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lundi, den 17. juin 2002

OFFENER BRIEF AN DEN 15. PARTEITAG DER CDU DEUTSCHLANDS

Categorie: Pressemitteilung
Auteur : Bürgerkomitee Leipzig e.V.

AN DEN 15. PARTEITAG DER CDU DEUTSCHLANDS CDU/CSU darf Aufarbeitung nicht weiter verhindern

Sehr geehrte Frau Merkel, sehr geehrter Herr Merz, sehr geehrte Damen und Herren,

den heutigen 49. Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR nimmt Helmut Kohl zum Anlass, auf Ihrem Parteitag über die Bedeutung dieses historischen Datums zu sprechen. Dies ist angesichts seiner Position in der aktuellen Debatte um das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) ein Paradoxum.

Mit Sorge verfolgt das Bürgerkomitee Leipzig e.V. ebenso wie viele Opferverbände und andere Aufarbeitungsinitiativen, dass sich in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Stimmen gegen eine Novellierung des StUG mehren. Zahlreiche Abgeordnete arbeiten aus offensichtlich sachfremden Interessen darauf hin, die Aufarbeitung der SED-Diktatur weitgehend zu beenden. Sie verbreiten dabei bewusst Scheinargumente, die inhaltlich falsch und sowohl von der BStU als auch von anderen Sachverständigen bereits vielfach widerlegt worden sind. Gerade der Begriff des O pferschutzes wird von Angehörigen Ihrer Fraktion immer wieder als Moralkeule missbraucht, obwohl die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen des DDR-Regimes durch das Stasi-Unterlagen-Gesetz seit eh und je in vollem Umfang geschützt sind und es auch bleiben werden.

Wir fordern die Teilnehmer des Bundesparteitags daher auf, sich allen Versuchen zur Beendigung des Aufarbeitungsprozesses entschieden entgegenzustellen und darauf hinzuwirken, dass die Fraktion konstruktiv an der Novellierung des StUG mitarbeitet. Nur so kann die "Koalition der Vernunft", die auch der Bundestagsabgeordnete Harmtmut Büttner mehrfach einforderte, wieder entstehen. Derzeit schließt sich die CDU aus einer solchen Koalition selbst aus. Die jüngst von der CDU/CSU-Fraktion geforderte erneute Anhörung zum StUG ist vollkommen unnötig. Bereits am 25.04.2002 fand eine solche im Innenausschuss statt. Die geladenen Sachverständigen beantworteten die Fragen der anwesenden Abgeordneten dabei so erschöpfend, dass die Anhörung eine Stunde früher als geplant beendet werden konnte.

Wie absurd die Forderungen nach einem restriktiveren Umgang mit den Stasi-Akten aus den Reihen der CDU sind, wird beim heutigen Parteitag deutlich. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt nach der Spendenaffäre präsentiert sich Helmut Kohl ausgerechnet als Kanzler der Einheit und erinnert an den Volksaufstand in der DDR vor 49 Jahren. Die Akten über eben jenes Ereignis, das von zentraler Bedeutung für die weitere politische Entwicklung in der DDR war, sind aber ohne die Gesetzesänderung, die Kohl für verfassungswidrig hält, nicht mehr zugänglich. Die zahlreichen Forschungsvorhaben, die anlässlich des 50. Jahrestags des Volksaufstandes 2003 vorgesehen waren, werden nach der jetzigen Gesetzeslage undurchführbar sein: Antragsteller dürfen in den Akten beispielsweise weder nach Streikführern und -beteiligten noch nach Betriebsdirektoren oder SED-Funktionären ohne deren Einwilligung recherchieren. Viele der Genannten können - da inzwischen verstorben - diese Einwilligung nicht mehr erteilen.

Ähnliche Auswirkungen wird das "Kohl-Urteil" auf die gesamte zeitgeschichtliche Forschung haben. Selbst Akten aus der Zeit des Nationalsozialismus, die das MfS zusammengetragen hatte, bleiben gesperrt. Eben dies scheint Helmut Kohl mit allen Mitteln erreichen zu wollen. Presseberichten zufolge hat er am 28.06.2002 in einem Brief die Partei- und Fraktionsspitze vor einer Unterstützung der Gesetzänderungspläne von SPD und Bündnis 90/Die Grünen gewarnt.

Das Bürgerkomitee, das 1989 die Leipziger Bezirksverwaltung für Staatssicherheit besetzte und sich in der Folge intensiv für den Erhalt der Akten und die Verabschiedung des StUG einsetzte, ist gern bereit, sein Sachwissen und seine Erfahrung in den Prozess einzubringen. Einen entsprechenden Novellierungsvorschlag hat es bereits im Januar erarbeitet und sowohl der Öffentlichkeit als auch politischen Entscheidungsträgern als Grundlage für die weitere Diskussion zugänglich gemacht.

Wir fordern nun nochmals nachdrücklich die CDU auf, ihre Haltung zu überdenken und die Blockade der dringend notwendigen Gesetzesänderung aufzugeben. Die ehrliche und manchmal auch schmerzhafte Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur muss im Interesse aller demokratischenParteien der Bundesrepublik liegen und ganz besonders von denen mitgetragen werden, die sich als Wegbereiter der deutschen Einheit verstehen. Die CDU ist jedoch gerade dabei, die Sympatien zu verpielen, die sie sich mit ihren Verdiensten um die deutsche Einheit erworben hat.

Mit freundlichen Grüßen

für den Vorstand

Dr. Konrad Taut