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Newsletter Oktober 2006

 

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

17 Jahre ist es her, dass der Unmut der DDR-Bevölkerung Ausmaße annahm, die das SED-Regime nicht mehr unterdrücken konnte. Als Tag der Entscheidung gilt in Leipzig seit jeher der 9. Oktober. An diesem Tag demonstrierten 70.000 Menschen auf dem Innenstadtring – eine Menge, der die Staatsmacht nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Dieser Sieg der Protestierenden kam einem Dammbruch gleich: Überall im Land stieg die Zahl der Demonstranten sprunghaft – das Ende des sozialistischen Systems war nicht mehr aufzuhalten.

 

Vom 6. bis 9. Oktober erinnern in Leipzig wieder zahlreiche Veranstaltungen an den denkwürdigen Herbst 1989. An der Reihe „Aufbruch zur Demokratie“ beteiligt sich auch das Bürgerkomitee mit Ausstellungen, Filmen und Diskussionen. Näheres dazu finden Sie im Kapitel „Wir laden ein“. Höhepunkte der Reihe werden am 9. Oktober die Rede zur Demokratie mit Innenminister Wolfgang Schäuble in der Nikolaikirche, das anschließende Friedensgebet und das abendliche Demokratieforum im Gewandhaus sein.

 

Wir freuen uns auf Ihren Besuch und wünschen Ihnen zunächst eine interessante Lektüre.

Ihr Bürgerkomitee Leipzig

 

 

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INHALT

Wir laden ein

Rückblick

Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung

Aus der Arbeit der Gedenkstätte

Aus dem Gästebuch

 

 

 

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WIR LADEN EIN

 

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HERBST `89 – AUFBRUCH ZUR DEMOKRATIE

VERANSTALTUNGSREIHE RUND UM DEN 9. OKTOBER 2006

Am 9. Oktober 1989 herrschte Ausnahmestimmung in Leipzig. Militärfahrzeuge positionierten sich, und es hatte Mahnungen gegeben, das Stadtzentrum am späten Nachmittag zu meiden. Geschäfte sollten 17.00 Uhr schließen. Es ging das Gerücht, die Krankenhäuser würden nach Weisung „von oben“ leere Betten organisieren, für genügend Blutplasma sorgen und sich auf die massenhafte Behandlung von Schussverletzungen vorbereiten. Das Regime stellte sich auf einen Krieg ein – er sollte gegen die eigene Bevölkerung geführt werden

 

Doch dazu kam es nicht. Der Abend blieb friedlich, weil die Staatsmacht der überwältigenden Menge von 70.000 Demonstranten nichts entgegen zu setzen hatte. So wurde der Tag zum entscheidenden Datum der Friedlichen Revolution in Leipzig. 17 Jahre danach erinnern verschiedene Veranstaltungen und Institutionen in der Stadt unter dem Motto „Herbst `89 – Aufbruch zur Demokratie“ an die damaligen Geschehnisse. Das Bürgerkomitee Leipzig e.V. beteiligt sich daran mit Ausstellungen, Filmen und Diskussionen.

 

 

DIENSTAG, 3. OKTOBER 2006, 11.00 UHR

Eröffnung der Ausstellungen

„VERGLEICH DER MONTAGSDEMONSTRATIONEN IN DER DDR MIT DEN DEMONSTRATIONEN ZUR ÜBERWINDUNG DER DIKTATUR IN LETTLAND“

und

„LETTLANDS WEG VON DER SINGENDEN REVOLUTION BIS ZUR EUROPÄISCHEN UNION“

„Plötzlich konnte man zeigen, was man immer nur gefühlt hat.“ So beschreibt ein Teilnehmer der Leipziger Montagsdemonstrationen die allgemeine Stimmung auf den Straßen, und das ist auch der Grundtenor der Friedlichen Revolution in der DDR.

