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Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

im Rahmen der zweiten Leipziger und Hallenser Museumsnacht am 24. April unter dem Motto „Schöne Nachbarin“ bot die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ erstmals und auch mit Erfolg Führungen im Museum im Stasi-Bunker an, der jahrzehntelang in verborgener Nachbarschaft im Naherholungsgebiet Lübschützer Teiche bei Machern lag und vor 20 Jahren von Bürgerrechtlern enttarnt wurde. Daneben gab es auch im Museum in der „Runden Ecke“ wieder ein vielfältiges Programm mit zahlreichen Besuchern. Mehr dazu erfahren Sie unter der Rubrik „Rückblick“.

 

Auch am Ostermontag Anfang April waren die Gäste zahlreich, als bei der Reihe „Wir sind das Volk!“ - Montagsgespräche in der „Runden Ecke“, der ehemalige Pfarrer der Reformierten Kirche Hans-Jürgen Sievers vom friedlichen Umbruch des Jahres 1989 und von seinem Weg dorthin. Ein ausführliches Resümee finden Sie in unserem Rückblick.

 

Am 3. Mai 2010, um 19.00 Uhr, begrüßen wir den ersten demokratisch gewählten Oberbürgermeister der Stadt Leipzig Hinrich Lehmann-Grube, der als Westdeutscher im Frühjahr 1990 nach Leipzig kam, noch die Staatsbürgerschaft der DDR annahm und mit seinem „Leipziger Modell“ die Stadt in den nächsten Jahren maßgeblich voran bringen sollte. Weitere Informationen dazu finden Sie in der Rubrik „Wir laden ein“.

 

Wir wünschen Ihnen beim Lesen des Newsletters viel Vergnügen und freuen uns, Sie bald bei uns begrüßen zu dürfen.

 

Ihr Bürgerkomitee Leipzig

 

 

 

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INHALT

Wir laden ein

Aus der Arbeit der Gedenkstätte

Rückblick

Aus dem Gästebuch

 

 

 

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WIR LADEN EIN

 

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3. MAI 2010, 19.00 UHR

MONTAGSGESPRÄCH MIT HINRICH-LEHMANN GRUBE

Seit Januar 2009 lädt das Bürgerkomitee Leipzig e.V. zu einer Gesprächsreihe mit Zeitzeugen ein. Im Mittelpunkt der „Montagsgespräche“ stehen Einzelpersonen, die sich in besonderer Weise an der Friedlichen Revolution beteiligten, einen gleichermaßen außergewöhnlichen wie auch exemplarischen Lebensweg hatten und haben und nicht zuletzt mit Leipzig verbunden sind. 2010 wird die Reihe anlässlich des Doppeljubiläums von Friedlicher Revolution und Deutscher Einheit nun fortgesetzt.

 

Diesmal ist der erste demokratisch gewählte Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Hinrich Lehmann-Grube zu Gast, der mit seinem „Leipziger Modell“ die Stadt maßgeblich nach vorne brachte.

 

1932 in Königsberg geboren, begann Hinrich Lehmann-Grube nach dem Abitur in Hamburg ein Studium der Rechtswissenschaften. Im Jahr 1956 trat er der SPD bei. Er arbeitete in verschiedenen Verwaltungspositionen und wurde 1979 Oberstadtdirektor in Hannover, der Partnerstadt Leipzigs. Im April 1990 nahm Lehmann-Grube die Staatsbürgerschaft der DDR an, um als Kandidat der SPD an der Kommunalwahl vom 6. Mai 1990 teilnehmen zu können. Er gewann seinen Wahlkreis und wurde Stadtverordneter in Leipzig. Einen Monat später wurde er zum Oberbürgermeister der Stadt Leipzig gewählt. Damit übernahm der Verwaltungsfachmann kurz vor dem Ende der DDR und der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten eine Stadtverwaltung unter schwierigen Bedingungen.

