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Mittwoch, den 27. Februar 2002

"Irrtum als Erkenntnis"

Kategorie: Pressemitteilung
Von: Bürgerkomitee Leipzig e.V.

Wenn am Sonntag der Schriftsteller Hartmut Lange seinen gleichnamigen Essayband im MDR-Literaturcafé vorstellt, geht als sein Gesprächspartner ein Mitarbeiter der Rundfunkanstalt auf Sendung, der sich mit folgenschweren Irrtümern auskennt: Michael Hametner, nach Bekanntwerden seiner früheren Stasi-Kontakte vor einem Jahr vom Sender genommen, moderiert ab 15.00 Uhr erstmals wieder im Mitteldeutschen Rundfunk. Welche Erkenntnisse er aus seiner siebenjährigen Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) gezogen hat, wird dabei wohl offen bleiben.

Fest steht aber, dass der MDR offenbar wieder einmal mit seinen eigenen Regeln für die "rückhaltlose Aufklärung" der massiven Stasi-Vorwürfe gegen den Sender bricht. Der Literaturkritiker Hametner scheint für Intendant Udo Reiter eine Art Versuchtsballon zu sein, um auszutesten, ob sich der öffentliche Ärger inzwischen verflüchtigt hat und man die belasteten Mitarbeiter ohne größeres Ausehen wieder in ihre alten Positionen befördern kann. Dabei ist die zweite Überprüfung aller MDR-Mitarbeiter auf eine mögliche Stasi-Vergangenheit weder abgeschlossen noch öffentlich ausgewertet.

IM der Staatssicherheit als Meinungsbildner ungeeignet

Offizielle Begründung des Senders, warum Hametner dennoch ans Mikro zurückkehrt: Da er seine Kontakte mit der Staatssicherheit noch vor 1976 beendet habe, dürften diese "nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr berücksichtigt werden". Eine solch umfassende Form der "Verjährung" sieht das Stasi-Unterlagen-Gesetz freilich nicht vor. Es sagt lediglich, dass IM-Tätigkeiten, die bis zum 31.12.1975 abgeschlossen waren, dem Arbeitgeber gegenüber nicht mehr beauskunftet werden dürfen.

Der Mitteldeutsche Rundfunk hat somit bei der aktuellen Überpüfung keine Akten mehr zu Hametner erhalten. Wie er mit Informationen umgeht, die ihm bereits vorliegen, steht ihm allerdings frei. Im übrigen müßte der Sender heute keine juristischen Begründungen vorschieben, wenn er schon die erste Überprüfung seiner Mitarbeiter zu Beginn der 90er Jahre ernst genommen hätte. Denn der beschriebene Passus gilt erst seit 1998. Michael Hametner wurde nach eigenem Bekunden schon 1994 während der ersten Überprüfung vor den Personalausschuß des MDR geladen.

Doch spielt die juristische Seite in der Debatte um die einstigen IM bei der Rundfunkanstalt nur eine zweitrangige Rolle. Denn es geht in ihr weniger um das Aufrechnen von mehr oder minder großer Schuld, sondern in erster Linie um die Eignung für eine bestimmte Aufgabe. Eine Entlassung Hametners wäre also nicht nötig - wohl aber könnte dieser an anderer, weniger exponierter Stelle in der Redaktion arbeiten, statt jetzt erneut in die Öffentlichkeit zu treten. Denn ob ein einstiger Wasserträger der Diktatur geeignet ist, heute als Meinungsbildner zu arbeiten, darf bezweifelt werden.

MDR unterläuft eigene Regeln

Im MDR-Literatur-Café werden immer auch Publikationen und Autoren vorgestellt, die mit der DDR-Vergangenheit zu tun haben. Der für Sonntag eingeladene Schriftsteller Hartmut Lange, geboren in Ost-Berlin beispielsweise, hatte schon in jungen Jahren seine Schwierigkeiten mit der SED-Ideologie und ging in den 70ern in den Westen.

Der MDR unterläuft damit eine Regel, die Udo Reiter im August vergangenen Jahres persönlich ausgegeben hatte, nachdem ein ehemaliger IM den politischen Hauptbeitrag zum 40. Jahrestag des Mauerbaus produziert hatte. Damals wies der Intendant bezüglich aller Mitarbeiter "die in der Vergangenheit mit der Staatssicherheit in Kontakt kamen" dass keiner von ihnen "redaktionelle Beiträge verfasst, produziert oder vor Mikrofon oder Kamera spricht, die in Bezug zur Geschichte der ehemaligen DDR stehen oder sich mit Themen befassen, die in diesem Zusammenhang von besonderer politischer Brisanz sind." Diese Festlegung traf der Intendant vor einem halben Jahr "um die Gefühle derer nicht zu verletzen, die unter den Repressalien des DDR-Regimes leiden mussten".

Konsequenzen sind nötig

Von den vielen guten Vorsätzen des vergangenen Jahres hat der MDR einen Großteil schrittweise wieder über Bord geworfen. Es wird Zeit, dass der Sender nun endlich die Karten auf den Tisch legt und grundsätzlich aufarbeitet. Das heißt: Die Ergebnisse der Überprüfung öffentlich machen, Konsequenzen entsprechend der 2001 verschärften Kriterien des Personalausschusses ziehen und gegebenenfalls belastete Mitarbeiter zu kündigen beziehungsweise aus exponierten Positionen abziehen.

Was der Gebührenzahler bisher über die Ergebnisse der Mitarbeiter-Überprüfung erfahren hat, kam meist nicht durch Informationen des Senders, sondern nur durch die Recherchen jener Medienvertreter zu Tage, denen Intendant Reiter gern Kampagnenjournalismus unterstellt. Wenn die Aufarbeitungspolitik des MDR so aussieht, daß selbst die öffentlich bekanntgewordenen IM-Verstrickungen zu keinen Konsequenzen führen hätte sich der Sender die Gelder für die zweite Überprüfung seiner Mitarbeiter getrost sparen können.