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Donnerstag, den 25. April 2002

Anhörung im Innenausschuss: Aufarbeitungsinitiativen fordern freien Aktenzugang

Kategorie: Pressemitteilung
Von: Bürgerkomitee Leipzig e.V.

Die Weichen für die Zukunft der Aufarbeitung werden zur Stunde im Innenausschuss des Deutschen Bundestags gestellt. Experten aus Politik, Wissenschaft, Journalismus, Archivwesen und Datenschutz debattieren im Rahmen einer Anhörung über die Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (StUG). Johannes Beleites vom Leipziger Bürgerkomitee, der Vertreter der Aufarbeitungsinitiativen, sprach sich dort nachdrücklich für einen weiterhin freien Zugang zu den MfS-Dokumenten im Sinne der umfassenden Aufarbeitung der SED-Diktatur aus. Der bisherige Umgang mit den Akten hat sich nach Ansicht der Initiativen bewährt und entsprach sowohl den Forderungen der Friedlichen Revolution als auch den Intentionen des Gesetzgebers bei der Verabschiedung des StUG.

Novellierung muss wissenschaftliche Aufarbeitung dauerhaft garantieren

Die Aufarbeitungsinitiativen halten eine Novellierung unter drei Gesichtspunkten für nötig:

Bestandsgarantie:
Damit die MfS-Unterlagen als Kulturgut erhalten bleiben und nicht verfälscht werden, muß § 14 ersatzlos gestrichen werden. Er räumt ab 01.01.2003 Betroffenen das Recht ein, Originalakten anonymisieren oder gar vernichten zu lassen. Dies käme einer Aktenvernichtung von unten aus falsch verstandenem Datenschutz gleich und wäre ein in der deutschen Rechts- und Archivgeschichte bisher nie dagewesener Vorgang. §14 könnte unter anderem dazu führen, dass die Opfer der DDR-Diktatur in Beweisnot geraten, weil ehemalige Amtsträger und Funktionsinhaber die Unterlagen, die über ihre Tätigkeit im Auftrag des SED-Regimes berichten, vernichten lassen können.

Zugangsgarantie:
In §32 müssen missverständliche Formulierungen ausgeräumt werden, damit einstige Systemträger - vom Gefängnisleiter über den SED-Bezirkssekretär bis zum DDR-Staatschef - künftig nicht selbst entscheiden dürfen, ob ihr Funktionieren in der Diktatur bis hin zu begangenem Unrecht je publik wird. Der Halbsatz "soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind" muss daher ersatzlos gestrichen werden. Inhaber öffentlicher Ämter oder Funktionen können für ihr staatliches Handeln nicht den Schutz des Grundgesetzes in Anspruch nehmen. Personen der Zeitgeschichte müssen - da sie sich bewusst in die Öffentlichkeit stellten - es ebenfalls tolerieren, dass ihr einstiges Wirken heute öffentliches Interesse findet. Der Schutz der Persönlichkeitsrechte ist im übrigen durcheine Schutzklausel im §32 ausreichend gesichert. Die bisherigen Einsichtsmöglichkeiten in die MfS-Akten widersprachen in keiner Weise den bundesdeutschen Archiv- und Datenschutzgesetzen.

Forschungsgarantie:
Die Zweckbindung in §§ 1 und 32 sollte gestrichen werden. Die derzeitige Einschränkung der wissenschaftlichen Fragestellung bei der Nutzung der Akten auf die Erforschung der MfS-Tätigkeit steht im Widerspruch zu Artikel 5 Grundgesetz und erinnert fatal an DDR-Geschichtswissenschaft: Auch damals durften Historiker Archive nur unter vorgegebenen Fragestellungen benutzen. Im übrigen hätte bei strenger Anwendung der Zweckbindung ein sehr großer Teil der bisherigen Forschungen, zum Beispiel zur Todesstrafe, zur politischen Justiz oder zur Praxis des Dopings in der DDR, nicht durchgeführt werden können. Gerade auch zu diesen Themenbereichen enthalten die Dokumente der Staatssicherheit einmalige Informationen, die aus anderen Aktenbeständen nicht mehr zu gewinnen sind. Die MfS-Unterlagen, die unter anderem dank des Engagements der Bürgerkomitees 1989/90 vor der Vernichtung bewahrt werden konnten, bilden somit ein Ersatzarchiv von nicht zu unterschätzendem Wert.

Expertenmeinungen sorgfältig prüfen

Die Aufarbeitungsinitiativen fordern den Innenausschuss des Deutschen Bundestags auf, die Argumente der Experten zur Novellierung des StUG sorgfältig zu prüfen und im Sinne eines ehrlichen und wahrhaftigen Umgangs mit der jüngsten deutschen Vergangenheit zu entscheiden. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz muss auch künftig einen sachgerechten Ausgleich zwischen den Grundrechten auf Informationsfreiheit und Datenschutz garantieren. Dabei ist auch zu bedenken, dass es sich beim StUG nicht um ein dem bundesdeutschen Recht fremdes "Revolutionsrecht", sondern um ein sehr zeitgemäßes Gesetz handelt, das Elemente aus dem Datenschutz- und Archivrecht sowie aus dem noch jungen Feld der Informationsfreiheits- und Akteneinsichtsgesetze miteinander vereint.

Neben den heute geladenen Sachverständigen haben sich in den vergangenen Wochen auch zahlreiche andere Einrichtungen und Initiativen zu Wort gemeldet und für einen weiterhin freien Zugang zu den Akten ausgesprochen. In ihren Stellungnahmen sind sie sich darüber einig: Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.03.2002, das eine unklare Formulierung in §32 zu Ungunsten der Forschung auslegt, darf nicht zum Schlussstrich unter die Aufarbeitung werden.