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Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

Auch im Jahr 2006 wollen wir wieder ein Stück zur Aufarbeitung der jüngsten deutschen Geschichte beitragen. Einen Überblick über die Veranstaltungen, zu denen wir in den kommenden Monaten einladen, erhalten Sie im Punkt Jahresvorschau. Bereits im Januar wollen wir über das Reisekadersystem der DDR diskutieren. Im März stellen wir Ihnen dann Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt zur deutsch-deutschen Geschichte vor. Zu Gast sein werden unter anderem die Autoren Ingo Schulze („Neue Leben“), Uwe Richter („Fluchten“) und Lutz Rathenow („Ost-Berlin“). Wir freuen uns auf Ihren Besuch!

 

Wir wünschen Ihnen und Ihrer Familie ein gesundes, zufriedenes und erfolgreiches neues Jahr und hoffen, dass Sie unsere Arbeit auch 2006 begleiten. Zunächst jedoch viel Freude beim Lesen des Newsletters.

Ihr Bürgerkomitee Leipzig

 

 

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INHALT

Wir laden ein

Jahresvorschau

Rückblick

Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung

Aus dem Gästebuch

 

 

 

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WIR LADEN EIN

 

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19.01.2005, 19.00 UHR

BUCHVORSTELLUNG UND DISKUSSION „DIE REISEKADER“

Nichts prägte die DDR mehr als ihre Grenzen. Eine entsprechend große Bedeutung hatte die Erlaubnis zum Reisen. Für Dienstreisen in das „nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet“ gab es ein strenges Auswahlverfahren, das den Kreis derer festlegte, die überhaupt einen Reiseantrag stellen durften: Die „Reisekader“ waren eine privilegierte Minderheit, die sich durch eine besondere politische Loyalität zum SED-Staat auszeichnete. Gleichwohl war das „Reisekadersystem“ ein Instrument, das zur Kontrolle und Disziplinierung der gesamten wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Elite in der DDR beitrug und den Kreis der Begünstigten in Abhängigkeitsverhältnisse brachte.

 

Im Mittelpunkt des Buches von Jens Niederhut steht die Funktionsweise des Reisekadersystems Am Beispiel der TU Dresden und des VEB Carl-Zeiss-Jena werden Auswahl und Schulung der Reisekader, die Rolle des Staatssicherheitsdienstes und das Berichtswesen analysiert. Schließlich wird den Fragen nachgegangen, welche Bedeutung die Reisekader in den Universitäten und Betrieben hatten und wie sie im Westen wahrgenommen wurden.

 

Jens Niederhut, 1975 in Berlin geboren, ist Historiker. Er studierte in Marburg und an der Freien Universität Berlin Geschichte, Politikwissenschaft und Klassische Philologie. Jens Niederhut veröffentlichte bereits mehrere Arbeiten zur DDR-Geschichte. 2003 war er Stipendiat der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Er promoviert derzeit an der Universität zu Köln.

 

Steffen Reichert, der im Anschluss an die Buchvorstellung mit dem Autor diskutieren wird, ist Journalist und Historiker. Er hat sich in seiner Promotion mit dem Einfluss des MfS auf die Universität Halle und somit auch auf das dortige Reisekadersystem beschäftigt.

 

PROGRAMM

 

Begrüßung

ANNEGRET GRIMM, Evangelische Verlagsanstalt Leipzig

 

Buchvorstellung

JENS NIEDERHUT, Buchautor

 

Diskussion

JENS NIEDERHUT, Buchautor

STEFFEN REICHERT, Journalist und Historiker

Moderation: MICHAEL BELEITES, Sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen

 

 

 

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JAHRESVORSCHAU

 

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Folgende Veranstaltungstermine für das Jahr 2005 stehen bereits jetzt fest:

 

16. – 19.03.2006

BETEILIGUNG AN „LEIPZIG LIEST“

Literarische Neuerscheinungen, die sich mit der DDR-Vergangenheit befassen, stellen wir Ihnen wieder im Rahmen der Reihe „Leipzig liest“ anlässlich der Leipziger Buchmesse vor. Das Bürgerkomitee gehört zu den jährlich mehr als 100 Vereinen, Initiativen, Museen und Kneipen der Stadt, die das mehrtägige Lesefest gestalten. 2006 lesen in der „Runden Ecke“ unter anderem die Autoren Ingo Schulze („Neue Leben“), Uwe Richter („Fluchten“) und Lutz Rathenow („Ost-Berlin“).

