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Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

wie soll die Gedenkstätten- und Erinnerungslandschaft der Bundesrepublik künftig aussehen? Darüber wird momentan kontrovers debattiert. Neuen Diskussionsstoff lieferten die Empfehlungen der Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die das Gremium Mitte Mai veröffentlichte. Zahlreiche Institutionen haben sich auf das Papier hin zu Wort gemeldet, darunter auch das Bürgerkomitee. Mehr dazu erfahren Sie im Punkt „Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung“.

 

Wir wünschen Ihnen interessante Lektüre.

Ihr Bürgerkomitee Leipzig

 

 

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INHALT

Wir laden ein

Rückblick

Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung

Aus der Arbeit der Gedenkstätte

Aus dem Gästebuch

 

 

 

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WIR LADEN EIN

 

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LEIPZIG FUSSBALL ERLEBEN

Im Juni heißt die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ die Teilnehmer der Fußball-Weltmeisterschaft herzlich in der Stadt der Friedlichen Revolution willkommen. Von Leipzig gingen 1989 wichtige Impulse für den demokratischen Aufbruch im ganzen Land aus. Zu den historischen Schauplätzen gehört die „Runde Ecke“, die ehemalige Bezirksverwaltung für Staatssicherheit. Heute befindet sich in den originalen Räumen eine Gedenkstätte. Ein Rundgang durch die Dauerausstellung vergegenwärtigt, wie die SED ihren Überwachungsstaat aufbaute und die DDR-Bürger systematisch ihrer Grundrechte beraubte. Gleichzeitig ist die „Runde Ecke“ ein Symbol für die friedliche Selbstbefreiung des Volkes von der Diktatur. Zur Fußball-Weltmeisterschaft laden wir zu zahlreichen Sonderterminen ein:

 

9., 13., 16., 20. und 23. JUNI 2006, 21.00 UHR

ENGLISCHE FILMNÄCHTE

Speziell für die internationalen Gäste der Weltmeisterschaft zeigen wir im ehemaligen Stasi-Kinosaal Filme zur Friedlichen Revolution und zum Schicksal der Protagonisten in englischer Sprache.

 

THE BURNING WALL

Er war der beste Dokumentarfilm beim Hollywood Film Festival 2002, noch im selben Jahr lief er bei der Berlinale. „The burning wall“ von Hava Kohar Beller erzählt die Geschichte von Künstlern, Schriftstellern, Musikern und Dichtern, die im Stillen die wachsende Opposition in der DDR formierten; gleichzeitig gibt er die Sicht jener Menschen wieder, die für die Unterdrückung ihrer Mitbürger verantwortlich waren. Diese Interviews, eingebettet in Archivmaterial, verfolgen den Weg der Opposition in der DDR im Kontext des Weltgeschehens, die schließlich die Berliner Mauer zum Einsturz brachte.

 

Anliegen der New Yorker Regisseurin ist es nicht, anzuklagen oder zu verdammen, sondern in gelassener Unparteilichkeit die Geschichte jener Menschen zu erzählen, die sich in einem totalitären Staat vor Willens- und Gewissensentscheidungen gestellt sahen und sich gegen ein bequemes Mitmachen entschieden. Der Film erinnert damit auch daran, dass Mut und Zivilcourage immer wieder von neuem gefordert sind.

 

WIR SIND DAS VOLK

PEACEFUL REVOLUTION AND GERMAN REUNIFICATION

Der 9. Oktober wurde in Leipzig zum Tag der Entscheidung. 70.000 Demonstranten mussten an diesem Montag damit rechnen, dass die „bewaffneten Organe“ ihnen mit Gewalt entgegen treten würden. Doch die Staatsmacht hatte den friedlich protestierenden Massen nichts mehr entgegen zu setzen.

 

Die Dokumentation erinnert in außergewöhnlicher Weise an die Ereignisse des Leipziger Herbstes 1989. Als Gegenstück zu bewegenden Archivaufnahmen und Interviews mit den Beteiligten sind Ausschnitte aus einem erstklassig besetzten Gedenkkonzert in der Leipziger Nikolaikirche zu sehen und zu hören, das am 9. Oktober 1999 stattfand. Die beiden sehr unterschiedlichen Bestandteile verwebt der Film zu einem ebenso emotionalen wie informativen Gedenken an die gesellschaftsverbändernden Ereignisse des Herbstes ´89.

 

 

Während der Wettkämpfe in Leipzig laden wir außerdem zu verlängerten Öffnungszeiten sowie zahlreichen Sonderführungen und –stadtrundgängen ein. Alle Termine finden Sie im Abschnitt „Aus der Arbeit der Gedenkstätte“.

 

 

10., 17. UND 25. JUNI 2006, 14.00 UHR

MIT DEM BUS ZUM MUSEUM IM STASI-BUNKER MACHERN

Dreimal besteht im Juni die Möglichkeit, mit dem Bus von Leipzig ins Museum im Stasi-Bunker bei Machern zu gelangen. Weitere Termine für einen Besuch des außerhalb Leipzigs gelegenen Museums ohne Auto werden der 29. Juli, der 26. August und der 23. September 2006 sein. Hin- und Rückfahrt sowie eine Führung durch den Bunker, die ehemalige Ausweichführungsstelle des Leiters der Leipziger Stasi-Bezirksverwaltung, sind in dem Angebot inbegriffen. Abfahrt ist jeweils 14.00 Uhr an der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke” am Dittrichring 24.

 

Die Busfahrt kostet 10,00 €, die Führung durch den Bunker 3,00 € (ermäßigt 2,00 €). Karten für den Bustransfer gibt es im Vorverkauf am Büchertisch der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke”. Reservierungen sind ebenfalls unter der Tel.- Nr.: 0341/ 9612443 möglich. Kurzentschlossene können sich auch am Sonnabend noch direkt im Museum melden.

