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  Newsletter Juli 2010

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

groß war der Andrang der Interessierten sowie der bundesweiten Presse, als Joachim Gauck am 17. Juni, dem 57. Jahrestag des blutig niedergeschlagenen Volksaufstandes von 1953 in der gleichnamigen Straße eine Gedenkrede für dessen Opfer hielt. Die zahlreichen Journalisten waren wohl eher wegen Gaucks Präsidentschaftskandidatur gekommen. Nach einer Einleitung von Gedenkstättenleiter Tobias Hollitzer würdigte Gauck den ersten demokratischen Volksaufstand in der DDR und den Mut der Menschen von damals. Im Anschluss legten die Vorstandsmitglieder Konrad Taut und Tobias Hollitzer im Namen des Bürgerkomitee einen Kranz vor der Gedenktafel ab. Ein Resümee finden Sie unter der Rubrik „Aus der Arbeit der Gedenkstätte“.

 

Am kommenden Montag, dem 5. Juli 2010, wird es wieder ein Montagsgespräch in der „Runden Ecke“ geben, diesmal mit Helmut du Mênil, der 1950 in Leipzig am studentischen Widerstand beteiligt war und nach seiner Flucht eine Bankkarriere in Westdeutschland einschlug, bevor er 1990 als Chef der Leipziger Treuhandfiliale am wirtschaftlichen Umbruch der Stadt beteiligt war.

 

Zum Schluss möchten wir Sie noch auf ein besonderes Ereignis in diesem Sommer aufmerksam machen: Am 31. August 2010 wird das Museum in der „Runden Ecke“ 20 Jahre alt. Die Vorbereitung für die Feierlichkeiten laufen, eine kleine Programmvorschau wird es aber schon in diesem Newsletter geben.

 

Wir würden uns freuen, Sie im Juli in der „Runden Ecke“ begrüßen zu können und wünschen Ihnen einen schönen Sommer.

 

Ihr Bürgerkomitee

 

 

 

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INHALT

Vorschau

Wir laden ein

Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung

Rückblick

Aus dem Gästebuch

 

 

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VORSCHAU

 

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31. AUGUST 2010: DAS MUSEUM IN DER „RUNDEN ECKE“ WIRD 20 – FEIERN SIE MIT!

„Krumme Ecke, Schreckenhaus / Wann wird ein Museum draus?” Diese Frage stellten Leipziger Montagsdemonstranten im Herbst 1989 auf einem Transparent. Wie schnell in den Räumen der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit tatsächlich eine Ausstellung zu sehen sein sollte, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Das Bürgerkomitee Leipzig, das sich im Zuge der Besetzung der Stasi-Zentrale am 4. Dezember 1989 gründete, konzipierte bereits im Frühjahr 1990 die DDR-weit erste Ausstellung zu Struktur und Arbeitsweise des Ministeriums für Staatssicherheit. Am 10. Juni 1990 wurde die Exposition auf dem Leipziger Sachsenplatz eröffnet. Aufgrund der enormen Resonanz, fand man in den Räumen der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung in der „Runden Ecke” einen authentischen Ort, wo die Ausstellung seit dem 31. August 1990 zu sehen ist.

 

Zum 20-jährigen Museumsjubiläum möchten wir Sie am Dienstag, den 31. August 2010 herzlich einladen:

 

10.00 – 16.00 Uhr

Kostenlose Sonderführung durch die Dauerausstellung „Stasi – Macht und Banalität“ zu jeder vollen Stunde

 

19.00 Uhr

Podiumsdiskussion zum Thema „Stasi – zwischen Repression und Alltag“ im ehemaligen Stasi-Kinosaal

Anschließend kleiner Sektempfang

 

Das genaue Programm finden Sie ab August auf unserer Homepage sowie in unserem nächsten Newsletter.

 

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WIR LADEN EIN

 

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5. JULI 2010, 19.00 UHR, EHEMALIGER STASI-KINOSAAL

„WIR SIND DAS VOLK!“ – MONTAGSGESPRÄCH IN DER „RUNDEN ECKE“ MIT HELMUT DU MÊNIL

Zum 20-jährigen Jubiläum der Friedlichen Revolution erinnert das Museum in der „Runden Ecke“ in ganz persönlichen Gesprächen an die Ereignisse von 1989/90. Jeden ersten Montag im Monat laden wir Zeitzeugen ein, die sich damals in besonderer Weise für Demokratie und Gerechtigkeit engagierten. Als Gast begrüßt das Museum diesmal den 81-jährigen Helmut du Mênil, der sowohl vom Anfang sowie vom Ende der SED-Diktatur berichten wird.

