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Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

ein ereignisreicher Monat liegt hinter uns: Am 30. September, wenige Tage vor dem 20-jährigen Jubiläum der Deutschen Einheit, feierten wir die Erweiterung der Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“, die jetzt um den 1990 einsetzenden Aufbau demokratischer Strukturen am Leipziger Beispiel, den Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 und die Neugründung des Freistaates Sachsen erweitert wurde. Um das „Bundesland Sachsen“ ging es auch in der Podiumsdiskussion. Mehr dazu erfahren Sie in unserem „Rückblick“.

 

Passend zum 9. Oktober, dem 21. Jahrestag der Friedlichen Revolution, weihte das Bürgerkomitee die erste Stele als Teil der ständigen Ausstellung im Stadtraum „Orte der Friedlichen Revolution“ auf dem Leipziger Augustusplatz ein. Dieser erste von insgesamt 20 Erinnerungspunkten, die noch bis zum Ende des Jahres aufgestellt werden sollen, informiert über die entscheidende Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989, als 70.000 Menschen trotz Androhung von Gewalt für Freiheit und Demokratie protestierten. Die Eröffnung der Ausstellung fand in feierlichem Rahmen auf dem Augustusplatz statt. Ein Grußwort sprach unter anderem Oberbürgermeister Burkhard Jung. In der Rubrik „Aus der Arbeit der Gedenkstätte“ erhalten Sie weitere Informationen.

 

Zum vorletzten Montagsgespräch begrüßen wir am 1. November 2010 den Leipziger Galeristen Judy Lybke, der in den 1980ern die Galerie+Art gründete und damit ins Visier der Stasi gelangte. Nach 1990 wurde er als Förderer der „Leipziger Schule“ international bekannt. Mehr erfahren Sie in der Rubrik „ Wir laden ein“.

 

Wir würden uns freuen, wenn Sie uns wieder besuchen und wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Lesen des Newsletters.

 

Ihr Bürgerkomitee Leipzig

 

 

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INHALT

Wir laden ein

Aus der Arbeit der Gedenkstätte

Rückblick

Aus dem Gästebuch

 

 

 

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WIR LADEN EIN

 

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1. NOVEMBER 2010, 19.00 UHR, EHEMALIGER STASI-KINOSAAL

„WIR SIND DAS VOLK“ – MONTAGSGESPRÄCH IN DER „RUNDEN ECKE“ MIT GERD HARRY LYBKE

Zum Doppeljubiläum von Friedlicher Revolution und Deutscher Einheit lädt das Bürgerkomitee Leipzig e.V. jeden ersten Montag im Monat Akteure des Friedlichen Umbruchs von 1989/90 ein, die sich damals für Freiheit und Demokratie engagierten und einen gleichermaßen außergewöhnlichen wie exemplarischen Lebensweg haben. Diesmal ist der international bekannte Leipziger Galerist Judy Lybke zu Gast.

 

In der DDR galt er als oppositionell und staatsfeindlich. Judy Lybke bewegte sich im illegalen Abseits des sozialistischen Realismus und unter ständiger Beobachtung der Stasi. Nach der Friedlichen Revolution gelang ihm der internationale Durchbruch. Lybke ist heute ein erfolgreicher Galerist und vertritt als Förderer der „Leipziger Schule“ Künstler wie Neo Rauch. Am 1.11.2010, um 19.00 Uhr wird der 23. Gast der Montagsgespräche über seinen Werdegang sprechen und sich den Fragen der Moderatoren Tobias Hollitzer und Reinhard Bohse stellen.

 

1961 geboren, wuchs Gerd Harry Lybke in Leipzig-Meusdorf auf. Nach dem Abitur absolvierte er in den Leipziger Kirow-Werken eine Ausbildung zum Maschinenmonteur. Die danach anvisierte Karriere als Schauspieler verlief wenig erfolgreich. Nach kleineren Jobs kam er 1983 an die Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und arbeitete als Aktmodell. Im selben Jahr begann er in seiner Privatwohnung am Körnerplatz Kunst vor Freunden zu zeigen. Die erste Ausstellung hieß „Die neuen Unkonkreten“ und markiert die Geburtsstunde der Galerie „Eigen + Art“. Ab 1985 firmierte Lybke seine Galerie in eine „Werkstattgalerie“ um. Diese galt in der DDR als etwas unverdächtiger. Dennoch zählten Stasi-Mitarbeiter zu den regelmäßigen Besuchern, galt doch Kunst abseits der offiziellen Linie als oppositionell und staatsfeindlich.

 

Nach der Friedlichen Revolution führte Lybke die Galerie „Eigen + Art“ erfolgreich weiter und eröffnete 1992 eine Filiale in Berlin. Zahlreiche Künstler, unter ihnen Neo Rauch, werden durch die Galerie bis heute vertreten. Diese und andere Entdeckungen auf dem Kunstmarkt brachten Lybke den Titel „Vater der Leipziger neuen Schule“ ein. Das Interesse an der unbekannten ost-deutschen Kunst war schnell geweckt. So brachte Lybke 1997 fünf Eigen+Art-Künstler auf die bekannte Ausstellungsreihe für zeitgenössische Kunst documenta X in Kassel.

 

Lybke genießt heute weltweites Ansehen, dennoch bleibt Leipzig, besonders seit 2006 die ehemalige Baumwollspinnerei, die Heimat seiner Arbeit als Galerist.

 

Moderation: Reinhard Bohse (Mitbegründer des Neuen Forums in Leipzig 1989) und Tobias Hollitzer (Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“)

 

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AUS DER ARBEIT DER GEDENKSTÄTTE

 

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9. OKTOBER 2010 "ORTE DER FRIEDLICHEN REVOLUTION" STELENAUSSTELLUNG IM LEIPZIGER STADTRAUM ERÖFFNET

„Identitätstiftend für Leipzig“ sei dieses Stelenprojekt, betonte Oberbürgermeister Burkhard Jung in seinem Grußwort anlässlich der Enthüllung der ersten Stele, die auf dem Augustusplatz dauerhaft an die entscheidende Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 erinnert. Zur Eröffnung der ersten von insgesamt 20 geplanten Erinnerungspunkten im Leipziger Stadtraum richteten neben Burkhard Jung auch der Vorsitzende des Stiftungsrates der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Markus Meckel sowie der Sprecher der sächsischen Staatsregierung Johann-Adolf Cohausz ein Grußwort an die etwa 100 anwesenden Gäste und Interessierten und waren vollen Lobes für dieses Projekt. Gemeinsam mit Tobias Hollitzer, dem Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, enthüllten sie im Anschluss die erste Stele.

 

Als „Sternstunde der Menschheit“ bezeichnete Burkhard Jung die entscheidende Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 und bezog sich damit auf das weltberühmte Buch von Stefan Zweig, der „heute sicherlich die Friedliche Revolution in seine Aufzählung aufgenommen hätte.“ Die Stele stünde aber nicht nur für die Erinnerung an die Friedliche Revolution sondern solle gleichzeitig heute zum demokratischen Handeln motivieren. Jung forderte außerdem die Leipziger auf, ihre Meinung zu dem Projekt zu äußern. „Schreiben Sie uns, was Sie von den Stelen halten.“

 

Markus Meckel erinnerte in seinem Grußwort daran, dass „in dieser Stadt etwas begonnen hat, was für ganz Deutschland und Europa von Bedeutung war.“ Der Vorsitzende des Stiftungsrates der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur begrüßte die Errichtung von dauerhaften Erinnerungspunkten, die auch über die „Flüchtigkeit der runden Jubiläen und Jahrestage“ hinaus wirkten. Meckel fand lobende Worte für die mächtigen Montagsdemonstrationen auf dem Leipziger Ring im Herbst ´89, für die Massen auf den Straßen, die der sehr kleinen DDR-Opposition den Rücken stärkten und dem demokratischen Umbruch zum Erfolg verhalfen. Diese Umwälzung sei auch in anderen kommunistischen Ländern gelungen, so dass man heute sogar von einer „Ostmitteleuropäischen Revolution“ sprechen könne, so Meckel.