 

 

 

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RÜCKBLICK

 

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6. MAI 2006

SIEBENTE LEIPZIGER MUSEUMSNACHT – THEMA „TRANSIT“

Der Transitreisende W. hatte in seinem Mercedes gefährlich subversive Waren in die DDR geschmuggelt: 7 Liebesromane, 3 Zeitschriften, 20 Zigaretten, diverse Kleidungsstücke und Lebensmittelkonserven sowie 8 Bananen. Insgesamt 24 verschiedene Positionen beschlagnahmter Güter, sorgfältig durchnummeriert und in ein Formblatt aufgenommen, enthält der „Beschlagnahme-Einziehungs-Bescheid“ vom 08.04.1973, den die Zollverwaltung Potsdam ausgestellt hatte. Hintergrund der Akte: Der Bundesbürger W. hatte sich brieflich mit Bekannten aus der DDR an der Autobahnraststätte Michendorf verabredet. Im Gepäck transportierte er diverse Güter, die im kommunistischen Nachbarland als Mangelware galten. Die zuständige Hauptabteilung VI der Staatssicherheit, über das geplante Treffen vorher informiert, vereitelte jedoch die Übergabe: Sie zog alle Mitbringsel ein, verhörte die DDR-Bürger und legte zu der vermeintlichen Lappalie einen siebenseitigen Bericht an.

 

Diese und ähnliche Begebenheiten rund um das Thema „Transit“ stellte die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ während der siebenten Leipziger Museumsnacht am 06.05.2006, vor. „Was von drüben kommt, kommt vom Feind“, lautete das Motto, unter dem die Dauerausstellung der „Runden Ecke“ anlässlich der „Nachtschicht“ um zahlreiche Objekte, Dokumente und Fotografien aus dem Magazin ergänzt wurde. Zu erfahren war unter anderem, wie die Mitarbeiter der Staatssicherheit – getarnt als normale Grenzer – die Ein- und Ausreisenden kontrollierte und wie penibel sie den Transitverkehr überwachten. Einen der Schwerpunkte bildete auch die Grenzübergangsstelle (GüSt) am Leipziger Flughafen, die einzige GüSt im Bezirk Leipzig. Ebenfalls im Blickpunkt standen die Themen Flucht und Festnahme. Zu sehen waren Exponate, die normalerweise hinter verschlossenen Türen im Museumsmagazin lagern, so etwa ein Unterbodenspiegel der Zollkontrolle, ein Passkontrollkoffer, ein Gerät zum Abfotografieren von Pässen, eine originale Uniform und ein Schusskoffer „Mittel I/S“ – ein Diplomatenkoffer mit eingebauter Maschinenpistole, Marke Skorpion.

 

Viele Tafeln und Ausstellungsstücke sind inzwischen in die Dauerausstellung der Gedenkstätte aufgenommen und können somit längerfristig besichtigt werden.

 

Wie man die Deutsche Demokratische Republik schon an den Grenzübergängen wirksam vorm Feind schützen konnte, darüber informierten sich die zuständigen Mitarbeiter der Staatssicherheit unter anderem in eigens gedrehten Schulungsfilmen. Einige dieser Lehrmaterialien waren während einer langen Filmnacht im ehemaligen Stasi-Kinosaal zu sehen und gaben tiefe Einblicke in das ideologische Selbstverständnis der DDR-Führung. Außerdem liefen Dokumentationen und Spielfilme zu den Themen Transit und Flucht.

 

Auch die ehemalige Hinrichtungsstätte in der Alfred-Kästner-Straße war zur Museumsnacht wieder geöffnet. Hier wurden von Beginn der 60er Jahre bis zur Aufhebung der Todesstrafe 1987 die Todesurteile für die gesamte Deutsche Demokratische Republik vollstreckt. Besucher wurden durch die originalen Räume geführt und konnten eine Werkausstellung zum Thema „Todesstrafe in der DDR – Hinrichtungen in Leipzig“ besichtigen.

 

Mehr als 2.000 Besucher kamen zur Museumsnacht in die „Runde Ecke“ und die ehemalige Hinrichtungsstätte.

 

 

12. MAI 2006

LANGE FUSSBALL-FILMNACHT

Zahlreiche Dokumentar- und Spielfilme widmen sich dem Ballsport, der weltweit die Massen mobilisiert. Drei davon – die sich speziell der Frage nach dem Fußball in totalitären Systemen widmen – liefen zum Auftakt der Reihe „Fairplay im Abseits? Fußball und Diktatur“ im ehemaligen Stasi-Kinosaal:

 

DIE TODESELF

Die Geschichte eines Fußballspiels: In einer dramatischen Rekonstruktion der Partie zwischen dem ukrainischen Zwangsarbeiterteam „FC Start“ und der deutschen Luftwaffenmannschaft „Adler“ erzählt der Film vom Zusammenspiel zwischen Fußball und Nationalsozialismus, von Mut und Macht, von roten Trikots und den fatalen Konsequenzen des Spiels. Deutschland 2005 (Regie: Claus Bredenbrock)

 

ZWEI HALBZEITEN IN DER HÖLLE

Schauplatz des Films ist ein deutsches Arbeitslager in der Ukraine während des Zweiten Weltkrieges. Der Gefangene und frühere Fußballstar Onodi wird aufgefordert, ein Fußballteam aus Gefangenen zusammenzustellen, um an Hitlers Geburtstag zur allgemeinen Belustigung gegen die Wachmannschaft anzutreten. Onodi geht auf die Forderung ein, obwohl er weiß, dass er in so kurzer Zeit aus unterernährten Häftlingen keine ernstzunehmenden Fußballer machen kann. Weil das Fußballtraining gegenüber der schweren Zwangsarbeit Erleichterung und mehr Essen bedeutet, schafft Onodi es, genügend Gefangene für seine Mannschaft zu gewinnen. Als die beim Training nachlässig bewachten Fußballer einen Fluchtversuch wagen, der jedoch scheitert, müssen sie mit drakonischen Strafen rechnen. Doch das geplante Match soll vor den geladenen Festgästen über die Bühne gehen. (Ungarn 1961, Regie: Zoltan Fabri)

 

„TOD DEM VERRÄTER“ – DER FALL LUTZ EIGENDORF

Nach dem Freundschaftsspiel beim 1.FC Kaiserslautern am 20. März 1979 bat der sechsfache Fußballnationalspieler der DDR, Lutz Eigendorf vom Tabellenführer Dynamo Berlin, um politisches Asyl in der Bundesrepublik. Das große Talent des DDR-Fußballs nutzte einen Stadtbummel in Gießen zur Flucht.