 

1929 in Zittau geboren, studierte du Mênil Volkswirtschaft in Leipzig und lernte dort Herbert Belter kennen, um den sich die nach ihm benannte studentische Widerstandsgruppe formierte. Gemeinsam setzten sie sich aktiv gegen die neue SED-Diktatur, die zu jener Zeit maßgeblich vom sowjetischen Stalinismus geprägt war, ein.

 

Über Helmut du Mênils Kontakte zum RIAS gaben sie Informationen über die Verhältnisse an der Universität Leipzig an den Westberliner Radiosender weiter und verteilten im Vorfeld der Volkskammerwahl im Oktober 1950 Flugblätter gegen die Einheitsliste der SED in der Leipziger Innenstadt. Ein Teil der Widerstandsgruppe wurde daraufhin verhaftet und von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Haft, Herbert Belter sogar zum Tode verurteilt und in Moskau hingerichtet. Du Mênil, sein engster Vertrauter, konnte unmittelbar nach seiner Verhaftung nach West-Berlin fliehen.

 

In der Bundesrepublik schlug Helmut du Mênil eine Bankkarriere ein, bis er 1990 wieder nach Leipzig zurückkehrte: Als Chef der Treuhand-Filiale war er wesentlich an der wirtschaftlichen Umgestaltung der ehemaligen DDR mit den überwiegend staatseigenen Betrieben beteiligt. In dieser Zeit konnte er auch Einsicht in seine Stasi-Akte nehmen und musste feststellen, dass er von einem ehemaligen Studienkollegen bespitzelt worden war. Bis 1998 leitete er die Nachfolgegesellschaft der Treuhand BVS und lebt heute in Süddeutschland und in der Schweiz.

 

Es moderieren Reinhard Bohse und Tobias Hollitzer

Der Eintritt ist frei.

 

Unsere nächsten Gäste in der Reihe sind Klaus-Ewald Holst (2. August 2010) und Roland Quester (6. September 2010)

 

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AUS DER ARBEIT DER GEDENKSTÄTTE

 

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17.JUNI 2010, 17.00 UHR GEDENKFEIER FÜR DIE OPFER DES 17. JUNI 1953

„Sie [die Demonstranten 1953] wollten nicht sterben, doch wollten sie auch nicht auf Knien leben.“ Großer Respekt schwingt in den Worten von Joachim Gauck mit, der an der Gedenktafel in der Straße des 17. Juni vor der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaftanstalt in Leipzig eine Rede für die Opfer des ersten demokratischen Volksaufstandes hielt. Der Vorsitzende des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie und ehemalige Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde war der Einladung des Bürgerkomitees zu einer Gedenkfeier zum 57. Jahrestag gefolgt. In Absprache mit der Vereinigung für die Opfer des Stalinismus sowie dem Bund Stalinistisch Verfolgter gelang es damit eine Gedenkfeier auch jenseits der „runden“ Jubiläen zu etablieren. Zu dem Termin kamen außerdem zahlreiche Pressevertreter, da das öffentliche Interesse an Joachim Gauck aufgrund seiner Kandidatur für das Präsidentenamt sehr groß war. Daneben waren etwa 50 bis 60 Gäste anwesend.

 

Vor zahlreichen Kameras und Mikrophonen hielt Gauck seine Rede. Nach einer kurzen Einführung von Tobias Hollitzer, in der er die konkreten Ereignisse 1953 in Leipzig ansprach, erinnerte Gauck daran, dass die Menschen damals zum ersten Mal auf die Straße gingen und keineswegs nur für höhere Löhne demonstrierten. 1953 bilde den Anfangspunkt in einer Reihe von Niederlagen im Kampf um Freiheit und Demokratie, so Gauck, wie etwa 1956, 1968 oder 1981. Gerade im Denken der Menschen in der DDR lebte die Idee von Freiheit, „die nur im Westen wachsen konnte.“ Auch an die Friedliche Revolution von 1989 erinnert Gauck, als sich die Menschen aufmachten und „sich erst einmal wieder finden mussten“ nach diesen Jahren der Unfreiheit. Unmittelbar vor der Kranzniederlegung schlägt er somit den Bogen vom blutig niedergeschlagenen Volksaufstand zur wirklich Friedlichen Revolution, für die man heute keine Kränze niederlegen muss.

