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Dienstag, den 03. Dezember 2019

Heute vor 30 Jahren: Besetzung der Stasi-Zentrale und Bildung des Bürgerkomitees in Leipzig – Vortrag und Zeitzeugengespräch am 04.12.2019 um 19.00 Uhr

Kategorie: Pressemitteilung

Die Zerschlagung von Mielkes „Ministerium der Angst“ wurde vor 30 Jahren Wirklichkeit: Wie in vielen Städten der DDR wurden am 4. Dezember 1989 während einer Montagsdemonstration auch in Leipzig die Stasi-Dienststellen besetzt. Die Macht der Staatssicherheit war damit gebrochen. Zugleich stoppten sie die seit Wochen laufende Aktenvernichtung und sicherten die vorgefundenen Unterlagen. Die Arbeitsweise eines Geheimdienstes konnte so transparent gemacht werden.

Bei der Veranstaltung am Mittwoch, den 4. Dezember 2019, um 19.00 Uhr in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ werden Zeitzeugen sowie Journalisten und Fotografen über die Besetzung der Leipziger Stasi-Zentrale, den Stopp der Aktenvernichtung und die Bildung des Bürgerkomitee Leipzig berichten. Bild- und Filmmaterial wird ebenfalls gezeigt. Der Eintritt ist frei.

 

Aus Anlass des 30. Jahrestages der Friedlichen Revolution lädt das Bürgerkomitee Leipzig e.V. zu einer Gesprächsreihe mit Zeitzeugen ein. Im Mittelpunkt der Veranstaltungsreihe „Heute vor 30 Jahren – Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ stehen herausragende Ereignisse des politischen Protestes in Leipzig, die zur Friedlichen Revolution, zum Sturz der SED-Diktatur und zu einem demokratischen Neuanfang führten. Ebenso wie der Beginn der Weimarer Republik 1919 und die Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 in der Bundesrepublik ist die Friedliche Revolution von 1989 ein zentrales Datum der Demokratiegeschichte in Deutschland, dem wir uns wieder stärker bewusst werden sollten. Die mit ihr wiedererrungenen Werte – Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – sind heute für ein gemeinsames Zusammenleben in Europa grundlegend und unveräußerlich.

 

Rückblick auf die bisherige Veranstaltungsreihe seit Januar

Die Friedliche Revolution 1989 begann in Leipzig nicht erst im Herbst. Bereits seit Januar 1989 kam es zu Aktionen des politischen Protests und des demokratischen Aufbruchs in Leipzig. So fand am 15. Januar 1989 die erste ungenehmigte Demonstration für demokratische Grundrechte statt, an der sich etwa 500 Bürger beteiligten und von denen 53 Personen festgenommen worden sind. Bei der Protestaktion am 13. März 1989 skandierten mehr als 500 DDR-Bürger, vorwiegend Ausreisewillige, nach einem Friedensgebet in der Nikolaikirche: „Wir wollen raus!“. Wegen der zur Messe anwesenden westlichen Journalisten griffen die Sicherheitskräfte nicht ein. Die Situation wurde durch die gefälschte Kommunalwahl am 7. Mai 1989 verschärft. Oppositionsgruppen wiesen hier durch eine organisierte Kontrolle der öffentlichen Stimmenauszählung erstmals den regelmäßigen Wahlbetrug der SED nach. Es folgte am 4. Juni 1989 eine Protestaktion gegen die Umweltzerstörung in der DDR mit einem Pleißepilgerweg und am 10. Juni 1989 kam es zu einem verbotenen Straßenmusikfestival „Für die Freiheit der Kunst“. Höhepunkt war der Kirchentag mit dem Statt-Kirchentag am 9. Juli 1989, an dem etwa 2.500 Personen aus der ganzen DDR teilnahmen, zumeist Oppositionelle, um sich über die aktuelle Lage sowie zukünftige Konzepte und Aktionen auszutauschen.

Nach der Sommerpause kam es ab dem 4. September 1989 wieder regelmäßig im Anschluss an das Friedensgebet zu Demonstrationen und anderen Aktionen für die Genehmigung der ständigen Ausreise in die Bundesrepublik. Bei der Demonstration am 4. September 1989 war erstmals auch der Ruf „Wir bleiben hier!“ zu hören. Bei der Demonstration am 25. September 1989 beteiligten sich bereits über 5.000 Menschen. Erstmals liefen sie über den Ring, bis zur damaligen Fußgängerbrücke am Brühl. Bereits am 2. Oktober 1989 fand das Friedensgebet erstmals neben der Nikolaikirche auch in der Reformierten Kirche statt. Im Anschluss demonstrierten rund 20.000 Menschen friedlich auf dem Ring. Dabei kam es erstmals zum Einsatz von Spezialeinheiten in Sonderausrüstung mit Helm, Schild und Schlagstock sowie mit Hunden. Es war ein in der Stadt Leipzig bis dahin nie gesehener Anblick. Fortan nahm die Polizeigewalt stetig zu, so auch bei den Protesten am 7. Oktober 1989, als die DDR ihren 40. und letzten Jahrestag feierte. Am 9. Oktober 1989 kam es zur entscheidenden Montagsdemonstration. Trotz großer Ängste demonstrierten weit über 70.000 Bürger mit den Losungen „Keine Gewalt“ und „Wir sind das Volk“ gegen die SED-Diktatur. Angesichts dieser Massen zogen sich bereitstehende Sicherheitskräfte zurück. Der friedliche Verlauf des Abends wurde als Sieg über das Regime empfunden. Von nun an ergriffen Proteste das ganze Land. Am 6. November 1989 kam es in Leipzig zur gewaltigsten Montagsdemonstration mit bis zu 500.000 Teilnehmern. Zwei Tage später, am 8. November 1989, ließ die SED das Neue Forum als erste neue Oppositionsgruppen zu und erfüllte damit eine Kernforderung der Demonstranten. Schon für den nächsten Tag, hatte das Neue Forum zu einem Schweigemarsch zum Gedenken an den 51. Jahrestag der Pogromnacht am 9. November 1938 eingeladen. An dem Abend, an dem in Berlin die Mauer fiel liefen in Leipzig mehrere Tausend Menschen schweigend mit Kerzen von der Nikolaikirche zum Gedenkstein für die zerstörte Leipziger Zentralsynagoge. Zehn Tage später, am 18. November 1989, veranstaltete das Neue Forum vor dem ehemaligen Reichsgericht, dem heutigen Simsonplatz, die erste offiziell genehmigte Protestkundgebung in Leipzig.