 

Lehmann- Grube gelang es, mit dem Konzept „Leipzig – Stadt der Unternehmer“ die Verschuldung der Stadt zu bremsen. Lehmann-Grube war Verfechter einer „anderen Politik“, bei der nicht die Interessen der Parteien im Vordergrund stehen sollten, sondern ausschließlich die Sacharbeit. Bei den Wahlen zum Oberbürgermeister 1994 wurde er mit großer Mehrheit im Amt bestätigt. Im Jahr 1998 ging er in den Ruhestand und übergab die Geschäfte an seinen Nachfolger Wolfgang Tiefensee. 1999 wurde Lehmann-Grube zum Ehrenbürger der Stadt Leipzig ernannt.

 

Die Moderation haben Reinhard Bohse und Tobias Hollitzer.

 

Die Veranstaltung findet im ehemaligen Stasi-Kinosaal statt, der Eintritt ist frei.

 

 

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AUS DER ARBEIT DER GEDENKSTÄTTE

 

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7. APRIL 2010: GRUNDSTEINLEGUNG FÜR DIE KLINGER-TREPPE AM LEIPZIGER PROMENADENRING

Feierlich wurde im April in unmittelbarer Nachbarschaft zum Museum in der „Runden Ecke“ der Grundstein für ein wichtiges Kulturdenkmal am Leipziger Innenstadtring gesetzt. Dies war bereits die zweite Grundsteinlegung dieser von Max Klinger entworfenen Treppe, die Baubürgermeister Heiko Rosenthal in Anwesenheit wichtiger Vertreter der Stadt eröffnete. In diese Treppe sollte ein Sockel und ein Denkmal für Richard Wagner integriert werden. Dazu ist es allerdings nie gekommen, da Max Klinger 1920 verstarb.

 

In den 1970er Jahren wurde die Treppe abgetragen, da die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit den Platz für ihren Neubau benötigte. Auf persönliche Anweisung des 1. Sekretärs der SED-Bezirksleitung wurde die Treppe entgegen der ursprünglichen Planung der Stadt Leipzig nicht wieder aufgebaut. Stadtplanerische Bestimmungen sowie die Tatsache, dass es sich bei der Treppe um einen eingetragenen Weg handelte, wurden dabei völlig ignoriert.

 

Nach 1990 wurden die Teile der Treppe die die Jahre auf einem Stasi-Gelände überdauert hatten, auf einer Mülldeponie von Mitarbeitern des Grünflächenamtes gefunden und geborgen. 2009 beschloss die Stadt Leipzig die Klingertreppe wieder aufzubauen, diesmal mit dem Sockel, der von Klinger noch weitgehend fertig gestellt worden war, um so ein wichtiges Kulturdenkmal zu schaffen und dem Innenstadtring wieder zu seiner ursprünglichen Form zu verhelfen. Die gravierenden Eingriffe der Stasi in die Stadtgestaltung werden somit rückgängig gemacht, was das Bürgerkomitee ausdrücklich begrüßt. Für die Errichtung der Treppe wurde die Anlage zur Notstromversorgung der Stasi-Bezirksverwaltung abgerissen. Teile davon wurden in die Sammlung der Gedenkstätte integriert.

 

 

18.04.2010: GEDENKVERANSTALTUNG FÜR DIE BEFREIUNG LEIPZIGS DURCH DIE AMERIKANISCHE ARMEE 1945

Am 8. Mai 2010 jährt sich zum 65. Mal die endgültige Befreiung Deutschlands und Europas vom Nationalsozialismus. Bereits am Abend des 18. April 1945 erreichten amerikanische Truppen der 2. und der 69. Infanteriedivision das Leipziger Stadtzentrum. Gleichwohl ist dieser Tag überschattet von einem der schwersten Verbrechen der Nazis in Leipzig: der Ermordung von Zwangsarbeitern im KZ-Außenlager Abtnaundorf, von denen die Waffen-SS 100 bei lebendigem Leibe verbrannte.

