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Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

die DDR war 1989 zwar bankrott, die Parteien und Massenorganisationen haben aber dennoch ein nennenswertes Vermögen hinterlassen. In Sachsen ist schon mehrfach darüber diskutiert worden, wofür diese Gelder eingesetzt werden sollen. Erst jüngst wurde wieder angeregt, eine Demokratiestiftung einzurichten, die Initiativen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur fördert. Das Bürgerkomitee unterstützt diesen Vorschlag nachdrücklich und hat sich in dieser Angelegenheit an alle demokratischen Fraktionen, den Landtags- und den Ministerpräsidenten gewandt. Mehr dazu lesen Sie im Kapitel „Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung“.

 

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre.

Ihr Bürgerkomitee Leipzig

 

 

 

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INHALT

Wir laden ein

Rückblick

Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung

Aus der Arbeit der Gedenkstätte

Aus dem Gästebuch

 

 

 

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WIR LADEN EIN

 

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10. NOVEMBER 2008, 19.00 UHR

AKTION „KRISTALL“ - DAS HOLOCAUST-GEDENKEN ALS STÖRFALL SOZIALISTISCHER SICHERHEITSPOLITIK

Der Abend thematisiert den Umgang mit dem Holocaust-Gedenken in der DDR. Die Staatssicherheit sah in den 80er Jahren friedliche Gedenkaktionen am Jahrestag der Reichspogromnacht in Leipzig als Gefahr an. Die Polizei führte Demonstranten zu und schlug die Kerzen aus, die die Menschen bei den Gedenkmärschen dabei hatten.

 

1989 fand der erste genehmigte Gedenkmarsch statt; ein Jahr zuvor hatte die Erinnerungsveranstaltung zum 50. Jahrestag die Staatssicherheit noch in Alarmbereitschaft versetzt und war als Aktion „Kristall“ aktenkundig gemacht worden. Über diese Zeit diskutieren – 70 Jahre nach der Reichspogromnacht – in der „Runden Ecke“ Experten und Zeitzeugen.

 

Die Veranstaltung ist eine Kooperation mit dem Schulmuseum – Werkstatt für Schulgeschichte und findet im ehemaligen Stasi-Kinosaal statt. Der Eintritt ist frei.

 

 

12. NOVEMBER 2008, 19.00 UHR, in Leipzig | Zeitgeschichtliches Forum | Grimmaische Straße 6

TAGE IM OKTOBER. BERLIN, LEIPZIG UND DIE FRIEDLICHE REVOLUTION IN DER DDR

Alljährlich im Herbst erinnern Veranstaltungen an die Friedliche Revolution in der DDR, die im Oktober und November 1989 ihren Höhepunkt erreichte. In diesem Jahr fragen der Berliner Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen und das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig gemeinsam nach der Bedeutung der Ereignisse in Berlin und Leipzig – zweier Städte, die als die Hauptschauplätze der Friedlichen Revolution gelten. Der Geschäftsführer der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ eröffnet den Diskussionsabend, der in Berlin bereits stattfand und nun im November auch in Leipzig läuft, jeweils mit einer historischen Einführung.

 

Am 7. Oktober 1989 feierte die SED-Führung mit einem pompösen Staatsakt den 40. Jahrestag der DDR. Doch die scheinbar heile Welt des „Sozialismus“ hatte tiefe Risse. Noch in der gleichen Nacht kam es in Berlin und einigen anderen Orten zu Demonstrationen, auf denen das Ende des Regimes gefordert wurde. Die Staatsmacht reagierte mit brutaler Gewalt.

 

Nur zwei Tage später sollte sich in Leipzig zeigen, wie groß die Ablehnung der bestehenden Verhältnisse tatsächlich war. Etwa 70.000 Menschen beteiligten sich an der traditionellen Montagsdemonstration. Dieses Mal kapitulierte die Staatsmacht vor der schieren Menge der Demonstranten. Das Volk hatte die Straßen erobert; die Folge war eine Friedliche Revolution.

 

Im Rahmen der Veranstaltung diskutieren Historiker und Zeitzeugen aus beiden Städten die Ereignisse, ordnen sie in den Gesamtzusammenhang ein und beantworten so die Frage, welche Bedeutung den Tagen im Oktober tatsächlich zukommt.