 

Der Sprecher der sächsischen Staatsregierung Johann-Adolf Cohausz, der in Vertretung für Staatsminister Dr. Johannes Beermann, ein Grußwort sprach, gratulierte dem Bürgerkomitee und der Stadt Leipzig auch im Namen der Staatsregierung und des Ministerpräsidenten Stanislav Tillich zu diesem Projekt. Cohausz bewunderte die Entschlossenheit und den Mut der Menschen, die vor 21 Jahren auf die Straße gingen und sich einer Diktatur entgegen stellten. Dass aus dem Ruf „Wir sind das Volk!“ bald die Parole „Wir sind ein Volk“ wurde und die Friedliche Revolution das Bild Deutschlands in der Welt zum Positiven veränderte, darüber zeigte sich Cohausz besonders glücklich.

 

Nach einer inhaltlichen Einführung in das Projekt durch Gedenkstättenleiter Tobias Hollitzer wurde die erste Stele der Öffentlichkeit übergeben. Bis zum Ende des Jahres 2010 wird das Projekt in enger Abstimmung mit der Stadt Leipzig realisiert.

 

Die erste Stele steht an dem Ort, an dem sich vor 21 Jahren, am 9. Oktober 1989, 70.000 DDR-Bürger trotz massiver Drohungen des SED-Regimes versammelten, um friedlich auf dem Leipziger Ring zu demonstrieren. Angesichts dieser Masse mussten sich die bereitstehenden 8.000 bewaffneten Kräfte zurückziehen. An diesem Tag entschied sich in Leipzig, ob die Revolution eine blutige oder eine friedliche werden würde. Mit der Friedlichen Revolution errangen die Menschen im ganzen Land die Freiheit und schufen gleichzeitig wichtige Voraussetzungen für die deutsche Wiedervereinigung sowie den europäischen Einigungsprozess.

 

Das Projekt markiert 20 „Orte der Friedlichen Revolution“ im Leipziger Stadtraum, an denen Aktionen stattfanden, die zum Sturz der SED-Diktatur und zum demokratischen Umbruch beitrugen: von der Demonstration für Bürger- und Menschenrechte im Januar 1989 über die Aufdeckung der Wahlfälschung im Mai 1989 bis zur entscheidenden Montagsdemonstration am 9. Oktober, der Besetzung der Leipziger Stasi-Zentrale oder der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990.

 

Mit der Errichtung thematischer Stelen werden die Topographie und die zeitliche Entwicklung der Friedlichen Revolution erlebbar. Sie sollen an die Kraft der demokratischen Idee erinnern, die den Bürgern zur Selbstbefreiung von der Diktatur verhalf, und zeigen, dass sich Zivilcourage und Einsatz für einen freiheitlichen und demokratischen Staat lohnen. Die Leipziger und die Besucher der Stadt werden so mit einem wichtigen Kapitel der deutschen Geschichte konfrontiert und die besondere Rolle Leipzigs als Stadt der Friedlichen Revolution für den demokratischen Aufbruch 1989 eindrucksvoll präsentiert. Die Standorte zeigen die Besonderheit, Vielschichtigkeit und Einmaligkeit des Gesamtereignisses Friedliche Revolution in Leipzig.

 

Bereits 2004 informierte das Bürgerkomitee mit temporären Stelen über die Ereignisse von 1989. Dies wurde von den Bürgern und Gästen der Stadt mit großem Interesse aufgenommen. Im März 2007 beschloss die Ratsversammlung auf Ihrer 33. Sitzung den Antrag „Leipzig und ’89: Erinnern, Bewahren und für die Zukunft nutzbar machen“ einstimmig. Darin hieß es unter anderem: „An geeigneten Orten sollten dauerhafte Stelen an die DDR-Diktatur und an die friedliche Veränderung vom Herbst 1989 erinnern.“

 

Das Bürgerkomitee griff diese Idee auf, entwickelte ein Konzept und warb Fördermittel ein. Nach einer beschränkten Ausschreibung im Jahr 2009 wählte ein Gremium, bestehend aus Vertretern der Stadtverwaltung, den Fraktionen des Stadtrates sowie weiteren Fachleuten einen Entwurf aus. Die Wahl fiel auf das Leipziger Büro „Studio KW“ und den von Klaus Hübner eingereichten Gestaltungsvorschlag.

 

Die Stelen werden aus Streckmetall gefertigt. Durch die Materialwahl erscheinen die 3 Meter hohen Stelen nicht als geschlossene Fläche, sondern nehmen sich in ihrer durchbrochenen Struktur im Stadtbild zurück. Außerdem besteht ein historischer Bezug zum Material – Streckmetall wurde in der DDR für Grenzsicherungsanlagen eingesetzt. Die Mauer war eine zentrale Voraussetzung für die SED-Diktatur und wurde mit der Friedlichen Revolution beseitigt. Auf jeder Stele informieren grafisch gestaltete Informationsflächen über das jeweilige Ereignis der Friedlichen Revolution und ihrer Vorgeschichte. Die Idee der Informationstafeln ist angelehnt an Formen der Erinnerungskultur, wie man sie nach einschneidenden Erlebnissen an vielen Orten des Geschehens findet: Menschen hängen Zettel, Schildchen und anderes an Zäune, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. So etwa auch während der Friedlichen Revolution, als Leipziger Bürger auf diese Art und Weise für die Freilassung von politischen Gefangenen demonstrierten.

 

Die Umsetzung des Projektes wird möglich durch die finanzielle Unterstützung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, des Freistaates Sachsen aus dem Programm „20 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ sowie der Stadt Leipzig. Die Arbeit des Bürgerkomitee Leipzig e.V. wird unterstützt durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten (StSG) und den Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM).

 

 

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RÜCKBLICK

 

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30. SEPTEMBER 2010, 19.00 UHR, VERNISSAGE ZUR ERWEITERUNG DER SONDERAUSSTELLUNG LEIPZIG AUF DEM WEG ZUR FRIEDLICHEN REVOLUTION

„Wir freuen uns, dass wir mit der Erweiterung noch einmal ganz eigene Akzente setzen konnten.“ Dr. Konrad Taut, der Vorsitzende des Bürgerkomitees Leipzig, zeigte sich bei seiner Begrüßung zufrieden mit dem Ergebnis der erweiterten Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“, die den Bogen zwischen den ersten freien Wahlen im Frühjahr und der Wiedervereinigung im Oktober 1990 spannt und bisher noch wenig bekannte Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte beleuchtet.

 

Es sei immer wieder wichtig, sich gemeinsam an die Ereignisse von vor 20 Jahren zu erinnern, betonte der Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft e.V. Gunther Hatzsch, der lange Jahre für die SPD im Sächsischen Landtag saß und ein Grußwort an das zahlreich erschienene Publikum richtete. Hatzsch freute sich auf eine interessante Diskussion und begrüßte die Podiumsdiskussionsteilnehmer: Arnold Vaatz, Mitglied des Bundestags, Christian Scheibler, Mitglied des Stadtrats Leipzig, Dr. Michael Richter, Historiker am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, sowie den Moderator Prof. Dr. Günther Heydemann, Direktor des Hannah-Arendt-Institutes.

 

„Niemals gab es in Deutschland ein so großes Maß an Demokratie, Bürgerfreiheit und Wohlstand wie heute“, so Gunther Hatzsch zu den Errungenschaften der Friedlichen Revolution. Jedoch sei die Arbeit etwa des Hannah-Arent-Instituts unabdingbar, um den Totalitarismus von allen Seiten erkennen zu können und diese Bürgerfreiheit zu wahren.

