Sie sind hier: Runde-Ecke-Leipzig.de / Presse

einzelne Meldung

Donnerstag, den 30. Mai 2002

”Grotewohl-Express” soll zurück aufs Abstellgleis

Kategorie: Pressemitteilung
Von: Bürgerkomitee Leipzig e.V.
Bürgerkomitee bedauert, dass Chance zur Präsentation des wertvollen Zeitzeugnisses nicht genutzt wurde

Der letzte erhaltene Gefangenensammeltransportwagen (GSTW) der DDR soll nicht in Leipzig bleiben. Nach einer Eil-Entscheidung des Leipziger Amtsgerichtes vom heutigen Tag müßte der so genannte ”Grotewohl-Express”, der derzeit auf dem Museumsgleis 24 des Hauptbahnhofs zu sehen ist, auf ein Abstellgleis des Bahnhofs Bautzen zurückgeführt werden. Die Chance, dieses einzigartige Zeitzeugnis einer breiten interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wäre damit vertan.

Das Bürgerkomitee Leipzig e.V., das den Waggon Ende März dieses Jahres in Absprache mit den Eigentümern nach Leipzig hatte überführen lassen, bedauert diese Entwicklung sehr. Es hat sich bis zuletzt darum bemüht, auch außergerichtlich eine Einigung im Sinne der bestmöglichen Präsentation des GSTW zu erzielen.

Das Bürgerkomitee hat am heutigen Tag Berufung gegen das Urteil beim Leipziger Landgericht eingelegt, da das Urteil an schwersten Begründungsmängeln leidet und eine Auseinandersetzung mit unseren Rechtspositionen nicht erkennbar ist.

Keine Verhandlungsbereitschaft bei OFB

Der Opfer-, Förder- und Dokumentationsverein Bautzen II e.V. (OFB) bemüht sich als Besitzer des Wagens seit 1995 um eine öffentliche Ausstellung des GSTW. Dies scheiterte bisher sowohl in Bautzen als auch in Torgau. Ende des vergangenen Jahres hatte das Bürgerkomitee Leipzig e.V. dem Vorsitzenden des OFB Unterstützung angeboten und vorgeschlagen in Leipzig nach einem geeigneten Standort für den ”Grotewohl-Express” zu suchen. Herr Göhl war von dieser Idee sehr angetan. Unser Verein fand in den Folgemonaten eine Reihe von Partnern, die dem Anliegen sofort offen gegenüberstanden und uns sehr unbürokratisch ihre Unterstützung zusicherten. In Aussicht stand somit eine Präsentation des ”Grotewohl-Express” im Rahmen der Leipziger Museumsnacht am 13.04.2002 sowie anschließend die Ausstellung abwechselnd auf dem Hauptbahnhof und im Eisenbahnmuseum beziehungsweise die kurzfristige Unterstellung in einer Werkshalle.

Alle Verhandlungsschritte wurden mit Erhard Göhl im Rahmen mündlicher Verhandlungen abgestimmt. Kurz vor der Museumsnacht brach der OFB-Vorsitzende die Verhandlungen jedoch plötzlich und ohne jeden ersichtlichen Grund ab. Dieser Schritt war uns umso unverständlicher, als dass Erhard Göhl von Leipzig immer als einem wünschenswerten Standort für den Waggon gesprochen hatte und das bis heute tut. Dennoch liefen alle Bemühungen des Bürgerkomitees, doch noch eine Einigung - auch über den Verein ”Hilferufe von drüben” e.V. mit Sitz in Lippstadt, der den GSTW 1995 gekauft hatte - herbeizuführen, ins Leere. Die Überführung des Wagens nach Leipzig war zum Zeitpunkt, als die letzten Verhandlungsversuche scheiterten, allerdings nicht mehr rückgängig zu machen.

Rückführung des GSTW wäre unverantwortlich

Dass der GSTW letztlich ohne unterzeichnete Kooperationsvereinbarung nach Leipzig rollte, bedauert das Bürgerkomitee sehr. Dennoch ist uns unverständlich, wieso es auch in der Folge nicht möglich war, eine Lösung im Sinne des Waggons zu finden. Mit Unterstützung zahlreicher anderer Aufarbeitungsinitiativen und Opferverbände sowie des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen haben wir uns bis zur Urteilsverkündung intensiv um eine Einigung mit dem OFB bemüht. Gesprächen darüber hat sich Herr Göhl jedoch konsequent verweigert. Auch unser jüngstes Angebot am 17. Juni, eine öffentliche Veranstaltung mit ihm und weiteren Zeitzeugen auf dem Leipziger Hauptbahnhof zu organisieren und den ”Grotewohl-Express” so in einem würdigen Rahmen der Öffentlichkeit zu präsentieren, ignorierte er bisher.

Stattdessen verfolgt Erhard Göhl als einziges Ziel die Rückführung des Wagens nach Bautzen, wo das wertvolle Zeitzeugnis der SED-Diktatur nun wieder ungeschützt an einem abgelegenen Ort stehen soll. Das Bürgerkomitee hält das für unverantwortlich, zumal der OFB in Bautzen lediglich ein Postfachund keinen Vereinssitz im eigentlichen Sinn unterhält. In Leipzig würde die Möglichkeit bestehen, den GSTW an stark frequentierten Orten einem breiten Publikum zugänglich zu machen und ihn im Kontext bestehender Einrichtungen wie der Gedenkstätte Museum in der ”Runden Ecke” oder dem Zeitgeschichtlichen Forum zu präsentieren. Mehrere renommierte Kooperationspartner, denen der besondere Dank des Bürgerkomitees gilt, hatten ihre unkomplizierte Unterstützung zugesichert. Selbst eine Sanierung nach museologischen Gesichtspunkten wäre unter Umständen möglich gewesen. Das Bautzenkomitee, der in Bautzen ansässige Häftlingsverein, unterstützt das Anliegen der Präsentation in Leipzig nachdrücklich.

Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben, daß Herr Göhl und der von ihm geleitete Verein doch noch eine Entscheidung treffen, die der Zukunft des GSTW dient und den Wünschen der Opfer entspricht.