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Montag, den 23. Juli 2007

Operative Psychologie - Der Missbrauch einer Wissenschaft durch das MfS

Kategorie: Pressemitteilung

Psychologie als Lehre vom Erleben und Verhalten des Menschen ist bereits seit dem Altertum bekannt. Als Wissenschaft jedoch wurde sie erst im 19. Jahrhundert begründet und bereits im nachfolgenden Jahrhundert missbraucht. So diente sie beispielsweise in der DDR dem Ministerium für Staatssicherheit zur Aufrechterhaltung der SED-Herrschaft. Dies ging letztlich bis zum „Angriff auf die Seele“ von Menschen, die als „feindlich-negativ“ eingestuft wurden.

Am Donnerstag, dem 26.07.2007, ab 18.00 Uhr findet im Museum in der „Runden Ecke“ eine Veranstaltung zur so genannten Operativen Psychologie der Staatssicherheit statt. Mit diesem Thema hat sich der Freiwillige im Kulturellen Jahr der Gedenkstätte, Maik Bieleke, intensiv auseinandergesetzt. Während der Veranstaltung wird er sein Projekt vorstellen, anschließend werden die Grundlagen für die Methoden der „Zersetzung“, ihr historisches Entstehen und die Einbettung in die so genannte „operative Psychologie“ des Ministeriums für Staatssicherheit vom Dresdner Psychologen Dr. Holger Richter in einem Vortrag beleuchtet. Richter hat mit seinem Buch „Die Operative Psychologie des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR“ das Grundlagenwerk zum Thema vorgelegt. Bei dem anschließenden Gespräch mit Experten zu gesundheitlichen Folgeschäden der „Zersetzung“ sowie sozialrechtlichen Aspekten erläutern die Experten auch, warum das erst kürzlich verabschiedete 3. SED-Unrechtsbereinigungsgesetz wiederum dem Anspruch, einen gerechten Ausgleich für die Zersetzungsopfer zu schaffen, nicht genügen kann. Die Veranstaltung bildet den Abschluss des Freiwilligen Sozialen Jahres in der Kultur. Sie wird vom Leiter der Gedenkstätte, Tobias Hollitzer, moderiert.

 

Jugendliche beschäftigen sich mit der Operativen Psychologie des MfS

Zum zweiten Mal schon bot die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ einem Jugendlichen im Rahmen seines Freiwilligen Sozialen Jahres in der Kultur die Möglichkeit, sich zwölf Monate mit einem selbstgewählten und eigenständig organisierten Projekt zu beschäftigen. Die Wahl unseres derezitigen Freiwilligen Maik Bieleke fiel auf das Thema „Operative Psychologie – der Missbrauch einer Wissenschaft durch das MfS“ (Ministerium für Staatssicherheit). Für ihn lag dieses Thema nahe, da er im Anschluss an seinen Freiwilligendienst ein Psychologiestudium aufnehmen möchte.

Der Zwanzigjährige hat im Rahmen des Projektes Kontakt mit Lehrern und Schülern aufgenommen und führt mit ihnen zusammen Interviews, die in einem kleinen Film verdichtet werden sollen. Gemeinsam mit weiteren Jugendlichen entwarf er einen Flyer sowie eine Internetseite. Außerdem erarbeitet er momentan Ausstellungstafeln, die eine bisherige inhaltliche Lücke in der Dauerausstellung des Museums in der „Runden Ecke“ schließen sollen. Der Schwerpunkt des Projektes liegt auf einem Teilgebiet der Operativen Psychologie, das die Staatssicherheit als „Zersetzung“ bezeichnete.

 

„Ziel der Zersetzung ist die Zersplitterung, Lähmung, Desorganisierung und Isolierung feindlich-negativer Kräfte...“

Zersetzung bedeute, dass man im Leben von vermeintlichen Feinden Probleme und Streit verursachte. In einem der so genannten Maßnahmepläne war beispielsweise vorgesehen, in die Wohnung eines oppositionellen Ehepaares einzubrechen und dort nach einer Geldkassette zu suchen. Sie sollte gestohlen werden, um den Verdacht des Diebstahls auf die Kinder zu lenken. Ziel war es, die Kinder von ihren Eltern zu entfremden und so persönliche Probleme zu verursachen. Im „Idealfall“ wäre es zu Streit und Misstrauen gekommen und die Eheleute wären mehr mit eigenen Krisen als mit oppositioneller Arbeit beschäftigt gewesen.

Künstliche Lebenskrisen herbeizuführen war also die zentrale Strategie dieser Verfahrensweise, die das Ministerium für Staatssicherheit im eigenen Wörterbuch definierte. Darin hieß es unter anderem, auf „Einstellungen und Überzeugungen [wird Einfluss] in der Weise genommen, dass diese erschüttert oder allmählich verändert werden“. Dazu war dem MfS beinahe jedes Mittel recht. Es brach beispielsweise heimlich in Wohnungen ein, brachte Gerüchte und gefälschte Schreiben zur Diskreditierung von Opfern in Umlauf, verhinderte und beendete Karrieren oder initiierte ständige Vorladungen zu staatlichen Organen wie der Polizei, um Gegner zu verunsichern und zu disziplinieren.

 

Vom offenen Terror zum verborgenen Angriff auf die Seele

Nicht immer hatte die Staatssicherheit sich solch diffiziler Methoden bedient, um unliebsame Menschen zu „bearbeiten“, wie es im MfS-Jargon hieß. Erst mit den beginnenden 70er Jahren, die unter anderem im Zeichen des KSZE-Prozesses standen, entwickelte sich die Arbeit der Staatssicherheit mehr und mehr zum Politikum, das dem Ansehen der DDR nachhaltigen Schaden zufügen konnte. Deswegen wurden Menschen, die im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung standen, nicht mehr mit brutalem Terror „liquidiert“, sondern zersetzt. Dieses Vorgehen machte sehr viel mehr Arbeit, entpuppte sich aber dennoch bald als ein effektives Mittel.

Auch die Anforderungen an die eigenen Mitarbeiter wuchsen, da differenziertes Vorgehen bedeutsamer wurde als das bloße Einsperren beispielsweise. Also richtete das MfS schon 1965 einen eigenen Lehrstuhl an der Juristischen Hochschule Potsdam ein, an dem verschiedene Zersetzungsmethoden gelehrt wurden. Seit einer Richtlinie des Ministers für Staatssicherheit aus dem Jahr 1976 wurde die Zersetzung auch zum offiziellen und sehr genau beschriebenen Bestandteil Operativer Vorgänge, die gegen vermeintliche Feinde eröffnet wurden.