Von diesem Tag an versuchte das Ministerium für Staatssicherheit auf vielfältige Weise, den „Verräter“ unter Kontrolle zu bekommen. Ein Stasi-Spitzel aus Duisburg kundschaftete Eigendorfs Lebensgewohnheiten in Kaiserslautern aus, wo er beim 1.FC eine Anstellung gefunden hatte. Ebenso wurde die in Ost-Berlin lebende Ehefrau von Lutz Eigendorf rund um die Uhr überwacht. Vier Spitzel lieferten dem MfS alle Daten und Fakten über das neue Leben von Lutz Eigendorf. Am 5. März 1983 verunglückte der Fußballer tödlich.

Im Mittelpunkt des Filmes stehen die Jahre 1979 bis 1983. Dokumentiert werden die außergewöhnlichen Anstrengungen der Stasi, um ihren ehemaligen Günstling „zur Strecke zu bringen“. Zahlreiche Dokumente und Zeitzeugenaussagen, unter anderem. der beiden Ehefrauen Eigendorfs, lassen an der Version zweifeln, Eigendorf sei wegen Alkohol am Steuer tödlich verunglückt. (Deutschland, Regie: Heribert Schwan)

 

 

15. MAI 2006

DER MANN, DER DEN FUSSBALL NACH DEUTSCHLAND BRACHTE – DAS LEBEN DES WALTHER BENSEMANN

Im ausgehenden 19. Jahrhundert hatte der Fußball in Deutschland einen schweren Stand. Undiszipliniert sei diese Sportart, außerdem trügen die Spieler anstößig kurze Hosen. Wo man den Anblick preußisch korrekter Turner gewohnt war, versuchte ein Einzelkämpfer, das aus England stammende Ballspiel zu etablieren. Walther Bensemann kann mit Recht als einer der Urväter des deutschen Fußballs bezeichnet werden – und ist doch heute weitgehend in Vergessenheit geraten.

 

Pünktlich zur Fußball-Weltmeisterschaft ist nun ein Buch erschienen, in dem das Leben des Walther Bensemann ausführlich aufgerollt wird. Autor Bernd Beyer stellte seinen biografischen Roman am 15.05.2006 in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ vor. Die Veranstaltung war Teil der Reihe „Fairplay im Abseits? Fußball und Diktatur“.

 

Bensemann, 1873 als Sohn einer jüdischen Bankiersfamilie in Berlin geboren, erhielt schon früh eine internationale Prägung. Dabei lernte er auch den Fußball kennen, der seinerzeit in Deutschland noch unbekannt war. Schon mit 14 Jahren hatte ihn an seiner englischen Schule in der französischsprachigen Schweiz die Begeisterung für den Ballsport so sehr gepackt, dass er einen Verein ins Leben rief. Zurück in Deutschland stieß er unermüdlich die Gründung weiterer Vereine an, darunter die Vorläufer von bis heute namhaften Mannschaften wie Eintracht Frankfurt und Bayern München. Bensemann organisierte 1899 auch die ersten internationalen Fußball-Begegnungen überhaupt, bei denen die deutsche Mannschaft sensationell verlor, teilweise mit einem Ergebnis von 2 : 13.

 

Der Begeisterung Bensemanns für den Sport tat dies keinen Abbruch. Bis zur Jahrhundertwende managte er nicht nur, sondern war auch auf dem Spielfeld aktiv. Da er die deutschen Auswahlmannschaften bei Länderturnieren in der Regel persönlich zusammenstellte, konnte er sich selbst stets als Stürmer nominieren. Dass dies für die Spielqualität förderlich war, darf laut Autor Bernd Beyer zumindest angezweifelt werden.

 

1900 verließ Bensemann für 13 Jahre Deutschland. Er fühlte sich nicht für einen Funktionärsposten beim gerade gegründeten Deutschen Fußballbund (DFB) geeignet und verdingte sich stattdessen als Sprach- und Sportlehrer in Großbritannien. Dem Fußball blieb er dennoch verbunden. Als echter Weltbürger sah er ihn als ein Mittel zur Völkerverständigung – eine in Zeiten imperialistischen Säbelrasselns fast revolutionäre Idee, die ihm auch zahlreiche Anfeindungen einbrachte. Bensemann blieb seiner Mission jedoch treu. 1920 gründete er in Konstanz die Fußball-Zeitschrift „Kicker“, in der er scharf polarisierte und gegen die deutsche Nationaltümelei anschrieb.

 

Ständig unterwegs, zuhause in Eisenbahnwaggons und Hotels, nie Besitzer einer eigenen Wohnung, stets in Kontakt mit den führenden Köpfen des Weltfußballs – so war Walther Bensemann der zeitgenössischen Öffentlichkeit bekannt. Enge Freunde kannten ihn jedoch auch als melancholischen, teils depressiven Menschen, der in späteren Jahren zusätzlich von Geldsorgen geplagt wurde. Die zunehmend nationalistische Strömung in Deutschland machte ihm als kosmopolitisch geprägten Menschen emotional zu schaffen; mit den Parolen der 1933 an die Macht gekommenen Partei konnte er nichts anfangen. Bensemann verließ seine Heimat bereits im Frühjahr 1933 und siedelte in die Schweiz über. Dort unterstützte ihn ein alter Schulfreund, der inzwischen Generalsekretär der FIFA geworden war.

 

 

19. MAI 2006

FUSSBALL IN DER DIKTATUR

„Fußball ist keine Frage von Leben und Tod, sondern weitaus ernster.“ Diese mit einer gehörigen Portion Selbstironie geprägte Weisheit eines englischen Fußballmanagers erweist sich beim Blick auf die Rolle des Ballsports in totalitären Systemen als erschreckende Wahrheit. Sowohl in der NS-Diktatur als auch in der DDR wurde der Fußball – dank seiner Massenwirkung besonders dafür geeignet, politische Botschaften zu verbreiten – von den Machthabern zu eben diesem Zweck genutzt.