 

Begrüßung

PROF. DR. RAINER ECKERT | Zeitgeschichtliches Forum Leipzig

MARTIN GUTZEIT | LStU Berlin

 

Einführung

TOBIAS HOLLITZER | Museum in der „Runden Ecke“, Leipzig

DR. ILKO-SASCHA KOWALCZUK | BStU, Berlin

 

Akteure im Gespräch

FRANK EBERT | Berlin / TOM SELLO | Leipzig

KATRIN HATTENHAUER

DR EHRHART NEUBERT

UWE SCHWABE

 

Moderation

STEPHAN BICKHARDT

 

 

 

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RÜCKBLICK

 

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6. OKTOBER 2008

DER KOPFHÖRER VON STASI-HAUPTMANN WIESLER UND ANDERE ORIGINALREQUISITEN AUS „DAS LEBEN DER ANDEREN“

„Die Sonate vom Guten Menschen“ – diese Klavier-Etüde spielt in dem Film „Das Leben der Anderen“ eine zentrale Rolle, sowohl vorder- als auch hintergründig. Das Thema des Spielfilmes ist die Bespitzelung der Berliner Künstlerszene durch die Staatssicherheit Mitte der 80er Jahre. Der entscheidende Unterschied zur Historie ist jedoch, dass Hauptmann Wiesler, der die Observierung durchführt, sich im Laufe der Zeit zunehmend mit dem Leben der Künstler auseinandersetzt und von der Parteilinie abweicht.

 

Der Film wurde am Montag, dem 6. Oktober, im ehemaligen Stasi-Kinosaal in der „Runden Ecke“ gezeigt. Im anschließenden Gespräch, bei dem auch einige Originalrequisiten vorgeführt wurden, konnten die Besucher - vornehmlich Schüler - Fragen stellen und ihre Meinung zum Film äußern. Besonders spannend war für das Publikum die Figur des Hauptmann Wiesler, der sich zum „Guten Menschen“ wandelt und sogar beginnt, den Dichter Georg Dreymann zu decken, als er mitbekommt, dass dieser anonym einen „staatsfeindlichen“ Artikel im „Spiegel“ veröffentlicht. Obwohl sein Vorgesetzter Wiesler den „Verrat“ nicht nachweisen kann, ist er sicher, dass dieser den Künstler gedeckt hat. Daraufhin versetzt er ihn in die Abteilung M, wo Wiesler bis zum Fall der Mauer Briefe aufdampft. Dank Wieslers Schutz hat Dreymann nicht mitbekommen, dass er bespitzelt wurde, und erfährt das erst zwei Jahre nach Ende der DDR. Die Einsicht in seine umfangreiche Stasi-Akte macht ihm deutlich, dass er von HGW XX/7 geschützt wurde. Der Film endet damit, dass Dreymann ein Buch schreibt, „Die Sonate vom Guten Menschen“, sein erstes seit der Wiedervereinigung, das er HGW XX/7 in Dankbarkeit widmet.

 

Die Veranstaltung, die sich gezielt an Schüler richtete, wurde von etwa 250 Personen besucht, davon 220 Schüler aus Leipzig und Umgebung. Während der Vorführung des Films kam es trotz der Ernsthaftigkeit des Themas vereinzelt zu Heiterkeitsausbrüchen im Publikum. So zum Beispiel, als der Schriftexperte der Stasi seinem Vorgesetzten in bereitem Sächsisch erklärt, welcher Schriftsteller welche Schreibmaschine nutzt. Dieser Charakter ist exemplarisch für die vielen - der Volksmund würde sagen - „Fachidioten“ die bei der Stasi beschäftigt waren. Sie waren in ihren Gebieten überdurchschnittlich gebildet, aber eben auch nur dort. Als sehr authentisch wurde außerdem neben einem Verhör auch die damit verbundene Seminarszene zu Beginn des Films eingeschätzt, bei der die Studenten in Operativer Psychologie unterrichtet wurden.