 

Derselbe Satz wäre zu jener ereignisreichen Zeit auch in einem anderen Land möglich gewesen: Lettland. Hier brachten die Menschen zwischen 1988 und 1992 die „Singende Revolution“ auf den Weg. Die Übereinstimmungen zwischen diesen beiden gewaltlosen Umbrüchen sind augenfällig: die Menschen standen Seite an Seite gegen die Staatsmacht, und in beiden Fällen gelang es ihnen, ihre Freiheit zu erkämpfen. Um die Parallelen aber vielleicht auch Unterschiede deutlich zu machen, ist ein internationales Projekt zwischen Schülern einer Berufsschule in Hamburg und lettischen Gymnasiasten ins Leben gerufen worden.

 

Die Ergebnisse dieser Arbeiten unter dem Titel „Vergleich der Montagsdemonstrationen in der DDR mit den Demonstrationen zur Überwindung der Diktatur in Lettland“ werden im Rahmen der Veranstaltungsreihe um den „9. Oktober 2006. Herbst `89 – Aufbruch zur Demokratie“ ausgestellt und können vom 3. bis 22. Oktober 2006 im Museum in der „Runden Ecke“ besichtigt werden. Deutsche und lettische Schüler sind anwesend und stellen ihr Projekt vor. Begleitet werden sie von ihren Projektbetreuern und einem Mitglied der lettischen Botschaft.

 

Parallel dazu wird eine Ausstellung des Lettischen Oppositionsmuseums Riga zu sehen sein. Auf 27 Tafeln kann unter dem Titel „Lettlands Weg von der singenden Revolution bis zur Europäischen Union“ nachvollzogen werden, welche grundlegenden Umwälzungen zwischen 1987 und 2004 das baltische Land veränderten und prägten. Die Ausstellung ist somit auch ein Beitrag zur europäischen Verständigung.

 

Zur Eröffnung am 3. Oktober 2006, 11.00 Uhr, wird Meldra Usenko als Direktorin des Museums, das seine Ausstellung unter anderem bereits im tschechischen Nationalmuseum, in Warschau und in Danzig zeigte, den Blick auf Geschehnisse lenken, die erstaunlich an die Vorgänge in der DDR erinnern und umso mehr verdeutlichen, wie ähnlich Menschen denken, fühlen und handeln, die nichts wollen als ihre Freiheit.

 

Beide Ausstellungen sind bis zum 22.10.2006 im Museum in der „Runden Ecke“ zu sehen.

 

 

ERÖFFNUNG DER SONDERAUSSTELLUNG „GESCHICHTSCODES: WIR SIND EIN VOLK“

Der 3. Oktober 1990 gilt für viele ausländische Beobachter als der Tag, an dem die Deutschen zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten wieder stolz auf sich selbst sein konnten. Sie hatten es geschafft, die Fesseln der Geschichte zu lösen und endlich wieder als ein Volk - wie es in den vorhergehenden Monaten immer wieder auf Transparenten gefordert worden war - und in einem Staat zusammenzuleben.

 

Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat dies zum Anlass für einen Wettbewerb zu dem Thema „Wir sind ein Volk!“ genommen und Studierende aufgerufen, sich mit dem 3. Oktober auseinanderzusetzen. Dabei entstanden nicht nur positive, sondern durchaus auch kritische, die Defizite und Mängel beschreibende Auseinandersetzungen mit der deutschen Einheit in Form von Plakaten.

 

Diese Ergebnisse können vom 3. bis 22. Oktober 2006 im Museum in der „Runden Ecke“, im ehemaligen Stasi-Kinosaal, täglich zwischen 10.00 und 18.00 Uhr besichtigt werden. Die Arbeiten legen die Vielfarbigkeit in der heutigen Auseinandersetzung mit der deutsch-deutschen Teilungsgeschichte offen und tragen dazu bei, das Verständnis für die Bedeutung des 3. Oktobers zu bereichern.