 

Tobias Hollitzer, der Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, informierte in seiner Einleitung über die Besonderheit der Erweiterung der Ausstellung „Leipzig auf dem Weg zu Friedlichen Revolution“, die den Aufbau demokratischer Strukturen am Leipziger Beispiel in dieser Umbruchszeit genauer untersucht. Über die Geschehnisse zwischen Herbst ´89 und der deutschen Wiedervereinigung sei wenig bekannt, so wecke die erweiterte Sonderausstellung besonderes Interesse.

 

Die Schau präsentiere eine Reihe neuer Fakten und bisher unbekannte Details. Sie zeige sowohl die ungeheueren Chancen für selbst bestimmtes bürgerschaftliches Engagement aber auch den nach- wie vor großen Einfluss der Vertreter des alten Systems auf die Entwicklung.

 

Spätestens ab Januar 1990 begann die Phase des Aufbaus demokratischer Strukturen in der DDR. Diese Zeit bot einzigartige Möglichkeiten des Engagements und der Realisierung eigener Vorstellungen und Ideen. Anhand eindrücklicher Dokumente wird gezeigt wie sich Leipziger Bürger gegen den Verfall ihrer Stadt wehrten. Zahlreiche Umwelt- und Städtebauprojekte wie „Stoppt Cospuden“, „Pleiße ans Licht“ oder der Volksbaukonferenz wurden ins Leben gerufen und erfolgreich durchgesetzt.

 

Eingebettet wird die Ausstellung in die nationalen und internationalen Prozesse, die zur Deutschen Einheit führten. Die Einführung der D-Mark wird ebenso am Leipziger Beispiel dargestellt wie die Eröffnung des ersten Arbeitsamtes in den Räumen der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung. Die Ausstellung zeigt schlaglichtartig sowohl Chancen als auch Probleme der rasanten Entwicklung, an deren Ende das wiedervereinigte Deutschland stand.

 

„Bundesland Sachsen wird wieder wachsen“, könnte auch ein Spruch aus der heutigen Zeit gegen den demografischen Wandel sein. Jedoch stamme dieser Slogan aus dem Jahr 1989. Mit diesen Sätzen leitete Prof. Dr. Heydemann die Diskussionsrunde ein. Er beschrieb die Komplexität der damaligen Zeit, die wirtschaftliche Misere, die Uneinigkeiten der Bürgerbewegung, die kommunale Veränderung und vor allem das Verhältnis zwischen bürgerlichem Engagement und der Macht der alten Kader.

 

Wie war die Atmosphäre nach dem 9. Oktober, und hat man in diesem Moment schon an die Neugründung Sachsens gedacht? Arnold Vaatz, 1990 erster Chef der Sächsischen Staatskanzlei, beschrieb ausführlich zwei Phasen des Aufbruchs: zunächst die offene Rebellion vom späten Sommer `89 bis zum Herbst im „Windschatten des 7. Oktobers“, dem 40. Jahrestag der DDR. Danach sei das Bewusstsein über die Chance zur Selbstbestimmung zu groß gewesen, um sich wieder zurück zu ziehen, „wobei es keine Beschlussfähigkeit der neuen Organisationen wie dem Neuen Forum gab“. Vaatz fügte hinzu, in diesem politischen Aufbruch sei auch die Idee der Länderbildung aufgekommen.

 

Christian Scheibler, Bürgerrechtler und Erstbesetzer der Leipziger Stasi-Zentrale im Dezember 1989, stimmte Vaatz´ Aussagen zu. Seine persönlichen Erinnerungen an den Evangelischen Kirchentag 1989, seine dortige Rolle als Moderator und die Unausweichlichkeit der Themen Bürgerrechte und freie Wahlen ließen ihn zusammenfassen: „Es knallte schon im Frühjahr 1989“. Neugründungsideen Sachsens habe er erst nach dem Herbst´89 wahrgenommen. Über seine eigene Rolle als Mitglied des Neues Forums sagte er: „Das Einzige, an dem wir uns festhalten konnten, war alles transparent zu machen.“

 

Dr. Michael Richter skizzierte zunächst die Landesbildung und die „national-demokratische Wende“, die Auseinandersetzung um den Wechselkurs 1:1 für die Einführung der D-Mark, den 2+4-Vertrag sowie die Wiedervereinigung Deutschlands. Zur Neugründung der Länder, besonders Sachsens erläuterte Richter den genaueren Prozess: Ab Dezember `89 sei die Länderbildung schon in einigen Parteiprogrammen zu finden gewesen, gleichzeitig hätten die Räte der Bezirke versucht die „alten“ Apparate in die neue Struktur zu übertragen, was die Bürgerrechtler zunächst in Sachsen unterbanden. Im Mai `90 wurden die jeweiligen Partnerländer festgelegt: Bayern und Baden-Württemberg Sachsen wurden zugeteilt. Beide Bundesländer kooperierten wiederum mit den Räten der Bezirke, was von den Bürgerrechtlern schließlich verhindert wurde. Anders als alle anderen sei das Land Sachsen schlussendlich nicht von den Räten der Bezirke, sondern von demokratischen Kräften gebildet worden.

 

Ob die Wiedergründung Sachsens ein direktes Ziel gewesen ist und wie weit die sächsische Identität eine Rolle gespielt hat, sollte Arnold Vaatz klären. Der Berliner Runde Tisch habe sich immer mehr von den Meinungen im Süden der DDR entfernt. Er sah in Berlin große Sympathien für den Aufruf „Für unser Land“ von Christa Wolf und anderen, der unter anderem die DDR als erhaltenswert darstellte, wohingegen die Konföderationsvorschläge Kohls eine Einigung Deutschlands anstrebten. Diese komplexe Auseinandersetzung habe den Bruch der Runden Tische in Sachsen mit dem in Berlin gebracht. Es habe damals zwei Lösungsmöglichkeiten gegeben: einerseits eine souveräne DDR mit einer neuen Verfassung, andererseits einen strukturellen Wandel, um in die Bundesrepublik hinein zu wachsen.

 

Neben diesen Fragen sahen sich die Bürgerrechtler mit kommunalen Problemen konfrontiert: Die Veränderung der Verwaltungsstruktur, die sich mit den freien Wahlen im Frühjahr 1990 nicht automatisch gewandelt hatte, erwies sich als besonders schwierig. „Man kann so einen Apparat, der tausende von Angestellte hat, nicht mit eine paar Menschen über Nacht einfach umkrempeln,“ resümiert Christian Scheibler, der im Auftrag der Runden Tische in die Stadtverwaltung gegangen war.

 

Vaatz ergänzte, dass auch die Frage der Bevölkerung nach der politischen Zukunft größer geworden sei. Unter diesem Druck habe das Neue Forum in Dresden eine Erklärung mit konkreten Wahltagen abgegeben, sogar mit einem Termin für die Landtagswahl. Die fand zwar zu diesem Zeitpunkt nicht statt, wirkte aber als Beschleunigung der Vorgänge.

 

„Kommunale Identität, sächsische Identität, optionale Wiedervereinigung. Wie passt das zusammen?“, fragte Günther Heydemann in die Podiumsrunde. Das Schwierigste sei die Ungewissheit über die Größe des DDR-Apparates gewesen, so Arnold Vaatz. Zum Teil, so betonte Scheibler noch einmal, waren die wenigen Kräfte der Bürgerbewegung zu schwach, um die verschiedenen Organe zu durchdringen. Jedoch haben die neuen Gruppen und Parteien mit dem Erfolg Biedenkopfs als Kandidat für das Ministerpräsidentenamt zur Landtagswahl eine stetige Zusammenarbeit zwischen Staatsorgan und Runden Tischen erreicht.

 

Am Ende der Podiumsdiskussion konnten Gäste Fragen an die Podiumsteilnehmer stellen. Hierbei ging es erneut um die Länderbildung, die CDU als Blockpartei und die Aufarbeitung der Stasiunterlagen sowie den Umgang mit den Tätern. In Bezug auf die Aufarbeitung und die Frage, warum die SED 1989/90 nicht verboten wurden, gab Arnold Vaatz am Ende der Diskussion den Hinweis, die SED könne nur mittels Argumenten überwunden werden, und man müsse in die Menschen vertrauen, dass sie erkennen und ablehnen.