 

Im Anschluss an den Film gab es ein Gespräch mit Tobias Hollitzer, dem Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, sowie Klaus Spielhagen, dem Requisiteur des Filmes und Dr. Wolfgang Dutka, der über eine umfangreiche private Sammlung zum Thema verfügt und eine Vielzahl seiner Stücke für den Film zur Verfügung gestellt hatte. Dabei wurde besonders über den historischen Gehalt und die Authentizität des Filmes diskutiert. Allen Beteiligten war klar, dass nicht alles, was im Film dargestellt wird, in der DDR Wirklichkeit war. Trotzdem waren die Meisten, auch die Lehrer, der Meinung, dass ein solcher historisierender Spielfilm geeignet ist, den nachgeborenen Generationen die Problematik näher zu bringen. Durch die Anschaulichkeit eines Filmes werde das Interesse stärker geweckt als durch trockene Texte. Es wurde auch deutlich, dass es in Filmen oftmals nötig ist, die Ereignisse zu überzeichnen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen bzw. die Aufmerksamkeit auf bestimmte Dinge zu lenken. Es gab aber auch Kritik am Film: Bei einer so „positiven“, weil zum Guten wandelbaren Darstellung des Stasi-Offiziers Wiesler bestehe leicht die Gefahr zu Verallgemeinerung. In der Wissenschaft ist kein Fall belegt, bei dem ein Überwacher vergleichbar gehandelt hat. Eine Erklärung dafür war, dass ein einzelner Beamter nie so viele Bereiche einer Überwachung alleine abdeckte. Normalerweise arbeiteten an einer Überwachung viel mehr Hauptamtliche Mitarbeiter, so dass es kaum möglich war, ein komplexes Bild eines Falles zu bekommen. Erst daraus hätte sich die Möglichkeit zur Erkenntnis und zum Umdenken ergeben, wie es bei Hauptmann Wiesler der Fall war.

 

Nach dem Ende der Veranstaltung, die insgesamt ein sehr positives Echo fand, nutzten viele Schüler noch die Möglichkeit, sich in der Ausstellung „Stasi – Macht und Banalität“ umzusehen. Dabei konnten sie das eben am fiktiven Beispiel vorgeführte mit historischen Fakten untermauern.

 

 

6. OKTOBER 2008, 19.00 UHR

WIR SIND DAS VOLK! SIND WIR EIN VOLK? WARUM WIR IN LEIPZIG EIN FREIHEITS- UND EINHEITSDENKMAL BRAUCHEN

Vor 19 Jahren haben hier vermutlich noch die letzten Vorbereitungen zum 40. Jahrestag der DDR stattgefunden. Dieses Jahr gab es am 6. Oktober im ehemaligen Stasi-Kinosaal stattdessen eine Diskussion über die Würdigung der Deutschen Einheit. Vertreter aus Politik und Medien diskutierten auf dem Podium über die sinnvollste Form eines Freiheits- und Einheitsdenkmals. Die Veranstaltung war eine Kooperation des Museums in der „Runden Ecke“ und der Deutschen Gesellschaft, die im Anschluss auch zu einem Sektempfang einlud.

 

Die Begrüßung von Tobias Hollitzer, Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, und Gunther Hatzsch, Vizepräsident des sächsischen Landtags und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft, lieferte gleichzeitig einen kurzen historischen Abriss des Einheitsprozesses. Einstieg in die Debatte war eine Filmsequenz mit Bildern der Montagsdemonstrationen in Leipzig. In seinem Impulsreferat lieferte außerdem Gunter Weißgerber, Mitglied des Deutschen Bundestages, einige Anknüpfungspunkte, auf die der Moderator Sven-Felix Kellerhoff, Redakteur der „Welt“, später zurückgriff. Darunter zum Beispiel die Forderung, statt des Terminus’ „Friedliche Revolution“ die Formulierung „´89 Volksaufstand“ in Anlehnung an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953 einzuführen. Außerdem sprach er sich klar für ein korrespondierendes Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin und in Leipzig aus. Keine der beiden Städte könne aufgrund ihrer Bedeutung für die Entwicklung außen vor gelassen werden. Ein Argument war dabei, dass ein solches Denkmal die Würdigung der Nation und des Parlaments ausdrücken solle, was nur durch Berlin möglich sei.