 

 

FREITAG, 6. OKTOBER 2006, 19.00 UHR

FILMABEND UND DISKUSSION: GEHEIME VIDEOS – MUTIGE BÜRGER

9. Oktober 1989. Den ganzen Tag über spürt man in Leipzig die Ruhe vor dem Sturm. Vorsorglich treibt die SED westliche Journalisten aus dem Land, denn keinesfalls sollen Bilder von unzufrieden Massen, die es gemäß der eigenen Ideologie gar nicht geben dürfte, an die Öffentlichkeit gelangen. Abends dann versammeln sich Zehntausende Leipziger und demonstrieren für Freiheit. Am nächsten Tag sind Aufnahmen der unzufriedenen Menschen für die ganze Welt im Fernsehen mitzuverfolgen, das eigene Land nicht ausgenommen.

 

Siegbert Schefke war einer der mutigen DDR-Bürger, die alles mit der Kamera festhielten und dem es mit Hilfe westlicher Reporter gelang, das brisante Material in die Bundesrepublik zu schmuggeln. Dort wurde es dann ausgestrahlt. Die Bedeutung dieser und anderer Bilder, die auf dem Boden der DDR entstanden und dann im bundesdeutschen Fernsehen gesendet wurden, für den weiteren Verlauf der Friedlichen Revolution ist Thema einer Diskussion am Freitag, dem 6. Oktober 2006, 19.00 Uhr im Museum in der „Runden Ecke“. Die Besucher sind eingeladen, zusammen mit Roland Jahn (ARD-Politmagazin Kontraste) und Siegbert Schefke (Redaktion ARD aktuell) verschiedene Filmaufnahmen anzuschauen und zu erörtern, inwieweit diese einen unmittelbaren Einfluss auf die Ereignisse im Herbst `89 genommen haben.

 

 

MONTAG, 9. OKTOBER 2006, 19.00 UHR

LANGE FILMNACHT: DER 9. OKTOBER – TAG DER ENTSCHEIDUNG

Am 9. Oktober stand alles auf des Messers Schneide. Der Ausgang der abendlichen Montagsdemonstration machte klar, dass eine „Friedliche Revolution“ nicht undenkbar war und entschied darüber, wie unser heutiges Europa aussehen würde. Heute fällt es schwer, sich einen anderen als den friedlichen und waffenlosen Ausgang des Tages vorzustellen.

 

Siebzigtausend wagten damals alles und errangen einen ersten wichtigen Sieg. In Erinnerung daran zeigt das Museum in der „Runden Ecke“ zum siebzehnten Jahrestag des 9. Oktobers im ehemaligen Stasi-Kinosaal Filme zum Thema. Die lange Filmnacht beginnt um 21.00 Uhr mit Teil 1 und 2 von „Leipzig im Herbst“, einem Film von Andreas Voigt aus dem Jahr und 1991. 22.00 Uhr schließt sich eine Produktion des deutschen Fernsehfunks von 1990 an: „Leipzig im Oktober“. 23.00 Uhr läuft der 1994 erschienene Film „9. Oktober – Tag der Entscheidung“ von Eckehard Kuhn.

 

Dieser Titel steht Pate für das Thema des Abends und unterstreicht die Bedeutung eines Tages, der das Leben der Menschen nachhaltig, und das bis heute, verändert und beeinflusst.

 

 

Das vollständige Programm der Reihe „Herbst ´89“ finden Sie hier.

 

 

 

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RÜCKBLICK

 

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FESTWOCHENENDE AM 9. UND 10. SEPTEMBER 2006

 

SAMSTAG, 9. SEPTEMBER 2006 – 10 JAHRE STASI-BUNKER IN MACHERN

„Wenn ich sehe, was hier in diesen Bunker investiert wurde, dann weiß ich, wo das Baumaterial für mein Haus geblieben ist.“ So fasste ein Besucher seinen Eindruck vom Besuch der ehemaligen Ausweichführungsstelle der Staatssicherheit in Machern zusammen. Seit 1996 kann man diesen 5,2 Hektar großen Komplex mit Bunker, den das SED-Regime für den Ernstfall gebaut hatte, regelmäßig besichtigen. Am 9. September 2006 jährte sich die Eröffnung des Museums am Tag des offenen Denkmals ´96 zum nunmehr zehnten Mal.