 

 

2. OKTOBER 2010, 19.00 UHR: FILMVORFÜHRUNG UND GESPRÄCH: „AUSGERECHNET BANANEN - EIN DEUTSCH-DEUTSCHES WIRTSCHAFTSWUNDER“

Am Samstag, den 2. Oktober 2010, einen Tag vor dem Tag der Deutschen Einheit, zeigte das Bürgerkomitee Leipzig e.V. in Kooperation mit dem Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Sachsen (LStU) mit dem Dokumentarfilm „Ausgerechnet Bananen – ein deutsch-deutsches Wirtschaftswunder“ welche Konsequenzen die Wiedervereinigung abseits der großen Feierlichkeiten auf den Alltag der Menschen hatte. Dokumentiert wurde der Versuch der sächsischen Familie Schütze, sich nach 40 Jahren DDR in der kapitalistischen Marktwirtschaft zurecht zu finden. Im anschließenden Gespräch mit dem Filmemacher Wolfgang Ettlich und dem Ehepaar Schütze selbst bekamen auch die Zuschauer die Möglichkeit Fragen zu stellen.

 

Die Dokumentation setzt im Januar 1990 ein, als Jürgen Schütze, Leiter eines HO-Ladens in Zschopau gemeinsam mit seiner Frau Karin die ersten marktwirtschaftlichen Strukturen in seinem Betrieb einführt und unter diesen Bedingungen versucht, einen Obst- und Gemüsehandel, später dann einen Fachhandel für Molkereiprodukte aufzubauen. Der unterhaltsame und abwechslungsreich gestaltete Film stieß beim Publikum auf sehr positive Resonanz. Dementsprechend groß war die Begeisterung, als nach der Vorführung die Familie Schütze, die „Hauptdarsteller“, den Raum betraten. Zusammen mit Moderatorin Dr. Nancy Aris, Mitarbeiterin beim LStU und Regisseur Wolfgang Ettlich, der sich sehr darüber freute so viele junge Leute im Publikum zu sehen, haben sie über den Film, dessen Entstehungsphase und die Folgen gesprochen.

 

Wie es zu dieser Filmidee gekommen sei, wollte Nancy Aris wissen. Es sei Zufall gewesen, so Ettlich, da er eigentlich den Enkel des Schauspielers Gerd Fröbe in Zschopau besucht hatte und nur eine Übernachtungsmöglichkeit suchte. Diese fand er schließlich bei den Schützes. So kamen Gast und Gastgeber ins Gespräch. Ettlich erzählte, wie Herr Schütze von seinen Ängsten und vor allem von seinen Träumen berichtet habe. Dies hat den Filmemacher inspiriert, so dass er die Gemüsehändler am nächsten Tag in deren Laden besuchte und sogleich die Kamera auspackte. Aris stellte natürlich auch die Frage an die Schützes, was sie von der Idee, einen Film über ihren Werdegang in der Marktwirtschaft zu drehen, hielten. Frau Schütze sagte, dass Herr Ettlich zunächst nur die Zustände im Laden aufgenommen habe, sie also zunächst gar nicht ahnte, dass es ein ganzer Film mit privaten Szenen würde. Die Nachbarn seien anfangs sehr neugierig gewesen, als das Filmteam auftauchte, was sich jedoch schnell in Unmut wandelte. Als der Film 1991 schließlich veröffentlicht wurde und die Nachbarn kritische Äußerungen von Herrn Schütze über „Feigheit“ der Zschopauer erstmals hörten, wurden die Hauptdarsteller von den Anwohnern „geschnitten“. „Sie wechselten die Straßenseite, als sie uns sahen.“ Heute wiederum stimmten die Zschopauer Herrn Schütze sogar zu, damals habe der Neid im Vordergrund gestanden.

 

Der gezeigte Film begleitete die Familie bis zum Jahr 1991, als sie in Aufbruchsstimmung war, voller Tatendrang und Ideen. Schon bald danach hatte Ettlich die Idee, die Schützes weiter zu begleiten – ein Langzeitprojekt daraus zu machen. Er wollte einfach wissen, wie es weiter ging, was aus Zschopau wurde. Diese Entscheidung brachte auch, laut Ettlich, ein hohes Risiko mit sich. Denn würde das Familienunternehmen scheitern, würde dem Film das gleiche Schicksal drohen. Auch die Familie selbst hatte starke Zweifel. Für Frau Schütze bedeuteten weitere zehn Jahre Filmteam, dass das Gerede der Nachbarn weiter gehen würde. Sie litt sehr darunter und war daher eigentlich gegen ein Weitermachen. Sie erzählte auch, dass eine Kundin nicht mehr bei ihnen einkaufen wollte, weil sie ja „mit dem Film genug Geld gemacht hätten“. Doch nach Absprache mit ihrem Mann dachten sie sich „Jetzt erst recht!“, schließlich hätten sie nur die Wahrheit gesagt.

 

Nachdem die Zuschauer das Podiumsgespräch eine halbe Stunde gespannt verfolgt hatten, wurde das Wort an das Publikum gegeben. Am meisten interessierte die Besucher, wie es weiter ging. Ob die Familie Schütze es geschafft hätte. Als diese Frage von Herrn Schütze verneint wurde und er die ausweglosen wirtschaftlichen Zustände heute in Zschopau schilderte, sahen die Podiumsgäste in betroffene Gesichter. Sicherlich hätte jeder im Saal den Schützes den Erfolg gegönnt und eine positive Antwort erwartet. Aber gerade dieser Ausgang der „Geschichte Schütze“ erzeugte Sympathie der Zuschauer. Der Mut und das Engagement wurden mehrmals gelobt. Eine Zuschauerin freute sich, dass bereits 1990 die Leute zum Wandel bereit waren.

 

Die ausführliche Antwort gibt der Folgefilm „Wir machen weiter“, der die Familie bis 1999 begleitet. Beide Filme sind im Handel erhältlich. „Eine Fortsetzung wird folgen,“ so Ettlich.

 

 

4. OKTOBER 2010 „WIR SIND DAS VOLK!“ – MONTAGSGESPRÄCH IN DER „RUNDEN ECKE“ MIT KONRAD WEIß

„Es war mir von Anfang an klar, als ich mit dem Studium begonnen habe und später erst recht bei meiner Arbeit, dass das Filmemachen in der DDR nicht möglich ist, ohne dass es ein von der Obrigkeit erlaubter Film ist.“ So blickt Konrad Weiß auf seine Vergangenheit als Filmemacher in der DDR zurück. Zum 22. Montagsgespräch begrüßten die Moderatoren Tobias Hollitzer und Reinhard Bohse den Publizisten Konrad Weiß, der von seiner Lehre zum Elektromonteur und seinem Studium an der Filmhochschule, seinem Engagement bei Aktion Sühnezeichen und als Bürgerrechtler bei „Demokratie Jetzt“ sowie von seinem Mandat als Volkskammerabgeordneter für Bündnis `90 berichtete.