 

Moderiert von Prof. Günther Heydemann (Universität Leipzig, Historisches Seminar) debattierten am 19.05.2006 zwei Experten in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ über die politische Rolle des Fußballs in den beiden deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Dr. Nils Havemann, Autor des Buches „Fußball unterm Hakenkreuz“, beschrieb dabei, wie die Nationalsozialisten den Deutschen Fußballbund (DFB) zum Propagandainstrument umfunktionierten. Über die ideologische Durchdringung des Fußballs in der DDR sprach Dr. Hanns Leske, Autor des Bandes „Erich Mielke, die Stasi und das runde Leder“.

 

Wenngleich sich die führenden Nationalsozialisten laut Havemann herzlich wenig für Fußball – und stattdessen mehr für technische und Kampfsportarten interessierten – erkannten sie doch das enorme Potential des Sportes in Sachen Propaganda. So dauerte es denn nicht lange, dass rund um die Spiele NS-Symbole, Marschkappellen und ähnliches auftauchten. Die meisten Fußballfunktionäre hatten mit der NS-Ideologie offenbar wenig im Sinn, konnten sich dieser aber keinesfalls entziehen. Groß war im Fußball die Begeisterung für Adolf Hitler, weil man sich von ihm einen Ausweg aus der allgemeinen finanziellen Krise, die Anfang der 30er Jahren zum reihenweisen Pleite von Clubs geführt hatte, erhoffte. Tatsächlich waren diese Geldnöte 1933 größtenteils beseitigt. Was sie mir ihrer Kollaboration anrichteten, darüber machten sich die meisten Aktiven angesichts des wirtschaftlichen Aufwärtstrends keine Gedanken. So rief der „Ariererlass“ von 1933, der jüdische Funktionäre ausschloss, keine nennenswerten Proteste hervor. 1936 bis 1938 bauten die Machthaber den Deutschen Fußballbund schrittweise zu einem staatlichen Verein um.

 

In der DDR führte die Gleichschaltung des Fußballs dazu, dass die nach dem Krieg mühsam wieder aufgebauten Vereine in Industriesportgemeinschaften umgewandelt worden, zu erkennen an Namen wie „Motor“, „Stahl“ oder „Industrie“. In allen Vereinen des Spitzen- und Leistungsfußballs agierten zur „Absicherung“ Hauptamtliche und Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit. Den Forschungsergebnissen von Hanns Leske zufolge gelang es der SED dennoch nie, den Fußball vollständig ideologisch zu durchdringen. So nutzen trotz „Reisekaderabsicherung“ und penetranter ideologischer Bestrahlung immer wieder einzelne Spieler Auslandswettkämpfe, um sich in die Bundesrepublik abzusetzen.

 

Einen besonderen Status hatte der BFC Dynamo – sowohl was seine Erfolgsbilanz als auch den Grad an Überwachung anbelangt. In den 80er Jahren, schätzte Leske, bestand die Mannschaft zu zwei Dritteln aus IM, einschließlich des Trainers und des Arztes. Als Lieblings- und quasi ministeriumseigener Club von Stasi-Chef Erich Mielke wurde das Team auch gezielt bevorteilt. Zehn mal wurde der BFC Dynamo DDR-Meister – nur sechs der Titel seien sportlich gerechtfertigt gewesen, urteilte Leske. Die übrigen kamen unter anderem durch Manipulationen zustande: Schiedsrichter pfiffen für den Club aus der Hauptstadt; gegnerische Mannschaften wurden jeweils im Spiel vor der Begegnung mit Dynamo gezielt geschwächt – durch dubiose Platzverweise für Leistungsträger des Teams. Einen dieser Manipulationsfälle hat Leske genauer untersucht: Vor einer Begegnung zwischen den Berlinern und Dynamo Schwerin im Jahr 1968 erhielten die Schweriner Spieler unverblümt die Anweisung, die Partie zu verlieren. Das Vorhaben scheiterte allerdings an der mangelnden politischen Erziehung der Mannschaft, die sich nicht an die Vorgabe hielt.

 

Ob der deutsche Fußball etwas aus der Vereinnahmung in den beiden Diktaturen gelernt habe, wollte Moderator Günther Heydemann abschließend wissen. Nils Havemann hatte daran seine Zweifel. Nach 1945, so berichtete er, habe sich der Deutsche Fußballbund sehr schnell neu organisiert und dabei fast vollständig auf das Personal aus NS-Zeiten zurückgegriffen. Positiv zu erwähnen immerhin, dass Havemanns Publikation vom DFB finanziert wurde, und dieser vollkommen von Eigeninteressen der Organisation unbeeinflusst forschen konnte.

 

 

21. MAI 2006

SONDERFÜHRUNGEN ZUM INTERNATIONALEN MUSEUMSTAG

„Hiermit erkläre ich, dass ich zur Zeit keine Freundin und keinen festen Freund habe, und ich verpflichte mich, in dieser Beziehung auftretende Veränderungen bis zu meiner Einstellung in die Diensteinheiten des MfS sofort dem zuständigen Mitarbeiter mitzuteilen.“ Eine solche Erklärung musste abgeben, wer sich als Jugendlicher für den späteren Dienst bei der Geheimpolizei der DDR verpflichtet hatte. Die Staatssicherheit behielt den Anwärter fortan wachsam im Auge und begann, seine Entwicklung einschließlich seines Privatlebens zu steuern.

 

Diese und andere Informationen zum Thema „Jugendliche im Visier der Stasi“ erhielten die Besucher der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ am 21.05.2006, dem Internationalen Museumstag. Er stand unter dem Motto „Museen und junge Besucher. Während der drei Sonderführungen war nicht nur von der Anwerbung neuer Mitarbeiter unter Minderjährigen zu hören, sondern unter anderem auch davon, wie das MfS bereits Jugendliche überwachte oder wie ein kritischer Schulaufsatz in der Stasi-Bezirksverwaltung landen und den kompletten Sanktionsapparat in Gang setzen konnte.

