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Donnerstag, den 26. April 2001

Schluss mit dem Schlussstrichgerede - Die DDR-Diktatur darf nicht verharmlost werden

Kategorie: Pressemitteilung
Von: Bürgerkomitee
Schluss mit dem Schlussstrichgerede - Die DDR-Diktatur darf nicht verharmlost werden

Während der MDR die Konsequenzen aus der aktuellen Stasi-Debatte zieht, plädieren Prominente wie jüngst Tagesschau-Sprecher Joachim Brauner für ein Ende der Aufarbeitung. Die Schlussstrichforderer täten jedoch gut daran, sich vor öffentlichen Äußerungen gründlicher zu informieren, um nicht ehemaligen DDR-Funktionsträgern das Wort zu reden.

Kurswechsel beim MDR

Der Mitteldeutsche Rundfunk hat den Kurs gewechselt: “Dem MDR ist in der Regel eine Beschäftigung nicht zumutbar, wenn festangestellten oder fest-freien Mitarbeitern...nachgewiesen wird, dass sie bewusst und zielgerichtet für das MfS tätig waren.” So lautet das Fazit des Rundfunkrats aus der heftigen Stasi-Debatte der vergangenen Monate, die sich vor allem an der mitteldeutschen Rundfunkanstalt festmachte. Der Sender, dessen Intendant sich lange Zeit unbeirrt vor ehemalige IM auf den Bildschirmen und in Leitungspositionen gestellt hatte, will heute sämtliches Personal neu auf frühere Stasi-Tätigkeit überprüfen lassen und nach deutlich strengeren Kriterien über deren Weiterbeschäftigung urteilen.

Das Bürgerkomitee Leipzig e.V. begrüßt diese Entwicklung ausdrücklich. Der MDR hat dieKonsequenzen aus seiner verfehlten Personalpolitik gezogen und eine Kehrtwende eingeleitet. Bleibt zu hoffen, dass Rundfunkrat und Intendant den eingeschlagenen Kurs halten.

Prominente fordern ohne Hintergrundwissen Schlussstrich

Kaum dass die kritisierte Sendeanstalt sich ernsthaft der Aufarbeitung widmet, werden von prominenter Seite bereits wieder Schlussstrichforderungen laut. Tagesschau-Chefsprecher Joachim Brauner schlug in einem Interview vor, “irgendwann einmal mit den Aufrechnungen Schluss zu machen”. Viele IM seien schließlich unfreiwillig und unter Druck Spitzel geworden. Brauner hätte gut daran getan, sich vor seinen Äußerungen zum Thema zu informieren. Dann wüßte er, dass weniger als zwei Prozent der DDR-Bürger dem Werben der Stasi nachgaben - wissenschatlichen Untersuchungen zufolge nur in wenigen Fällen unter Zwang. Eine ungleich größere Zahl von Menschen jedoch hatte den Mut, im Bewusstsein aller möglichen Konsequenzen eine Zusammenarbeit mit Mielkes Geheimdienst abzulehnen. Drei von fünf Anwerbeversuchen der Staatssicherheit waren erfolglos.

Auch den scheinbar in Mode gekommenen Vergleich zum Aufarbeitungsprozess nach dem Ende des Dritten Reichs bemühte Brauner wie schon einige vor ihm. Im Nachkriegsdeutschland, so die Argumentation Brauners, seien Mitläufer der Diktatur ebenfalls nicht zur Rechenschaft gezogen worden. Zwar ist diese Tatsache nicht von der Hand zu weisen, jedoch kann sie nicht als Argument dafür gelten, unter die Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur schleunigst einen Schlussstrich zu ziehen. Denn welche Probleme die halbherzige Bewältigung des Nazi-Unrechts der Bundesrepublik noch 50 Jahre nach ihrer Gründung beschert, kann man heute unschwer an den Bemühungen des Bundes zum Eindämmen rechter und rechtsradikaler Tendenzen ablesen.

Darüber hinaus sind IM keineswegs Mitläufer gewesen. Erst die Arbeit der Inoffiziellen, die inkognito vertrauliche Informationen von Kollegen, Freunden und Verwandten abschöpften, machte den Aufbau eines Systems flächendeckender Überwachung möglich. Erich Mielke hat seine IM stets als “Hauptwaffe im Kampf gegen den Feind” betrachtet. Sie waren eine Stütze des diktatorischen SED-Regimes von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Dreistigkeit statt Reue

Die ehemaligen Stasi-Kader verlassen nun, ermuntert von Äußerungen wie denen Joachim Brauners, nach zehn Jahren Funkstille ihre Deckung und fordern im altbekannten Propagandajargon dreist ein Ende der “würdelosen Attacken und Kampagnen” gegen das einstige MfS-Personal. Mehrmals meldeten sich Generäle und Oberste a.D. in den vergangenen Tagen im kommunistischen Kampfblatt Junge Welt zu Wort, um persönlich die Ehrenrettung ihrer ehemaligen IM vorzunehmen. Diese hätten mit ihrer Arbeit keinem Menschen Schaden zugefügt, sondern im Gegenteil Verfassungspflichten erfüllt und zur Einhaltung der Gesetze beigetragen. Eine flächendeckende Überwachung der DDR-Bevölkerung habe es nicht gegeben, stattdessen sei das MfS nur gegen “Feinde” der Republik vorgegangen.

Nach einem Anzeichen von Unrechtsbewusstsein sucht der Leser der Interviews vergeblich. Allein diese Tatsache sollte Grund genug sein, die Stasi-Debatte weiterhin ernst zu nehmen und nicht voreilig ein Ende der Aufarbeitung zu fordern. Denn eines zeigt der öffentliche Rechtfertigungsversuch mehrerer Dutzend hochrangiger MfS-Offiziere deutlich: Die Kampfgenossen von einst pflegen noch heute nicht nur intensive Kontakte untereinander, sondern auch ihre alte Gesinnung.