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Donnerstag, den 30. November 2006

Bürgerkomitee entsetzt über hohe Zahl ehemaliger MfS-Mitarbeiter in Diensten der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen

Kategorie: Pressemitteilung

Früher Mitarbeiter der Staatssicherheit, heute Angestellter bei der Stasi-Aufarbeitungsbehörde – solche Karrieren dürfte es eigentlich nicht geben. Und doch war heute aus der Tageszeitung „Die Welt“ zu erfahren, dass die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen (BStU) mehr als 50 Personen mit eben jener Biographie beschäftigt. Obwohl ihre frühere hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit intern bekannt ist, arbeiten sie in teilweise exponierten Positionen.

Als Verein, der den Weg für die Gründung der BStU mit geebnet hat, ist das Bürgerkomitee betroffen von den jetzt ans Licht gekommenen Fakten. Auch die Reaktion der Behörde, die in ihrer Pressemitteilung abzuwiegeln versucht, ist erschreckend. Man fühlt sich unangenehm erinnert an die Vertuschungsstrategie des Mitteldeutschen Rundfunks, der vor fünf Jahren ebenfalls hartnäckig sein internes Problem mit belastetem Personal heruntergespielt hatte. Es ist unerträglich, dass die beiden Bundesbeauftragten Joachim Gauck und Marianne Birthler jetzt, da ihre eigenen Personalentscheidungen hinterfragt werden, genau so reagieren wie die Institutionen, die sie in den vergangenen Jahren eben dafür kritisiert hatten.

 

„Insiderwissen“ früherer MfS-Kader für Aktenerschließung nicht notwendig

Das Bürgerkomitee Leipzig, das Anfang der 90er Jahre an der Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und somit der Gründung der BStU beteiligt war, ist entsetzt über die hohe Quote belasteter Behördenmitarbeiter. Von Anfang an hatten die Leipziger Stasi-Auflöser, ebenso wie andere Aufarbeitungsinitiativen, die Beschäftigung von MfS-Personal abgelehnt. Das Argument, man brauche zum Erschließen der Stasi-Akten unbedingt deren Insiderwissen, ist absurd, schließlich werden auch Überlieferungen aus weiter zurückliegenden Epochen ohne Hilfe von Zeitzeugen quellenkritisch ausgewertet.

Bei der Auflösung der Staatssicherheit in Leipzig und seinen eigenen Forschungen hat das Bürgerkomitee stets die Erfahrung gemacht, dass ehemalige MfS-Mitarbeiter entweder gar nicht zur Kooperation bereit waren, oder ihre Tätigkeit in unerträglicher Weise glorifizierten. Wichtiges Fachwissen war von ihnen noch nie zu erhalten. Sie haben den Bürgerrechtlern nicht geholfen, sondern vielmehr versucht, ihnen ihre Sicht auf die Dinge einzuflüstern und den Prozess der Auflösung mitzubestimmen.

 

BStU machte falsche Aussagen zur Zahl der belasteten Mitarbeiter

War die Beschäftigung einiger weniger MfS-Mitarbeiter zu Zwecken der Aktenaufarbeitung immerhin bekannt, so hat die BStU die jetzt von der Welt veröffentlichten Fakten auch bei konkreten Anfragen niemals publik gemacht. In Veröffentlichungen, Interviews und sogar bei parlamentarischen Anfragen gab sie bewusst falsche Zahlen an. Auch in den Tätigkeitsberichten, die die Behörde aller zwei Jahre veröffentlicht, findet sich kein Hinweis auf die Zusammenarbeit mit ehemaligen Mitarbeitern und Zuträgern der Staatssicherheit. So wurde die Öffentlichkeit über Jahre hinweg getäuscht, und die Vermutung liegt nahe, dass die BStU die Zahl der MfS-Mitarbeiter in ihrem Haus offenbar selbst als Problem einschätzte.

 

Enthüllungen stellen Glaubwürdigkeit der Behörde massiv in Frage

Dass frühere MfS-Mitarbeiter ungeeignet sind für ein Amt in einer der zentralen Aufarbeitungsinstanzen, steht außer Frage. Selbst ihre Beschäftigung auf den unteren Ebenen der Behördenhierarchie würde ausreichen, um die BStU in eine Glaubwürdigkeitskrise zu stürzen. Offenbar konnte aber eine Reihe einschlägig vorbelasteter Personen über die Jahre aufsteigen und prägt jetzt in leitenden Positionen die Arbeit und die Entwicklung der BStU mit. So ist ausgerechnet ein ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter der Auslandsspionage HVA heute als Referatsleiter zuständig für die Überprüfung der Behördenmitarbeiter auf frühere Stasi-Kontakte. Auch im Personalrat sammeln sich die Ehemaligen in geradezu unappetitlicher Dichte.

Der Hinweis der Behörde, es habe sich bei vielen der betreffenden Mitarbeiter „nur“ um Personal aus der Abteilung Personenschutz gehandelt, ist irreführend. Denn diese Abteilung war keinesfalls für Belanglosigkeiten zuständig, sondern sicherte unter anderem die Siedlung des Politbüros in Wandlitz, führte IM zur Absicherung der Wohn- und Dienstobjekte von SED-Funktionären und war während der Friedlichen Revolution vor allem an der Auflösung von Demonstrationen beteiligt.

Welche Auswirkungen die sorglose Beschäftigungspolitik der BStU hat, beschrieb schon Jürgen Fuchs in seinem Buch „Magdalena“. Dort ist nachzulesen, wie frühere hauptamtliche MfS-Mitarbeiter sowie DDR-Staatsfunktionäre, die in der Behörde ebenfalls in problematisch hoher Zahl angestellt sind, dafür sorgten, dass aus der Bürgerrechtsbewegung stammende Kollegen die BStU oft wieder verließen – oder verlassen mussten.

In der Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, die heute im Bundestag verabschiedet werden soll, wird die Überprüfungsmöglichkeit für BStU-Mitarbeiter unbefristet ermöglicht, um „der notwendigen Sensibilität dieser Tätigkeit und dem erforderlichen Vertrauen in diese Institutionen zu entsprechen.“ Marianne Birthler sollte also dringend aufhören, das Problem herunterzuspielen.

 

Parlament und Regierung müssen aktiv werden

Die zuständigen Gremien sind nun zum Handeln aufgefordert: Der Kulturausschuss als parlamentarisches Kontrollgremium muss den Vorgang prüfen, der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM) dienstrechtlich aktiv werden und der Bundestag sollte dringend stärkere Kontrollmechanismen gegenüber der BStU in Kraft setzen. Alle dienstrechtlichen Möglichkeiten müssen sofort ausgeschöpft werden. Wenn keine Entlassungen möglich sind, müssen die betreffenden Personen zumindest ihre leitenden Positionen verlassen und an andere Stellen versetzt werden.

Darüber hinaus unterstützt das Bürgerkomitee die Anregung von Prof. Manfred Wilke vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin, die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der BStU in den ersten zehn Jahren von unabhängigen Wissenschaftlern untersuchen zu lassen und die Ergebnisse zu veröffentlichen.