 

 

26. MAI 2006

90 MINUTEN KLASSENKAMPF – DAS DEUTSCH-DEUTSCHE FUSSBALL-DUELL BEI DER WM 1974

„Das 1:0 gegen die Mannschaft der BRD war für die DDR ein vorgezogenes Endspiel.“ Den Politfunktionären, so erinnert sich der frühere DDR-Nationalspieler Wolfram Löwe, lag der Ausgang der deutsch-deutschen Begegnung während der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 wesentlich mehr am Herzen, als der Turniersieg. Nachdem das Spiel gewonnen war, hatte die Mannschaft ihr Plansoll erfüllt, berichtete Löwe, der am 26.05.2006 zu Gast bei der Veranstaltung „90 Minuten Klassenkampf“ in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ war. Taktisch sei der Sieg in der Vorrundenpartie hingegen eher von Nachteil gewesen. Er bescherte der Mannschaft in der Folge so starke Gegner wie Argentinien, die Niederlande und Brasilien.

 

Eine Aufzeichnung des ersten – und auch letzten – deutsch-deutschen Länderspiels überhaupt, das Jürgen Sparwasser mit einem späten Treffer für die DDR-Auswahl entschied, lief ihm Rahmen der Reihe „Fairplay im Abseits? Fußball und Diktatur“ im ehemaligen Stasi-Kinosaal. In der Halbzeit diskutierten Wolfram Löwe sowie Thomas Blees, der Autor des Buches „90 Minuten Klassenkampf“, über die ideologischen Rahmenbedingungen der Partie. Wie Blees erläuterte, hatte die Begegnung offenbar für beide Seiten außerordentliches politisches Gewicht: Auf der Tribüne saß nicht nur hohe DDR-Politprominenz, sondern auch der frisch gewählte Bundeskanzler Helmut Schmidt im Kreise seines fast vollständigen Kabinetts.

 

„Warum wir 3:1 gewinnen“, hatte die „Bild“ noch am Tag des Spiels getitelt – dabei hatte sich die DDR-Mannschaft laut Blees in den vorangegangenen Jahren insgesamt sogar erfolgreicher präsentiert als die Auswahl der Bundesrepublik. Zudem liefen die Fußballer aus dem Osten mit dem politischen Auftrag zum Sieg auf. Nachdem schon die Auslosung der beiden deutschen Mannschaften in ein und dieselbe Gruppe nicht zu verhindern gewesen war (kaum vorstellbar für Genossen, die absoluten staatlichen Durchgriff gewohnt waren), hatte der Nationaltrainer diesbezüglich klare Anweisungen erhalten. Die Spieler selbst waren offenbar wesentlich entspannter. „Ich habe mich gefreut, gegen diese Übermannschaft mal etwas beweisen zu können“, erinnert sich Löwe.

 

Ein Großprojekt stellte die „Absicherung“ des Spiels für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) dar. Unter dem Decknamen Aktion „Leder“ wurden schon im Vorfeld sämtliche Mitglieder der Mannschaft observiert, um zu prüfen, ob sich auch niemand mit Fluchtgedanken trug und demzufolge gar nicht erst in die Bundesrepublik reisen durfte. Dazu überwachte die Staatssicherheit unter anderem die Post aller Spieler und deren Verwandten ersten Grades lückenlos. Parallel sorgte die SED bei den Fußballern für die richtige Einstellung. „Es ist wieder Rotlichtbestrahlung“, hieß es dann im Vorfeld internationaler Begegnungen in der Mannschaft. Ein Vertreter der SED-Bezirksleitung habe die politische Situation im jeweiligen Gastgeberland analysiert und den Spieler Anweisungen erteilt, wie sie sich in der Fremde verhalten, ja sogar, wie sie auf Ansprache reagieren sollten, berichtete Wolfram Löwe.

 

Zusätzlich führte das MfS in der Mannschaft Inoffizielle Mitarbeiter, die über Interna berichten sollten. Nach Aktenlage, so Thomas Blees, hatte unter anderem der Kapitän der DDR-Auswahl eine Verpflichtungserklärung als so genannter Gesellschaftlicher Mitarbeiter Sicherheit (GMS) unterzeichnet, was er heute – ungeachtet des vorliegenden Dokuments – vehement bestreite. Der Wissenschaftler hat aber auch das Beispiel eines Nationalkickers recherchiert, der mehrfach vom MfS angesprochen wurde, und eine Zusammenarbeit ablehnte.

 

„Man tanzte immer auf einem Seil“, beschrieb Wolfram Löwe die psychische Situation, die sich aus dieser Rundumüberwachung ergab. Er sei vorsichtig in seinen Äußerungen gewesen, weil er davon ausgehen musste, dass die Fußball-Laufbahn aufgrund eines unbedachten Wortes habe beendet sein können. Dass sich in seinem Team auch Inoffizielle Mitarbeiter befanden, lag für ihn auf der Hand: „In jedem Kollektiv, das international reiste, gab es zwei, drei IM.“ In die Versuchung, ein Auslandsspiel zur Flucht zu nutzen, sei er eigentlich nur einmal gekommen, so Löwe. Bei einer Partie in Lissabon erfuhr er von einem portugiesischen Reporter, dass der gegnerische Club 400.000 Mark zahlen würde, wenn er bliebe. Gerade jung verheiratet, kam dies für Löwe nicht in Frage.

 

Die Aufzeichnung der berühmten deutsch-deutschen Begegnung sah Wolfram Löwe in der „Runden Ecke“ zum ersten Mal. Live hatte er die Partie 1974 in der ersten Halbzeit von der Ersatzbank aus, in der zweiten Halbzeit nur eingeschränkt vom Spielfeldrand beim Aufwärmen für einen möglichen Einsatz verfolgt. „So schlecht“, urteilte er, „haben wir damals gar nicht gespielt.“ Und auch an kleine, ideologisch bedingte Merkwürdigkeiten konnte sich der Nationalspieler noch erinnern. So mussten die DDR-Fußballer während des Turniers die drei Streifen der Marke Adidas an ihre Trikots abkleben. Niemand sollte sehen, dass die Mannschaft Kleidung aus der Produktion des Klassenfeindes trug.

 

Neben den Spielern hatte das MfS 1974 im Übrigen auch die Fans, die bei den WM-Partien der DDR-Mannschaft dabei waren, im Visier. Zu jeder Begegnung ließ man 1.500 „Touristen“ reisen (sogar 3.000 zum Spiel Chile – DDR in Westberlin), bei denen es sich freilich um handverlesene Parteimitglieder handelte, die im Stadion politisch einwandfrei den Sozialismus repräsentieren sollten.