 

Konrad Weiß wurde 1942 im schlesischen Lauban geboren. Wenige Jahre später musste die Familie im Winter von dort fliehen, da sein Geburtsort zum Kampfgebiet ausgerufen worden war. „Wir sind Vertriebene, aber von den Deutschen“, so Weiß. Auf der Flucht starb sein Vater an einer Lungenentzündung. Untergekommen seien sie schließlich auf dem Hof seines Onkels, einem Fleischer in Gentin. In diesem Ort wurde Weiß 1949 eingeschult. Seine älteren Geschwister absolvierten eine Lehre. Konrad Weiß` Bruder gründete in Gentin eine Junge Union und stellte damit eine Konkurrenz zur Jugendorganisation der SED, der FDJ dar. Er floh nach einer Verwarnung und Verhaftungen seiner Freunde nach Westberlin. Ähnlich wie er siedelten viele Verwandte in den Westen über. Konrad Weiß und seine Mutter blieben jedoch in Gentin, weil dort der Vater begraben lag. Seine weitere Kindheit und Jugend waren geprägt vom Getuschel um die Flucht des Bruders, die Verhaftung und Verschleppung seines Cousins ins sibirische Lager Workuta, auch verbreitete die sowjetische Geheimpolizei Angst und Schrecken. Im Allgemeinen habe er jedoch eine unbeschwerte Zeit im Nachkriegsdeutschland erlebt, so Weiß.

 

Bis 1959 besuchte Weiß die Schule, der Zugang zum Abitur blieb ihm jedoch verwehrt, da er aus einer „bürgerlichen“ und katholischen Familie stammte, obwohl seine Mutter als Haushaltshilfe arbeitete. Nach seinem Abschluss, der Mittleren Reife, begann er eine Ausbildung zum Elektromonteur und versuchte nebenbei sein Abitur an einer Abendschule nachzuholen.

 

Anschließend ging er zum katholischen Seminar in Görlitz, wo die Glaubensfragen in Gemeinden und die Gemeindearbeit als Laie im Vordergrund stand. Danach wurde er Mitarbeiter im katholischen Seelsorgeamt in Magdeburg, wo er einige Tonbildreihen und Handreichungen erarbeitete. In diese Zeit fiel auch der Bau der Mauer, den Weiß aber damals nicht in seiner Tragweite erfasste. Magdeburg wurde zum Knotenpunkt seines Lebens. Hier legte er sein Abitur ab und kam erstmals mit dem Thema Aussöhnung mit Polen in Berührung, als er einige Mitglieder einer paneuropäischen Gruppe kennen lernte.

 

Aus diesen Bekanntschaften entwickelte sich sein Engagement für die Organisation Aktion Sühnezeichen, die sich für die Wiedergutmachung an den von den Nazis besetzten Ländern und an Israel einsetzte. Anfangs verbreitete die Gruppe Handreichungen zur Aussöhnungsproblematik zum Teil auch auf Polnisch. Hinzu kamen Schmuggelaktionen von Hilfsmaterialien, wie auch Büchern. Die erste geplante Pilgerfahrt 1964 nach Polen wurde jedoch verboten. An der Grenze wurde die Gruppe von der DDR an der Ausreise gehindert, da das Grenzabkommen zwischen der DDR und Polen jedes weitere Bemühen um Aussöhnung überflüssig gemacht hätte. Während dieser Zeit lernte Konrad Weiß auch seine Frau kennen. Die erste erfolgreiche Pilgerfahrt endete in Auschwitz, wo die Gruppe freiwillig arbeitete. Diesmal waren die Teilnehmer einzeln als Touristen eingereist und hatten sich erst hinter der Grenze zusammengefunden.

 

1965 bewarb sich Weiß an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg. Glückliche Umstände in einer kurzen Phase der relativen Liberalisierung, sagte Weiß, verschafften ihm dort einen Platz in der einzigen Dokumentarfilmklasse Regie und Kamera, wo auch viel praktisch gearbeitet wurde. So drehte Weiß beispielsweise seinen ersten Film über die Müllabfuhr. Eine Gruppenarbeit über den Krieg in Vietnam wurde 1966 sogar auf dem Dokumentarfilmfestival Leipzig ausgezeichnet und auch auf dem Allunionsfilmfestival in Moskau gezeigt. Für die Studenten, die sonst als „quertreibend“ galten, sicherte die internationale Anerkennung einen guten Stand und bot Schutz vor Repressalien. Konrad Weiß bekam noch während seines Studiums eine begehrte Anstellung bei der DEFA. Wegen eines Films über eine Widerstandsgruppe um den NS-Widerstandskämpfer Herbert Baum geriet Weiß ins Visier der Stasi. Sein direktes Umfeld wurde mit IMs besetzt, seine Wohnung war komplett verwanzt. Doch Weiß hatte auch immer wieder Glück: Als er 1976 exmatrikuliert werden sollte verhinderte eine Auszeichnung durch die FDJ für einen Gruppenfilm diesen Schritt. Neben Aufklärung über die NS-Zeit zählten zu Konrad Weiß ständigen Filmthemen das Bildungssystem sowie verschiedenste Parteitage. Später ab 1988 arbeitete er in der Arbeitsgemeinschaft für Kinderfilme.

 

Immer wieder engagierte sich Konrad Weiß für Aktion Sühnezeichen und lernte dadurch auch die politische Elite der Solidarnoscbewegung kennen und wurde Medienberater der evangelischen Kirche, was ihm einige Freiräume verschaffte. So konnte er beispielsweise in die Niederlande und nach Irland reisen. All diese Ereignisse prägten ihn stark und zeigten ihm immer wieder Alternativen zur SED-Diktatur.

 

Seit Mitte der 1960er sammelte Weiß Zeitungsausschnitte, besonders über Ausschreitungen gegenüber Ausländern und Vandalismus auf jüdischen Friedhöfen. Mittels Informationen aus dem Innenministerium und der Humboldt-Universität Berlin verfasste Weiß eine Studie zum Rechtsradikalismus in der DDR. Mit seiner These „Rechtsradikalismus ist nichts Importiertes aus dem Westen, sondern etwas aus den Wurzeln der DDR“ provozierte er 1988 erstmals in der Samisdat-Zeitschrift Kontext in der DDR. Über eine polnische Publikation gelangte der Artikel in die BRD, wo er von der Wochenzeitung die Zeit veröffentlicht wurde. Als Folge habe er ein unausgesprochenes Berufsverbot bekommen.

 

Nachdem im Frühjahr 1989 der SED die Fälschung der Kommunalwahlen nachgewiesen wurde und im darauf folgenden Sommer die Massenflucht zahlreicher DDR-Bürger einsetzte, wurde ihm klar, dass eine Reform notwendig ist. Dies war auch der innere Antrieb zur Gründung der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“.

 

Den Herbst ´89 erlebte Weiß als kurze, aber intensive Zeit. Bis zum 5. November nahm er an einer Tagung in Israel teil, wo ein Film von ihm gezeigt wurde. Die Erlaubnis zu dieser Reise bekam Weiß, da sich die DDR durch eine Verbesserung der Beziehungen zu Israel Kredite aus den USA erhoffte. Auch dort veröffentlichte er seinen Artikel zum Rechtradikalismus in der DDR und wurde damit deutscher Ansprechpartner für die israelische Presse zu den Geschehnissen in Deutschland.

 

Die Zeit nach dem Mauerfall erlebte er als sehr belastend für seine Familie. Seine Wohnung war quasi das Büro von „Demokratie Jetzt“ geworden. Er wurde Beobachter und Mitglied der Runden Tisches, kandidierte für die Volkskammerwahl und bekam ein Mandat in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dort engagierte er sich für das Bekenntnis zur deutschen Schuld an den Verbrechen des Nationalsozialismus, was er im Rückblick als Erfolg der ersten frei gewählten Volkskammer wertet. Bedauerlich findet Weiß im Nachhinein, dass nicht der konstitutionelle Weg für die Wiedervereinigung durchgesetzt werden konnte. So sei die DDR der Bundesrepublik ohne eine neue Verfassung beigetreten. Weiß kandidierte 1994 nicht mehr bei der Bundestagswahl und trat 2001 aus der Partei Bündnis ´90/Die Grünen aus, nachdem diese sich für eine mögliche Koalition mit der PDS ausgesprochen hatte. Heute arbeitet er als freier Publizist.