 

Am 19. April 1945 nahm die Alliierte amerikanische Militärregierung von Leipzig ihre Arbeit auf. Um 16.30 Uhr trat für Leipzig die Proklamation Nr. 1 des alliierten Oberbefehlshabers und späteren US Präsidenten, Dwight D. Eisenhower, in Kraft. Mit dieser Proklamation Nr. 1 wurden u. a. sofort die Nürnberger Rassengesetze und andere menschenfeindliche,

undemokratische Gesetze außer Kraft gesetzt.

 

Die Amerikaner begannen sofort mit dem Neuaufbau der demokratischern Strukturen. Am 23.04.1945 setzten sie den Leipziger Rechtsanwalt Wilhelm Johannes Vierling als neuen Oberbürgermeister sowie den bis 1933 amtierenden Polizeipräsidenten Heinrich Fleißner wieder in sein Amt ein. Dieser demokratische Neubeginn wurde nach wenigen Wochen mit der Übergabe Leipzigs an die Rote Armee am 2. Juli 1945 leider abgebrochen. Nun begann der systematische Aufbau einer kommunistischen Diktatur.

 

An diese oft in Vergessenheit geratenen ersten Wochen eines demokratischen Neuanfangs gilt es zu erinnern. So wurde mit einer kleinen Gedenkveranstaltung am 18. April 2010, organisiert von einigen Leipzigern Bürgern in Anwesenheit der Generalkonsulin der USA in Leipzig Katherine Brucker vor der „Runden Ecke“, in der die amerikanische Verwaltung ihre Arbeit aufnahm und die Besatzungstruppen ihr Hauptquartier hatten, an die Befreiung vor 65 Jahren erinnert.

 

 

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RÜCKBLICK

 

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5. APRIL 2010: „WIR SIND DAS VOLK!“ – MONTAGSGESPRÄCH IN DER „RUNDEN ECKE“ MIT HANS-JÜRGEN SIEVERS

 

„Ihr müsst so reden, dass Ihr es immer und überall vertreten könnt!“ Dieser Ratschlag, den Hans-Jürgen Sievers, der sechzehnte Gast der Montagsgespräche, als Jugendlicher vom Jugendwart seiner Gemeinde erhielt, sollte der Pfarrer i.R. sein Leben lang beherzigen und letztlich sein Engagement in der Leipziger Opposition schon vor 1989 im Rückblick als reine Selbstverständlichkeit begreifen. Fast zwei Stunden stand Hans-Jürgen Sievers den Moderatoren Tobias Hollitzer und Reinhard Bohse sowie dem Publikum für Fragen zur Verfügung und ließ es bei seinen Erzählungen an Humor nicht fehlen.

 

Hans-Jürgen Sievers wurde 1943 in der Stadt Brandenburg geboren, er sei aber kein „waschechter Brandenburger“, sein Vater war Kaufmann in Hamburg gewesen, seine Mutter stamme von dort. Sievers gehörte zu der Kriegsgeneration, die vaterlos und in sehr bescheidenen Verhältnissen aufwuchs. Zu seinen frühesten Kindheitserinnerungen gehörten sowjetische Panzer im Ort. Er ging in Brandenburg zur Schule und wurde dort auch konfirmiert. Als Schüler erlebte er den 17. Juni 1953, von dem man vor allem über das „Flüstern der Erwachsenen“ von Unterdrückung und Verhaftungen einiges mitbekommen habe. Zur angesetzten Schulstunde sei der Lehrer damals „einfach nicht erschienen“, woraufhin die Klasse beschloss, jetzt auch Revolution zu machen und das Stalin-Bild von der Wand zu nehmen. Der Mut währte jedoch nicht lange, so dass das Bild des sowjetischen Diktators am Ende der Stunde wieder an seinem Platz hing.

