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  Newsletter Juli 2011

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

im Monat Juli beginnt die Sommerpause. Schulklassen nutzen ihre letzten Projekttage für einen Besuch in der Gedenkstätte, zunehmend besichtigen Touristen aus dem In- und Ausland unsere Dauer- und Sonderausstellung. Das Bürgerkomitee selbst steckt bereits in den Vorbereitungen zum 50. Jahrestag des Mauerbaus im August. Einen ersten Einblick in unser Programm erhalten Sie in der Vorschau.

 

Am 17. Juni 2011 jährte sich zum 58. Mal der blutig niedergeschlagene Volksaufstand, mit dem der Versuch großer Teile der ostdeutschen Bevölkerung, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und die deutsche Einheit durchzusetzen, scheiterte. Das Bürgerkomitee Leipzig lud an diesem Tag zu einer Gedenkfeier in der heutigen Straße des 17. Juni ein und diskutierte mit Experten in der „Runden Ecke“. Die Resümees zu beiden Veranstaltungen finden Sie in der Rubrik „Rückblick“.

 

Wir wünschen Ihnen eine schöne Sommerzeit und eine interessante Lektüre des Newsletter.

 

Ihr Bürgerkomitee

 

 

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INHALT

Wir laden ein

Vorschau

Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung

Rückblick

Aus dem Gästebuch

 

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WIR LADEN EIN

 

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30. & 31. JULI 2011, 13.00 BIS 16.00 UHR MUSEUM IM STASI-BUNKER IN MACHERN GEÖFFNET

Ständig Führungen. Im Naherholungsgebiet Lübschützer Teiche bei Machern liegt die einstige Ausweichführungsstelle (AFüSt) des Leiters der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig. Das Objekt war als eine Ferienanlage des VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung Leipzig getarnt. Kern der Anlage ist der von 1968 bis 1972 gebaute Bunker. Im Spannungs- und Mobilmachungsfall hätte der Leipziger Stasi-Chef gemeinsam mit ca. 100 hauptamtlichen Mitarbeitern und zwei Verbindungsoffizieren des KGB (des sowjetischen Geheimdienstes) seinen Dienstsitz nach Machern verlagert. Die Ausweichführungsstelle war ein heimlich geschaffener Komplex, durch den sich die Führungsriege des MfS ihren Machtanspruch im Fall eines Ausnahmezustands zu erhalten gedachte.

 

Zu besichtigen sind das 5,2 Hektar große, denkmalgeschützte Gesamtgelände mit allen erhaltenen Bauten und Anlagen, sowie das 1.500 Quadratmeter umfassende Bunkerinnere. Dokumentiert ist dabei auch die spezielle Aufgabe des MfS im Ernstfall – bis hin zur geplanten Einrichtung von Isolierungslagern für Oppositionelle.

 

 

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VORSCHAU

 

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VERANSTALTUNGEN ZU 50 JAHRE MAUERBAU

Im Vorfeld des 50. Jahrestages des Mauerbaus am 13. August 2011 möchte das Bürgerkomitee Leipzig e.V. das wohl tragischste Ereignis der deutschen Nachkriegsgeschichte aufarbeiten und plant verschiedene Veranstaltungen in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, zu denen wir Sie an dieser Stelle schon einmal einladen möchten.

 

Neben den Arbeiten des Historikers Jens Schöne, der die Auswirkungen des Mauerbaus in der „Provinz“ untersucht hat, stellen wir Ihnen mit den Neuerscheinungen „Ulbrichts Mauer“ von Hope Harrison und „Der Weg zur Mauer“ von Manfred Wilke eine geschichtswissenschaftliche Kontroverse vor. Während Hope Harrison die von Quellen gestützte These vertritt, dass SED-Chef Ulbricht den Mauerbau geplant und forciert habe, zeigt Manfred Wilke anhand bisher unbekannter Protokolle aus russischen Archiven, dass alle Entscheidungen ausschließlich in Moskau getroffen wurden. Das Bürgerkomitee lädt zu zwei spannenden Diskussionen ein.