 

Rückblickend auf 20 Jahre Wiedervereinigung ist Weiß dankbar für die gewonnene Freiheit sowie für die Auflösung der bipolaren Welt. Als besonders gelungen betrachtet er die Aufarbeitung der Stasi- Unterlagen und die Verbesserung der deutsch - polnischen Beziehungen. Er kritisiert jedoch die Demokratieverdrossenheit der heutigen Gesellschaft.

 

Link zu Konrad Weiß Aufsatz "Die neue alte Gefahr"

 

 

 

9.OKTOBER 2010, 18.00 UHR, LEIPZIGER REDE ZUR DEMOKRATIE VON BUNDESTAGSPRÄSIDENT PROF. DR. NORBERT

LAMMERT IN DER NIKOLAIKIRCHE

Am 9. Oktober 1989 ist "nicht eine Glasscheibe zu Bruch gegangen, sondern ein System", so Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert. In seiner Rede zur Demokratie machte er deutlich, dass sich auch die heutigen demokratischen Verhältnisse berechtigter Kritik ausgesetzt sehen. Weder Politiker, noch Parteien, das Parlament oder die Regierung erlebten zurzeit den Höhepunkt ihres öffentlichen Ansehens. Das, was eine Demokratie am dringendsten braucht, ist den Menschen abhanden gekommen – Vertrauen. Alarmierend sei, dass dieser Prozess keine Schlechtwetterfront ist, sondern ein seit Jahren anhaltender schleichende Klimaveränderung.

 

Der 9. Oktober ist ein Fest der Demokratie und Streit sei in einer Demokratie unverzichtbar. Prof. Dr. Lammert bezog in seiner Rede auch Stellung zu tagespolitischen Themen wie Stuttgart 21 oder der Energiepolitik. Die aktuelle Debatte betrachtete er kritisch. Er begründete eindrücklich, warum eine Demokratie rechtsstaatliche Verfahren braucht, die für Jedermann unabhängig von den jeweiligen Themen gelten und auf die sich alle verlassen können. Mit Blich auf die eskalierende Lage in Stuttgart sagte er: "Regierende sollten auch heute wissen: Am Ende ist das Volk immer stärker."

 

Obwohl Buh-Rufe auch von den Zuschauerrängen aus erlaubt seien, ersetzten diese nicht das eigene Engagement. Der Bundestagspräsident appellierte vor allem an die junge Generation, in der eine große Politikverdrossenheit zu finden sei, sich öffentlicher Angelegenheiten wieder anzunehmen, denn jetzt wird vor allem ihre Zukunft gestaltet. Er schloss seine Rede mit dem Ausruf der Demonstranten von 1989: "Wir sind das Volk".

 

 

9.OKTOBER 2010, 20.00 UHR, LICHTFEST LEIPZIG

Im Rahmen des Lichtfestes Leipzig gedachten am 9.10.2010 rund 40.000 Leipziger und Gäste der Stadt der Friedlichen Revolution und der Deutschen Einheit. Am historischen Ort Augustusplatz erinnerten sie bei einem Kunstprogramm mit Sound-Elementen und Licht-Effekten, Musik- Performances und der Gestaltung einer strahlenden „89“ der Ereignisse in den Jahren 1989 und 1990. Unter anderem riefen Bundestagspräsidenten Professor Norbert Lammert, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung und Tobias Hollitzer, Vorsitzender der Initiative „Tag der Friedlichen Revolution – Leipzig 9. Oktober 1989“ in ihren Grußworten zum aktiven Gedenken und bürgerschaftlichen Engagement auf.

 

„Ich bin froh, dass ich heute vor dieser eindrucksvollen Kulisse dabei sein kann“, sagte Bundestagspräsident Professor Norbert Lammert. „Ich wäre vor 21 Jahren gerne in Leipzig gewesen, denn ich empfinde einen tiefen Respekt und Bewunderung für die Männer und Frauen, die damals ihre Grundrechte eingefordert und Freiheit und Demokratie für alle ermöglicht haben. An die junge Generation der um die 20-Jährigen möchte ich heute einen Appell richten, denn sie kennt dieses Land nur als freies Land: Nehmt diese Lage bitte nicht als selbstverständlich hin, denn das musste hart erkämpft werden. Das ist Euer Staat und Eure Demokratie und Eure Verantwortung. Nehmt es ernst wie die Menschen 1989.“

 

Höhepunkte im bewegenden Programm waren u. a. ein musikalischer Brückenschlag, der den Organisten Jürgen Wolf (Nikolaikantor) und Prof. Domenico Tagliente zwischen Leipzig und Berlin gelang. Etwa 20 Minuten lang improvisierten Jürgen Wolf auf seiner Ladegast-Orgel in Leipzig und Prof. Domenico Tagliente auf einer Orgel in der Kuppel des Deutschen Reichstages Themen von J. S. Bach. Auf dem Augustusplatz fügten sich die Beiträge auf Videowänden zu einem kunstvollen Ganzen – die vertonte historische Beziehung zwischen Leipzig und Berlin. Sänger und Songwriter Rolf Stahlhofen, Gründungsmitglied der „Söhne Mannheims“, performte seinen Song „Zeit was zu ändern“. Zum großen Finale gingen die künstlerischen Elemente eine akustische und visuelle Beziehung ein: der dichte Klangteppich des Künstlers Marek Brandt, die Laserinstallation „WIR“ von Jürgen Meier, eine musikalische Improvisation in verschiedenen Sprachen von Rolf Stahlhofen mit Celina Bostic, Mica Dulce und Mirella Wiacek sowie das eindringliche Orgelspiel von Jürgen Wolf. Parallel formten die Lichtfest-Gäste mit 10.000 Kerzen eine große „89“.

 

„Nach der Premiere des Lichtfestes 2009, das alle Erwartungen übertroffen hatte, haben die Leipziger und ihre Gäste erneut ein großartiges Zeichen in Sachen Erinnerungskultur gesetzt“, sagte Burkhard Jung, Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, im Anschluss. „Diese ganz eigene Form des Sich-gemeinsam-Besinnens verleiht unserem städtischen Feiertag eine unverwechselbare Atmosphäre. Ich gebe gerne zu: Das waren auch für mich Gänsehaut-Momente. Die Bürger haben gezeigt, dass man ein solches Fest trotz seiner Größe wirklich mit Würde, mit Momenten des Innehaltens, mit stillem Stolz und künstlerischem Niveau feiern kann. Einmal mehr wurde das Klischee, die Deutschen könnten nicht angemessen feiern, in Leipzig auf wunderbare Weise außer Kraft gesetzt. Mein Dank gilt allen Organisatoren, Unterstützern, Künstlern und natürlich ganz besonders den Bürgern, die unser Lichtfest erst zu dem machen, was es ist: ein Leipziger Höhepunkt.“

 

„Ich bin extrem geflasht – wahrscheinlich werde ich erst morgen verstehen, was hier heute Großartiges passiert ist. Ich war etwa 20 Minuten auf der Bühne und es kam mir vor wie zwei Minuten. Keine Ahnung, wo die Zeit geblieben ist“, resümierte Rolf Stahlhofen. „Ich danke dem künstlerischen Leiter Jürgen Meier, dass er uns eingeladen hat. Für mich war es eine große Ehre, hier dabei sein zu dürfen. Als ich den Song ‚Zeit was zu ändern‘ damals komponiert habe, da habe ich gehofft, dass er eines Tages in so einem Umfeld ankommt. Heute ist das passiert.“

 

„Ich danke den 40.000 Besuchern, die heute einmal mehr gezeigt haben, wie wichtig dieser Tag in der deutschen Geschichte ist“, sagte Marit Schulz, Marketingmanagerin und Prokuristin der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH. „Natürlich war das Lichtfest 2010 anders als 2009. Genau so wollen wir jedes Jahr einen anderen Akzent setzen, indem wir passende Gäste einladen und ein entsprechendes künstlerisches Programm gestalten. Das allerdings geht nur mit einer breiten Unterstützung – deshalb geht mein ausdrücklicher Dank an die Firma CWC Pasemann und an alle Partner und Förderer des Lichtfest.“

 

„Ich bin glücklich, dass im Zusammenspiel aller kleinen Schrauben alles funktioniert hat und dass sich alle Teile bestens ineinander gefügt haben. Für das Lichtfest haben sich zahlreiche Künstler auf ein Wagnis, ein Experiment, ein Versprechen eingelassen – und ich bin erleichtert, dass das Konzept aufgegangen ist. Die Atmosphäre auf dem Augustusplatz war wieder besinnlich und friedlich und wir haben von den Besuchern sehr positive Rückmeldungen bekommen“, so Jürgen Meier, künstlerischer Leiter des Lichtfest.

