Sie sind hier: Runde-Ecke-Leipzig.de / Presse

einzelne Meldung

Donnerstag, den 15. Oktober 2009

Es gibt keinen Skandal in der Rede des Bundespräsidenten Köhler am 9. Oktober 2009 in Leipzig

Kategorie: Pressemitteilung

Horst Köhler hat am Freitag zu Beginn seiner Festansprache im Gewandhaus zu Leipzig versucht, die Bedrohungssituation am 9. Oktober 1989 in Leipzig zu schildern. Dabei griff er auch einige der damaligen Gerüchte auf: Blutkonserven seien bereitgestellt und Betten in Krankenhäusern geräumt worden, Panzer hätte vor der Stadt gestanden und Leichensäcke wären bereitgelegt gewesen. Für all diese damaligen Gerüchte haben sich bis heute keine aktenmäßigen Belege gefunden, wobei zu berücksichtigen ist, dass ein Großteil der damaligen Akten gezielt vernichtet wurden. In vielen auch wissenschaftlichen Darstellungen finden sich diese Gerüchte als Fakten wiedergegeben.

Worin aber soll nur der am Wochenende behauptete Skandal bestehen? Horst Köhler hat in seinem Redemanuskript offenbar auch auf solche Veröffentlichungen zurückgegriffen. Die von ihm geschilderte Situation entsprach genau dem Empfinden der Leipziger an diesem Tag. Die SED hatte ganz gezielt solche und andere Gerüchte gestreut um die Menschen von einer Beteiligung an der abendlichen Demonstration abzuhalten. Keiner konnte zu diesem Zeitpunkt prüfen, ob es wahr war. Man musste es nach der Propaganda der vorhergehenden Tage und der Ereignisse in China im Juni als gegeben nehmen.

 

Die SED hat sich auf eine gewaltsame Auseinandersetzung am 9. Oktober 1989 vorbereitet

Gleichzeitig bereitete sich das SED-Regime auf eine gewaltsame Auflösung der Demonstration vor. Der Chef der Leipziger Polizei hatte in seinem Einsatzplan für den 9. Oktober 1989 festgelegt: "Das Ziel des Einsatzes besteht in der Auflösung rechtswidriger Menschenansammlungen und unmittelbar nachfolgend in der dauerhaften Zerschlagung gegnerischer Gruppierungen sowie der Festnahme deren Rädelsführer." Und bereits am 6. Oktober 1989 hatte die SED im Parteiblatt „Leipziger Volkszeitung“ gedroht: „Wir sind bereit und willens, das von uns mit unserer Hände Arbeit Geschaffene wirksam zu schützen, um diese konterrevolutionären Aktionen endgültig und wirksam zu unterbinden. Wenn es sein muß, mit der Waffe in der Hand!“.

Über 3.000 Polizisten wurden in Leipzig für den Einsatz vorbereitet, 800 Mitglieder der Betriebskampfgruppen, 1.500 Soldaten der Nationalen Volksarmee und Mitarbeiter der Staatssicherheit. Es waren LKW mit Räumgittern, Wasserwerfer, aufmunitionierte Schützenpanzerwagen sowie zwei Tanklöschfahrzeuge der Feuerwehr mit Farbtanks vorbereitet. Die Politoffiziere und Kommandeure erklärten, den Einsatzkräften, dass "heute ein für alle mal Schluss gemacht wird mit der Konterrevolution in Leipzig". "Genossen ab heute ist Klassenkampf. Die Situation entspricht dem 17. Juni '53. Heute entscheidet es sich - entweder die oder wir". Erich Honecker persönlich hatte wenige Tage zuvor angewiesen, "die konterrevolutionären Ereignisse im Kern zu ersticken".

 

70.000 Menschen demonstrierten trotz dieser Drohungen friedlich gegen das Regime

Gewandhauskapellmeister Prof. Kurt Masur hat die Situation 1992 wie folgt beschrieben: „Jeder von den Politikern, der jetzt für sich in Anspruch nehmen will, dass er das verhindern wollte, dem kann man nur sagen, es wurde ja nicht verhindert, dass die Menschen in Todesangst auf die Straße gegangen sind. Die Todesangst hatten sie. Sonst hätte man Ihnen ja vorher am Fernsehschirm sagen können, hört zu Leute, wir sprechen mit euch, wir tun nichts. Das hat man nicht getan, man hat gehofft, dass allein die Drohung ausreichen würde, um die Menschen wieder zur Raison zu bringen. Und allein das ist ein Verbrechen, allein das war unmenschlich."

Genau diese Situation am 9. Oktober 1989 wollte Köhler zu Beginn seiner Rede beschreiben und die damaligen Emotionen wachrufen. Und dies ist ihm gelungen. Horst Köhler hat in eine hervorragende und eindrückliche Ansprache gehalten, die den Mut der 70.000 die am 9. Oktober 1989 trotz aller Gerüchte und aller Drohungen auf die Straße gingen, würdigte. Es waren bei weitem nicht nur Bürger der Stadt, sondern auch viele Menschen aus anderen Städten, die an diesem Tag extra nach Leipzig gefahren waren.