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Dienstag, den 28. November 2017

Begehbare Kunstinstallation am 29. November 2017 in der ehemaligen zentralen Hinrichtungsstätte der DDR in Leipzig: Schaubühne Lindenfels zeigt Performance zu "Anatomie Woyzeck"

Kategorie: Pressemitteilung

Die ehemalige zentrale Hinrichtungsstätte der DDR wird im zweiten Teil der „Anatomie Woyzeck“-Reihe der Schaubühne Lindenfels in Kooperation mit dem Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig und der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ zum Darstellungsort für die Geschichten einiger Delinquenten aus Dramentexten von Georg Büchner. Insbesondere stehen Aspekte der Bestrafung und der (politischen) Macht im Fokus. Abgerundet wird die Installation von ständigen Führungen durch den historischen Ort. Beginn der Veranstaltung ist am Mittwoch, den 29. November 2017, um 19.00 Uhr.

Erst vor 30 Jahren wurde auch in der DDR die Todesstrafe abgeschafft. Damit endete die fast 450-jährige Geschichte der ununterbrochenen Anwendung der Todesstrafe in Deutschland. Zwischen 1960 und 1981 sind nach aktuellen Erkenntnissen in der ehemaligen zentralen Hinrichtungsstätte der DDR in Leipzig 64 Menschen unter absoluter Geheimhaltung hingerichtet worden. Die Tatvorwürfe waren oft manipuliert, auch die Urteile standen von Anfang an fest. Selbst die Totenscheine wurden gefälscht und verschleierten die wahre Ursache und den Ort des Ablebens. Abgeschafft wurde die Todesstrafe in der DDR 1987. Wie wenig Zeit seit der Abschaffung der Todesstrafe in Ost-Deutschland vergangen ist und wie aktuell diese Fragestellungen sind, zeigt beispielsweise das aggressive Werben des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan für die Wiedereinführung der Todesstrafe.

Mit einem politisch gewollten Justizmord befasst sich unter anderem auch die vierteilige Reihe von Lecture Performances und Installationen der Schaubühne Lindenfels unter dem Titel „Anatomie Woyzeck“. An ungewöhnlichen, sonst nicht frei zugänglichen Orten versucht das Schaubühne-Ensemble mit Diskursen und Stimmen aus verschiedenen Fachrichtungen, dem Komplex Woyzeck wissenschaftlich und künstlerisch auf die Spur zu kommen.

Theater trifft Wissenschaft und Historie: Am 29. November 2017 um 19.00 Uhr

Zurückzuführen ist das Projekt auf Georg Büchner (1813-1837), der nicht nur durch sein literarisches Werk und sein politisches Engagement im kulturellen Gedächtnis geblieben ist, sondern auch durch seinen wissenschaftlichen Blick auf die Welt. Er war Anatom in doppelter Hinsicht: Sowohl mit dem „anatomischen als auch dem literarischen Skalpell (schnitt er) ins Fleisch des Körpers und der Gesellschaft (…), um die verborgenen Ursachen der Phänomene hervorzukehren“ (Prof. Dr. Michael Hagner, NZZ). Seine Arbeitsweise war wie in seinen naturwissenschaftlichen Studien und Experimenten auch im Schreiben eine forschende, welche ihn immer wieder zu der Frage führte, die er in „Dantons Tod“ formuliert und in „Woyzeck“ auf die Spitze treibt: „Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?“

Im zweiten Teil der Reihe, die am 29. November 2017 in der ehemaligen zentralen Hinrichtungsstätte der DDR in Leipzig gezeigt wird, geht es um die Vorstellung von Aspekten der Bestrafung und der (politischen) Macht. Die Hinrichtung des historischen Vorbilds Woyzecks kann – nachdem er schon damals von vielen Experten als nicht zurechnungsfähig eingestuft wurde – als politisch gewollter Justizmord gesehen werden. In welchem Verhältnis steht die historische und literarische Vorlage zur Todesstrafe in der SED-Diktatur? Wie erscheint diese Form von Machtausübung bzw. Machtmissbrauch aus heutiger Sicht, angesichts vieler vergleichbarer Fälle in der jüngeren Geschichte und im Hinblick auf die anhaltende Debatte um die Todesstrafe? Was erfahren wir über das Funktionieren von Macht und Kontrolle in der „Heterotopie“ (Michel Foucault) eines Gefängnisses und einer ehemals geheimen Hinrichtungsstätte inmitten eines Wohngebiets?

Besucher werden zu (Ab-)Hörern, Akteuren und Statisten

Die begehbare Installation in der ehemaligen zentralen Hinrichtungsstätte der DDR in Leipzig verbindet die Geschichten einiger Delinquenten mit Büchners Dramentext und Foucaults Theorien zum Verhältnis von Raum und Macht. Erweitert wird der Ort um einen temporären Kunstraum auf der Straße vor der ehemals geheimen Hinrichtungsstätte. Dort liefen täglich Passanten zur Arbeit oder brachten ihre Kinder in die nahe gelegene Kita, während im Inneren des Gebäudes bis 1981 politische Häftlinge hingerichtet worden sind.

Für die Besucher sollen mit dieser Performance Innen und Außen, Vergangenheit und Gegenwart sowie Einsamkeit und Gemeinschaft verschwimmen. Inmitten von verschiedenen Rollen des Alltags im Angesicht von „Überwachen und Strafen“ werden die Besucher zu passiven (Ab-)Hörern von Büchners Delinquenten und zu Akteuren, die ihre Kleidung tauschen und ihre Schatten hinterlassen, sowie zu Statisten auf einem gemeinsamen „historischen“ Foto. Um sich einen Eindruck von der Örtlichkeit zu verschaffen, können die Besucher zudem an einer der Kurzführungen durch die original erhaltenen Räume der ehemaligen zentralen Hinrichtungsstätte der DDR teilnehmen, die etwa 19.10 Uhr, 19.40 Uhr und 20.10 Uhr beginnen.

Um Reservierung wird gebeten. Unter service@schaubuehne.com oder 0341-484620. Abendkasse: 5 Euro.

Veranstaltungsort: ehemalige zentrale Hinrichtungsstätte der DDR, Arndtstraße 48, 04275 Leipzig.

Änderungen im Programmablauf vorbehalten.

Die Pressemitteilung als PDF-Datei.