 

06.05.2006

BETEILIGUNG AN DER 7. LEIPZIGER MUSEUMSNACHT

Zum siebenten Mal findet im April die Leipziger Museumsnacht statt, in deren Rahmen die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ wie in den vergangenen Jahren wieder bis spät nachts ihre Türen öffnen wird.

Das Motto der „Nachtschicht2006“ lautet Transit. Diesen Titel aufgreifend wird das Bürgerkomitee in seiner Gedenkstätte wieder ausgewählte Objekte (auch aus dem Magazin) in den Mittelpunkt der Präsentation stellen. Vorgesehen sind unter anderem Erläuterungen zur Abteilung VI sowie zur Passkontrolleinheit der Staatssicherheit. Zusätzlich laden wir zu einem Filmabend im ehemaligen Kinosaal des MfS mit sonst selten gezeigten Originalaufnahmen beziehungsweise Spiel- und Dokumentarfilmen. Auch die ehemalige Hinrichtungsstätte in der Alfred-Kästner-Straße wird wieder geöffnet sein.

 

MAI / JUNI 2006

BEGLEITPROGRAMM ZUR FIFA-WELTMEISTERSCHAFT

Leipzig gehört zu den Austragungsorten der Fußball-Weltmeisterschaft. Im Vorfeld des Turniers lädt die „Runden Ecke“ zu einem breiten Veranstaltungsprogramm sowie zu Sonderführungen ein. Sie sollen die Leipziger und die Gäste der Stadt auf das Ereignis einstimmen. So steht im Mai jeweils montags eine Lesung bzw. ein Vortrag unter dem Motto „Rund um den Fußball in der ‚Runden Ecke’“ in den Ausstellungsräumen der Gedenkstätte auf dem Programm. Jeweils freitags finden Diskussionen bzw. eine lange Filmnacht im ehemaligen Stasi-Kinosaal statt. Gezeigt wird beispielsweise der deutsch-deutsche Fußballwettkampf von 1974. In der Halbzeit wird mit Experten über die „Aktion Leder“ – unter diesem Motto sicherte die Staatssicherheit das Spiel ab – debattiert. Eine weitere Veranstaltung wird sich mit der Frage beschäftigen, wie politisch unbequemen Fußballern in der DDR ihre Karriere verstellt wurde.

Sowohl vor als auch während der eigentlichen Meisterschaft werden zudem Führungen, Stadtrundgänge sowie ein Bustransfer zum Museum im Stasi-Bunker bei Machern angeboten

 

13.08.2006

LANGE FILMNACHT ZUM JAHRESTAG DES MAUERBAUS

Berlin war fast 30 Jahre lang eine geteilte Stadt. Doch der Bau der Mauer am 13.08.1961 hatte nicht nur Auswirkungen auf Berlin selbst, sondern auf die gesamte DDR. Mit der Abriegelung der gesamten innerdeutschen Grenze waren die Bürger in ihrem Land gefangen. Den Folgen des Mauerbaus wird eine lange Filmnacht in der „Runden Ecke“ mit Dokumentationen und Spielfilmen gewidmet sein.

 

10.09.2006

BETEILIGUNG AM TAG DES OFFENEN DENKMALS

(Motto: „Rasen, Rosen und Rabatten – Historische Gärten und Parks“)

Wie in den vergangenen Jahren beteiligt sich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke” mit dem Museum im Stasi-Bunker wieder mit Sonderöffnungszeiten und umfangreichen Zusatzangeboten wie Führungen, Sonderausstellungen und ähnlichem am Tag des offenen Denkmals.

 

07. – 09.10.2006

„HERBST ´89 – AUFBRUCH ZUR DEMOKRATIE“

Es ist Tradition geworden, dass Leipzig für das Gedenken an die Friedliche Revolution den 9. Oktober, der 1989 für die Stadt und die gesamte DDR zum „Tag der Entscheidung” wurde, wählt. Organisator der Reihe ist eine Initiativgruppe aus Leipziger Vereinen, Museen und der Stadt, deren Ziel es ist, die Erinnerung an den friedlichen Umbruch wach zu halten und Impulse für den Demokratisierungsprozess zu geben. Das Bürgerkomitee beteiligt sich wieder mit eigenen Veranstaltungen wie Buchpremieren, Filmnächten oder Podiumsdiskussionen an der Reihe.