 

Bei spätsommerlichem Wetter folgten mehr als 550 Menschen der Einladung des Bürgerkomitees und besichtigten das Innere des Bunkers ebenso wie das weitläufige Außengelände. Bei den kostenlosen Führungen, die ab 13.00 Uhr ständig wahrgenommen werden konnten, erhielten die Besucher an verschiedenen Standorten Erklärungen und Hintergrund-informationen von Gruppenbegleitern des Museums. So erfuhren sie, auf welch komplexe Art und Weise die Staatssicherheit sich auf den militärischen Ernstfall vorbereitet hatte und wie der Geheimdienst weiter funktionieren und geschützt werden sollte.

 

Dieses Wissen durfte unmittelbar angewendet werden: in einem Quiz rund um die Geschichte des Bunkers, das während der Besichtigung ausgefüllt werden konnte, und dessen richtige Beantwortung für die Preisauslosung qualifizierte. Viele nahmen daran teil und versuchten mehr oder weniger offen, die Antwort von den Gruppenbegleitern zu erfahren, die gern aushalfen. Die Gewinner erhielten schließlich unter anderem Karten für eine Lesung mit Clemens Meyer, verschiedene Bücher sowie Gutscheine für kostenfreie Führungen durch Museen des Muldentalkreises.

 

Zuvor jedoch wurde eine Sonderausstellung zum Thema „Alles im Griff“, eine Leihgabe der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Außenstelle Chemnitz, eröffnet und mit einem Sektempfang und Grußworten eingeleitet. Vor etwa 100 Zuhörern sprachen Tobias Hollitzer vom Bürgerkomitee, Manfred Schön, Sekretär des Kulturraumes Leipziger Raum, und Frank Lange, der Bürgermeister der Gemeinde Machern. Beide Redner sicherten dem Museum im Stasi-Bunker auch für die Zukunft ihre Unterstützung zu. Manfred Schön bekräftigte speziell, dass die Einrichtung weiter Zuwendungen aus dem Haushalt des Kulturraums erhalten werde.

 

Anschließend führte Dr. Martin Böttger, Leiter der BStU-Außenstelle Chemnitz, Interessierte durch die Ausstellung. Sie veranschaulicht, in welchem Ausmaß Andersdenkende in der DDR im Spannungs- und Mobilmachungsfall verhaftet, isoliert und überwacht worden wären. Am Beispiel Chemnitz wird deutlich, wie viele Tausende für eine solche Situation erfasst und namentlich im so genannten Vorbeugekomplex festgehalten waren, weil sie als potenzielles Sicherheitsrisiko galten. Wer die Ausstellung am Festtag verpasst hat, kann sie noch bis zum 26.11.2006 im Museum im Stasi-Bunker besichtigen.

 

Nach diesem vielgestaltigen Angebot gab es für Besucher die Möglichkeit, sich direkt vor Ort mit Getränken und einem Imbiss vom Grill zu versorgen. Die Gastronomie des Lokals „Lübschützer Teiche“ sorgte den ganzen Tag über für das leibliche Wohl. Zur Abwechslung konnten sich die Gäste außerdem eine Spiegel-TV Reportage zum Thema „Bunkeranlagen in der DDR“ ansehen, die unter anderem Informationen zur Macherner Anlage präsentierte.

 