 

In die FDJ, die Freie Deutsche Jugend, sei Sievers nie eingetreten, sondern habe sich in Brandenburg der Jungen Gemeinde angeschlossen, aus deren Reihen viele später Theologie studiert hätten. So auch Sievers, der nach einer Lehre zum Mechaniker 1962 ein Studium mit Berufsausbildung zur Theologie in Ost-Berlin begann. Die Mauer dort habe er als etwas Schlimmes empfunden, die politische Lage sei deshalb für ihn immer ein wichtiges Thema gewesen. Als in den 1960er Jahren das Schlagwort der „Kirche im Sozialismus“ aufkam, hat er dieses Anliegen sehr unterstützt, weil es wichtig gewesen sei in einem sozialistischen Land eine Kirche aufzubauen und zu erhalten.

 

1965/66 kam Sievers für den Beginn seiner Vikariatszeit zum ersten Mal länger nach Leipzig und hatte keinerlei Probleme sich einzufügen. Nach weiteren Jahren als Vikar, dann als Pfarrer auf dem Land hat er schließlich 1974 eine Stelle in der Reformierten Gemeinde angenommen. Diese erste Zeit sei für Ihn spannend und fordernd gewesen. Die Reformierten begriffen sich eher als liberale Gemeinde „im Gegensatz zu den Evangelischen“, wie Sievers betonte. Außerdem war die Kirche besonders für Jugendliche attraktiv, sodass auch das Jugendpfarramt dort Jugendgottesdienste abhielt.

 

Sievers Engagement blieb auch in dieser Zeit ein politisches. Er beschäftigte sich intensiv mit Martin Luther King und der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Er versuchte aber vor allem, Freiräume für seine Gemeinde durchzusetzen und etwa Jugendlichen den Rücken zu stärken, denen die Zulassung zur EOS und damit zum Abitur verwehrt wurde, weil sie sich in der Kirche statt bei den Jung-Pionieren oder der FDJ engagierten. Sievers öffnete seit dem Ende der 1980er immer öfter seine Kirche für Aktionen der politischen Opposition und handelte sich damit nicht selten Schwierigkeiten mit der Stadt und den Behörden ein. Des Öfteren musste er der Abteilung Kirche bei der Stadt Leipzig Rede und Antwort stehen, er habe sich jedoch nie drohen lassen, so Sievers heute, „trotz manch weicher Knie.“ So sei etwa am 28.02.1988 eine Versteigerung von Bildern von 95 verschiedenen Künstlern in der Reformierten Kirche zustande gekommen, deren Erlös für die Anwaltskosten der Inhaftierten der Luxemburg-Liebknecht-Demo gedacht war. Obwohl die Inhaftierten zu diesem Zeitpunkt bereits nach Westdeutschland abgeschoben worden waren, gestaltete sich die Versteigerung sehr erfolgreich.

 

Wie Sievers die Zeit bis zum Sommer 1989 erlebt habe, lautete eine Frage der Moderatoren. Es sind zunächst immer mehr Jugendgruppen aus St. Nikolai in die Reformierte Kirche gekommen, weil sie hier mehr Freiheiten hatten, so Sievers. Allgemein war die Zeit vom Gefühl geprägt, dass alles zusammen bricht. Ihre eigene Stagnation habe wohl auch die SED bemerkt. Die Losungen der Partei seien in dem Jahr vom Motto „vorwärts“ zu „Wir wollen bewahren, was wir geschaffen haben“ geworden, was Sievers schon sehr verblüfft habe. Generell kam er sich mit seiner Gemeindearbeit so vor wie „bei der Eroberung einer Burg, wenn man mit dem Rammbock gegen das Tor stößt.“

 

Seit dem 4. September 1989 hat Hans-Jürgen Sievers an den Montagsdemonstrationen teilgenommen. Auf die Frage hin, wann er den Ruf „Wir sind das Volk!“ zum ersten Mal gehört habe, war sich Sievers nicht mehr ganz sicher, ob dieser nicht schon am 2. Oktober gerufen wurde, am 9. Oktober dann ganz sicher. Diese Losung habe er eigentlich auch immer als Antwort auf die Artikel in der LVZ gesehen, die ankündigte, dass das Volk die demonstrierenden „Rowdys“ demnächst von der Straße vertreiben werde. „Da musste man ihnen klar machen: Nicht sie sind das Volk, sondern wir sind das Volk.“