 

 

29. MAI 2006

DER FEIND AN MEINER SEITE

Als Ellen Thiemann zum ersten Mal ihre Stasi-Akten durcharbeitete, hielt sie plötzlich einen Brief in der Hand, den sie selbst Anfang der 70er Jahre an ihre Tante Lola in der Bundesrepublik verfasst hatte. Wie sich schnell herausstellte, handelte es sich um das Original. Gemeinsam mit der Verwandten hatte Ellen Thiemann damals ihre geplante Flucht in den Westen vorbereitet; der Brief sollte eigentlich weitere Details regeln. Angekommen war er nie. Aus der Akte ging hervor, dass der damalige Ehemann Klaus Thiemann das Schreiben nicht vereinbarungsgemäß in einen Dorfbriefkasten außerhalb Berlins eingeworfen, sondern direkt an einen Inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit übergeben hatte.

 

Auf diese Weise bestätigte sich für Ellen Thiemann ein Verdacht, den sie bereits lange vor der Akteneinsicht gehegt hatte: Ihr Mann arbeitete mit der Staatssicherheit zusammen und hatte ihren Fluchtplan – der auch das Ausschleusen des gemeinsamen Sohnes Karsten vorsah – verraten. Was sie in den Folgejahren in weiteren MfS-Dokumenten lesen musste, übertraf all ihre bösen Vorahnungen: Von Januar 1973 bis Dezember 1989 hatte ihr Mann, der Sportjournalist, als Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit Hunderte Berichte über Sportler, Trainer und auch über seine eigene Familie geliefert.

 

Die Journalistin Ellen Thiemann berichtete am 29.05.2006 in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ von ihrer geplanten Flucht, der folgenden Haftstrafe, dem Freikauf in die Bundesrepublik und dem mühsamen Weg der Aufarbeitung nach Ende der DDR. Aufgeschrieben hat sie diesen Teil ihres Lebens in dem Buch „Der Feind an meiner Seite“, aus dem sie im ehemaligen Stasi-Kinosaal Auszüge las. Die Veranstaltung, die von Gerald Praschl (Super Illu) moderiert wurde, gehörte zur Reihe „Fairplay im Abseits? Fußball und Diktatur“, dem Vorprogramm der Gedenkstätte zur Fußball-Weltmeisterschaft.

 

Nach dem gescheiterten Fluchtversuch saß Ellen Thiemann dreieinhalb Jahre in der berüchtigten Frauen-Strafvollzugsanstalt Hoheneck in Haft, bevor sie Ende 1975 gemeinsam mit ihrem Sohn in die Bundesrepublik freigekauft wurde. Auch ihr Mann war – wegen Mitwisserschaft – kurzzeitig verhaftet worden. Wie sich aus den Akten ergab, entging er weiteren juristischen Konsequenzen offenbar dadurch, dass er eine Verpflichtungserklärung als IM unterschrieb. Seine Führungsoffiziere beschrieben ihn im Folgenden als äußerst engagiert – Berichte lieferte er sogar von den vierteljährlichen Besuchen bei seiner Frau im Zuchthaus.

 

Noch in Haft ließ sich Ellen Thiemann von ihrem Mann scheiden. Nach dem Freikauf in die Bundesrepublik baute sie sich in Köln ein neues Leben auf. Wenngleich sie sich dort unbeobachtet fühlte, blieb ihr die Staatssicherheit beständig auf den Fersen. Wie sich ebenfalls bei der Akteneinsicht herausstellte, legte die Geheimpolizei besonderen Aktionismus an den Tag, als ihr Buch „Stell dich mit den Schergen gut“ über die Haftbedingungen in der DDR erschien. Das MfS betrieb großen Aufwand, um die Autorin dieses „Machwerks“ (MfS-Chargon) in der Bundesrepublik unglaubwürdig zu machen. So lancierte es beim Bundesnachrichtendienst Gerüchte, Ellen Thiemann habe selbst enge Verbindungen zur Staatssicherheit gehabt.

 

Nachdem Ellen Thiemann sich durch die MfS-Berichte über ihr Leben gearbeitet hatte, erstattete sie Anzeige gegen insgesamt 24 Personen, darunter Richter, Staatsanwälte und den Anstaltsleiter von Hoheneck. 1996 wurden alle abgewiesen. Ihr Exmann hatte inzwischen praktisch nahtlos beim Klassenfeind Fuß gefasst und arbeitete als Sportreporter bei „Bild“. Nach einem Bericht des „Spiegel“ von 1999, demnach IM „Matthias“ einer der aktivsten Spitzel im Bereich des Sport gewesen war, musste er seinen Posten räumen. Freilich hätte der Verlag von den MfS-Kontakten seines Angestellten bereits viel früher wissen können, war doch das Buch Ellen Thiemanns längst erschienen.

 

Verleger, Chefredakteure und Ressortleiter, resümierte die Autorin in der „Runden Ecke“, würden bis heute oft äußerst nachlässig mit Informationen über frühere Stasi-Kontakte ihrer Mitarbeiter umgehen. Selbst deutliche Hinweise würden ignoriert, die Möglichkeiten des Stasi-Unterlagengesetzes nicht ausgenutzt. Dabei, so Moderator Gerald Praschl, sei gerade der Fall Ellen Thiemann ein eindrucksvolles Plädoyer für die offenen Akten als unverzichtbare Quelle für die persönliche und juristische Aufarbeitung.

 

 

 

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NEUES AUF DEM GEBIET DER AUFARBEITUNG

 

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Am 15.05.2006 veröffentlichte die Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ihre Empfehlungen für die Zukunft der bundesdeutschen Gedenk- und Erinnerungslandschaft. Das Gremium war von der vormaligen Kulturstaatsministerin Christina Weiss eingesetzt worden und hatte ein Jahr lang an dem Papier gearbeitet.