 

Das Lichtfest wird von der Leipzig Tourismus und Marketing GmbH, der Stadt Leipzig und der Initiative Herbst ’89 veranstaltet. Im letzten Jahr feierten die Leipziger anlässlich „20 Jahre Friedliche Revolution“ erstmals ein Lichtfest, bei dem rund 150.000 Besucher an die Ereignisse im Herbst 1989 erinnerten. Nun ist das Lichtfest strategisch bis zum 25. Jubiläum der Friedlichen Revolution im Jahr 2014 angelegt. Geplant ist eine Fortführung des Kunst- und Bürgerprojektes an historischen Orten im europäischen Kontext.

 

 

9.OKTOBER 2010, 20.00 BIS 23.00 UHR, LANGE AUSSTELLUNGS- UND FILMNACHT IM MUSEUM IN DER „RUNDEN ECKE“

Der 9. Oktober 1989, der als „Tag der Entscheidung“ in die jüngere deutsche Geschichte einging, gilt als der Tag der Friedlichen Revolution. Auch in diesem Jahr beteiligte sich unsere Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ am Programm der Initiativgruppe Herbst`89 mit einer langen Ausstellungs- und Filmnacht. So strömten hunderte Menschen nach dem Lichtfest auf dem Augustusplatz zur „Runden Ecke“. Zahlreiche Besucher nutzten die im Vorfeld angekündigten ständigen Führungen durch die Dauerausstellung „Stasi – Macht und Banalität“ und die erweiterte Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur friedlichen Revolution“. Darüber hinaus wurden im Saalbau die authentischen Dokumentationen „Tag der Entscheidung“ und das „Wunder von Leipzig“ gezeigt. Bis 23 Uhr war die „Runde Ecke, ebenso wie der ehemalige Stasi-Kinosaal gut besucht, so das letztlich auf die ständigen Öffnungszeiten des Museums aufmerksam gemacht wurde. Auch in diesem Jahr erinnerten die Menschen mit brennenden Kerzen auf den Stufen der „Runden Ecke“ an den Herbst `89.

 

 

12.OKTOBER 2010 BUCHVORSTELLUNG „AUFRECHT IM GEGENWIND“ VON SEBASTIAN PFLUGBEIL

Wie haben die Kinder der Bürgerrechtler Heiko Lietz, Christian Führer, Klaus Gaber, Sebastian Pflugbeil und anderer Bürgerrechtler die DDR und die Umbruchszeit um 1989 erlebt und was haben sie in ihr heutiges Leben davon mitgenommen? Diese Frage stand im Mittelpunkt des Buches, das in der Publikationsreihe des LStU erscheint und von der Evangelischen Verlagsanstalt herausgegeben wird, und auch der Buchvorstellung von Sebastian Pflugbeil.

 

Nach einer kurzen Begrüßung und einigen Sätzen zum ehemaligen Stasi-Kinosaal sprach Tobias Hollitzer, der Gedenkstättenleiter, über den ungewöhnlichen Zugang des Buches zur Friedlichen Revolution und seine anfänglichen Bedenken, die sich in Interesse wandelten. Seine Tochter, die im Alter von 6 Monaten dabei war, als er mit anderen Oppositionellen das Umweltheft „Die Pleiße“ illegal vervielfältigte, wäre wohl noch zu jung für einen Beitrag in dieser Sammlung, so Hollitzer, doch sei sie sicher eine gute Zeitzeugin für ein Buch über die „Kinder der Aufarbeiter“.

 

Herzlich begrüßte Sebastian Pflugbeil vor allem „seine Kinder“, die mit an dem von ihm herausgegebenen Buch arbeiteten, wie auch den Lektor. Er habe vier Töchter, doch nach diesem Buch sei seine Familie um 23 Kinder gewachsen, so Pflugbeil. Reflektierend über dessen Inhalt und Entstehung, erklärt Pflugbeil, dass er ganz neue Ansichten über die Zeit bis 1989 gewonnen habe. Die Idee zum Buch stamme nicht direkt von ihm. Zu seinem 60. Geburtstag bekam er von seinen Töchtern ein Buch geschenkt, das ihr Leben und ihren Vater aus den Augen ihrer Kindheit und Jungend beschrieb. Daraus entwickelte sich der Gedanke etwas Ähnliches mit den Kindern der DDR-Bürgerrechtler zu gestalten.

 

„Wir waren damals verrückt, und konnten letztlich nicht absehen was geschieht“, so Pflugbeil über sein eigenes Handeln. Doch wie haben die Kinder diese Zeit erlebt? Um dies zu beantworten, entwickelte er einen Fragebogen. Es ging nicht nur um `89, sondern auch um die Zeit davor und danach. Fragen wie zum Beispiel: „Wie war es vor `89 in der Schule für dich?“, „Wurdet ihr mit zu Veranstaltungen oder Demos genommen?“ oder „ Wurde bei euch zu Hause offen über alles gesprochen?“. Aber auch Zukunftsvisionen und Unterschiede zu heutigen Westfreunden waren für ihn interessant. Das Buch „Aufrecht im Gegenwind – Kinder von 89ern erinnern sich“ beinhaltet letztlich keine Analyse der Fragen, sondern individuelle Berichte der einzelnen Kinder.

 

Im Anschluss an die Einleitung Pflugbeils lasen Urte Lietz, Katharina Köhler, Katharina Pflugbeil und Stephan Thiel einige Passagen aus ihrem eigenen Bericht. Dabei erzählte Urte Lietz, Tochter von Heiko Lietz, vom Aufwachsen in einem Pfarrhaus, Besuchen von Journalisten der Westpresse und von der ständigen Bedrohung der Stasi. Sie hätten zu Hause gelernt verschiedene Sprachen zu sprechen: eine für die Schule, wie man im verwanzten Haus miteinander spricht und die offenste Sprache, wenn man im Grünen ist. Urte Lietz sprach über das gesellschaftliche Leben, darüber, dass sie nicht zur Jugendweihe ging. „Selig sind die, die nach Gerechtigkeit streben und um ihrer Willen verfolgt werde, denn ihnen gehört das Himmelreich.“, war ihr Konfirmationsspruch, der ihr besonders wegen der regelmäßigen Verhaftungen ihres Vaters und wegen der ständigen Überwachung ihres eigenen Lebens gefiel. Heute habe sie keine Sehnsucht nach der DDR, jedoch würden ihr immer wieder Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen auffallen. So gäbe es verstärkt komplizierte Bildungswege und fast komplett andere Lebenserfahrungen bei den Ostdeutschen ihres Alters. Urte Lietz sei froh über die Demokratie, froh darüber, dass sie im Gegensatz zu ihren Eltern mehr Zeit für die Familie habe.

