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Montag, den 09. September 2002

Mehr als 50 Experten fordern Reform der Stasi-Akten-Behörde

Kategorie: Pressemitteilung
Von: Bürgerkomitee Leipzig e.V.
Offener Brief an Marianne Birthler

In einem offenen Brief forderte das Bürgerkomitee Leipzig heute die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, zu grundlegenden Reformen ihrer Behörde auf. Zu den mehr als 50 Unterzeichnern des Briefes gehören einige der renommiertesten Wissenschaftler auf dem Gebiet der DDR-Forschung, ferner die Vertreter zahlreicher Aufarbeitungsinitiativen sowie Publizisten, Archivare und andere Fachleute aus dem In- und Ausland.

Novelle des StUG sichert weitere Aufarbeitung

Der offene Brief spricht sich eingangs anerkennend zur konsequenten Haltung der Bundesbeauftragten im Rechtsstreit mit Helmut Kohl aus. Der Altbundeskanzler hatte im März vor Gericht erwirkt, dass Stasi-Akten über Personen der Zeitgeschichte faktisch gesperrt werden mussten und dadurch die Aufarbeitung der DDR-Geschichte ernsthaft gefährdet war. Marianne Birthler setzte sich daraufhin erfolgreich für eine Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ein. Am vergangenen Freitag (06.09.2002) trat die 5. Novelle zum Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) in Kraft, nachdem sie von Bundespräsident Johannes Rau unterzeichnet worden war. Dadurch wird einerseits durch Streichung von § 14 einer Vernichtung von Originalmaterial auf Antrag von darin genannten Personen ein Riegel vorgeschoben, andererseits wurde durch Präzisierung von § 32 eine sichere Rechtsgrundlage für den weiteren wissenschaftlichen und publizistischen Zugang zu den Stasi-Akten geschaffen. Das Bürgerkomitee Leipzig hat sich an der Diskussion um die Novellierung intensiv beteiligt und begrüßt die damit erreichte größere Rechtssicherheit.

BStU muss sich stärker als Archiv begreifen

Umso deutlicher tritt jetzt aber zutage, dass sich die Praxis der Behörde nach wie vor als ernsthaftes Hindernis für die Aufarbeitung erweist. Elf Jahre nach Öffnung der Akten haben sich die Anforderungen an die Behörde gewandelt. Die Überprüfungen im öffentlichen Dienst sind weitgehend abgeschlossen. Dagegen kommt der wissenschaftlichen und publizistischen Nutzung des überlieferten Archivguts zusehends mehr Gewicht zu. Der Unmut über die Erschwernisse beim Zugang zum BStU-Archiv hält jedoch seit Jahren an und ist häufig Gesprächsthema am Rande der einschlägigen Konferenzen und Veranstaltungen. Insbesondere viele junge Wissenschaftler scheuten sich bisher davor, ihre Probleme beim Aktenzugang öffentlich zu thematisieren, da sie Konsequenzen für ihre eigene Arbeit befürchteten. Nicht selten war der Eindruck entstanden, daß der Aktenzugang vor allem vom persönlichen "Draht" zum jeweiligen Sachbearbeiter abhängt. Die zentrale Forderung an die Bundesbeauftragte lautet daher, die Stasi-Akten-Behörde vor allem als Archiv zu begreifen und sich somit an den Bedürfnissen ihrer "Kunden" auszurichten. Undurchsichtige und umständliche Verwaltungsabläufe erschweren bisher die Nutzung der Akten. Mangelnde Recherchemöglichkeiten für Wissenschaftler, der fehlende Zugang zu den Erschließungskarteien und anderen Findhilfsmitteln sowie eine über die notwendige Anonymisierung hinausgehende Datenschwärzung werden als Beispiele überzogenen Sicherheitsdenkens in der Behörde genannt.

Brief ist Gesprächsangebot an Marianne Birthler

Der Brief könnte auch dazu beitragen, interne Diskussionen innerhal b der Behörde zu befruchten und jene zu stärken, die sich für mehr Transparenz einsetzen. Die Unterzeichner betrachten diesen als Ausdruck kritischer Solidarität und von der Überzeugung getragen, dass nur in einem Miteinander dieses Archiv sich nicht nur weiterentwickeln, sondern auch auf Dauer bewahrt werden kann. Der offene Brief enthält eine Vielzahl von Vorschlägen zur Verbesserung der Behördenpraxis und endet mit einer Gesprächsofferte an die Bundesbeauftragte. Zu einer ersten, und zugleich öffentlichen Aussprache wird es bereits am kommenden Freitag (13.09.2002) auf dem Deutschen Historikertag in Halle (Saale) kommen. Dort wird Marianne Birthler als Teilnehmerin an einer Podiumsdiskussion mit diesen Fragen aus den Reihen der Zeithistoriker und Nutzer "ihrer" Archive konfrontiert werden. Für das Leipziger Bürgerkomitee nimmt daran Johannes Beleites teil, der schon als Sachverständiger an der Novellierung des StUG mitwirkte.

Ansprechpartner für Rückfragen: Johannes Beleites, Tel.: 030/46606745; 0173/1899661