Sie sind hier: Runde-Ecke-Leipzig.de / Presse

einzelne Meldung

Freitag, den 12. August 2016

Stadt Leipzig will der Gedenkstätte Museum in der "Runden Ecke" den original erhaltenen Stasi-Kinosaal dauerhaft entziehen und verlangt den Abbruch der Ausstellung zur Friedlichen Revolution

Kategorie: Pressemitteilung

Die SPD-Fraktion im Leipziger Stadtrat hat zwei Anträge gestellt, die darauf abzielen, den original erhaltenen Kinosaal der ehemaligen Bezirksverwaltung für Staatssicherheit künftig der Nutzung der Gedenkstätte Museum in der “Runden Ecke“ zu entziehen und statt dessen an das gänzlich themenfremde Schulmuseum zu übertragen. In diesem Zusammenhang soll auch die dort seit 2009 gezeigte, in Ihrer thematischen Dichte einzigartige Ausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ abgebrochen werden.

Das Bürgerkomitee Leipzig e.V., aus der Besetzung und Auflösung der Leipziger Stasi 1989/90 hervorgegangen, ist Träger der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ und bemüht sich seitdem um die Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie die Erinnerung an die Friedliche Revolution an originalen Orten in Leipzig. Der unter Denkmalschutz stehende „Saalbau“ mit Kegelbahn und Stasi-Kinosaal gehört ebenso authentisch zur Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ wie die Ausstellung zur Friedlichen Revolution in Leipzig.

 

Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ ist ein zentraler authentischer Ort und Teil des Europäischen Kulturerbes „Eiserner Vorhang“

Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ ist in Leipzig neben weiteren Institutionen ein zentraler authentischer Ort von bundesweiter und internationaler Bedeutung, der gleichermaßen für die über 40jährige SED-Diktatur sowie die Unterdrückung durch die Staatssicherheit steht, wie für die Selbstbefreiung von dieser Diktatur durch die Friedliche Revolution. Jährlich nutzten insgesamt ca. 130.000 Menschen die Angebote der Gedenkstätte, die seit Jahren zu den vier bestbesuchten Museen der Stadt Leipzig (neben dem Völkerschlachtdenkmal, dem Zeitgeschichtlichen Forum und dem Museum der bildenden Künste) zählt.

Seit 2012 gehört die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker zum Europäischen Kulturerbe „Eiserner Vorhang“. Die Gedenkstätte wurde zusammen mit der Nikolaikirche und dem Leipziger Innenstadtring als eine von zwölf authentischen Stätten des „Eisernen Vorhangs“ in das Kulturerbe aufgenommen. In diesem Netzwerk ist Leipzig, das sich immer auch als „Stadt der Friedlichen Revolution“ versteht, der einzige der ausgewählten Orte, der nicht an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze liegt, um die zentrale Bedeutung der Friedlichen Revolution als Voraussetzung für den Fall des „Eisernen Vorhangs“ zu manifestieren.

Von zentraler Bedeutung für die Arbeit der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ sind der authentische Ort und die hier noch vorhanden original erhaltenen Räumlichkeiten. Die Dauerausstellung „STASI – Macht und Banalität“ wird seit 1990 in den original erhaltenen Büros der Stasi-Offiziere im Altbau „Runde Ecke“ weitgehend unverändert gezeigt. Seit 2009 ergänzt die Ausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ im ehemaligen Stasi-Kinosaal des benachbarten Saalbaus das Angebot. Diesen Saalbau nutzt die Gedenkstätte seit dem Jahr 2000 gemeinsam mit dem Leipziger Schulmuseum. In den zurückliegenden Jahren hat das Bürgerkomitee Leipzig e.V., als Träger der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ ein Entwicklungskonzept erarbeitet und jetzt dem Kulturamt der Stadt Leipzig vorgelegt, das vorsieht, die derzeitigen Ausstellungen zu erhalten und die in Zukunft notwendigen Erweiterungen und Vertiefungen bzw. Kontextualisierung ergänzend unter Einbeziehung weiterer noch vorhandener authentischer Räumlichkeiten zu realisieren.

Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ hat sich seit ihrer Gründung vor über 25 Jahren zu einem anerkannten Fachmuseum mit der bedeutendsten musealen Sammlung zum Thema Staatssicherheit, Friedliche Revolution und Aufarbeitung der SED-Diktatur entwickelt. Sie ist ein wichtiger Ort der Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Geschichte und eine authentische Stätte der Mahnung, des Gedenkens sowie des Lernens, sie hat sich als Ort des politischen Diskurses sowie der demokratischen Bildung weit über Leipzig, Sachsen und Deutschland hinaus etabliert.

Die aktuellen Bestrebungen der Stadt richten sich gegen die Arbeit der Gedenkstätte Museum in der „Runde Ecke“

Bisher hatte die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Oberbürgermeister wenngleich keine konfliktfreie, aber immer eine gute Zusammenarbeit. Uns eint das Bemühen, Leipzig als „Stadt der Friedlichen Revolution“ zu stärken und die Erinnerung an die SED-Diktatur als Mahnung für die Zukunft wach zu halten. Um die dauerhafte Weiterführung der 2009 im ehemaligen Stasi-Kinosaal eröffneten Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ gab es in den zurückliegenden Jahren verschiedene Kontakte und Gespräche.