 

Katharina Pflugbeil, Tochter von Sebastian Pflugbeil berichtete über eine sorglose Schulzeit, auch ohne Pionier gewesen zu sein. Jedoch gibt sie zu, dass dies nur an der ihr wohl gesonnenen Lehrerin gelegen habe. Es sei eine Zeit voller Spannung, Euphorie und Aufregung gewesen mit vielen Sorgen in der Familie. Sie wuchs mit ihren Geschwistern relativ alleingestellt auf. In ihren Erzählungen wurde deutlich, dass in der Familie offen mit dem Risiko des Handelns der Eltern umgegangen wurde. Für die Pflugbeil Kinder war klar, wenn man ihre Eltern verhaften würde, kämen sie mit der versteckten Vollmacht zunächst zu einer Nachbarin, später dann zur Tante. Katharina Pflugbeil erinnert sich an das Neue Forum, an die vielen rauchenden Männer, die bei ihnen ein und ausgingen. Auch bei ihnen sei die Stasi ein regelmäßiger Besucher gewesen, was immer mit der Angst der Verhaftung der Eltern verbunden war. Trotz allem, erzählt Katharina Pflugbeil, durfte sie gelegentlich mit zu Veranstaltungen und Diskussionen in die Kirche gehen und erlebte dort ihren eigenen Vater 1989 als Redner und Teil der Dynamik. Was sie bis heute mitgenommen habe? Vor allem das Hinterfragen, das demokratische Denken und eine gewisse Selbstständigkeit.

 

Die Tochter von Christian Führer, Katharina Köhler zitierte anfangs einen Spruch ihrer Eltern: „Wir erziehen euch ohne Netz und doppelten Boden.“ Auch bei ihnen wurde zu Hause offen miteinander geredet, wobei sie nicht immer mit ihren Eltern konform gewesen sei. Die Baumpflanzaktionen und Besuche bei der Partenbrigade hätten ihr als Jungpionierin immer gefallen. Als die dann zu den Thälmann-Pionieren gehen sollte, sei es ihre eigene Entscheidung gewesen nicht dorthin zu gehen. Ihr Vater klärte seine Tochter Katharina zusätzlich über alle kommenden Nachteile auf, was wider erwartend nicht eintraf. Später war sie weder Mitglied in der FDJ noch nahm sie an der Jugendweihe teil. In der Schule sei sie anders behandelt worden als die Anderen, gerade von regimetreuen Lehrern. Nach der unbegründeten Absage der Universität sollte sie eine Lehre zur Köchin oder Kellnerin beginnen. Jedoch erhielt sie dank der Hilfe ihres Vaters und ihres Patenonkels einen Platz im theologischen Seminar in Jena. Als Studentin, mittlerweile in Ost-Berlin, arbeitete sie 1989 im Neuen Forum und engagierte sich bei der Etablierung demokratischer Strukturen des Stundentenrates der Humboldt-Universität. „Sich regen bringt Segen“, auch ein Spruch ihrer Eltern, gelte für sie als Pfarrerin heute noch genauso wie damals.

 

Als letztes Kind von 89ern, stellte Stephan Thiel, Sohn von Susanne und Günter Thiel, seine Erinnerungen auf eine humorvolle Art vor. Vor allem sei ihm die unterschwellige Atomkriegsangst im Gedächtnis geblieben: regelmäßige Übungen, Sirenen und das Gerede der Lehrer. Noch in der Schule habe er bemerkt, dass der Sozialismus in keinster Weise in den Menschen verankert ist, sondern nur so „geschwafelt“ wurde. Das sture Auswendiglernen brachte ihm, trotz anderer Meinungen, immer wieder gute Noten. Stephan Thiel erzählt auch, dass in seiner Jugend eine gedämpfte Haltung der Zukunft gegenüber geherrscht habe, „No Futur“. Er hat den Herbst ´89 als vollkommen chaotische Zeit in Erinnerung, eine viel zu schnelle Entwicklung mit einer ungewissen Zukunft. Im Hinblick auf 20 Jahre Friedliche Revolution bemerkte er, dass er politisch träge geworden sei. Im Allgemeinen vermisst er die DDR keineswegs, doch fände er es traurig, dass man sich nur noch direkt verabredet und nicht mehr einfach auf gut Glück bei jemandem klingelt. Was Ostdeutsche von Westdeutschen unterscheidet wäre der Blick auf die Lebensrealität, wo die meisten Westdeutschen kein Verständnis für hätten.

 

Im Anschluss folgte eine Podiumsdiskussion, die Michael Beleites als sächsischer Landesbeauftrage für Stasi-Unterlagen moderierte. Mit auf dem Podium saßen Alexander Schulze sowie Frauke und Folke Lietz. Beleites bat seine Gäste, sich vorzustellen und eine kurze prägnante Szene aus ihrer Kindheit bzw. Jugend zu erzählen.

 

Alexander Schulz berichtete vom Aufwachsen im Pfarrhaus, der Zulassung zum Abitur trotz fehlender FDJ-Zugehörigkeit und wie er in der letzten Klasse im Sommer 1989 mit „jugendlicher Unbekümmertheit“ ein verbotenes Theaterstück spielte. Die Friedliche Revolution habe er als aufregende Zeit in Erinnerung. Heute ist Alexander Schulz Pressesprecher und Öffentlichkeitsbeauftragter des evangelischen Diakonissenhauses Berlin.

 

Folke Lietz erzählte von ihrer frühen Selbstständigkeit mit ihrem Zwillingsbruder Arne. Sie hätten sich aus der Stasi- Beschattung ihres Vaters immer einen Spaß gemacht, am Ende wären sie die Verfolger gewesen. Ihre ältere Schwester Frauke nahm die Zeit als aktivere Teilnehmerin war. Sie sei am 7. Oktober 1989 mit in Berlin gewesen. Bei Demonstrationen dort, habe sie die Nachrichten aus China vom Platz des Himmlischen Friedens immer als Hintergedanken mit sich getragen.

 

Zum Schluss bedankte sich Frau Dr. Weidhas von der Evangelischen Verlagsanstalt besonders bei Sebastian Pflugbeil und dem Lektor des Buches, aber auch bei den gekommenen 13 Kindern der 89er. Alle Besucher und Gäste wurden im Anschluss zu einem kleinen Sektempfang eingeladen.

 

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AUS DEM GÄSTEBUCH

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

 

Viele unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch und schreiben hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben. Unter dieser Rubrik wollen wir monatlich einige dieser Einträge an Sie weitergeben.

 

 

Ich finde durch diese originalgetreuen Zimmer und Ausstattung wurden diese vielen Themen nicht so langweilig dargestellt und obwohl es sehr viele Informationen gab, konnte man sehr viel behalten. Ich werde sicher einiges aus diesem Museum mitnehmen und im Geschichtsunterricht gebrauchen.

Besucher der Dauerausstellung am 19.10.10

 

FRIGHTENING – NEVER AGAIN!

Besucher aus Dallas, Australia, im Oktober 2010

 

Eine sehr interessante Ausstellung, die dokumentiert, was nie in Vergessenheit gelangen darf!!!

ABER, es gab nicht nur das MfS!

Besucher der Dauerausstellung am 14.10.2010

 

 

Das ist alles unglaublich aber leider alles wahr. Schrecklich aber unsere Geschichte

Die Methoden und die Ideologie, die dahinter stand, sind ekelhaft und erschütternd. Aber auch die Bereitschaft der Menschen den Nächsten auszuspionieren ohne Sinn und Verstand.

Vielen Dank für die interessante Führung und Ausstellung!

Besucherin der Dauerausstellung 11.10.2010

 

SONDERAUSSTELLUNG

 

Es ist richtig, die Vergangenheit für die folgenden Generationen sichtbar zu machen!

– Dies ist gut gelungen!

Besucher der Sonderausstellung im Oktober 2010

 

Diese Ausstellung sollte hier am Ort, in Leipzig in der Krummen Ecke erhalten bleiben!! Unbedingt –

Ein Lob an die Ausstellungsmacher, wirklich hochinteressant, wie die Zusammenhänge – die Bewegung zur Einheit hier erläutert wird! Vielen Dank

Familie aus München am 4.10.2010

 

Vielen Dank für eine sehr aufschlussreiche Ausstellung!

Besucher der Sonderausstellung aus Dänemark am 20.10.2010

 

 

 

 


 



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