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Dienstag, den 17. April 2018

Erich Zeigner war kein Demokrat, sondern hat als erster SED-Oberbürger-meister die kommunistische Diktatur in Leipzig mit durchgesetzt

Kategorie: Pressemitteilung

Anfang des Jahres 2018 wurde im Neuen Rathaus eine „Galerie aller demokratisch gewählten Oberbürgermeister Leipzigs“ eröffnet, in denen die Bürgermeister, die während der NS-Diktatur und der kommunistischen Diktatur eingesetzt worden waren, fehlen. Nun hat die Fraktion „Die Linke“ im Leipziger Stadtrat beantragt, den ersten SED-Bürgermeister Erich Zeigner als ersten Nachkriegsbürgermeister „wegen seiner enormen Verdienste um den Wiederaufbau der Stadt“ in diese Galerie aufzunehmen. Die Linkspartei folgt hier der überwunden geglaubten SED-Geschichtsklitterung, indem sie den eigentlichen Nachkriegsbürgermeister Wilhelm Johannes Vierling dabei gänzlich ignoriert. Dass nun auch die Leipziger Stadtverwaltung die Ansichten der Linkspartei teilt und zur morgigen Stadtratssitzung am 18. April 2018, vorschlägt, einzig und allein Erich Zeigner zusätzlich in diese Galerie aufzunehmen, ist nicht nachvollziehbar.

 

Die Anfang des Jahres 2018 im Neuen Rathaus eröffnete „Galerie der demokratisch gewählten Bürgermeister Leipzigs“ endete mit Carl Goerdeler, der 1930 in der Weimarer Republik frei gewählt, wenige Jahre nach der Machtergreifung der NS-Diktatur 1936 sein Amt niedergelegt hatte und 1944 wegen seiner Beteiligung am Widerstand vom „20. Juli“ zum Tode verurteilt und hingerichtet worden war. Nicht in die Galerie aufgenommen wurden die folgenden, von den Nazis eingesetzten Oberbürgermeister ebenso wie auch die unter der sowjetischen Besatzung und später in der DDR agierenden, weil auch hier keine demokratischen Wahlen zugelassen waren. Erst mit der Friedlichen Revolution wurden wieder freie Wahlen erkämpft. Daher wurde auch Erich Zeigner, der im Juli 1945 von der sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzt worden war, nicht in diese Galerie aufgenommen.

 

Erich Zeigner koalierte schon 1923 als Ministerpräsident des Freistaates Sachsen mit der Kommunistischen Partei (KPD) gegen die Weimarer Republik

Erich Zeigner (SPD) war 1923 Ministerpräsident im Freistaat Sachsen. Zu dieser Zeit war die erste deutsche Demokratie gerade einmal vier Jahre alt und wurde sowohl von rechts als auch von links massiv bekämpft. Die Kommunistische Partei Deutschlands (DKP) wollte unterstützt von Stalin in der Sowjetunion nun auch in Deutschland einen kommunistischen Umsturz organisieren und so nach dem bolschewistischen Putsch von 1917 gegen die bürgerliche Regierung unter Kerenski die Weltrevolution auch nach Deutschland tragen.

Dazu sollten die deutschen Kommunisten versuchen, in Thüringen und vor allem in Sachsen mit der SPD Koalitionsregierungen zu bilden, um so in wichtige Entscheidungsfunktionen zur Vorbereitung eines kommunistischen Umsturzes zu gelangen, vor allem aber um die Bewaffnung der „proletarischen Hundertschaften“ zu organisieren. Diese Chance bot ihnen Erich Zeigner am 12. Oktober 1923, als er drei Kommunisten in die Regierung berief und dabei dem KPD-Vorsitzenden die Sächsische Staatskanzlei überließ. Daraufhin sah sich der Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) gezwungen, Erich Zeigner und seine Regierung abzusetzen, um der Gefahr für die Demokratie von links zu begegnen.

Die geheimen Beschlüsse der sowjetischen Führung zur Unterstützung eines kommunistischen Umsturzes in Deutschland und die Errichtung eines „Sowjet-Deutschlands“ konnte Zeigner nicht kennen. Aber drei Tage vor der Berufung der Kommunisten in die Regierung Zeigner veröffentlichte die „Roten Fahne“ einen faksimilierten Brief Stalins, in dem es hieß: „ Der Sieg des deutschen Proletariats wird ohne Zweifel das Zentrum der Weltrevolution von Moskau nach Berlin versetzen.“ Dass die KPD ein erklärter Gegner der Weimarer Verfassung war, musste auch Zeigner bewusst gewesen sein.