 

Dieser nationale Gedanke wurde in der weiteren Diskussion mehrfach wieder aufgegriffen. So vertrat Jürgen Engert, Gründungsdirektor des ARD-Hauptstadtstudios, die Ansicht, dass die Hauptstadt immer auch die nationale Bühne sei, und dass der Nation durch das Denkmal ein gemeinsames, aber auf keinen Fall selektives Erinnern ermöglicht werden sollte. Er forderte auch mehrfach, das Denkmal nicht nur für sich sprechen zu lassen, sondern ihm ausreichende Informationsmöglichkeiten zur Seite zu stellen, damit keine verzerrte Geschichtswahrnehmung entsteht. Arnold Vaatz, Mitglied des Deutschen Bundestages, sprach sich ebenfalls für ein Denkmal in Leipzig aus. Dieses sollte nicht von den Bürgern selbst finanziert werden, sondern eine Ehrung der Bundesrepublik für die Ostdeutschen sein, die 1989 mutig demonstrierten. Außerdem solle in allen Städten, in denen es damals zu Protesten gegen die DDR Regierung kam, an diese Ereignisse erinnert werden. Sie seien Marksteine, die auch öffentlich dargestellt werden müssten. Als Kellerhoff den Bundestagsabgeordneten Rainer Fornahl, ebenfalls Mitglied des Bundestages, darauf ansprach, das es in Leipzig doch bereits ein ´89er-Denkmal auf dem Nikolaikirchhof gebe, meinte dieser, dass sei bei weitem kein Grund gegen ein weiteres Denkmal, weil dieses sowohl ergänzend, als auch allgemeiner wäre. Zudem würde die Kopplung der Denkmäler in Berlin und Leipzig den Verlauf der Ereignisse deutlich machen, was das aktuelle Denkmal nicht zu leisten vermöge.

 

Alle Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass ein korrespondierendes Denkmal in Berlin und Leipzig die beste Möglichkeit sei, um an die Ereignisse im Herbst ´89 und ihre Folgen zu erinnern. Insgesamt war die Diskussion sowohl vom Podium als auch im Publikum, besonders in der Darstellung der Vorgänge 1989/90, sehr emotional, so dass konträre Meinungen aufeinander trafen. Zum Abschluss des offiziellen Teils sprach Jürgen Engert noch das Problem der Finanzierung an: Ein solches Denkmal sei nicht aus der Portokasse zu bezahlen. Er verwies dabei auf die Gewandtheit von Politikern, sich um die öffentliche Unterstützung solcher finanziellen Großprojekte zu drücken, weil dies oft beim Wähler unpopulär sei. Die Diskussion beschloss er mit dem Vorwurf an die Politiker „Ihr seid mir schöne Republikaner!“.

 

Der Abend endete mit einem Sektempfang, bei dem die Gespräche in kleineren Gruppen weiter geführt wurden. Insgesamt besuchten etwa 100 Interessierte die Veranstaltung, die den Auftakt einer Reihe von Diskussionen bis zum Ende des Jahres bildete, die bundesweit stattfinden werden. Dabei soll auch besprochen werden, wie sich die einzelnen Bundesländer jeweils in einem Einheits- und Freiheitsdenkmal wieder finden können.

 

 

10. OKTOBER 2008, 19.00 UHR

AM 9. OKTOBER 1989 HABEN NICHT NUR DIE LEIPZIGER GESIEGT

Nicht nur die Leipziger demonstrierten am 9. Oktober 1989, jenem geschichtsträchtigen Montag. Aus der gesamten DDR reisten Menschen an, weil sie das Gefühl hatten, heute würde sich in Leipzig etwas bewegen. Und sie behielten Recht. Am 10. Oktober 2008 berichteten Teilnehmer dieser Demonstration von ihren persönlichen Erinnerungen an den 9. Oktober 1989, die sehr unterschiedlich waren und viele Facetten beleuchteten. Die Diskussion war Teil der Veranstaltung „Am 9. Oktober 1989 haben nicht nur die Leipziger gesiegt“ die im ehemaligen Stasi-Kinosaal in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ stattfand.

