Sie sind hier: Runde-Ecke-Leipzig.de

einzelne Meldung

miércoles, den 21. marzo 2007

Erschossen in Moskau - Ein weitgehend unbekanntes Kapitel deutscher Geschichte im Museum in der "Runden Ecke"

Categoría: Pressemitteilung

Von einem sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt, nach Moskau verschleppt, erschossen und anschließend auf dem Donskoje-Friedhof verscharrt. Die Stationen dieses Weges in den Tod mussten beinahe 1000 Deutsche aus der noch jungen DDR aber auch aus der Bundesrepublik gehen, weil sie wegen angeblicher Spionage oder antisowjetischer Tätigkeit angeklagt und für schuldig befunden worden waren. In ungezählten Fällen verwischten sich ihre Spuren in der Sowjetunion und war es für die Angehörigen somit nicht mehr möglich, das Schicksal der Verurteilten nachzuvollziehen. Spärliche Informationen zu DDR-Zeiten und Schweigepflicht führten zu völliger Unkenntnis über das, was in den Jahren 1950-1953, als in der Bundesrepublik bereits die Wirtschaft boomte und sich allgemeiner Wohlstand einstellte, jenseits der bundesdeutschen Grenze an Unrecht begangen wurde. Die meisten der Erschossenen wurden erst nach 1990 von der russischen Staatsanwaltschaft rehabilitiert.

 

Buchvorstellung „Hingerichtet in Moskau. Opfer des Stalinismus aus Sachsen 1950-1953“

Am Beispiel Sachsens wurde dieses Vorgehen nun im Buch „Hingerichtet in Moskau. Opfer des Stalinismus aus Sachsen 1950-1953“ exemplarisch aufgezeigt. Das aus der Zusammenarbeit zwischen dem Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und der Rechercheagentur Facts & Files entstandene und in der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig erschienene Werk dokumentiert nach Jahrzehnten der Ungewissheit erstmals den gewaltsamen Tod von 243 Frauen und Männern aus Sachsen. Das Sowjetische Militärtribunal (SMT) nahm damals seinen Sitz in Dresden, Bautzener Straße. In Chemnitz-Kaßberg wirkte das für das „Wismut-Gebiet“ zuständige Tribunal. Alle hier Verurteilten wurden im MGB-Zentralgefängnis Butyrka in Moskau hingerichtet. Die Toten wurden im damals einzigen Krematorium der sowjetischen Hauptstadt auf dem Friedhof Donskoje verbrannt und in einem anonymen Grab verscharrt. Bis vor kurzem waren diese Tatsachen selbst Historikern noch völlig unbekannt – das vorliegende Buch analysiert deshalb die regionalen Besonderheiten Sachsens und stellt neue Erkenntnisse über die Biografien der sächsischen Opfer vor. Die Aufarbeitung dieser Aspekte kommunistischer Diktatur in Deutschland leisten außerdem einen Beitrag, die Verhafteten und Ermordeten endlich von ihrer Jahrzehnte andauernden Anonymität zu befreien und ein würdiges Gedenken zu ermöglichen. Im Rahmen von „Leipzig liest“ werden die Autoren Jörg Rudolph, Frank Drauschke und Alexander Sachse gemeinsam mit den Sächsischen Landesbeauftragten Michael Beleites am 22.03.2007, 19.00 Uhr, das Buch im Museum in der „Runden Ecke“ erstmals der Öffentlichkeit vorstellen. Der Dresdner Siegfried Hentzschel wurde von einem SMT wegen seiner Tätigkeit für die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KGU) verurteilt und wird u.a. über seine Lagerhaft in Workuta berichten.

 

Eröffnung der Ausstellung „Erschossen in Moskau...“

Den Ermordeten einen Namen und eine Geschichte zu geben und ein Bewusstsein herzustellen für die damaligen Geschehnisse, das sind auch Anliegen und Ziel der Ausstellung „Erschossen in Moskau“. Sie wird im Anschluss an die Buchvorstellung eröffnet und kann bis zum 28.04.2007 täglich zwischen 10.00 und 18.00 Uhr im ehemaligen Stasi-Kinosaal im Museum in der „Runden Ecke“ besichtigt werden. Sie erweitert das Blickfeld des Bandes über die sächsischen Opfer um die Vorgänge in der gesamten DDR: insgesamt erlitten 923 Deutsche damals das Schicksal, nach Moskau verschleppt und dort erschossen zu werden. Ergänzt wird die Exposition von verschiedenen Begleitveranstaltungen, welche den Ausstellungsinhalt in einen Kontext einordnen und verschiedene Aspekte der Einrichtung der SED-Diktatur nach sowjetischem Vorbild beleuchten.

