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jeudi, den 05. juillet 2001

Erklärung zum Urteil im Prozess um die Herausgabe der Stasi-Akten Helmut Kohls

Categorie: Pressemitteilung
Auteur : Bürgerkomitee Leipzig e.V., Bürgerkomitee "15. Januar" e.V. Berlin

Die Stasi-Akten Helmut Kohls bleiben unter Verschluss, entschied gestern das Verwaltungsgericht Berlin. Es erklärte gleichzeitig die bisherige Herausgabepraxis der BStU für unrechtmäßig und wird mit diesem Urteil die Aufarbeitung des DDR-Unrechts lahmlegen. Täter können künftig selbst entscheiden, ob Akten über sie herausgegeben werden oder nicht. Eine Novellierung des Stasi-Unterlagengesetzes

ist deshalb unumgänglich.

Ende der Aufarbeitung

Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin hat gestern der Aufarbeitung des DDR-Unrechts ein Ende gesetzt. In einer Grundsatzentscheidung erklärte der prozessführende Richter die bisherige Herausgabepraxis der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) in Bezug auf Forschungs- und Medienanträge für unrechtmäßig.

Konnten Forscher und Journalisten zehn Jahre lang bei ihren Recherchen zum Thema auf Akten von Personen der Zeitgeschichte sowie Funktions- und Amtsträgern zurückgreifen, müssen sie nun auf die Einwilligung der Genannten hoffen. Bleibt diese aus, hält die BStU gezwungenermaßen die entsprechenden Dokumente unter Verschluss. Damit ergibt sich die untragbare Situation, das Systemträger - vom Gefängnisleiter über den SED-Bezirkssekretär bis zum DDR-Staatschef - selbst entscheiden dürfen, ob ihr Funktionieren in der Diktatur bis hin zu begangenem Unrecht je publik wird.

Erbe der Friedlichen Revolution steht auf dem Spiel

Das Gericht deutet mit seinem Urteil das Stasi-Unterlagengesetz (StUG), das einst zum Zweck umfassender Aufarbeitung geschaffen wurde zu einem Gesetz um, das Aufarbeitung weitgehend verhindert. Es verschleudert damit leichtfertig das Erbe der Friedlichen Revolution: Die Möglichkeit, Einblicke in das Herrschaftswissen der DDR-Diktatur zu gewinnen.

Offene Akten und rigorose Aufklärung - das waren die wichtigsten Forderungen der Friedlichen Revolution, die auch in das Stasi-Unterlagengesetz (StUG) Eingang fanden. Um diesem Anliegen gerecht zu werden, schränkte der Gesetzgeber ganz bewusst die Persönlichkeitsrechte einer speziellen Gruppe von Menschen ein. Akten über Funktions- und Amtsträger sowie Personen der Zeitgeschichte dürfen so nach §§32 von Forschern genutzt werden, auch wenn die Genannten damit nicht immer einverstanden sind. Die BStU hält dabei Privates und Intimes unter Verschluss. Dagegen gibt sie alles Material über das offizielle Wirken der Funktions- und Amtsträger heraus.

Jede andere Interpretation des StUG macht Aufarbeitung über das Unrechtssystem der DDR unmöglich. Denn die SED gründete ihre Diktatur nicht nur auf das Ministerium für Staatssicherheit, sondern auf ein ganzes Netz von Funktions- und Amtsträgern, die bis in die kleinsten gesellschaftlichen und verwaltungstechnischen Strukturen hinein im Sinne der Staatspartei wirkten. Die Persönlichkeitsrechte dieser Täter nun über das Interesse der Aufarbeitung zu stellen, widerspricht den Intentionen des Stasi-Unterlagengesetzes. Auch Personen der Zeitgeschichte müssen es sich gefallen lassen, dass ihr einstiges Wirken heute öffentliches Interesse findet. Im übrigen wird mit dieser Entscheidung ein anderes Grundrecht ganz massiv eingeschränkt: die Presse- und Wissenschaftsfreiheit.

Die beschriebene Auslegung des Gesetzes wäre auch auf die Tausenden NS-Akten anzuwenden, die in den Archiven der Bundesbeauftragten verwahrt werden. Ein Umgang mit deutscher Geschichte, der international nur auf Unverständnis stoßen dürfte.

Stasi-Unterlagengesetz muss novelliert werden

Wir begrüßen die Entscheidung der BStU, das Urteil des Verwaltungsgerichts anzufechten. Darüber hinaus fordern wir eine Novellierung des StUG, damit es weiterhin ein Aufarbeitungs-Gesetz bleibt. Das die wissenschaftliche Forschung betrifft, enthält das StUG offenkundig missverständliche Formulierungen, die zum gestrigen Urteil führten. Der Gesetzgeber ist deshalb gefordert, diese auszuräumen und seinen Willen von 1991 zur Aufarbeitung zu bekräftigen.

Darüber hinaus gibt es unverändert Novellierungsbedarf bei §14, der ab 01.01.2004 die Anonymisierung oder gar Vernichtung von Originalakten auf Antrag zulässt. Dieser Vorgang dürfte in der europäischen Archivgeschichte wohl einmalig sein. Nach dem gestrigen Urteilsspruch dürften auch alle Funktions- und Amtsträger der DDR ihre Akten vernichten lassen.