 

Am 2. Oktober 1989 bat ihn Superintendent Friedrich Magirius, seine Kirche ebenfalls für ein Friedensgebet zu öffnen. Obwohl er davon zunächst ein wenig überrascht war, da er noch nie vorher ein Friedensgebet hatte, entschloss er sich dazu. Sowohl am 2. als auch am 9.Oktober sei die Kirche rappelvoll gewesen, erinnert sich Sievers, der am 9. auch die Predigt übernahm und im Anschluss die Menschen nach dem Vorbild von Martin Luther King dazu aufrief, auf die Straße zu gehen. Dabei habe er natürlich auch Angst gehabt, was da passieren würde. Erst eine Woche später bei der Demonstration am 16. Oktober habe er das Gefühl gehabt: „Jetzt sind wir über den Berg.“

 

Dass an dem Abend des 9. Oktober vom Turm seiner Kirche zwei Kameramänner gefilmt haben und man diese Aufnahmen einen Abend später in der Sendung „report“ in der ARD sehen konnte, hat erstaunlicherweise 9 Jahre lang niemanden interessiert, so Sievers. Erst 1999 tauchte das Material wieder in den Medien auf, und er erfuhr, wer die beiden Männer waren. Heute steht die Kamera von Siegbert Scheffke als Objekt in der Sonderausstellung „Leipzig auf dem zur Friedlichen Revolution“, die Aufnahmen, die er damit machte sind allgemein bekannt. Dies hätte Sievers so gar nicht für möglich gehalten.

 

Hatte man im Oktober 1989 noch das Gefühl, die DDR verändern zu wollen, so war man „im November davon überzeugt, dass die DDR nicht mehr lange lebt.“ Sievers engagierte sich jedoch weiterhin, ab Januar dann als Moderator des Runden Tisches der Stadt Leipzig, der für Sievers wie ein Brückenschlag hin zu den ersten demokratischen Wahlen gewesen sei, obwohl er sich zugegebenermaßen überwinden musste, ins Rathaus zu gehen. Doch man habe trotz aller Kritik sehr konstruktiv zusammengearbeitet, so Sievers heute. „Auch wenn ich viel Schlechtes über die Runden Tische heute lese, ich glaube wir haben’ s hingekriegt.“

 

13. APRIL 2010: DISKUSSIONSVERANSTALTUNG MIT US-BOTSCHAFTER PHILIP D. MURPHY ZUM THEMA „STAAT UND INDIVIDUUM IM 21. JAHRHUNDERT"

 

Anfang 2010 war ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und den USA, bezüglich des Zugangs amerikanischer Sicherheitsbehörden auf die Daten des Finanzdienstleisters Swift, am entschiedenen Nein des Europäischen Parlaments gescheitert. Die EU-Parlamentarier sahen den Datenschutz in dem bisherigen Abkommen nicht ausreichend gesichert. Aus diesem Grund finden momentan neue Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament statt und die US-Regierung ist bemüht, Bedenken in der europäischen Öffentlichkeit zu zerstreuen. Im Rahmen dieser Bemühungen besuchte US-Botschafter Philip D. Murphy am 13. April 2010 zum zweiten Mal die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“. Das US-Generalkonsulat hatte zu einer Diskussionsveranstaltung mit dem Botschafter in den ehemaligen Stasi-Kinosaal geladen.