 

4. Dezember 1989 – Besetzung der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Leipzig

Wochenlang war die „Runde Ecke“ ein wichtiger Kristallisationspunkt der Herbstdemonstrationen. Noch im September war die erste Demonstration auf dem Friedrich-Engels-Platz umgekehrt und so der befürchteten Konfrontation mit der Stasi ausgewichen. Später, von Montag zu Montag mutiger geworden, artikulierten sie gerade vor der pompösen Bezirksverwaltung am Dittrichring ihre Forderung nach Abschaffung des „Schild und Schwert“ der SED-Diktatur. Der Zorn der Menschen war so groß, dass hier immer wieder die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation bestand. Um den weiteren gewaltlosen Verlauf der Proteste zu sichern, verhandelten am Nachmittag des 4. Dezember 1989 Vertreter der neuen demokratischen Gruppierungen mit dem Leipziger Stasi-Obristen über eine Kontrolle des Stasi-Gebäudes.

Als Ergebnis dieser Verhandlung gelang es am Abend einer Gruppe von 30 Bürgern, das Gebäude, die „Runde Ecke“, friedlich zu besetzen. Eine der wesentlichen Forderungen der vergangenen Wochen war nun in die Tat umgesetzt: die Macht der verhassten Staatssicherheit wurde endgültig gebrochen. Die Berichte der Journalisten, die die Demonstranten in das Gebäude begleitet hatten, gingen an diesem Abend um die ganze Welt. Millionen Zuschauer sahen die abgedunkelten Gänge, verschlossenen Türen und die Verunsicherung der einst Mächtigen, die kaum fähig waren, das auch für sie Unfassbare zu verstehen. Draußen vor den Toren standen die Leipziger Bürger und feierten singend ihren friedlichen Triumph: „So ein Tag, so wunderschön wie heute, …“.

Das sich in dieser Nacht bildende Bürgerkomitee setzte den sofortigen Stopp der seit Wochen laufenden Aktenvernichtung durch und sicherte alle vorgefundenen Unterlagen und Objekte. In den kommenden Wochen machte es die Arbeitsweise der kommunistischen Geheimpolizei transparent. Damit begann die unumkehrbare Demontage des Unterdrückungsapparates, der jahrzehntelang die eigene Bevölkerung im Auftrag der SED überwacht, eingeschüchtert und seiner äußeren und inneren Freiheit beraubt hatte.

Die weitblickende Forderung damaliger Demonstranten „Runde Ecke Schreckenshaus – Wann wird ein Museum draus?“ ist heute am authentischen Ort Wirklichkeit geworden.

 

Zeitzeugen erzählen

Bei der Veranstaltungsreihe „Heute vor 30 Jahren: Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ werden die jeweiligen Ereignisse aus dem Jahr 1989 und deren Hintergründe zunächst in einem einführenden Vortrag durch Tobias Hollitzer, Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, beleuchtet. Im Anschluss kommen unter der Moderation von Reinhard Bohse vom Bürgerkomitee Leipzig e.V. Zeitzeugen über das damalige Geschehen, aber auch über dessen Bedeutung für die heutige Gesellschaft miteinander und mit dem Publikum ins Gespräch.

Anwesend ist unter anderem Pfarrer Michael Turek, der die Besetzung durch das Neue Forum mit vorbereitet und an jenem Tag miterlebt hat. Christian Hönemann kann davon erzählen, wie er am 4. Dezember 1989 zunächst an der Demonstration und danach am späten Abend gemeinsam mit dem heutigen Gedenkstättenleiter Tobias Hollitzer an der Besetzung der Leipziger Stasi-Dienststellen teilgenommen hat. Nach dem sie in die „Runde Ecke“ eingelassen worden waren, zogen sie nachts gemeinsam mit einem Staatsanwalt und einem der Stellvertreter des Leipziger Stasi-Chefs Manfred Hummitzsch in die Gustav-Mahler-Straße und besetzten die dortige Stasi-Kreisdienststelle. Vom Abend in der „Runden Ecke“ berichten auch Thomas Kleine-Brockhoff, damals als Journalist für die ZEIT gearbeitet hat, sowie Dr. Ulrich Stötzner. Letzter war an der Entwaffnung von Manfred Hummitzsch, dem damaligen Leiter der hiesigen Stasi-Bezirksverwaltung, beteiligt. Im Publikum sind zudem weitere Zeitzeugen anwesend, darunter Superintendent i.R. Friedrich Magirius, der die Moderation in der „Runden Ecke“ übernommen hatte, und Fotograf Christian Günter, der in der Besetzungsnacht Bilder gemacht hatte.

Veranstaltungsort: ehem. Stasi-Kinosaal (Nachbareingang, Goerdelerring 20). Eintritt frei.