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Donnerstag, den 02. November 2006

Bürgerkomitee sieht dringenden Änderungsbedarf am vorliegenden Entwurf zur Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes

Kategorie: Pressemitteilung

Gesetz muss fortentwickelt werden – Vorschlag der Fraktionen noch nicht weit reichend genug

Das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) steht vor der siebenten Novellierung in seiner erst 15-jährigen Geschichte. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben am 17. Oktober 2006 einen entsprechenden Entwurf vorgelegt (Bundestags-Drucksache 16/2969).

Das Bürgerkomitee begrüßt ausdrücklich, dass das Gesetz fortentwickelt und aktuellen Erfordernissen angepasst wird. Schließlich regelt es den Umgang mit historisch und gesellschaftspolitisch bedeutsamen Dokumenten zur Zeitgeschichte. Der Verein unterstützt daher die Bemühungen um eine Novellierung des StUG, hält den vorliegenden Entwurf aber in einigen Punkten für nicht weit reichend genug beziehungsweise dringend korrekturbedürftig. Eine entsprechende Stellungnahme (siehe Anhang) ging heute den Mitgliedern des Kulturausschusses sowie den Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag zu.

 

Bürgerkomitee plädiert für Entfristung der Überprüfungsmöglichkeit und für Erschließungs-offensive der BStU

Besondere Eile hat die Novellierung der Paragraphen 20 und 21 StUG. Die dort vorgesehene Überprüfung auf eine mögliche frühere MfS-Tätigkeit vor allem im Öffentlichen Dienst aber auch Bereich der Kirchen oder des Sports, läuft zum Ende dieses Jahres aus. Dann soll nur noch für Vertreter einiger weniger Berufsgruppen (etwa Richter, Abgeordnete etc.) eine Auskunft bei der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen eingeholt werden dürfen.

Das Bürgerkomitee schließt sich dem Vorschlag des Bundesrates (Bundesrats-Drucksache 425/06) an, die Befristung für die Regelüberprüfung gänzlich aufzuheben. Es gibt schon jetzt keine Pflicht zur Überprüfung sondern das Gesetz regelt nur die Möglichkeit. Alternativ fordern wir zumindest eine Verschiebung der Frist um fünf Jahre auf 2011.

Eine solche Fristverschiebung wäre vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass noch immer entscheidende Aktenbestände unerschlossen sind, geboten. Mindestens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die BStU alle Akten erschlossen und die zerrissenen Akten über das EDV-Projekt computergestützt zusammengesetzt sind, muss die Überprüfungsmöglichkeit verlängert werden. Jede andere Entscheidung würde eine grobe Ungleichbehandlung früherer MfS-Mitarbeiter bedingen.

Sollte der Gesetzgeber dennoch entscheiden, die Regelüberprüfung zu beenden, muss unter allen Umständen dafür Sorge getragen werden, dass das Ende der Regelüberprüfung keinesfalls auch eine Einschränkung der Zugangsmöglichkeiten zu Unterlagen früherer hauptamtlicher und inoffizieller MfS-Mitarbeiter zur Folge hat. Insbesondere die Nutzung durch die Forschung und die Medien muss uneingeschränkt möglich bleiben. Die im Novellierungsvorschlag enthaltene Formulierung „darf die Tatsache einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst dem Mitarbeiter im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden“ ist ersatzlos zu streichen. Bleibt sie erhalten, könnte dies durch die Rechtsprechung sowie die BStU-Praxis unbeabsichtigte negative Auswirkungen im Bereich der Verwendung der Stasi-Unterlagen durch Wissenschaft, Medien und politischer Bildung haben und würde das Ende der Aufarbeitung bedeuten.

 

Weiterer Novellierungsbedarf unter anderem bei Zweckbildung, Forschungsprivileg und Erhalt der BStU-Außenstellen in allen neuen Ländern

Novellierungsbedarf besteht auch in weiteren Punkten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Der vorliegende Entwurf berücksichtigt bereits einige dieser Fragen, muss aber laut Meinung des Bürgerkomitees noch darüber hinausgehen. Der Verein hält unter anderem folgende Änderungen für nötig:

• Die Zweckbindung bei Forschungsanträgen muss entfallen. Nur so können die Akten als historische Quellen für alle Fragestellungen der wissenschaftlichen Forschung herangezogen werden.

• Das Nutzungsprivileg für Mitarbeiter der BStU muss endlich auch auf die externe Forschung ausgedehnt werden. Bisher haben nur Wissenschaftler der Behörde Zugang zu ungeschwärzten Akten. Dieser sollte jedoch für jeden Forscher gegeben sein, selbstverständlich ohne dass dieser von den Anforderungen des Datenschutzes entbunden ist. Entsprechende Regelungen aus anderen Gesetzen, so beispielsweise der Strafprozessordnung, können dazu problemlos übernommen werden.

• Ersatzlos zu streichen ist die Pflicht zur Benachrichtigung von Funktions- und Amtsträgern sowie Personen der Zeitgeschichte vor der Herausgabe von Akten zu ihrer Person. Diese Regelung wurde nachträglich ins Gesetz aufgenommen, verursacht einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand und führt zu einer drastischen Einschränkung der Forschungsfreiheit, da fast alle relevanten Informationen geschwärzt werden.

• Die derzeitigen Außenstellen der BStU müssen vollständig erhalten bleiben. Sie sind mit ihren Archiven unverzichtbare Standorte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur in den Ländern. Im vorliegenden Gesetzentwurf ist lediglich eine Kann-Bestimmung für den Erhalt der Außenstellen vorgesehen.

Angesichts des sehr engen Zeitrahmens, der jetzt für eine parlamentarische Behandlung noch verbleibt, plädiert das Bürgerkomitee allerdings dafür, in diesem Jahr nur das Problem der Befristung der Überprüfungsmöglichkeit auf eine Stasi-Mitarbeit zu lösen, und die grundsätzlich notwendige Anpassung des StUG mit der nötigen Zeit für Fachgespräche und gesellschaftliche Diskussionen im kommenden Jahr zu behandeln.