 

Nicht unkritisch sah Tobias Hollitzer, Gedenkstättenleiter und Mitglied des Bürgrkomitee Leipzig e.V, zur Begrüßung dieses Thema: Von den Forderungen der Friedlichen Revolution des Herbstes 1989 ausgehend , müsse jedes Individuum Rechtssicherheit genießen und vor Überwachung sicher sein. Dafür haben sich die Leipziger Demonstranten und Besetzer der Leipziger Bezirksverwaltung des MfS 1989 eingesetzt und „Rechtssicherheit statt Staatssicherheit“ gefordert. Seit dem 11. September jedoch bedrohe der internationale Terror immer mehr auch die westliche Welt, so dass die Demokratie hier immer wieder vor neuen Herausforderungen stehe. Seitdem haben sich auch die Überwachungsmaßnahmen sowie Daten- und Personenkontrollen immer wieder verschärft, so dass in den Medienberichten der letzten Jahre auch immer wieder der Begriff „Stasi 2.0“ fiel. Eine Gleichsetzung der neuen Sicherheitsgesetze mit den Methoden der DDR-Geheimpolizei lehne das Bürgerkomitee jedoch ab, so könne man heute im Gegensatz zu der Zeit vor 1989 offen und öffentlich über die Problematik diskutieren. Diese Debatte brauche man heute auch mehr denn je, um bei Angriffen die unsere Demokratie die rechtsstaatlichen Grundsätze nicht aufzugeben.

 

Der Botschafter betonte in seiner Rede den einprägsamen Eindruck, den die Führung durch Gedenkstättenleiter Tobias Hollitzer im Oktober 2010 bei ihm hinterlassen hatte. Dieser Ort sei hervorragend geeignet, um so ein wichtiges Thema wie die Bedeutung des Schutzes persönlicher Daten in einer freien Gesellschaft zu diskutieren. Gerade hier sei den Menschen besonders bewusst, welche Folgen die permanente Überwachung und Kontrolle seitens staatlicher Behörden auf das Leben von Menschen gehabt hat.

 

Diese unterschiedlichen Erfahrungen, so Botschafter Murphy, seien ein Grund für die Schwierigkeiten im gegenseitigen Verständnis. Die Vereinigten Staaten führen schon seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts immer wieder nachhaltige Diskussionen um den Schutz der Persönlichkeitsrechte jedes Bürgers und wie sich diese mit den veränderten technischen Bedingungen und den sich wandelnden Bedrohungsszenarien in Einklang bringen lassen. Als Beispiel für eine solche Debatte nannte er den Streit um die Gesundheitsreform in den USA.

 

Der 11. September 2001 sei das Schlüsselerlebnis gewesen, das gezeigt hätte, wie notwendig es ist die neuen Instrumente für den Austausch von Daten zu nutzen, um Anschläge verhindern zu können und terroristische bzw. kriminelle Netzwerke aufdecken und zerschlagen zu können. Dieses Thema sei zu einem der Wichtigsten auf der deutsch-amerikanischen Agenda geworden. Und Botschafter Murphy betonte mehrmals, dass der Schutz unserer Bürger und der Datenschutz keine sich gegenseitig ausschließenden Ziele seien.

 

US-Präsident Obama sei dieses Abkommen ein sehr wichtiges Anliegen, da es unmittelbare Auswirkung auf die Sicherheit der Vereinigten Staaten habe. Die anhaltende Diskussion um unterschiedliche Standpunkte beim Datenschutz beruhe auf Missverständnissen und der Botschafter gehe davon aus, dass es am Ende zu praktikablen Lösungen käme. Europäische und amerikanische Systeme zum Datenschutz seien zwar unterschiedlich strukturiert, würden aber beide wirksamen Datenschutz gewährleisten, was ja letztlich das gleiche Ziel sei. Botschafter Murphy betonte, dass Behörden innerhalb der USA nur sehr wenige Möglichkeiten gebe, die Daten von Bürgern zu überprüfen, so existiere in Vereinigten Staaten beispielsweise keine Ausweispflicht. Der Erhalt dieser Freiheiten der Persönlichkeitsrechte innerhalb des Landes und der Schutz persönlicher Daten ist den USA ein wichtiges Anliegen. Eine intensive Überwachung sei demzufolge nur an den Grenzen möglich, um das Eindringen von Terroristen und anderen Staatsfeinden zu verhindern.