 

Tobias Hollitzer, Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, erinnerte in einem kurzen historischen Abriss an die Vorgeschichte des 9. Oktober 1989 und die Befürchtungen der Menschen im Vorfeld, als klar wurde, dass alle Zeichen auf Sturm standen und die Angst vor einer „chinesischen Lösung“ wie beim Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens wuchs. Aber es kam alles anders, der Aufruf von Pfarrer Christoph Wonneberger „Wir können auf Gewalt verzichten!“ schien gewirkt zu haben. 70.000 Demonstranten zogen friedlich um den Ring und forderten die Zaungäste auf „Schließt euch an!“.

 

Die Gäste des Abends hatten diesen 9. Oktober alle aus verschiedenen Blickwinkeln erlebt. Dietlinde und Rudolf Rüther waren aus Nordhausen gekommen, weil sie spürten, dass an diesem Tag etwas Entscheidendes geschehen würde. In ihrer Gemeinde war das Pfarrerehepaar sowohl vorher als auch nachher stark engagiert. Sie schöpften aus diesem Tag in Leipzig neue Kraft und stellten wenig später auch in ihrem Heimatort erste Demonstrationen auf die Beine.

 

Stefan Kettner hingegen kam auf Befehl nach Leipzig, weil er zu dieser Zeit seinen Wehrdienst bei der Bereitschaftspolizei Meiningen ableistete. Seine Einheit hatte den Auftrag erhalten, „die Genossen zu unterstützen“. Die Truppe kam bereits Samstagnacht in die Nähe von Leipzig, erhielt aber keine genauen Informationen über die Sachlage. An kleinere Orte und Demonstrationen gewöhnt, konnten sie sich keine Vorstellung von dem machen, was auf sie zukam. Kettner war mit vor der „Runden Ecke“ stationiert und meinte er hätte wahnsinnige Angst vor den Demonstranten gehabt und viel lieber auf der anderen Seite gestanden. Im Vorfeld hatten er und seine Kollegen scharfe Munition erhalten und dazu die Anweisung, sie im Ernstfall auch einzusetzen. Das zeigt einmal mehr, dass die Ängste der Demonstranten sehr real waren.

 

Wirklichkeit wurden die Ängste vor einer Eskalation, die in Leipzig ausblieb, in Dresden. Über die Ereignisse dort berichtete Frank Neubert. Er hatte damals zur Gruppe der Zwanzig gehört und war am 9. Oktober nach Leipzig geschickt worden, um dort nochmals zur Gewaltlosigkeit aufzurufen und anschließend in Dresden darüber zu berichten. Trotz eines sabotierten Autos kam er pünktlich in Leipzig an und sprach vor einer Nikolaikirche voller Parteigänger. Diese hatten die Kirche besetzt, so dass viele Demonstranten, auch die Rüthers - in die Thomaskirche auswichen. Dort sagte Kurt Masur zum Abschluss: „Und jetzt gehen sie alle ganz friedlich nach Hause.“

 

Den Eindruck, die Demonstranten hätten genau das getan, hatte Rainer Küster, als er mit einem Freund in Leipzig ankam. Obwohl in der Partei und im Betrieb gewarnt, heute werde mit der Konterrevolution Schluss gemacht, war er gekommen - vor allem, wie er selbst sagte, um nicht als Feigling dazustehen. Die beiden Freunde irrten eine Weile suchend durch die Straßen, bis sie am Bahnhof auf den Demonstrationszug stießen. Küster sagte über sich: „Auf keinen Fall waren wir Helden.“ Aber auch er hatte das Gefühl, dass der 9. Oktober neue Kräfte in ihm geweckt und eine Euphorie ausgelöst habe. Letztendlich habe die Staatsmacht gegen Kerzen verloren.