 

09.11.2006

LANGE FILMNACHT ZUM JAHRESTAG DES MAUERFALLS

Der Fall der Berliner Mauer – und damit de facto das Ende der deutschen Teilung – ist im gesellschaftlichen Gedächtnis als einer der zentralen historischen Termine der Friedlichen Revolution verankert. Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ lädt aus Anlass des Jahrestags bereits zum dritten Mal zu einer langen Filmnacht mit Originalaufnahmen, Dokumentationen und Spielfilmen ein.

 

04.12.2006

17. JAHRESTAG DER BESETZUNG DER BEZIRKSVERWALTUNG FÜR STAATSSICHERHEIT

Jährlich zum 4. Dezember erinnert das Bürgerkomitee mit einer Veranstaltung an die Besetzung der Leipziger Bezirksverwaltung für Staatssicherheit und seine Gründung. Der inhaltliche Schwerpunkt für 2006 wird im Laufe des Jahres gesetzt.

 

Genaue Informationen zu den einzelnen Veranstaltungen erhalten Sie wie üblich in den folgenden Rundbriefen.

 

 

 

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RÜCKBLICK

 

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4. DEZEMBER 2005

MUT – FRAUEN IN DER DDR

An welche Episoden in ihrem Leben erinnern sich Frauen, die in der DDR im Widerstand aktiv waren? Bärbel Bohley bekam von der Stasi einen kleinen Hund geschenkt, der sie beschäftigen sollte. Ingrid Vitzthum beteuerte gegenüber „Freunden“, wie gut es ihr in der DDR gefiele und dass es wirklich dumm wäre dieses Land verlassen zu wollen. Kurz darauf erhielt sie ein Visum für ihren Urlaub in Rumänien. Monika Palm gründete mit drei Freunden eine „Zelle zur Auflösung des Staates“.

 

Alle drei Frauen konnten ihrem Widerstand in der DDR etwas Komisches abgewinnen. Damals, so meinte Bärbel Bohley während der Diskussion „Mut – Frauen in der DDR“ am 04.12.2005 in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, hätte sie viel mehr zu lachen gehabt als heute. Humor machte es möglich, den oft repressiven Alltag in der DDR und die Spitzeleien der Stasi zu ertragen.

 

Dass der Widerstand in der DDR auch alles andere als Komisch sein konnte, wurde im Laufe des Abends immer deutlicher. Die drei Frauen berichteten aus ihrem Leben; die beiden Schauspielstudentinnen Anja Taschenberg und Lissa Schwerm lasen zusätzlich aus deren Geschichten im kürzlich erschienenen Buch „Mut – Frauen in der DDR“. Alle drei Frauen, so ergab sich während der Diskussion, gelangten irgendwann an einen Punkt in ihrem Leben, an dem sie keine Möglichkeit mehr sahen, unter den gegebenen Bedingungen weiterhin in der DDR leben zu können. Ingrid Vitzthum stand vor der Wahl, sich anzupassen oder das Land zu verlassen. Frau Palm hätte für die weitere Arbeit als Pädagogin erhebliche Kompromisse eingehen müssen, und sah sich ebenfalls gezwungen, das Land zu verlassen. Bärbel Bohley wollte weiterhin in der DDR leben und suchte Freiräume in der Kunst, um ihr Leben auch nach ihrem eigenen Willen gestalten zu können.

 

Gerald Praschl – Mitherausgeber des Buches – moderierte das Gespräch und ging auf diese spezielle Situation der Frauen im Widerstand ein. Ingrid Vitzthum, die mehrere Fluchtversuche unternahm, Monika Palm, die in Berlin einen alternativen Kindergarten führte, und Bärbel Bohley, die in Oppositionsgruppen aktiv war, wurden streng von der Stasi überwacht. Alle drei Frauen mussten schließlich sogar Gefängnisaufenthalte hinnehmen und wurden zum Teil von ihren Kindern getrennt. Bärbel Bohley gab zu, sich der Gefahr damals nicht in vollem Ausmaß bewusst gewesen zu sein. Heute male sie sich oft aus, was alles hätte passieren können. Trotz allem waren sich die drei Frauen einig, dass sie heute wieder genauso handeln würden – ohne sich dafür als besonders mutig zu bezeichnen. Der Widerstand habe sich fast zwangsläufig aus der Situationen heraus ergeben. „Man ist in diese Opposition hineingewachsen“, so Bärbel Bohley.