Umfangreiches Begleitprogramm zu konkreten Leipziger Schicksalen

 

Herbert Kaiser wurde 1953 verhaftet und zum Tode verurteilt, weil er sich an der Besetzung der Volkspolizeiwache auf dem Leipziger Hauptbahnhof beteiligt hatte. Jahrzehntelang war sein Schicksal für die Hinterbliebenen ungewiss. Erst im Zuge der Forschungen zum 50. Jahrestag des Volksaufstandes wurden die Umstände seines Todes aufgedeckt. Dr. Heidi Roth wird als ausgewiesene Expertin den Volksaufstand von 1953 speziell in Leipzig betrachten, wobei durch das Gespräch mit einem Sohn Kaisers eine Verbindung zwischen den Ergebnissen historischer Forschung und persönlichem Erleben entstehen kann.

 

Vier Altenburger Gymnasiasten, produzierten anlässlich des 70. Geburtstages Stalins eine illegale Radiosendung, klagten seine Verbrechen an und bezeichneten ihn als „Massenmörder“ und „Diktator“. Zwei von ihnen wurde dieses wagemutige Verhalten zum Verhängnis – man verurteilte sie zum Tode; eine heute unvorstellbare Praxis, die zeigt, welche enormen Freiheiten und Rechte eine Demokratie ungeachtet aller Unzulänglichkeiten garantiert.

 

Doch nicht nur Schüler, sondern auch Studenten wurden kurz nach dem Ende der NS-Duiktatur für Aktionen bestraft, die uns heute lapidar und im Lichte der Rechtsstaatlichkeit als völlig normale Meinungsäußerungen erscheinen. Der Student Herbert Belter zum Beispiel wurde 1951 in Moskau erschossen, weil er mit seinen Freunden die offiziell auch in der gerade gegründeten DDR proklamierte Demokratie einforderte – heute erinnert die Belterstraße in Leipzig an ihn. Dr. Gerald Wiemers, ehemaliger Leiter des Archivs der Universität Leipzig, ist es zu verdanken, dass wir heute seine Geschichte kennen. Mit zwei ehemaligen Kommilitonen wird er das Schicksal Belters schildern sowie die Willkür und Gnadenlosigkeit beschreiben, mit der die kommunistische Diktatur auch an den Universitäten aufgebaut wurde.

 

Da viele Angehörige damaliger Opfer erst im Zuge des Projektes Kenntnis vom Schicksal ihrer Angehörigen erhielten, stellt es einen wichtigen und unverzichtbaren Beitrag innerhalb der Aufarbeitung der DDR-Geschichte dar. Noch heute melden sich Menschen und berichten, dass sie gerade das Buch „Erschossen in Moskau...“ gesehen und darin z.B. den Namen ihres Vaters gefunden haben. Nun erst wüssten sie, was damals mit ihm geschah. Eine Veranstaltung widmet sich daher den „Kindern der Erschossenen“.

 

Grundlage für die Strafverfolgungen und Gerichtsverfahren war der Export des stalinistischen Justizsystems im Zuge der Besetzung Ostdeutschlands 1945. 35.000 Zivilisten wurden in den ersten zehn Jahren danach zu hohen Strafen verurteilt, annähernd 2000 hingerichtet. Diese Dimensionen werden im Rahmen der Begleitveranstaltungen insbesondere auch für den sächsischen und Leipziger Raum sichtbar gemacht.

 

Aufklärung erst nach mehr als 50 Jahren

Eine Aufarbeitung solchen Ausmaßes war nur in Kooperation verschiedener Partner möglich. So erforschten Historiker der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial in Zusammenarbeit mit der Rechercheagentur Facts & Files seit 2004 die Verbrechen zwischen 1950 und 1953. Gefördert und initiiert von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur konnte bereits ein Jahr später das Buch „Erschossen in Moskau...“ erscheinen, in welchem die Projektergebnisse begleitend zur gleichnamigen Ausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt wurden.

 

Die oben bereits angedeuteten zahlreichen Einzelfälle, die während der Begleitveranstaltungen geschildert werden, unterstreichen die Bedeutung des Projektes. Sie zeigen, dass weder Alter noch sozialer Stand, sondern schlicht Willkür über Leben und Tod entschied und machen den Blick frei in ein Leben voll banger Verzweiflung und Ohnmacht der Hinterbliebenen. Angehörige, Zeitzeugen und Historiker werden sich daher der Frage widmen, was es für die Betroffenen und ihre Verwandten bedeutete, wenn das Urteil „Tod durch Erschießen“ verhängt und vollstreckt wurde.