 

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RÜCKBLICK

 

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7. Juni 2010: 19.00 UHR, EHEMALIGER STASI-KINOSAAL

„WIR SIND DAS VOLK!“ – MONTAGSGESPRÄCH IN DER „RUNDEN ECKE“ MIT MARTIN BURKERT

Freiheit hat für ihn immer schon ein große Rolle gespielt, betonte Martin Burkert, der 18. Gast der Reihe „Wir sind das Volk!“ – Montagsgespräche in der „Runden Ecke“ während der gesamten Veranstaltung mit Nachdruck. Der 69-jährige Jurist, der nach der Wiedervereinigung Landgerichtspräsident in Leipzig wurde, stellte sich fast zwei Stunden lang den Fragen der Moderatoren Reinhard Bohse und Tobias Hollitzer und erzählte seine Lebensgeschichte. Die Freiheit und Möglichkeiten das tun und erreichen zu können, was man sich vornimmt, lehrte ihn sein Werdegang, der schließlich in sein berufliches Engagement bei Leipziger Rehabilitierungsverfahren mündete, um jene zu entschädigen, die ihrer Freiheit in der DDR beraubt wurden.

 

Martin Burkert wurde im April 1939 als jüngstes von neun Kindern im fränkischen Neuendettelsau geboren. Der Ort lag in der Nähe von Nürnberg, das im Krieg vom Bombardement brennend, selbst von seinem Elternhaus aus noch zu sehen war. Seine Familie und er freuten sich bei Kriegsende jedoch ungemein über die amerikanische Befreiung. Sein Vater, ein evangelischer Pfarrer, streifte beim Anblick der einrollenden amerikanischen Panzer feierlich seinen Talar über und wurde herzlichst vom ersten Soldaten – auch Pfarrer – begrüßt und umarmt. Mit sieben Jahren zog Martin Burkert mit seiner Familie nach Bayreuth, wo er zur Schule kam und 1959 am humanistischen Gymnasium sein Abitur ablegte. Mehr oder weniger begeistert leistete er danach seinen Wehrdienst ab, sein Enthusiasmus hielt sich in Grenzen.

 

Auf die Idee, Jura zu studieren, brachte ihn die Unabhängigkeit des Berufes, die er bei seinem Schwager erlebte, der Richter war. Zunächst zog Burkert nach in München, anschließend studierte er in Innsbruck und machte Anfang der 1960er Jahre sein Staatsexamen in Würzburg. Sein Entschluss Richter zu werden, stand schon früh im Studium fest, doch zunächst zog es ihn in die USA, das Land des „Jazz und Rock’n’Roll“, wo jeder „vom Tellerwäscher zum Millionär werden konnte“ solange er nur fleißig war. Ein amerikanischer Studienfreund vermittelte ihm eine Lehrstelle als Lateinlehrer, womit er sich ein Jahr sein Geld verdiente und sich im Anschluss noch eine halbjährige Tour mit seinem Bruder von Kanada bis nach Argentinien leisten zu können.

 

Zurück im Alltag begann Burkert sein Referendariat in Nürnberg, der fränkischen „Hauptstadt.“ In diese Zeit fiel auch der Mauerbau. Wie er diesen erlebt habe, wollten die Moderatoren von ihm wissen. Betroffen ist er gewesen, so Burkert, der schon immer ein großes Interesse für den Osten hatte. So behauptete er, einen Cousin in der DDR zu haben, den er mit seiner Familie zwischen 1977 und 1985 auf dessen Einladung hin öfters besuchte, um seine eigenen Erfahrungen und Eindrücke von DDR und Ostblock zu sammeln. Akribisch verfolgte er die dramatischen Ereignisse 1956 in Ungarn und 1968 in Prag über die Medien. Die beiden mächtigen, sich gegenüberstehende Blöcke empfand er immer als eine „Bedrohung“ für den Frieden.