 

Auf die Frage hin, ob sie sich in der Demokratie angekommen sehen, waren sich Ingrid Vitzthum, Monika Palm und Bärbel Bohley einig, dass es auch in der Bundesrepublik viele Probleme gebe, und auch dieses politische System hinterfragt und verbessert werden sollte.

 

Der Abend endete mit einem Aufruf zur Zivilcourage und der Aufforderung, politische und gesellschaftliche Entwicklungen stets kritisch zu hinterfragen. Eine Zuschauerin im Publik forderte dazu auf, mit dem Begriff „Zivilcourage“ sensibel umzugehen: Nicht alle, die diese in der DDR bewiesen hätten, könnten heute so gut mit den Konsequenzen umgehen, wie die drei Frauen im Podium.

 

 

 

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NEUES AUF DEM GEBIET DER AUFARBEITUNG

 

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DISKUSSION UM IM-VERGANGENHEIT DES ARD-SPORTJOURNALISTEN HAGEN BOSSDORF

Wer im Dezember die Zeitungsberichte und Interviews zur vermeintlichen IM-Vergangenheit des ARD-Journalisten Hagen Boßdorf verfolgte, konnte leicht zu dem Schluss kommen, es müsse irgendwo ein Handbuch „Wie leugne ich öffentlichkeitswirksam meine früheren MfS-Kontakte?“ existieren. Der Sportredakteur wurde laut Auskunft der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit geführt, und seine Abwehrargumente waren altbekannt: Die BStU sei ein „Jagdverein gegen Ostdeutsche“, und die Medien dichteten Boßdorf aus purer Sensationslust eine IM-Vergangenheit an.

 

Die Offensivtaktik, bei Stasi-Vorwürfen immer erst einmal der BStU und den berichtenden Journalisten unlautere Mittel vorzuwerfen, ist nicht neu und aus Hunderten ähnlichen Fällen in den vergangenen Jahren bekannt. Hagen Boßdorf konstruierte jedoch zusätzlich noch einen Ost-West-Konflikt, der in dieser Form nicht existiert und für die innere Einheit nicht eben förderlich sein dürfte: Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, so unterstellte er, habe die Diskreditierung von Ostdeutschen zum Ziel.

 

Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Die BStU ist ein Produkt des ostdeutschen Wunsches nach ehrlicher Aufarbeitung der diktatorischen Vergangenheit. Sie wurde – gegen den Willen der alten Bundesrepublik – von DDR-Bürgern mit Protesten, Demonstrationen und Hungerstreiks durchgesetzt, nachdem ein entsprechendes Gesetz der letzten frei gewählten Volkskammer nicht in den Einigungsvertrag aufgenommen worden war. Und deren Anliegen war es eben nicht, sämtliche Einwohner der DDR per se zu diskreditieren. Stattdessen sollten jene gerade einmal ein Prozent der Bevölkerung, die mit der Geheimpolizei der kommunistischen Diktatur zusammengearbeitet hatten, künftig aus Schlüsselpositionen des öffentlichen Lebens ferngehalten werden. Mit der publik gewordenen IM-Erfassung gehört Hagen Boßdorf offenbar zu jener Minderheit der DDR-Bürger.

 

Das Bürgerkomitee hält es daher für unsittlich und demagogisch, wenn Boßdorf nun die Ostdeutschen in ihrer Gesamtheit in Anspruch nimmt, um die allein gegen ihn gerichteten Vorwürfe als Kollektivschelte zu verbrämen. So mancher Betroffene der SED-Diktatur dürfte sich durch diese Inanspruchnahme nicht nur gründlich missverstanden, sondern tief beleidigt gefühlt haben. Hagen Boßdorf schlug damit in dieselbe Kerbe wie der Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi, der kürzlich die gescheiterte Wahl seines Fraktionskollegen Lothar Bisky ins Bundestags-Präsidium zum vermeintlichen Versuch der Ausgrenzung von Ostdeutschen aus dem politischen Leben stilisierte.

 

Die BStU stellt nach wie vor eine wichtige Institution zur Aufarbeitung der SED-Diktatur dar, und sie ist in den vergangenen Jahren bei der Herausgabe von Akten nicht etwa nachlässigerer, sondern vielmehr immer restriktiver verfahren. Dass Journalisten im Sinne der historischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung in MfS-Unterlagen einsehen dürfen, ist im Stasi-Unterlagen-Gesetz unmissverständlich geregelt. Der Vorwurf einer „Koalition von Journalisten […] und der Birthler-Behörde“ ist daher völlig unbegründet. Wenn Medienvertreter Akten erhielten, die Hagen Boßdorf selbst nicht vorlagen, so wird er dafür schlicht keinen entsprechenden Antrag bei der BStU gestellt haben.

