untersuchen zu lassen. Dabei ist besonders herauszuarbeiten, welchen Einfluss die Stasi-Offiziere, vor allem aber die offenbar auch in großer Zahl in der Behörde arbeitenden Funktionsträger des SED-Regimes auf die Arbeit der Behörde, auf Dienstanweisungen, Richtlinien etc. hatten und haben.