 

Nach seiner Zeit als Assessor wurde Martin Burkert in Nürnberg Jugendstaatsanwalt. Hier musste er sich häufig mit sexuellen Missbrauchsfällen auseinandersetzen. Den Bogen zu den jüngst aufgekommenen Vorkommnissen in der katholischen Kirche mochte er aber nicht spannen, denn die von ihm behandelten Delikte waren häufig familiär bedingt. Sie wurden damals aber auch nicht publik. Der Mensch braucht, so Burkert, bei solchen Fällen eine gewisse „Reifezeit“ um darüber sprechen und reflektieren zu können. Hier zieht er hingegen Parallelen beispielsweise zur NS-Zeit, wo auch Zeit vergehen musste, um sich wieder damit befassen zu können. Im wiedervereinigten Deutschland hingegen war die DDR-Vergangenheit dann ja kein Tabuthema, sondern man begann unmittelbar mit der Aufarbeitung. Und er konnte sich dafür engagieren.

 

Dass an dieser Grenze zwischen Ost und West eigentlich nicht mehr gerüttelt wurde, dass sie quasi zu Europa dazugehörte, wollte Martin Burkert nie gutheißen. Dementsprechend begrüßte er damals Brandts neue Ostpolitik, auch den Dialog mit der SED (retrospektiv revidiert er diese Zustimmung allerdings) und trat selber zwei Jahre lang der SPD bei, bis er zu dem Entschluss kam, ein Richter sollte keiner Partei angehören. Heute bezeichnet er sich lediglich als politisch interessiert, jedoch selbst nicht als politisch.

 

Großen Respekt hatte er vor den Friedensbewegungen beider Länder in den 1980er Jahren. Die von ihm bearbeiteten Verfahren gegen Demonstranten wegen „Nötigung“, die sich vor Atomwaffenlagern wegtragen ließen, wegen „Nötigung“ stellte er zumeist guten Gewissens ein. Die Initiative im Westen bejahte er zwar, trotzdem fand er die, durch die fehlende Meinungsfreiheit und staatlichen Repressionen erschwerte Zivilcourage in der DDR imposanter – verglichen zum Westen, „wo man es viel leichter hatte.“

 

Wie sich dann die Situation 1989 in Leipzig und der ganzen DDR entwickelte, hätte er seit der Niederschlagung des friedlichen Protestes auf dem Platz des himmlischen Friedens nicht für möglich gehalten. Dennoch taten sich mit der Fluchtbewegung über Ungarn auch Hoffnungen auf, dass es in der DDR eine friedliche Lösung geben würde. Mit zunehmenden Erfolgen bei den Montagsdemonstrationen bis hin zum Mauerfall bestätigte sich dies.

 

Warum er nach Leipzig gekommen sei, um bei der Demokratisierung des Staates mitzuwirken, so eine weitere Frage der Moderatoren an Martin Burkert, der 1989/90 im Nürnberger Familiensenat arbeitete. Dort habe er schlichtweg „den Höhepunkt der Langeweile“ erreicht gehabt und eine willkommene Abwechslung, unabhängig von Geld, gesucht. Da kam der Beschluss der letzten Volkskammer, dass ostdeutsche Richter an den nun anstehenden Rehabilitierungsverfahren nicht teilnehmen dürfen, gerade recht. Also ging er nach Leipzig, weil er als westdeutscher Richter gebraucht wurde, so niemandem die Arbeit wegnahm und die Region kulturell schon immer sehr interessant fand.

 

Das Leipziger Gerichtsgebäude erschien ihm jedoch anfangs wie ein „Spukschloss.“ Die unbehagliche Atmosphäre war von einer drückenden Stille dominiert, da die Ex-DDR-Richter und Mitarbeiter alle hinter verschlossenen Türen saßen, „ihre Wunden leckten“ und bang erwarteten, was ihnen nun bevor stand. Zwar stand er im Kontakt mit den ehemaligen Richtern, die ja nun nichts mehr zu tun hatten und „eher einem verschreckten Haufen“ als einem mächtigen Arm eines totalitären Staates ähnelten, doch erlebte er es sehr selten, dass jemand über die frühere Zeit gesprochen hätte. Und wenn das einmal doch der Fall sein sollte, so hieß es: „Die DDR war ganz anders.“

 