 

Der Rundfunkrat des Norddeutschen Rundfunks (NDR), zu dem Boßdorf demnächst wechseln sollte, hat sich aufgrund der BStU-Unterlagen gegen einen Arbeitsvertrag mit dem Journalisten entschieden.

 

Die Pressemitteilungen des Bürgerkomitees zum Thema können Sie auf unserer Homepage lesen.

 

WICHTIGE QUELLE FÜR DDR-FORSCHUNG IN GEFAHR

Das Bürgerkomitee hat den Bundestag aufgefordert, sich für den Erhalt eines zentralen Dokuments der DDR-Geschichte einzusetzen. Es handelt sich um Auszüge aus dem Zentralen Einwohnermelderegister (ZER) der DDR. Diese Datenbank ist ein wichtiges Recherchemittel bei der historischen, juristischen und persönlichen Aufarbeitung der SED-Diktatur. Laut Stasi-Unterlagen-Gesetz dürfte es nur noch bis 31.12.2005 genutzt werden. Das Bürgerkomitee hat den Gesetzgeber aufgefordert, diese Befristung ersatzlos zu streichen.

 

In der DDR existierte seit 1970 ein zentrales Melderegister, in dem sämtliche Bürger des Landes auf Basis einer Personenkennzahl (PKZ) erfasst waren. Mit der Wiedervereinigung wurde das bundesdeutsche, föderale Meldesystem aufgebaut. In der Übergangszeit führten die Behörden das Einwohnermelderegister der DDR noch weiter; danach – so bestimmte es der Einigungsvertrag – war dessen Nutzung untersagt.

 

Kurz bevor das Melderegister endgültig geschlossen wurde, erkannten unter anderem Staatsanwaltschaften und Gerichte, dass in vielen Fällen allein die Personenkennzahl eine eindeutige Identifikation von Bürgern zuließ, die in der DDR gemeldet waren. Daher wurde das Stasi-Unterlagen-Gesetz in §2 um einen Absatz 2 ergänzt. Dieser ermöglicht der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) ausdrücklich, einen begrenzten Teil der Informationen (Name, Personenkennzahl, Geburtsort und letzte Anschrift sowie gegebenenfalls das Merkmal „verstorben“) des zentralen Einwohnermelderegisters zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu nutzen. Die Angaben befinden sich auf dem Stand von 1992.

 

Die Nutzung dieser Informationen war von Anfang an zeitlich beschränkt. Nachdem die Frist bereits zweimal verlängert wurde, läuft sie nun zum 31.12.2005 aus. Da das Register jedoch ein unersetzbares Findhilfsmittel bei den Recherchen in den Stasi-Akten darstellt, muss die Nutzungsfrist ersatzlos gestrichen werden. Dafür gibt es vielfältige Gründe:

 

• Die eindeutige Identifizierung von Personen ist in vielen Fällen nur über die Personenkennzahl möglich, da in DDR-Dokumenten oft auf die Angabe des Geburtsorts verzichtet wurde. Somit ist bei Gleichheit des Namens und des Geburtstages (eine durchaus häufig auftretende Konstellation) keine eindeutige Zuordnung möglich.

• Das Ministerium für Staatssicherheit stattete zur Legendierung Hauptamtliche und Inoffizielle Mitarbeiter mit falschen Dokumenten und Personalien aus. Die betreffenden Personen erhielten dazu auch – real existierende – Personenkennzahlen. Diese Doppel-Identitäten lassen sich in der Regel nur mithilfe der ZER-Daten eindeutig aufklären.

• Die Daten aus dem Zentralen Einwohnermelderegister sind wichtig für die historische Forschung zu Ausländern, die zeitweise in der DDR lebten. Auch sie waren mit einer Personenkennzahl im ZER erfasst. Eine andere Quelle, aus der ihr Aufenthalt in der DDR hervorginge, existiert nicht. Die betreffenden Informationen können sogar im Bereich der Terrorismusbekämpfung von Bedeutung sein, hielten sich in der DDR doch bekanntermaßen auch Mitglieder von militanten islamischen Gruppen auf.