Am Abend erwartete die Gäste noch ein besonderer Höhepunkt: Bei einer Lesung, vom Bürgerkomitee gemeinsam mit der Agentur ClaraPark organisiert, konnten sie „Literatur am Lagerfeuer“ lauschen. Unter der Moderation von Claudius Nießen, Inhaber der Agentur ClaraPark und Geschäftsführer der Freien Akademie der Künste zu Leipzig, lasen die Leipziger Autoren Leonie Bongartz (Mitwirkung an Drehbüchern, verschiedene Erzählungen), Ulrike Almut Sandig (Gedichtband „Zunder“), Carl-Christian Elze (Gedichtband „stadt/land/stopp“) und Olaf Schmidt (Roman „Friesenblut“) aus ihren Werken. Im Schein des Feuers entfalteten die Autoren eine große Bandbreite an Formen und Inhalten. Leonie Bongartz eröffnete die Lesung mit einem Auszug aus einer ihrer Kurzgeschichten. Mit Olaf Schmidt konnten die Zuhörer sich später auf eine Zeitreise durch zwei Jahrhunderte auf der Nordseeinsel Föhr begeben und sich auf die Geschichte des Malers Oluf Braren einlassen. Die beiden Lyriker schließlich führten die Zuhörer in eine Welt aus Chiffriertem, Angedeutetem, Rätselhaftem, das sich doch zu klaren, emotional kraftvollen Bildern zusammensetzte. Während Ulrike Sandigs Gedichte durch ihren zarten, anmutigen Stil bestachen, fesselte Carl-Christian Elze mit einer fast schmerzhaft drastischen, punktgenau zielenden Sprache. Seine Themen hatte der der studierte Zoologe oft aus seinem früheren Wirkungsfeld entlehnt. Zu später Stunde endete der abwechslungsreiche Tag mit Lagerfeuer-Gesprächen zwischen Publikum und Autoren.

 

Für alle, die am 9. September nicht dabei sein konnten, besteht die Möglichkeit, das Museum im Stasi-Bunker jeweils am letzten Wochenende des Monats zu besichtigen.

 

 

SONNTAG, 10. SEPTEMBER 2006 - TAG DES OFFENEN DENKMALS

Nach außen gab sich das Ministerium für Staatssicherheit nobel und gediegen. Die Leipziger Bezirksverwaltung residierte standesgemäß in einem Hugo-Licht-Bau am Promenadenring, an dem höchstens die Scherengitter vor den Fenstern die architektonische Romantik störten. Im militärischen Ernstfall wäre man in einen als Ferienanlage getarnten und im landschaftlichen Idyll der Lübschützer Teiche bei Machern versteckt gelegenen Bunker ausgewichen. Und schließlich wurden Todesurteile in der DDR zentral in einem edlen Gründerzeitviertel der Leipziger Südvorstadt vollstreckt.

 

Was damals nur auf den ersten Blick friedfertig aussah, konnte zum „Tag des offenen Denkmals“ am 10.09.2006 in all seinen verborgenen und teils wenig bekannten Facetten besichtigt werden. Genau 1111 Besucher nahmen die Möglichkeit wahr, das Innere der selten zugänglichen Schaltzentralen der Staatssicherheit hinter Rasen und Rabatten zu besichtigen.

 

So zog es 190 Interessierte in das Museum in der „Runden Ecke“. Unter dem Motto „Stasi intern. Rundgang durch die ehemalige Zentrale des MfS – Vom Keller zum Boden und anderen Orten des (un)heimlichen Gebäudekomplexes“ erkundeten sie innerhalb ständiger Führungen den ehemaligen Sitz der Bezirksverwaltung des MfS in Leipzig und der Bezirksdirektion der Volkspolizei zwischen Dittrichring, Goerdelerring und großer Fleischergasse. Sie sahen, wie sich die Staatssicherheit im Notfall kurzfristig in die „geschützte Unterkunft“ im zweiten Kellergeschoss des Neubaus zurückgezogen und dort mit Hilfe eines Notstromaggregats und einer Führungsstelle für den Kriegsfall die Kontrolle aufrecht zu erhalten versucht hätte. Da eine solche Krisensituation glücklicherweise nie entstand, waren diese Räume im Gegensatz zur hauseigenen Kegelbahn und dem Kinosaal nicht genutzt worden.