Es sei schwierig gewesen „aus diesem kollegialen Sumpf seine Einheit zu bilden“, resümierte Burkert. Nach kurzer Zeit waren die Hälfte aller Richter und Beamten, die man überprüft hatte, weg. Die Aufbauarbeit dieses neuen Landes erschwerte sich durch den miserablen Zustand aller Gerichte, die unbeschrifteten, unarchivierten Aktenberge. All dem trotzte Burkert erfolgreich und schaffte es das Gerichtsgebäude zu einem Ort der Öffentlichkeit zu machen. Er organisierte Kunstaustellungen, Theater, Konzerte, Krimilesungen et cetera, um innerhalb der Belegschaft ein gewisses „Wir-Gefühl“ zu schaffen. Er meinte dazu selbst: „Viel kann man als Präsident nicht machen, aber man kann Stimmung machen“, das sei in der Position wichtiger als Aktenbehandlungen.

 

In den über zehn Jahren am Landgericht waren die Rehabilitierungsverfahren sein primäres Arbeitsgebiet. Hier hatte er es mit sehr unterschiedlichen Fällen zu tun, von denen nur manche sehr klar definiert waren. Burkert erinnert sich an die Aktionen eines Zimmermannes, der die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED ablehnte und das jahrelang mit einem kleinen Stempel „SPD Leipzig lebt!“ kundtat. Fassaden, Telefonbücher, Klingelschilder, … alles wurde gestempelt, bis er erwischt und verhaftet wurde und nach der Haft keine Anstellung mehr fand. Mit Wonne überreichte Burkert ihm seinen Rehabilitierungsbeschluss und leitete ihn auch an den SPD-Vorsitzenden weiter. Weniger eindeutig verhielt es sich mit Fällen, die unter „asoziales Verhalten“ liefen und beispielsweise Arbeitserziehungslager oder Psychatrieeinweisungen bei politisch nicht Konformen zur Folge hatte. Da bewege man sich immer wieder auf neuem Terrain, denn die Aktenlage bot nie ein ausreichendes Fundament für eine Entscheidung.

 

Über die Rehabilitierungsfälle bekam Martin Burkert auch Zugang zur Verwaltung. So glitt er aus der geplanten einjährigen Leipziger „Dauerdienstreise“ in die sächsische Justiz über, wurde sächsischer Richter und fand sich am Ende als Präsident des Landesgerichts wieder.

 

Die Wiedervereinigung brachte für Ostdeutschland sehr weitreichende und gravierende Veränderungen. Eigentlich, so Burkert, hätte man dieses Ereignis auch als Anlass für eine Wende in der Justiz nehmen können und sollen. Jedoch adaptierte man lediglich alte, überholte Modelle aus Westdeutschland ohne eine bundesweite Reform anzustreben. Das „bewährte“ System wurde übernommen, denn „es sollten in Sachsen und Bayern gleiche Verhältnisse herrschen, aber so wurde auch der gleiche Mist gemacht.“

 

Sein Resümee zieht Burkert als ein Mensch, der den gesamten Kalten Krieg aus der westlichen Perspektive verfolgte und sich direkt nach dessen Ende mit der anderen Seite des gefallenen Eisernen Vorhangs beschäftigte. Dass die DDR ein „totaler Unrechtsstaat“ war, bejaht er natürlich voll und ganz. Trotzdem sieht er es positiv, dass in der DDR soziale Unterschiede nie auf eine so extreme Weise existierten wie in der Bundesrepublik. Als neuer Richter in Leipzig hatte er ein ähnliches Gehalt, wie ein Gefängnisaufseher und ein Arzt konnte man vom Gehalt fast einem Pfleger gleichsetzen. Das sei gerade angesichts der heutigen gesellschaftlichen Situation markant, bei der die beiden zunehmend divergierenden Gruppen von Armen und Spitzenverdienern immer größer werden.

 

Auch wenn er sich dessen bewusst ist, dass seine Arbeit in Leipzig eine gute und wichtige war, zeigte sich Martin Burkert beim Zurückblicken auch selbstkritisch. Als Richter sei er sicher zu gutmütig gewesen und habe etwa sehr großzügig DDR-Richter in den Staatsdienst des wiedervereinigten Deutschlands übernommen. Umso zufrieden stellender sein Fazit: „Ich habe nicht das Gefühl, ich habe total versagt.“ Und mit diesem Gefühl genießt er auch seit 2002 seinen Ruhestand im heimischen Franken.

