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Sonntag, den 30. April 2006

Was von drüben kommt, kommt vom Feind

Kategorie: Pressemitteilung

„Runde Ecke“ lädt am Sonnabend, dem 6. Mai 2006, ab 19.00 Uhr zur Museumsnacht ein – Filme, Sonderführungen und Exponate aus dem Magazin zum Thema „Transit“

Der Transitreisende W. hatte in seinem Mercedes gefährlich subversive Waren in die DDR geschmuggelt: 7 Liebesromane, 3 Zeitschriften, 20 Zigaretten, diverse Kleidungsstücke und Lebensmittelkonserven sowie 8 Bananen. Insgesamt 24 verschiedene Positionen beschlagnahmter Güter, sorgfältig durchnummeriert und in ein Formblatt aufgenommen, enthält der „Beschlagnahme-Einziehungs-Bescheid“ vom 08.04.1973, den die Zollverwaltung Potsdam ausgestellt hatte. Hintergrund der Akte: Der Bundesbürger W. hatte sich brieflich mit Bekannten aus der DDR an der Autobahnraststätte Michendorf verabredet. Im Gepäck transportierte er diverse Güter, die im kommunistischen Nachbarland als Mangelware galten. Die zuständige Hauptabteilung VI der Staatssicherheit, über das geplante Treffen vorher informiert, vereitelte jedoch die Übergabe: Sie zog alle Mitbringsel ein, verhörte die DDR-Bürger und legte zu der vermeintlichen Lappalie einen siebenseitigen Bericht an.

Diese und ähnliche Begebenheiten rund um das Thema „Transit“ stellt die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ während der siebenten Leipziger Museumsnacht am Sonnabend, dem 06.05.2006, vor. „Was von drüben kommt, kommt vom Feind“, lautet das Motto, unter dem die Dauerausstellung der „Runden Ecke“ anlässlich der „Nachtschicht“ um zahlreiche Objekte, Dokumente und Fotografien aus dem Magazin ergänzt wird. Zu erfahren ist, wie die Mitarbeiter der Staatssicherheit – getarnt als normale Grenzer – die Ein- und Ausreisenden kontrollierte und wie penibel sie den Transitverkehr überwachten. Dabei wird dokumentiert, dass die Grenzerlebnisse Transitreisender nicht immer ein so vergleichsweise harmloses Ende fanden, wie im geschilderten Beispiel, sondern auch mit Haft enden konnten. Einer der Schwerpunkte wird die Grenzübergangsstelle (GüSt) am Leipziger Flughafen, die einzige GüSt im Bezirk Leipzig, sein. Die Themen Flucht und Festnahme stehen ebenfalls im Blickpunkt. Zu sehen sind Exponate, die normalerweise hinter verschlossenen Türen im Museumsmagazin lagern, so etwa ein Unterbodenspiegel der Zollkontrolle, ein Passkontrollkoffer, ein Gerät zum Abfotografieren von Pässen, eine originale Uniform und ein Schusskoffer „Mittel I/S“ – ein Diplomatenkoffer mit eingebauter Maschinenpistole, Marke Skorpion.

Die Hauptabteilung VI, so dokumentieren die Ausstellungsstücke und Tafeln, interessierte sich für alles: Vom Einkauf im Intershop bis hin zu Schnappschüssen, die Bundesbürger an Autobahnraststätten aufnahmen. So mancher Transitreisende aus der Bundesrepublik dürfte sich damit weit intensiver im Visier der Staatssicherheit befunden haben, als ihm dies während seiner DDR-Reisen bewusst war. So fotografierte die Staatssicherheit beispielsweise unbemerkt die Pässe von Transitreisenden ab, um aus den Reproduktionen gefälschte Pässe für ihre Spione herzustellen.

 

Einblick in das Geheimnis Todesstrafe

Bis heute ebenfalls wenig bewusst ist die Tatsache, dass in der DDR bis 1981 Todesurteile ausgesprochen und vollstreckt wurden. Die Todesstrafe wurde schon seit der Gründung der DDR 1949 verhängt und erst 1987 aufgehoben. Seit 1960 fanden alle Hinrichtungen zentral in der ehemaligen Haftanstalt in der Alfred-Kästner-Straße in Leipzig statt, was jedoch öffentlich nicht bekannt war. Die Geheimhaltung ging so weit, dass sogar die Leichname anonym eingeäschert wurden.

Die Hinrichtungsstätte einschließlich des Zugangs über die Arndtstraße ist original erhalten geblieben. Im Rahmen der Leipziger Museumsnacht besteht die einmalige Möglichkeit, die authentischen Räume zu besichtigen. Eine kleine Ausstellung informiert über die Hintergründe der Todesstrafe in der DDR, speziell der Vollstreckung in Leipzig. Mitarbeiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke” beantworten darüber hinaus die Fragen der Besucher.

 

Filmische Lehrmaterialien der Staatssicherheit im Kinosaal

Wie man die Deutsche Demokratische Republik schon an den Grenzübergängen wirksam vorm Feind schützen konnte, darüber informierten sich die zuständigen Mitarbeiter der Staatssicherheit unter anderem in eigens gedrehten Schulungsfilmen. Einige dieser Lehrmaterialien sind während der langen Filmnacht im ehemaligen Stasi-Kinosaal zu sehen und geben tiefe Einblicke in das ideologische Selbstverständnis der DDR-Führung. Der berüchtigte Chef-Propagandist Karl-Eduard von Schnitzler etwa konstatiert in einem Filmreferat: „Wir haben alles auf unserer Seite: die Wahrheit, das Recht, die Moral. Und die Macht.“ Außerdem laufen Dokumentationen und Spielfilme zu den Themen Transit und Flucht.

 

Programm der Filmnacht:

19.00 Uhr: Über die Zonengrenze hinweg

Filmische Dokumentation deutsch-deutscher Kontakte über Mauer und Stacheldraht.

Ein Film von F.J. Schreiber (im Auftrag der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur), 2005, 47 min

 

19.50 Uhr: Auf der Wacht für die DDR

MfS-Schulungsfilm, s/w, 45 min

 

20.40 Uhr: Der Stich des Skorpion

Die Geschichte des Fluchthelfers Wolfgang Welsch; mit Jörg Schüttauf, Martina Gedeck und Matthias Brandt in den Hauptrollen, 2003, Farbe, 90 min

 

22.10 Uhr: Bosse, Tipper, Schleuser. Menschenhandel Staatsgrenze Nord

MfS-Schulungsfilme, s/w, 21 min/16 min

 

22.50 Uhr: Autobahn Ost

Ein Film von Gerd Kroske, Dokumentarfilm zur Transitüberwachung, 2004, 95 min

 

00.25 Uhr: Sonnenbrand im Bruderland

2005, 90 min, ein Film von Till Lehmann