 

Ebenso ungenutzt blieb die Ausweichführungsstelle der Bezirksverwaltung bei Machern. Selbst im Falle eines atomaren Angriffs wollte die Staatsicherheit von hier aus, zwischen meterdicken Betonwänden, ihre geheimdienstliche Arbeit möglichst reibungslos fortsetzen. Zu diesem Zweck gab es eine Nachrichtenverbindung nach Berlin, ausgeklügelte Chiffriertechniken sowie ein komplettes Versorgungssystem. Nach außen tarnten Bungalows, Hundelaufanlagen und eine Tischlerei das Gebiet als Feriendomizil. Durch diesen Komplex wurden am Sonntag 702 Gäste geführt, die nicht nur das Innere des Bunkers selbst, sondern auch das weitläufige, 5,2 Hektar große Außengelände besichtigen konnten. Dabei sahen sie, durch welche ausgeklügelten Maßnahmen atomare, biologische und chemische Angriffe abgewehrt werden sollten und wie die Bunkeranlage sogar eine Detonation in Leipzig ohne größere Schäden hätte überstehen können.

 

Ein drittes Gebäude wurde ab 1960 regelmäßig genutzt, um alle in der DDR ausgesprochenen Todesurteile hier zentral zu vollstrecken. „Todesstrafe in der DDR – Hinrichtungen in Leipzig“ – unter diese Unterschrift konnten sich 219 Besucher ein Bild davon machen, welch unrühmliche Rolle der frühere Justizkomplex in der Alfred-Kästner-Straße, in dem sich eine Hinrichtungsstätte befand, gespielt hat. Ständige Führungen durch die historischen Räume vermittelten einen Eindruck von der Atmosphäre, die einige Menschen als letzte in ihrem Leben wahrgenommen haben, bevor sie Opfer der Todesstrafe wurden.

 

„Auf den Spuren der Friedlichen Revolution“ schließlich folgten Besucher von der Nikolaikirche aus den Brennpunkten des demokratischen Aufbruchs in Leipzig. Dabei sahen sie unter anderem die Nikolaikirche, die eine große Rolle für die Montagsdemonstrationen gespielt hat, und den Markt. Sie folgten dann dem Innenstadtring bis hin zur „Runden Ecke“, die am 4. Dezember 1989 von Leipziger Bürgern besetzt wurde. Der Rundgang macht deutlich, welch riesige Ausmaße die Demonstrationen jeden Montag in Leipzig hatten und wie weit ein großer Teil der Stadt und der Menschen daran beteiligt waren.

 

 

 

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NEUES AUF DEM GEBIET DER AUFARBEITUNG

 

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Mit Eva-Maria Stange wurde Mitte September in Sachsen eine neue Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst berufen. Bereits im Juli 2006 war Sie für dieses Amt nominierte worden, sowohl bei Politikern als auch bei den Verbänden der ehemals politisch Verfolgten und den Aufarbeitungsinitiativen massive Kritik hervorrief.

 

In der DDR war Eva-Maria Stange als Diplompädagogin für die Ausbildung von Lehrern zuständig und von 1981 bis 1988 Mitglied der SED. Um eine „normale DDR-Biografie“, wie von der soeben vereidigten Ministerin beschrieben, handelte es sich dabei keinesfalls. Auch nach 1989 sprach sich Eva-Maria Stange gegen eine kritische Aufarbeitung des SED-Regimes aus und setzte sich stattdessen für frühere Funktionäre ein. Das Verfahren zur Überprüfung im Öffentlichen Dienst lehnte sie ab und bezeichnete die damals arbeitenden Anhörungskommissionen als „Inquisition“. Die Kündigungen von Verstrickten rückte Sie unter anderem in der linksextremen Tageszeitung „Junge Welt“ in die Nähe von Berufsverboten.

 

Als das entscheidende Problem empfanden die Verfolgtenverbände und Aufarbeitungsinitiativen, dass Stange als Staatsministerin automatisch auch Vorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft ist. Menschen die unter dem kommunistischen Regime gelitten haben und teilweise viele Jahre im Zuchthaus oder gar in Sibirien im GULag verbringen mussten, empfinden diese Berufung als Demütigung.