 

9. JUNI 2010, 19.00 UHR: LESUNG MIT THOMAS RENKER „SIE DÜRFEN GENOSSE MAJOR ZU MIR SAGEN“

Zum Leipziger Literaturfrühling 2010 lud das Museum in der „Runden Ecke“ in Kooperation mit der Freien Literaturgesellschaft e.V. am Abend des 9. Juni in seine Ausstellungsräume ein. Der ehemalige politische Häftling und Autor Thomas Renker beschrieb in Ausschnitten aus seiner autobiographischen Erzählung „Sie dürfen Genosse Major zu mir sagen“ authentisch und gefühlvoll seinen Lebensweg von der Kindheit über seine Arbeit als Koch bis zur Haftanstalt in Cottbus. Die besondere Stimmung der Lesung in den Räumlichkeiten des Museums wurde von Blues-Musiker M. C. Malditz treffend und angenehm untermalt.

 

„Kinder sind zu begeistern, wenn nicht zu überzeugen.“ Die erste vom Autor rezitierte Passage führt die Zuhörer zurück in seine Kindheit. Er „genoss“ in der Leipziger Nikolaischule eine sozialistische Erziehung, die ihm jedoch nicht so zusprach wie die Erfahrungen, die er in der Christenlehre sammelte. Als er seinen Mitschülern davon erzählte, zog das schon bald die Aufmerksamkeit der Schulleitung auf sich. Mit der ersten Verwarnung wurde ihm die Unvereinbarkeit von Glaube und Staat deutlich; er müsste sich fügen; unter der klaren Gewissheit, er wachse in einer Diktatur auf. Er wurde daraufhin zunehmend aufmüpfig, war in der Schule als Störenfried bekannt; verweigerte die vormilitärische Erziehung. Die nötige Freiheit fand er schon früh in der Literatur. Er las viel, fühlte sich erst und nur dabei frei. Indem er schließlich selbst zum Stift griff konnte er reflektieren und das Erlebte verarbeiten.

 

Seine kontinuierliche Aufmüpfigkeit verbaute Thomas Renker schließlich die Möglichkeit die Erweiterte Oberschule zu besuchen und Abitur zu machen. „Ich war nicht akzeptabel“, so der Autor in einer Passage. Also folgte nach dem Abschluss eine Lehre zum Koch, was ihm Spaß machte und worin er sehr gut war. Seine Ansichten bedeuteten aber wieder Steine auf dem Weg seiner Karriere. Folglich waren die Arbeiten, für die er herangezogen wurde, hart und erniedrigend. Abgelöst wurde er, als die NVA sich bei ihm meldete. Den Mut zur Verweigerung brachte er aus Angst vor dem Militärgefängnis nicht auf. Demnach machte er das, was er konnte. Er kochte für die Soldaten. Eine Beförderung blieb aus. Der Wehrpflicht folgte eine Anstellung im Hotel Astoria. Schon bevor er dort anfing war seine Meinung dort kundig, bald aktenkundig. Der häufige Kontakt mit der Staatssicherheit, das Gefühl eben „nicht akzeptabel zu sein“ und der Umstand, nur für „Bonzen“ zu arbeiten führten zu dem Entschluss, das Hotel zu verlassen. Die Genossen begrüßten das ebenso.

 

„Das Karussell der Fragen dreht sich weiter. Ich bin der einzige Passagier.“ Nach einem kurzen musikalischem Intermezzo kommt Thomas Renker auf den Grund seiner Verhaftung zu sprechen: Im Dezember 1984, kurz vor Weihnachten ist er nachts unterwegs. Mit einem Eimer Farbe in der einen und dem Pinsel in der anderen Hand bemalt er Hausflächen und Glaswände mit dem Spruch: „SS-20 Nein!“ und protestiert damit gegen Militarisierung und verlogene Friedenspolitik der SED. Renker wird erwischt und auf die Wache gebracht, wo für ihn ein die demütigende Prozedur aus Leibesvisitation, Verhören beginnt, bei denen er vom „stalinistischen Regime“ spricht. Er beschreibt seine Verhörer als „subtil, gnadenlos, irritierend und verschlagen.“ Diese Grenzerfahrung führt ihn zurück zum Gebet und zu seinen Kindheitserinnerungen, aber auch zur Gewissheit, dass er diesen Menschen nicht vergeben kann. „Ich bin ein schwacher Mensch“ schließt er aus dieser Reaktion. Nachdem er schon lange das Zeitgefühl verloren hatte meldete sich ein Vernehmer wieder in seiner Zelle. Ihm wird bei Kooperation eine milde Strafe in Aussicht gestellt, sonst bekomme er bis zu sechs Jahren.