 

Der erste Nachkriegsbürgermeister Leipzigs war der Rechtsanwalt Wilhelm Johannes Vierling

Am Abend des 18. April 1945 erreichten amerikanische Truppen Leipzig und befreiten die Stadt kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges von der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Durch die amerikanische Besatzungsmacht wurde nun ein demokratischer Neuanfang in Leipzig ermöglicht. Der US-amerikanische Stadtkommandant ernannte am 23. April 1945 Wilhelm Johannes Vierling zum Bürgermeister von Leipzig, nachdem Erich Zeigner dieses Amt aus persönlichen Gründen abgelehnt hatte. Der neue Bürgermeister, sein Beirat und die Dezernenten der Stadtverwaltung leiteten sofort nach Ende der Kampfhandlungen vielfältige Schritte zur Normalisierung des öffentlichen Lebens in die Wege. Auch wurde ein Gemeinderat entsprechend des Wahlergebnisses von 1932 eingesetzt. Ein großes Problem war die desolate Ernährungslage. Gleichzeitig bemühte sich die amerikanische „Military Police“ gemeinsam mit der Leipziger Polizei um die Sicherheit der Bevölkerung und versuchte Plünderungen zu verhindern. Der bis 1933 amtierende Polizeipräsident Heinrich Fleißner wurde wieder in sein Amt eingesetzt. Die Amerikaner begannen gemeinsam mit einem von ihnen eingerichteten „Kommissariat für Sonderaufgaben“ (K.f.S.) bei der Leipziger Kriminalpolizei mit der Verfolgung von NS-Tätern.

Dieser demokratische Neuanfang fand jedoch bereits nach wenigen Wochen mit der Übergabe Leipzigs, gemäß den Vereinbarungen von Jalta an die Rote Armee am 2. Juli 1945, ein jähes Ende. Nun begann in Leipzig der gezielte Aufbau einer kommunistischen Diktatur. Erst 1989 mit der Friedlichen Revolution öffnete sich das Tor zu Freiheit und Demokratie wieder.

Es war die Leipziger KPD, die sofort nach dem Besatzungswechsel begann, Bürgermeister Vierling bei der neuen Besatzungsmacht zu diffamieren, und die sogar über Berlin versuchte, Druck auszuüben. Am 16. Juli 1945 hatten sie es dann geschafft: Wilhelm Johannes Vierling wurde durch den sowjetischen Stadtkommandanten Trufanow abgesetzt und stattdessen auf ausdrücklichen Vorschlag der KPD Erich Zeigner als neuer Bürgermeister eingesetzt.

Der US-amerikanische Stadtkommandant Major Eaton hatte Vierling ausdrücklich bescheinigt, dass er seiner „herkulischen Aufgabe mit Entschlusskraft und Tapferkeit gegenüber“ getreten sei. „Die Schwierigkeiten, denen Sie sich gegenübergestellt sahen, waren riesig infolge der auf Ihnen ruhenden Forderungen der Besatzungskräfte, der völligen Zerstörung der öffentlichen Einrichtungen, Gebäude und Akten, der Gesetzlosigkeit einer unbeaufsichtigten Bevölkerung und des Verlustes der bürgerlichen Moral.“ Am Ende schätze Major Eaton ein: „Das von Ihnen jederzeit gezeigte Pflichtbewußtsein, sowie von allen, die Ihnen unter Ihrer Führung zugeordnet waren, hat zu einem großen Teil dazu beigetragen, der Stadt zum Wiederaufstieg zu verhelfen.“

Selbst Erich Zeigner musste die Verdienste seines Amtsvorgängers als erstem Nachkriegsbürgermeister würdigen, in dem er ihm persönlich schrieb: „Es wiederstrebt mir jedoch, Sie, der Sie in der schwersten Zeit das Amt des Bürgermeisters übernahmen, und es mit viel Geschick und Verständnis führten, nunmehr sang- und klanglos aus Ihrem Amt scheiden zu lassen.“ Denn Vierling war ohne offiziellen Dank aus der Stadtverwaltung ausgeschlossen worden und sah sich zunehmenden Diffamierungen durch die KPD und später SED bis hin zum Entzug seiner Notariatszulassung ausgesetzt.

Bis 1989 wurden die ersten Wochen eines demokratischen Neuanfangs unter der amerikanischen Besatzung von der SED in der DDR systematisch verschwiegen, verdrängt und diffamiert. Im Schulunterricht war zu vermitteln, dass „die tatsächliche Befreiung […] erst durch den Einzug der Sowjetarmee stattfand. Außerdem sollten Beispiele für die Behinderung der Antifaschisten durch die Befehlshabe der anderen Armeen“ aufgeführt werden. Genau dieser Geschichtsdoktrin folgt die aktuelle Argumentation der Linkspartei, wenn sie Erich Zeigner jetzt zum Demokraten und ersten Nachkriegsbürgermeister Leipzigs erklärt, Wilhelm Johannes Vierling aber mit keinem Wort erwähnt.

 

Erich Zeigner hat sich für die Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD zur SED eingesetzt

Nach der Ernennung Erich Zeigners zum Oberbürgermeister erfolgten in enger Absprache mit der sowjetischen Kommandantur und der KPD grundlegende Umgestaltungen der städtischen Verwaltung. Alle zentralen Positionen wurden schrittweise mit KPD-Genossen besetzt. Für kurze Zeit waren auch in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) Ansätze eines pluralistischen Par-teiensystems erkennbar. Bereits am 14. Juli 1945 wurde dies jedoch durch die „Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ faktisch wieder aufgehoben.