 

In der anschließenden Diskussion wurde anhand des Beispiels der Kontrollen an der Grenze zu Mexiko kritisiert, dass Einreisende die keine US-Bürger seien mit unangemessenen Schikanen zu rechnen hätten. Der Botschafter meinte, er kenne die Verhältnisse vor Ort nicht, aber es gäbe für solche Schikanen keine gesetzlichen Grundlagen.

 

Auf die Frage ob es, ähnlich den Flugverbotslisten, Listen gäbe auf denen verdächtige Konten vermerkt würden, die gegebenenfalls auf Verdacht auch gesperrt werden könnten, bemerkte der Botschafter, dass es diesbezüglich keine Verbindungen gäbe und man sich auch als Ausländer an US-Behörden wenden könne, wenn es solche Probleme gibt.

 

Johannes Beleites, Mitglied des Bürgerkomitee Leipzig e.V., vertrat die Meinung dass es ein Naturgesetz gäbe, das Daten die gesammelt werden irgendwann auch missbraucht werden.

 

Botschafter Murphy betonte abschließend, dass es nicht um die Unterdrückung von Meinungen oder Freiheiten , sondern um die Verfolgung potentieller Terroristen ginge. Deshalb sei das Thema so ernst.

 

 

24.APRIL 2010: 2.LEIPZIGER UND HALLENSER MUSEUMSNACHT „SCHÖNE NACHBARIN“

In diesem Jahr organisierte die Stadt Leipzig zum zweiten Mal in Kooperation mit der Stadt Halle am 24.04.2010, von 18.00 bis 1.00 Uhr, eine gemeinsame Museumsnacht. Unter dem Motto „Schöne Nachbarin“ konnten die Besucher beider Städte zahlreiche Museen besichtigen.

 

Zum ersten Mal beteiligte sich in diesem Jahr auch das Museum im Stasi-Bunker als Teil der Gedenkstätte mit Führungen an der Museumsnacht. Über 300 Gäste besuchten den „Verborgenen Nachbarn“ bei Machern und besichtigten das 5,2 ha große Gesamtgelände sowie das Bunkerinnere. Der Stasi-Bunker wurde von 1968 – 1972 als geheimes Objekt gebaut. Im Ernstfall hätte der Leipziger Stasi-Chef mit etwa 100 Mitarbeitern von hier aus seine Arbeit fortsetzen können. Bei den Führungen erfuhren die Besucher unter anderem, wie die Versorgungssysteme funktionierten, wie DDR-weit Nachrichtenkontakte zustande gekommen wären und welche Überlebensstrategien sich die Staatssicherheit für einen Atomschlag entwickelt hatte.

 

Auch das Museum in der „Runden Ecke“ erfreute sich wieder hoher Besucherzahlen an seinen drei Veranstaltungsorten in Leipzig: Im Museum in der „Runden Ecke“ informierten Gruppenbegleiter in der Dauerausstellung „Stasi – Macht und Banalität“ beispielsweise über des Nachbars Heim: Allein im Bezirk Leipzig hat es 800 konspirative Wohnungen und Objekte gegeben, die die Stasi für Ihre Überwachungs- und Spitzelarbeit nutzte. Was es bedeuten konnte, wenn der Nachbar ein Inoffizieller Mitarbeiter des MfS war und seine Umgebung bespitzelte oder wie die Stasi in die Kontrolle der Transitstrecken zwischen den Nachbarstaaten DDR und Bundesrepublik eingriff, all diese Aspekte wurden den Besuchern erläutert. Die „Schöne Nachbarin“ bekam im Museum in der „Runden Ecke“ so eine zwiespältige Bedeutung.

 

Im ehemaligen Stasi-Kinosaal der „Runden Ecke“ bot das Bürgerkomitee stündlich Führungen durch die Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ an und zeigte hier interessierten Besuchern, wie Nachbarn 1989/90 eins wurden. Mit originalen Flugblättern, Demofotos, Plakaten und Dokumenten zeichnet die Schau die Entwicklung der Oppositionsgruppen nach und orientiert sich an den konkreten Aktionen des politischen Widerstandes in Leipzig im Jahr 1989. Nicht zuletzt die großen Montagsdemonstrationen ebneten den Weg für einen friedlichen Umbruch und eine Demokratisierung des Landes bis zu Wiedervereinigung.