 

Barbara Timm war am 9. Oktober aus Berlin gekommen, in der Hoffnung, in Leipzig könne man mehr erreichen, als in der Hauptstadt, wo am 7. Oktober die Demonstranten zusammengeschlagen worden waren. Sie machte auf der Demonstration sogar Fotos, obwohl sie Angst hatte, entweder von der Stasi geschnappt oder selbst für einen Spitzel gehalten zu werden. Sie hatte fest an Veränderungen geglaubt und war auch selbst daran beteiligt, indem sie beim, wie sie es nannte, „Sturm auf die Bastille“, die Stasizentrale in Berlin, am 15. Januar 1990 mitwirkte.

 

„Das war erst der Anfang!“ sagte Rudolf Rüther zum Schluss der Diskussion. Der 9. Oktober habe in seinem Heimatort noch zahlreiche Aktionen nach sich gezogen. Die Stärke des Abends, die große Bandbreite der Referenten und Sichtweisen, war gleichzeitig auch seine Schwäche, weil dadurch nicht alle spannenden Geschichten erzählt werden konnten, ohne den zeitlichen Rahmen zu sprengen. Die etwa 60 Besucher des Abends diskutierten so nach dem offiziellen Ende noch lebhaft in kleineren Gruppen weiter.

 

 

11. OKTOBER 2008, 19.00 UHR

NIKOLAIKIRCHE

Zerrissen zwischen einem System, dass einen kaputt macht und einer Familie, die hinter diesem System steht. Zerrissen zwischen den eigenen Ängsten und dem Wunsch, etwas zu tun und nicht weiter nur „Ja“ zu allem zu sagen. Zerrissen zwischen dem, was einfach ist und dem, was richtig scheint. In diesem Konflikt befindet sich die Hauptfigur des Films „Nikolaikirche“, Astrid. Nach ihrem verstorbenen Vater wird als Auszeichnung eine Straße benannt. Ihr Bruder ist Hauptamtlicher Mitarbeiter bei der Staatssicherheit. Ihre Tochter ist insgeheim mit einem Wehrdienstverweigerer zusammen. Ihr Mann hat kein Rückgrat. Sie selbst will im Betrieb nicht mehr alles unterzeichnen, die sie ablehnt.

 

Astrid, gespielt von Barbara Auer, wird krankgeschrieben, weil sie dem Druck nicht mehr standhält. Als sie dann bei einem Ausflug zum Tagebau einen Unfall hat und sich das Bein bricht, wird sie in eine Nervenklinik eingewiesen. Dort lernt sie eine Frau kennen, deren Sohn von einem Panzer überrollt und getötet wurde. Über sie erhält sie Zugang zu den Oppositionsgruppen. Gerade wollte ihr Bruder sie noch für die Stasi anwerben, jetzt sitzt sie in der Nikolaikirche beim Friedensgebet, und das nicht als IM. Der Film, der auf dem gleichnamigen Roman von Erich Loest basiert, zeigt das Leben einer Frau, die aus ihrer kleinen Welt, die von Partei und Staatstreu bestimmt war, heraustritt, weil sie es nicht mehr aushält. Das System macht sie krank. Und sie erkennt, dass vieles bei weitem nicht so ist, wie es die SED-Führung den Menschen im Land glauben machen wollte.

 

Am 11. Oktober sahen etwa 80 Interessierte im ehemaligen Stasi-Kinosaal in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ diesen Film. In einer kurzen Pause stellte Reinhard Bohse den Autor vor. Dieser hatte die Ereignisse des Herbst ´89 gar nicht selbst miterlebt, weil er seit 1981 in der Bundesrepublik lebte und erst nach dem Fall der Mauer zurückkehrte. Dennoch sagte Loest sich: „Wenn ich darüber nicht schreibe, bin ich kein Leipziger und auch kein Schriftsteller.“ Also begann er, Informationen von allen Seiten zu sammeln und kreierte eine fiktive Familie. Was die Dramaturgie betraf, hielt er sich an Lessing und meinte, man müsse alle an einen Küchentisch bringen. Die Erkenntnis von Astrid, dass sie etwas nicht mit sich vereinbaren kann, war laut Loest für viele Menschen in der DDR der Anfang zum Umdenken.