In seinem Brief vom 2. Juni 2016 betonte der Oberbürgermeister den bisherigen fairen Umgang derer, die sich in Leipzig für dieses Thema engagieren und schrieb weiter: „Es ist meine tiefe Überzeugung, dass wir an diesem Geist der Gemeinsamkeit festhalten müssen. Jede Einrichtung besitzt ihre besonderen Interessen, aber gerade über die Bündelung vielfältiger Akteure hat sich die Kraft unserer Idee erwiesen.“ Am Ende wünscht er den Abbau der Ausstellung zur Friedlichen Revolution und die Rückkehr zu den vertraglichen Regelungen, „die eine halbjährige Nutzung des Kinosaals jeweils durch Ihr Museum und das städtische Schulmuseum vorsehen.“

Nun gibt es aber es bereits ganz andere Konzepte und Überlegungen. So hat die SPD-Fraktion zwei Anträge in den Leipziger Stadtrat eingebracht, wovon einer erreichen möchte, dass dem Schulmuseum der original erhaltene Stasi-Kinosaal dauerhaft zur alleinigen Nutzung übertragen wird. (Drucksache VI-A-02857). Das empfinden wir als Affront und es lässt alle bisherigen Informationen und Vereinbarungen in einem neuen und wesentlich grundsätzlicheren Licht erscheinen. Die historische Bedeutung des Kinosaals und die Auswirkung des Antrags auf die Arbeit der Gedenkstätte werden im Antrag nicht erwähnt.

Der Saalbau mit den original erhaltenen Räumlichkeiten wie dem Stasi-Kinosaal, der Kegelbahn im Keller, dem Treppenhaus und verschiedenen anderen Räumen steht als erster Erweiterungsbau der „Runden Ecke“ genau für diese Nutzung durch die Staatssicherheit unter Denkmalschutz. Diese Räumlichkeiten sind essentiell für die Arbeit der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“. Nur in Leipzig sind Büroräume der Staatssicherheit und ein Stasi-Kinosaal sowie der Stasi-Ausweichführungsbunker in Machern original erhalten und als Gedenkstätte für die Öffentlichkeit zugänglich.

Warum nun ein wichtiger authentischer Ort der SED-Geheimpolizei der Arbeit des Museums in der „Runden Ecke“ und damit den Besuchern der Gedenkstätte dauerhaft entzogen und einem gänzlich fachfremden Museum zugeordnet werden soll, erschließt sich auch beim besten Willen nicht.

Zukunftskonzept auch für das Schulmuseum notwendig

In der Begründung des Antrags der SPD-Fraktion heißt es: „Um nach dem Einzug des Jugendparlamentes in die Räumlichkeiten des Schulmuseums zum 01. Mai 2016 auch künftig die notwendigen Wachstumsmöglichkeiten zu haben, soll der Kinosaal des Gebäudes Goerdelerring 20 dauerhaft vom Schulmuseum bzw. dem Zentrum für demokratische Bildung genutzt werden.“ Ausdrücklich wird erwähnt, dass sich „aus dessen Neuausrichtung“ künftig „neue Nutzungsbedarfe für den Saal“ ergeben würden. Im Verwaltungsstandpunkt zu diesem Antrag wird noch weitergehend ausgeführt, dass zu den künftig im Saalbau unterzubringenden Institutionen „neben dem Schulmuseum, die Fachstelle Extremismus und Gewaltprävention und perspektivisch auch der Bereich Kinder- und Jugendbeteiligung gehören, und das Jugendparlament“.

Inzwischen ist der Leiter des Schulmuseums Dr. Thomas Töpfer gleichzeitig Leiter des „Zentrums für demokratische Bildung“, dessen Kontaktanschrift mit „Saalbau, Goerdelerring 20“ angegeben wird. In internen Konzepten zu diesem „Zentrum für demokratische Bildung“ aus dem Jahr 2012 heißt es bereits: „Das Gebäude am Goerdelerring 20 sollte vollständig zur Verfügung stehen und damit die Nutzfläche auf alle vier Etagen ausgeweitet werden.“

Da nun deutlich geworden ist, dass die Stadtverwaltung das Schulmuseum mit einer Reihe weiterer Institutionen verbunden hat und gleichzeitig erklärt, dass diese am jetzigen Standort keine ausreichenden Entwicklungsmöglichkeiten haben, muss dringend ein entsprechendes Zukunftskonzept für das städtische Schulmuseum und das vom Amt für Jugend, Familie und Bildung bisher nur intern geplante „Zentrum für demokratische Bildung“ entwickelt werden.

Ausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ gehört zur Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ und muss dauerhaft zu sehen sein

Der zweite Antrag der SPD-Fraktion verfolgt das Ziel, die Ausstellung „Was glaubst Du denn?! Muslime in Deutschland“ im Oktober 2016 im ehemaligen Stasi-Kinosaal zu zeigen und die jetzt dort noch präsentierte Ausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ damit zu eliminieren (Drucksache VI-A-02855).