 

Aus Sicht des Bürgerkomitees sind die Empfehlungen der Kommission für die Entwicklung der Gedenk- und Erinnerungslandschaft ungeeignet. Sie berücksichtigen nur einen Teil der seit Jahren gewachsenen Strukturen, setzen auf Zentralisierung statt Pluralität und sind nicht einmal ansatzweise auf ihre Finanzierbarkeit geprüft.

 

Voraussetzung für ein handhabbares Konzept wäre eine offene, pluralistische und transparente Debatte gewesen. Stattdessen tagte die Kommission ein Jahre lang hinter verschlossenen Türen – eine Zeit, in der Experten und Beteiligte intensiver in die Diskussion hätten einbezogen werden können. Die Evaluation von Gedenk- und Erinnerungsorten per Fragebogen sowie Kurzbesuche in einzelnen Einrichtungen waren sicher Schritte in diese Richtung, allerdings bei weitem nicht ausreichend und berücksichtigen auch nur einen Teil der im Bereich DDR-Aufarbeitung aktiven Einrichtungen. Allein schon die Zusammensetzung der Kommission ist fragwürdig, gehört ihr doch kein einziger Gedenkstättenfachmann an, obwohl eine zentrale Frage eben gerade die Zukunft von Gedenkstätten an authentischen Orten ist.

 

Lange bevor die Expertenkommission ihre Arbeit aufnahm, existierten bereits Konzepte und Überlegungen für die Struktur der Gedenk- und Erinnerungslandschaft in Deutschland. Diese werden in den Empfehlungen vollkommen ignoriert, was allein im Fall der Gedenkstättenkonzeption des Bundes (Bundestags-Drucksache 14/1569), 1999 im Ergebnis der Arbeit zweier Enquet-Kommissionen entstanden, fatal ist. Denn auf Basis dieses ausgewogenen Papiers wird seither Gedenk- und Erinnerungsarbeit geleistet und auch gefördert, sodass es unsinnig ist, aktuelle konzeptionelle Überlegungen wieder bei Null zu beginnen. Ebenfalls unerwähnt bleibt in den Empfehlungen ein Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion aus dem Jahr 2004 (Bundestags-Drucksache 15/3048), der seinerzeit äußerst kontrovers diskutiert wurde, aber wesentlich weit reichender als das jetzt vorgelegte Dokument die Struktur der Gedenk- und Erinnerungslandschaft erfasst.

 

Obwohl die Kommission ausdrücklich versichert, keine Zentralisierung anzustreben, focussiert sie diese mit ihren praktischen Vorschlägen explizit: So bedeutet die Schaffung von drei neuen „Leiteinrichtungen“ nichts anderes als staatliche Zentralisierung, die den Prinzipien der Heterogenität und Pluralität entgegenläuft. Die Übernahme von bisher frei getragenen Einrichtungen in öffentliche Trägerschaft wird als eine Art Patentlösung gehandelt, die aber auf deren Kosten der gewachsenen Struktur der Gedenkstättenlandschaft gehen würde. Konzeptionell und finanziell vollkommen unsinnig ist etwa der Vorschlag, ein Dokumentationszentrum Alltagskultur in Berlin einzurichten, obwohl ein solches bereits seit Jahren in Eisenhüttenstadt existiert und qualitätvoll arbeitet. Wenn der Bund sich an dieser Stelle in der Verantwortung sieht, dann sollte er – allein im Sinne der Subsidiarität – vorhandene Einrichtungen konsequenter fördern, statt neue aus dem Boden zu stampfen.

 

Vor diesem Hintergrund erscheint die Kritik der Kommission, es gebe „eine nach Ost und West geteilte Wahrnehmung der DDR-Geschichte, die in den alten Bundesländern nur sehr bedingt als Teil der gesamtdeutschen Geschichte verstanden wird“, in völlig neuem Licht. Es ist geradezu absurd, diesen Zustand zu beklagen und gleichzeitig die zumindest in den neuen Bundesländern breit verteilten Aufarbeitungseinrichtungen zugunsten einer immer stärkeren Berlin-Zentralisierung zu vernachlässigen.

 

Auch die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ ist von dieser Tendenz betroffen: Die Expertenkommission spricht ihr eine überregionale Bedeutung ab, wenngleich die Einrichtung nun bereits seit vier Jahren von der Bundesrepublik Deutschland gefördert und bundesweit wie international als wichtiger und viel frequentierter Gedenkort wahrgenommen wird. Nationale Bedeutung hat sie schon allein deshalb, weil es sich um die einzige noch original erhaltene Bezirksverwaltung des MfS handelt, an deren Beispiel die flächendeckende Überwachung des Ministeriums für Staatssicherheit in der gesamten DDR dargestellt werden kann.

 

Die sinnvolle Alternative zu „Leiteinrichtungen“ und anderen Neugründungen wäre es, die Zusammenarbeit und Vernetzung der bestehenden Einrichtungen auf Arbeitsebene zu fördern. Um Doppelarbeiten zu vermeiden, müssen diese künftig ihre Profile schärfen – allerdings auf der Grundlage von Kooperationen und nicht durch zentralistische Vorgaben.

 

Die mangelnde Professionalität der Arbeit mancher bestehender Aufarbeitungseinrichtungen, die im Empfehlungspapier zu Recht kritisiert wird, ist in den meisten Fällen auf die äußerst dürftige finanzielle Ausstattung zurückzuführen. Diese Defizite könnten durch gezielte Förderung abgestellt werden, ohne dass es Änderungen in der Trägerschaft oder gar Neugründungen bedürfte. Ohnehin ist es ein zentrales Manko des Experten-Papiers, dass es keine Angaben zur Finanzierung der enorm kostenintensiven Vorschläge enthält. Die zweifellos nötigen Millionen könnten wesentlich sinnvoller in den Ausbau und die Vernetzung vorhandener Strukturen investiert werden. Zusätzlich sind mehr Gelder für die Förderung von Projekten nötig, weshalb der Etat der zuständigen Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur aufgestockt werden muss.