Der schwerste Schlag gegen eine parlamentarische Demokratie aber war die von der KPD und der sowjetischen Besatzungsmacht betriebene Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Hier ist sich Erich Zeigner in seinen Einstellungen von 1923 treu geblieben und hat sich massiv für diese Zwangsvereinigung engagiert.

Wenn es zu diesem Thema im Verwaltungsstandpunkt der Stadtverwaltung heißt, dass Zeigner den Zusammenschluss wollte, weil dies „seine Lehre aus der Erfahrung der gescheiterten Weimarer Republik und den gemeinsamen Jahres des Widerstandes gegen den deutschen Faschismus“ war, so liest sich dies nicht nur wie ein Zitat aus dem „Abriß der Geschichte der SED“, sondern es ist auch schlicht falsch. Zeigner hat schon 1923 als Sächsischer Ministerpräsident mit den Gegnern der Weimarer Republik zusammengearbeitet. Nach der Zwangsvereinigung war Erich Zeigner der erste SED-Oberbürgermeister Leipzigs.

 

Erich Zeigner ist 1946 nicht demokratisch zum Oberbürgermeister gewählt worden

Walter Ulbricht, der zum Kriegsende gemeinsam mit anderen KPD-Funktionären aus dem sowjetischen Exil zurückkam und die kommunistische Diktatur in der SBZ und späteren DDR prägend mit aufbaute, hatte 1945 intern eindeutig und klar formuliert: „Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand behalten.“

Unter dieser Prämisse wurden auch die Kommunalwahlen 1946 in der SBZ organisiert und abgehalten. Durch die Zwangsvereinigung mit der KPD zur SED existierte die wichtigste politische Kraft, die SPD, nicht mehr und konnte so erst gar nicht erst zur Wahl antreten. Die beiden anderen bürgerlichen Parteien sahen sich einer massiven Behinderung seitens der Verwaltungen und der sowjetischen Besatzungsmacht ausgesetzt.

Dennoch erreichten die beiden bürgerlichen Parteien achtbare Ergebnisse, so dass die SED ihr Ziel der absoluten Mehrheit auch in Leipzig verfehlte. Die Wahl der Bürgermeister durch den Stadtrat erfolgte allerdings entsprechend der Stärke der Fraktionen, so dass der Spitzenkandidat der SED Erich Zeigner als Oberbürgermeister gesetzt war.

 

Der Leipziger Stadtrat sollte die Entscheidung vertagen: Solides historisches Konzept statt weiterer populistischer Schnellschüsse

In seiner Sitzung am 18. April 2018, also am 73. Jahrestag der Befreiung Leipzigs von der NS-Diktatur, steht der Antrag der Linkspartei auf der Tagesordnung, Erich Zeigner in die Porträt-Galerie der demokratisch gewählten Oberbürgermeister Leipzigs aufzunehmen, der gleichzeitig den wirklichen ersten Nachkriegsbürgermeister Wilhelm Johannes Vierling gänzlich ignoriert.

Der Leipziger Stadtrat sollte nicht nur dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion folgen und eine Kommission einsetzen, die ein schlüssiges und vor allem historisch fundiertes Konzept für eine solche Porträt-Galerie erarbeitet, sondern die Entscheidung über die Aufnahme von Erich Zeigner und anderer ehemaliger Oberbürgermeister verschieben, bis dieses Konzept vorliegt.

 

Ausstellung „Zwei Mal befreit? Leipzig unter amerikanischer und sowjetischer Besatzung 1945“ in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“

Eine Sonderausstellung im Eingangsbereich der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ zur Besatzung Leipzigs durch amerikanische und sowjetische Truppen ab 1945 zeigt an Hand einzigartiger und teilweise bisher unbekannter Fotos und Dokumente die Befreiung durch die Amerikaner, den durch sie veranlassten demokratischen Neuanfang sowie den Besatzungswechsel und den Aufbau einer kommunistischen Diktatur unter sowjetischer Vorherrschaft. Hier werden auch die jeweiligen Hintergründe deutlich, auf denen die beiden Bürgermeister ihre Ämter geführt haben.

Die Amerikaner richteten in der „Runden Ecke“ am Innenstadtring ihr Hauptquartier sowie kurzzeitig die Alliierte Militärregierung ein. Mit der Übergabe Leipzigs an die Rote Armee am 2. Juli 1945 wurde das Gebäude am Dittrichring durch die sowjetische Militäradministration genutzt. 1950 wurde es Sitz der Leipziger Stasi-Zentrale. Mit der Besetzung während der Friedlichen Revolution etablierte sich hier ein Ort der kritischen Auseinandersetzung mit der jüngsten Stadtgeschichte.

 

Die Pressemitteilung als PDF-Datei.