Wir sind der festen Überzeugung, dass sich bei gutem Willen für die in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte wichtigen Wanderausstellung der Bundeszentrale für politische Bildung „Was glaubst Du denn?! Muslime in Deutschland“, die 2014 schon einmal in Leipzig zu Gast war, ein angemessener Ort außerhalb des Saalbaus finden lässt, an dem das Schulmuseum dann auch die geplanten ausstellungsbegleitenden Aktivitäten entfalten kann.

Die Ausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“, 2009 als Sonderausstellung konzipiert, gehört inzwischen untrennbar zur Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, die gleichermaßen für Repression und Überwachung in der SED-Diktatur steht wie für die friedliche Selbstbefreiung davon. Auch für Leipzig, das sich bewusst als „Stadt der Friedlichen Revolution“ versteht, ist diese umfassende und dichte Darstellung, aus unserer Sicht jedenfalls, unverzichtbar. Unsere intensive Suche in den vergangenen Jahren nach alternativen Ausstellungsorten in unmittelbarer Nähe zur „Runden Ecke“ waren bisher leider vergeblich, weil die zusätzlichen Mietkosten durch die Stadt nicht übernommen werden können.

Stasi-Kinosaal langfristig für die Arbeit der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ erhalten

Die Schließung der in Leipzig einzigartigen Ausstellung zur Friedlichen Revolution zugunsten des Schulmuseums sowie die dauerhafte Wegnahme des originalen Stasi-Kinosaals wäre eine erhebliche Einschränkung der Wirkungsmöglichkeiten der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ und müsste als Desinteresse Leipzigs an diesem Thema wahrgenommen werden. Mit dem Wegfall des Stasi-Kinosaals ginge nicht nur der denkmalgeschützte Ort für die Vermittlungsarbeit der Gedenkstätte verloren, sondern es könnten dann auch keine Veranstaltungen und andere Angebote der politischen Bildung mehr durchgeführt werden. Daher ist die langfristige Nutzung des Kinosaals für die Arbeit der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ unverzichtbar.

Erfahrung von Diktatur und Friedlicher Revolution können die Demokratie heute stärken

Gedenkstätten an authentischen Orten des Unrechts wie hier in der ehemaligen Leipziger Stasi-Zentrale sind eminent wichtig, sowohl für die Zeitzeugengeneration als auch für die Nachgeborenen oder diejenigen, die die Diktatur nicht selbst erlebt haben. Ihr Funktionieren kann in Ausstellungen an solchen Orten in besonders eindrücklicher und glaubwürdiger Form vermittelt werden. Daher sind solche Orte zu erhalten und weiterzuentwickeln sowie die zivilgesellschaftlichen Initiativen entsprechend zu fördern. Die 1989/90 errungene Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit muss erhalten und diese Werte auch an künftige Generationen vermittelt werden.

Gerade in Zeiten der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzung sowie einer immer offener zu Tage tretenden Ablehnung der bestehenden demokratischen Strukturen und rechtstaatlichen Grundlagen in immer breiteren Teilen unserer Gesellschaft, aber auch auf dem Hintergrund beängstigender Entwicklungen in verschiedenen europäischen Staaten ist die Vermittlung demokratischer Werte aus der Erfahrung von Diktatur und Friedlicher Revolution besonders wichtig.

Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ als authentischen Ort des historischen Lernens und der Demokratiebildung sichern und weiterentwickeln

Das Bürgerkomitee Leipzig e.V. setzt alle Kräfte dafür ein, dass die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, die eine national und international anerkannte Einrichtung des historischen Lernens und der Demokratiebildung am authentischen Ort der früheren Stasi-Bezirksverwaltung in Leipzig ist, dauerhaft erhalten bleibt und weiterentwickelt wird.

Das Areal am Dittrichring sollte gemeinsam mit der Stadt Leipzig als Geschichtsort „SED-Diktatur – Friedliche Revolution – Aufarbeitung“ entwickelt werden. Dafür dürfen jetzt nicht wegen kurzfristiger Überlegungen wichtige bereits bestehende Grundlagen wie die Ausstellung zur Friedlichen Revolution oder der originale Stasi-Kinosaal geopfert werden.

Leipzig wird als „Stadt der Friedlichen Revolution“ wahrgenommen und sieht sich auch selbst so. Der Stadtrat hat den 9. Oktober als „Tag der Friedlichen Revolution“ zum städtischen Gedenktag erklärt – die jährlichen Feierlichkeit mit Rede zur Demokratie, Friedensgebt und Lichtfest sind inzwischen national und international bekannt. Auf dem Hintergrund dieser Bedeutung ist der Oberbürgermeister und der Leipziger Stadtrat aufgefordert Entscheidungen zu treffen, die der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ am authentischen Ort die notwendigen Arbeitsmöglichkeiten erhält und Voraussetzungen für künftige Weiterentwicklungen schafft sowie gleichzeitig ein Zukunftskonzept für das Schulmuseum, das nicht an diesen Ort der SED-Geheimpolizei gebunden ist, auf den Weg zu bringen.


Dateien:
pm_455_stasikinosaal.pdf154 K