• Für bestimmte Personengruppen, die für die zeitgeschichtliche Forschung von besonderem Interesse sind, bildet das ZER ebenfalls eine wichtige Recherchegrundlage. Dies gilt beispielsweise für die in der DDR Hingerichteten. Das Ministerium für Staatssicherheit verschleierte in der Regel, wann, wo und unter welchen Umständen diese Personen zu Tode gekommen waren. Nur über das Melderegister kann der fiktive aber beurkundete Todesort ermittelt werden, von dem ausgehend dann weitere Recherchen möglich sind. Für Recherchen zu den Toten an der innerdeutschen Grenze sind die Informationen des ZER von ebenso fundamentaler Bedeutung.

 

Die Nutzung der bei der BStU erhaltenen Teilinformationen aus dem Melderegister muss auch weiterhin möglich sein und ist darüber hinaus inzwischen völlig unbedenklich. Bildete das ZER bis 1990 die Basis für einen praktisch vollkommen gläsernen Bürger, ist die Datei inzwischen risikolos nutzbar, da sie seit fast 15 Jahren nicht mehr weitergeführt wird.

 

Sollte eine Entfristung nicht möglich sein, dann darf die Datenbank unter keinen Umständen vernichtet, sondern muss zumindest ans Bundesarchiv übergeben werden. Schließlich handelt es sich bei dieser, der BStU vorliegenden Fassung offenbar um die einzige noch erhaltene dieses überaus wichtigen und zentralen Dokuments zur DDR-Geschichte.

 

Leider gelang es bis Jahresende nicht, das StUG zu ändern. Der Bundestag ist aufgefordert, das Gesetz nun umgehend und unabhängig von möglicherweise noch zusätzlichem Änderungsbedarf zu novellieren.

 

 

 

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AUS DEM GÄSTEBUCH

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

 

Viele unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch und schreiben hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben. Unter dieser Rubrik wollen wir monatlich einige dieser Einträge an Sie weitergeben.

 

„Ich war schon einmal hier, aber es ist immer wieder interessant und bedrückend zu sehen, was hinter der DDR-Propaganda wirklich vor sich ging. Auf jeden Fall weiter zu empfehlen.“

Eintrag vom 19.11.2005 von einem Besucher aus Aschersleben

 

„Erst heute wird mir Bewusst, das diese Menschen wirklich alles von uns und über uns wussten, wie sie uns von Kind an manipuliert haben… Einfach erschreckend! Ich bin froh, daß meine Tochter dies nicht mehr erleben musste.

Eintrag vom 19.11.2005 von eine deutsche Besucher aus Schweden

 

„Ich bin das 3. Mal hier und stets, immer wieder tief beeindruckt von den ‚Stasi-Aktivitäten’ von denen man ein eindrucksvolles, sachlich gut demontiertes und durch Führung mitgeteiltes Bild und Vorstellung erhält.“

Eintrag vom 30.11.2005

 

„Gut, dass nichts vergessen wird und dass auch unsere Kinder noch nachvollziehen können, welches Leid und Unrecht Menschen angetan wurde, in welcher Angst und Unsicherheit man leben musste! Danke!“

Eintrag vom 04.12.2005 von einem Besucher aus Wuppertal

 

„Es ist wichtig, dass es diese Ausstellung gibt. Es gibt auch keine Rechtfertigung für das, was die Stasi gemacht hat. Ich wünschte mir jedoch, dass der letzte Satz auf der Tafel zum Thema ‚Sehnsucht nach der Diktatur?’ relativiert würde: ‚was es wirklich bedeutete als Oppositioneller in einer Diktatur zu leben.’ Es darf nicht ausgespart bleiben, dass es für viele Menschen einen Alltag gab, der nicht ständig und andauernd von dieser Diktatur beeinflusst war. Ich möchte nicht als zu bemitleidendes Opfer betrachtet werden – was für Unbeteiligte aber sehr nahe liegt, wenn pauschale Einschätzungen vermittelt werden.“

Eintrag vom Dezember 2005 von einem Besucher aus Kairo

 


 



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Die Arbeit des Bürgerkomitees wird gefördert durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf der Grundlage eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst sowie durch die Stadt Leipzig und den Kulturraums Leipziger Raum.

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Bürgerkomitee Leipzig e.V.
für die Auflösung der ehemaligen Staatssicherheit (MfS)
Träger der Gedenkstätte
Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker
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