 

Die Geschichte ist eine Mischung aus historischen Fakten und Fiktion. So sind die Äußerungen des Pfarrers, der mit seiner Weste eindeutig an Pfarrer Christian Führer erinnert, eine Zusammenstellung aus realen Texten der Pfarrer Führer, Wonneberger und Kaden. Die Besetzung der Rollen bezeichnete Loest als Glücksfall. Und trotz einiger Schwierigkeiten beim Dreh wegen der baulichen Veränderungen in der Stadt gab es für viele Szenen, zum Beispiel in verfallenen Häusern, auch noch genug authentische Drehorte. Mit dem Dreh selbst hatte der Schriftsteller eigentlich nicht viel zu tun, da er sich an das Motto hielt: „Nach der ersten Klappe hat der Autor die Klappe zu halten.“ Allerdings entstanden Film recht zeitnahe zum Roman. Bevor der überhaupt fertig war, wurde bereits die Verfilmung geplant. Regisseur Frank Beyer riskierte einiges mit einem Projekt, bei dem nicht hundertprozentig feststand, ob das Drehbuch rechzeitig fertig werden würde.

 

Auf die Frage, worauf die Zuschauer beim zweiten Teil des Filmes besonders achten sollten, meinte Loest lediglich: „Die Leute sind schlau, dass werden sie selber merken.“ Zum Schluss des Gespräches berichtete Loest noch von der Premiere des Filmes, die seinerzeit im Capitol stattfand. Der Saal war überfüllt und die Leute, die draußen standen und nicht mehr hereinkamen, forderten: „Wir wollen rein! Wir sind das Volk!“

 

 

 

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NEUES AUF DEM GEBIET DER AUFARBEITUNG

 

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BÜRGERKOMITEE UNTERSTÜTZT VORSCHLAG ZUR EINRICHTUNG EINER DEMOKRATIESTIFTUNG

Mit dem Vermögen der Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR soll eine Demokratiestiftung Sachsen eingerichtet werden. Dieser Forderung, die bereits von mehreren Fraktionen des Sächsischen Landtags aufgestellt und erst jüngst wieder geäußert wurde, schließt sich das Bürgerkomitee uneingeschränkt an. Die Stiftung solle Aufarbeitungs- und Bildungsarbeit leisten und konkrete Projekte, wie etwa Gedenkstätte zur Erinnerung an die Diktatur in SBZ und DDR, fördern.

 

Gerade Mittel, die aus dem Vermögen der DDR-Staatspartei stammen, sollten zweckgebunden für die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur verwendet werden und nicht allgemein im Haushalt aufgehen beziehungsweise – wie in der Verwaltung des Freistaats bereits diskutiert – gar für die Anschaffung eines neuen Fuhrparks ausgegeben werden. Wir befürworten speziell die Idee, eine Stiftung zu gründen, weil die Mittel dann langfristig sinnvoll angelegt wären und auch unabhängig von der aktuellen Haushaltslage zur Verfügung stünden.

 

Die Stiftung sollte Projekte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur fördern und damit auch kleinere Initiativen unterstützen. In Zeiten, in denen allerorten die mangelnde historische Sensibilität und der geringe Kenntnisstand von Schülern zur DDR-Geschichte beklagt werden, wäre ein solcher Fonds nur zu begrüßen. Die etablierten Aufarbeitungseinrichtungen können momentan angesichts der angespannten Haushaltslage weit weniger leisten, als nötig wäre.

 

Aus Sicht des Bürgerkomitees sollte die Stiftung jedoch nicht in aktuell bestehende Strukturen – etwa die Stiftung Sächsische Gedenkstätten – eingebunden werden. Dies birgt die Gefahr, dass der Freistaat sein jährliches finanzielles Engagement dort mit Blick auf das nun vorhandene Stiftungskapital reduziert oder gar ganz beendet. Gerade angesichts des bevorstehenden 20. Jahrestags der Friedlichen Revolution und des folgenden Jubiläums der deutschen Einheit sind zusätzliche Mittel dringend nötig.