 

Auf den Protest der Verbände kommunistisch Verfolgter hin stellte sich Frau Stange Anfang September einem Gespräch, das beim Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen stattfand. An der Diskussion nahmen Vertreter von elf verschiedenen sächsischen Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen teil. Die dabei von Eva-Maria Stange geäußerten Positionen zur künftigen Arbeit in der Stiftung Sächsische Gedenkstätten sowie zur Auseinandersetzung mit der kommunistischen Diktatur nahmen sie wohlwollend zur Kenntnis:

 

• Das Sächsische Gedenkstättenstiftungsgesetz schätzt die Ministerin grundsätzlich positiv ein, insbesondere im Vergleich zu bestehenden Regelungen in anderen der neuen Bundesländer. Mit ihr wird es keine Trennung der Stiftung nach Verfolgungsperioden geben. Stange will beide Opfergruppen gemeinsam in einer Stiftung vertreten wissen.

• Die Lösung des Konfliktes um den Austritt von Verbänden der NS-Opfer ist der Ministerin wichtig.

• Nach ihrer Meinung muss die Eignung von Gremienmitgliedern nicht allein an der früheren Mitgliedschaft in Organisationen, sondern an deren Funktion innerhalb einer Diktatur bemessen werden.

• Es geht der Ministerin darum, die Mechanismen beider Diktaturen zu erkennen, deren Wirkung zu analysieren und zu vermitteln, um einer Wiederholung vorzubeugen.

• In besonderem Maße will sich Eva-Maria Stange für die politische Bildung auf dem Gebiet der Diktaturaufarbeitung einsetzen.

 

Auf dieser Grundlage stellten die am Gespräch beteiligten Verbände und Initiativen ihre Vorbehalte gegenüber Eva-Maria Stange wegen ihrer SED-Vergangenheit und ihrem Engagement für systemnahe DDR-Lehrer in den 90er Jahren zurück. Sie streben eine konstruktive gemeinsame Arbeit in den Gremien der Stiftung Sächsische Gedenkstätten an. Die Verbände der kommunistisch Verfolgten verbinden mit ihrem Entgegenkommen die Hoffnung, dass nun auch die vor mehreren Jahren aus der Stiftung ausgetretenen Verbände der nationalsozialistisch Verfolgten ihre Vorbehalte soweit zurückstellen, dass sie in die Gremien der Stiftung zurückkehren und ihre Interessen dort einbringen. In Zeiten des Wiedererstarkens von rechten Parteien und Neonazi-Gruppierungen sowie von zunehmend unverhohlener auftretenden ehemaligen Funktionären des SED-Regimes empfinden es die Verbände als eine Pflicht aller Demokraten, die bestehenden Institutionen und Strukturen zu nutzen, um an die Opfer von politischer Gewaltherrschaft zu erinnern.

 

 

 

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AUS DEM GÄSTEBUCH

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

 

Viele unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch und schreiben hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben. Unter dieser Rubrik geben wir monatlich einige dieser Einträge an Sie weiter.

 

 

„Wer die Geschichte verdrängt, ist dazu verurteilt, sie nochmals zu erleiden. Deshalb ist Aufklärung und Erinnerung an beide deutsche Diktaturen weiter notwendig und einen Schlussstrich kann es nicht geben.“

Eintrag eines Besuchers aus Hannover vom 06.09.2006

 

„Very interesting insight – I can’t believe the time and effort spent spying on ordinary people. It makes me angry that the state could be so suspicious.“

Eintrag eines Besuchers aus England.

 

„After reading Anna Funders book (in English) we were very keen to visit this museum. It is an amazing reminder of “mans unhumanity to man”. I do hope you will be able to add translations in other languages – not just English. It is a lesson for the free world.“

Eintrag eines Besuchers aus England.

 

„Aus den Alten Bundesländern sollten sich viele Menschen dieses Museum ansehen, um besser ermessen und beurteilen zu können, unter welchem Druck die Bürger der DDR leben mussten.“

Eintrag vom September 2006

 


 



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Die Arbeit des Bürgerkomitees wird gefördert durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf der Grundlage eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst sowie durch die Stadt Leipzig und den Kulturraums Leipziger Raum.

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Bürgerkomitee Leipzig e.V.
für die Auflösung der ehemaligen Staatssicherheit (MfS)
Träger der Gedenkstätte
Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker
Dittrichring 24, PSF 10 03 45, D-04003 Leipzig
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