 

„Unheimlich heimlich.“ Sein Prozess beginnt vorgeführt in Knebelketten, die symbolisch für die Scham und Erniedrigung stehen, die er in dieser Situation spürt. Sein Urteil bekommt er nicht ausgehändigt, es wird mündlich verlesen: ein Jahr und sechs Monate. Der Grotewohl-Express, der Gefangenentransportwaggon führt in die Haftanstalt Cottbus, mit seinen schmutzigen Betten, 26 Gefangene in einer Zelle und einem allgegenwärtigen, extremen Gestank. Kleinste interne Streitereien werden knüppelhart von den Aufsehern bestraft. Ein wenig Trost findet er im Schreiben – ein kleines pseudopoetisches Gedicht trägt er aus dieser Zeit vor. Sein Glaube macht ihm zum „glücklichsten Gefangenen“.

 

Das Desaster offenbart sich ihm, als er nach dieser langen, harten Zeit zurück in die DDR muss. „Ein Gefangener entlassen in ein gefangenes Land.“ Sein Wille zur Flucht ist immer präsent und wird auch durch das wöchentliche Melden bei der örtlichen Abteilung Inneres zunehmend stärker. Wohnen muss Thomas Renker in einer schmutzigen, zugewiesenen Wohnung, jegliche Post wird geöffnet. Seine missliche Lage als Dissident wirkt sich ebenfalls auf Freunde und Bekannte aus, sodass sie sogar Furcht haben sich mit ihnen abzugeben oder sehen zu lassen. Er und seine Freundin sitzen auf gepackten Koffern. Da kommt noch eine Vorladung zum „klären eines Sachverhaltes“. Beide dürfen 1987 die DDR binnen 24 Stunden verlassen. Sie ist schwanger, er endlich frei.

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AUS DEM GÄSTEBUCH

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

 

Nach 18 Jahren bin ich wieder einmal in Leipzig. Das Museum hat mich total bewegt. Ich finde es schön, dass diese Erinnerung so in diesem Museum festgehalten wird.

Besucher der Dauerausstellung, aus der Bayrischen Röhn. 03.06.2010

 

 

 

Scary stuff. I really respect Germans for being able to face up there history – it could have happened anywhere, it still can.

Besucher der Dauerausstellung aus Australien 08.06.2010

 

 

Vor fast 25 Jahren habe ich die damalige DDR verlassen (25.07.1985) und bin heute noch entsetzt, was für ein Unrechtsstaat dieses Land war. Ich hoffe und wünsche, dass diese Ausstellung weiterhin bestehen bleibt.

Besucherin der Dauerausstellung, Kirchheim / T. 25.06.2010

 

 

Eine sehr beeindruckende und ergreifende Ausstellung. Man ist geschockt über das unmenschliche System. Ein herzliches Dankeschön an das Bürgerkomitee Leipzig für die ehrenamtliche Aufarbeitung dieses Teils der gesamtdeutschen Geschichte.

Besucher der Dauerausstellung, Kaufbeuren Allgäu 08.06.2010

 

 

 

EINTRÄGE AUS DER SONDERAUSSTELLUNG „LEIPZIG AUF DEM WEG ZUR FRIEDLICHEN REVOLUTION“

 

Zwar kann man sich unter dem Erzählen von Mama und Papa schon etwas vorstellen, aber Bilder und Filme sind da natürlich viel ausdrucksstärker. Ich finde es gut, dass ich jetzt weiß was meine Eltern damit meinten, wenn sie sagen: „Du weißt gar nicht wie gut du es hast.“

Besucherin der Sonderausstellung im Juni 2010

 

Wir gratulieren Ihnen für diese Ausstellung. Mit herzlichen Grüßen aus Frankreich.

Besucher aus Frankreich am 18.06.2010

 

Sehr interessant und gut bearbeitet, hoffentlich wird diese einen festen Platz finden.“

Besucher der Sonderausstellung, 19.06.2010

 

 

Thanks for keeping the traces of the past live for future generations.

Besucher der Sonderausstellung June 2010 University teacher and Tour guide

 


 



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