 

Die Volksvertreter im Freistaat sind parteiübergreifend gefordert, sich im Zuge der Haushaltsverhandlungen 2009/2010 für eine sächsische Demokratiestiftung einzusetzen. Mit Blick auf das bevorstehende Doppeljubiläum ist jetzt der richtige Zeitpunkt, eine solche Einrichtung zu schaffen. Das Bürgerkomitee hat alle demokratischen Fraktionen, den Landtagspräsidenten und den Ministerpräsidenten dazu aufgerufen, ein Zeichen zu setzen, dass die Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Überwindung der deutschen Teilung im Freistaat ernst genommen werden.

 

 

REVOLUTIONSGESCHICHTE(N) – NEUE SERIE IN DER LEIPZIGER VOLKSZEITUNG

Leipzig hat Geschichte geschrieben, die Bilder von der Friedlichen Revolution gingen um die ganze Welt. Doch wie war das eigentlich? In der neuen Serie „Revolutionsgeschichte(n)“ blickt die Leipziger Volkszeitung mit Unterstützung des Bürgerkomitee Leipzig e.V. und des Archiv Bürgerbewegung auf einige Ereignisse vor 20 Jahren zurück. Zum Auftakt ging es kürzlich um den 24. Oktober 1988. An diesem Tag entrollten Vertreter von Basisgruppen Plakate in der Nikolaikirche, die ein Jahr später Ausgangspunkt der Montagsdemonstrationen wurde.

 

Die Revolutionsgeschichten erscheinen jeweils anlassbezogen an historischen Terminen. Den nächsten Beitrag lesen Sie am 9. November über eine Flugblattaktion aus dem Jahr 1988.

 

 

 

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AUS DER ARBEIT DER GEDENKSTÄTTE

 

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BÜRGERKOMITEE BEIM 1. TAG DER STADTGESCHICHTE AM 8. NOVEMBER 2008

Am 8. November präsentieren wir uns von 10 bis 16 Uhr beim Tag der Stadtgeschichte im Stadtbad, organisiert vom Leipziger Geschichtsverein e.V. Anliegen der Organisatoren ist es, dass die Leipziger Bürger sich bei dieser erstmals stattfindenden Veranstaltung an Ständen über Vereine und deren Arbeit informieren können. Die Vielfalt der Themen soll dabei groß sein: Ob Totengräber oder Bürgermeister, ob Schrebergarten oder Marktplatz, ob Wirtschaft oder Kultur, ob Industriedenkmal oder Gründerzeitvilla, ob Völkerschlacht oder Montagsdemonstration, ob Mittelalter oder Zeitgeschichte – zu allem wird es Angebote geben. Das Bürgerkomitee wird sich mit einem Stand präsentieren, Infomaterial bereithalten und für Gespräche zur Verfügung stehen.

 

 

 

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AUS DEM GÄSTEBUCH

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

 

Viele unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch und schreiben hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben. Unter dieser Rubrik wollen wir monatlich einige dieser Einträge an Sie weitergeben.

 

 

„Unendlich wichtig für uns und unsere Kinder, die Dokumentation des Grauens. Die Nazidiktatur mit feineren Mitteln fortgesetzt. Diese Ausstellung – unendlich wichtig für die deutsche Geschichte.“

Eintrag eines Besuchers vom 7.10.2008

 

„Wir vergessen viel zu schnell. Viele wollen ‚es’ nicht ‚wahrhaben’ und doch: Es gehört zu unserer Geschichte.“

Eintrag eines Besuchers vom 16.10.2008

 

„Es kam zusammen, was zusammen gehört. Es ist und bleibt wichtig aufzuzeigen was war, um zu verhindern, dass es erneut geschehen kann. Man sollte es als Warnung nehmen, ohne wahllos anzufügen. Vielen Dank für die hier geleistete Arbeit.“

Eintrag einer Besucherin vom Oktober 2008

 

 


 



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Die Arbeit des Bürgerkomitees wird gefördert durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf der Grundlage eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst sowie durch die Stadt Leipzig und den Kulturraums Leipziger Raum.

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Bürgerkomitee Leipzig e.V.
für die Auflösung der ehemaligen Staatssicherheit (MfS)
Träger der Gedenkstätte
Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker
Dittrichring 24, PSF 10 03 45, D-04003 Leipzig
Tel.: (0341) 9 61 24 43 * Fax: (0341) 9 61 24 99
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