 

Genauso hoch wie im letzten Jahr waren die Besucherzahlen in der ehemaligen zentralen Hinrichtungsstätte der DDR in der Leipziger Südvorstadt, die nur zwei Mal im Jahr geöffnet ist und jedes Mal bei Besuchern auf sehr großes Interesse stößt. Über 1.200 Menschen wollten den historischen Ort sehen und nahmen dafür lange Wartezeiten in Kauf. Mitarbeiter des Bürgerkomitees führten von 18 Uhr bis nach 1.00 Uhr durch die originalen Räume. Zu sehen war außerdem die Ausstellung „Todesstrafe in der DDR – Hinrichtungen in Leipzig“. Die Interessenten erfuhren Details über die historische Entwicklung der Todesstrafe, über die rechtlichen Hintergründe, die politische Instrumentalisierung und über die konkreten Umstände, unter denen zwischen 1960 und 1981 64 Menschen in Leipzig hingerichtet worden waren.

 

Fast 2.000 Besucher kamen zu den verschiedenen Angeboten in die „Runde Ecke“, sodass das Bürgerkomitee zur Museumsnacht insgesamt fast 3.500 Gäste zählte.

 

 

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AUS DEM GÄSTEBUCH

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

 

Viele unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch und schreiben hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben. Unter dieser Rubrik wollen wir monatlich einige dieser Einträge sowohl aus der Dauer- als auch aus unserer Sonderausstellung an Sie weitergeben.

 

EINTRÄGE AUS DER DAUERAUSSTELLUNG „STASI – MACHT UND BANALITÄT“

 

„Sehr interessante und detaillierte Ausstellung, in der man noch viel lernen kann. Hervorragender Audioguide.” 18. April 2010

 

„Dieses Haus muss der Nachwelt erhalten werden. Danke für die Aufarbeitung.“ 21. April 2010

 

„Nach 20 Jahren habe ich es erst geschafft hierher zu kommen. Die Ausstellung ist sehr beeindruckend, sie verschlägt einem teilweise die Sprache und zwar obwohl ich fast alles schon aus Büchern kannte.“ April 2010

 

„Es ist erschreckend und traurig, was Menschen fertig bringen können und wie mit Menschen und deren Leben umgegangen wurde. Ich wurde in Leipzig geboren und hatte trotz allem wenig Ahnung, man war einfach zu beschäftigt – „Mit dem eigenen Leben“ -. Die letzten 20 Jahre haben mir die Augen geöffnet.- Nie wieder soll es so sein!“ 19. April 2010

 

EINTRÄGE AUS DER SONDERAUSSTELLUNG „LEIPZIG AUF DEM WEG ZUR FRIEDLICHEN REVOLUTION“

 

„Eine bewegende Ausstellung mit vielen Detailinformationen, die auf keinen Fall in einem „Archiv“ verstauben sollten. Vielleicht wäre eine „Wanderausstellung „eine gute Möglichkeit, das Gedenken an mutige Leipziger Bürger und ihren Willen zur Freiheit aufrecht zu erhalten.“ 7. April 2010

 

„Für einen, der die DDR von Anfang bis Ende bewusst erlebt hat, löst diese Ausstellung einerseits Tränen und andererseits Freude und Genugtuung aus.“ 9. April 2010

 

Dear Tobias und Team

What an honor to deliver this speech in this place tonight. You and your team do extraordinary work in keeping the important lessons of history vivid and alive for all of us.

Keep it up, thank you again.

My very best […] Philip Murphy (Botschafter der USA in Deutschland) 13. April 2010

 


 



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Bürgerkomitee Leipzig e.V.
für die Auflösung der ehemaligen Staatssicherheit (MfS)
Träger der Gedenkstätte
Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker
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