 

Die vorgeschlagene Umwandlung der BStU in ein Forschungs- und Dokumentationszentrum ist angesichts der schon vorhandenen Pluralität in diesem Bereich überflüssig. Ohnehin kann an eine Abwicklung der Behörde erst dann gedacht werden, wenn sie ihre wesentlichen Aufgaben erledigt hat. Gegründet wurde sie 1992 mit dem Auftrag, die Aktenhinterlassenschaft des MfS zu erschließen und sowohl Betroffenen als auch Forschern Einsicht in diese Unterlagen zu gewähren. Hier gibt es großen Nachholebedarf – verwiesen sei allein auf die oft jahrelangen Wartezeiten bei der Beantragung persönlicher Akteneinsicht. Die BStU braucht also keine neuen Aufgaben, sondern muss zunächst einmal ihren eigentlichen Auftrag erfüllen. Vorhandene Mittel sollten nicht in neue Strukturen, sondern in längst fällige Projekte, wie etwa die computergestützte Rekonstruktion zerrissener Akten, investiert werden.

 

Erst wenn diese Aufgaben erfüllt sind, kann die Verantwortung für die Akten an eine andere Stelle, etwa das Bundesarchiv, übergehen. Wichtig dabei ist nicht, welche Einrichtung den Bestand übernimmt, sondern allein, das dieser zugänglich bleibt. Denn das schützenswerte Erbe der Friedlichen Revolution sind die offenen Akten, nicht die damit befassten Einrichtungen.

 

Am 06.06.2006 findet in Berlin ein Hearing zu dem Expertenpapier statt. Der jetzige Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat bereits angekündigt, die Empfehlungen nicht eins zu eins umsetzen zu wollen.

 

Die Experten-Empfehlung im Netz

Pressemitteilungen anderer Organisationen im Netz:

Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Pressespiegel

 

 

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AUS DER ARBEIT DER GEDENKSTÄTTE

 

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SONDERÖFFNUNGSZEITEN UND –FÜHRUNGEN ANLÄSSLICH DER FUSSBALL-WELTMEISTERSCHAFT

LANGE MUSEUMSABENDE bis 20 Uhr:

9./10./13./16./17./18./20./21./23./24. und 25. Juni 2006

 

FÜHRUNGEN DURCH DIE DAUERAUSSTELLUNG „STASI – MACHT UND BANALITÄT“ IN DEUTSCH:

9./10./13./16./17./23. Juni: je 19.30 Uhr

11. Juni: 11.00 Uhr

21. Juni: 16.30 Uhr

24. Juni: 18.30 Uhr

25. Juni: 13.30 Uhr

 

FÜHRUNGEN DURCH DIE DAUERAUSSTELLUNG „STASI – MACHT UND BANALITÄT“ IN ENGLISCH:

9./10./13./16./17./23 Juni: 18.30 Uhr

14./21. Juni: 11.00 Uhr

18./21. Juni: 15.00 Uhr

20./24./25. Juni: 17.00 Uhr

25. Juni: 13.30 Uhr

 

FÜHRUNGEN DURCH DIE DAUERAUSSTELLUNG „STASI – MACHT UND BANALITÄT“ IN FRANZÖSISCH:

17./18. Juni: 16.30 Uhr

 

STADTRUNDGANG „AUF DEN SPUREN DER FRIEDLICHEN REVOLUTION“ IN DEUTSCH

(Treffpunkt Hauptportal Nikolaikirche):

9./10./13./16./20./23. Juni: je 17.00 Uhr

10./17./18./24./25. Juni: je 14.00 Uhr

21. Juni: 11.00 Uhr

 

STADTRUNDGANG „AUF DEN SPUREN DER FRIEDLICHEN REVOLUTION“ IN ENGLISCH

(Treffpunkt Hauptportal Nikolaikirche):

9./10./16./20./23. Juni: 17.00 Uhr

10./17./18./24./25. Juni: 14.00 Uhr

21. Juni: 11.00 Uhr

 

STADTRUNDGANG „AUF DEN SPUREN DER FRIEDLICHEN REVOLUTION“ IN FRANZÖSISCH

(Treffpunkt Hauptportal Nikolaikirche):

17. Juni: 14.00 Uhr

 

Der Eintritt in die Gedenkstätte ist frei. Führungen durch die Dauerausstellung kosten 3 € (ermäßigt 2€), Stadtrundgänge 3 € (keine Ermäßigungen).

 

 

 

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AUS DEM GÄSTEBUCH

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

 

Viele unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch und schreiben hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben. Unter dieser Rubrik wollen wir monatlich einige dieser Einträge an Sie weitergeben.

 

„Dies sollten sich alle Macher und Fans von Ostalgie-Shows ansehen!“

Eintrag vom 30.04.2006

 

„Diese Ausstellung ist sehr beeindruckend Vergangenheit kommt wieder hoch. Ein Glück dass diese Schrecken vorbei sind. Danke! Als Ergänzung zu ,Sehnsucht nach der Diktatur’ wäre es gut, über den wichtigen Film ,Das Leben der Anderen’ zu informieren.“

Eintrag vom 02.05.2006

 

„Ein Besuch dieses Museums sollte bundesweit für alle Schulen zur Pflicht werden, für Schüler und besonders für alle Lehrer.“

Eintrag vom 14.05.2006

 

„Please keep the building like it is – floor covering, paint on the walls, electrical an plumbing fittings as they are; they remind us of the grey days of the DDR.”

Eintrag vom 15.05.2006 eines Besuchers aus Ipswich, Großbritannien

 

„Das MfS war eine Verbrecher-Organisation! Aber es ist vorbei. Und das ist sehr gut so. Was aber nicht gut ist, ist, daß die Täter ihre Rente genießen und sich jetzt wieder in aller Freiheit brüsten, die Opfer aber lebenslang an ihren Verletzungen leiden und in unserem Rechtsstaat weiterhin um ihr Recht, ihr Ansehen und ihre Entschädigung kämpfen müssen.“

Eintrag vom 24.05.2006

 


 



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Die Arbeit des Bürgerkomitees wird gefördert durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf der Grundlage eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst sowie durch die Stadt Leipzig und den Kulturraums Leipziger Raum.

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Bürgerkomitee Leipzig e.V.
für die Auflösung der ehemaligen Staatssicherheit (MfS)
Träger der Gedenkstätte
Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker
Dittrichring 24, PSF 10 03 45, D-04003 Leipzig
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