 

09. AUGUST 2011, 19.30 UHR, KINOSAAL,

Vortrag und Diskussion

DIE MAUER STAND IN EILENBURG

Jens Schöne, Historiker und stellvertretender Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen Berlin, hat die Auswirkungen des Mauerbaus auf die DDR untersucht und neues Quellenmaterial gesichtet. Die Berliner Mauer und ihre Geschichte werden nur dann verständlich, wenn man den Blick von der Hauptstadt der DDR abwendet und in die vermeintliche „Provinz“ des Landes schaut. Das gilt insbesondere für den Kreis Eilenburg. Ursachen und Folgen des Mauerbaus zeigen sich hier wie unter einem Brennglas. Sozialistische Euphorie, ökonomischer Niedergang, verlorene Hoffnungen und brachiale Gewalt – all dies ist mit dem 13. August 1961 verbunden. Derartige Erscheinungen sind aber eben nicht nur in Berlin nachweisbar, sondern auch im Bezirk Leipzig, und es gab Wechselwirkungen zwischen beiden Regionen. Die Geschehnisse vor Ort in den Jahren 1959 bis 1962 werden daher ebenso im Zentrum des Vortrags stehen wie die Frage, was die SED-Führung letztlich veranlasste, die eigene Bevölkerung einzumauern.

 

10. AUGUST 2011, 19.30 UHR, KINOSAAL

Buchvorstellung

HOPE HARRISON: ULBRICHTS MAUER

Als vor fünfzig Jahren, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, die Berliner Mauer gebaut wurde, zweifelte niemand daran, dass die Fäden in Moskau gezogen worden waren. Zu abhängig waren die beiden deutschen Teilstaaten von ihren »großen Brüdern« USA und Sowjetunion. Doch anhand erstmals ausgewerteter Quellen kann die US-Historikerin Hope M. Harrison nachweisen, dass es von Anfang an SED-Chef Ulbricht und seine Parteiführung waren, die den Bau der Mauer betrieben. Moskau hingegen fürchtete die Konfrontation mit den USA und blockierte Ulbrichts Bestrebungen, so Harrisons These.

 

In Kooperation mit dem Propyläen Verlag

 

11. AUGUST 2011, 19.30 UHR, KINOSAAL

Buchvorstellung

MANFRED WILKE: DER WEG ZUR MAUER

Als 1949 zwei deutsche Staaten entstanden und Berlin in vier Sektoren geteilt blieb, wurde West-Berlin fortan zum erratischer Block und ein Schaufenster des Westens mitten in der DDR. Nachdem die Versuche der Sowjetunion die Alliierten zum Abzug zu bewegen, scheiterten, fiel die Entscheidung zur Grenzschließung durch Nikita Chruschtschow, so lautet die These des Historikers Manfred Wilke. Für die Rekonstruktion der Vorgeschichte und der genauen Abstimmung zwischen Chruschtschow und SED-Chef Walter Ulbricht konnte der Autor erstmals Gesprächsprotokolle zwischen den beiden Partei- und Staatschefs nutzen, die bislang der Forschung nicht zugänglich waren.

 

 

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NEUES AUF DEM GEBIET DER AUFARBEITUNG

 

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26. JUNI 2011: 30. JAHRESTAG DER LETZTEN HINRICHTUNG IN LEIPZIG

Am 26. Juni 1981 wurde der vom Militärstrafsenat des Obersten Gerichtes der DDR in Berlin am 10. Juni 1981 zum Tode verurteilte Werner Teske unter strenger Geheimhaltung in einen abgeschirmten Nebentrakt der Strafvollzugsanstalt in Leipzig per „unerwarteten Nahschuss in das Hinterhaupt“ hingerichtet. Teske war der letzte von insgesamt 64 bisher bekannten in der zentralen Hinrichtungsstätte Leipzig von 1960 bis 1981 getöteten Menschen. Die Geschichte der Todesstrafe in der DDR ging erst mit der deren Streichung aus dem Strafgesetzbuch im Dezember 1987 zu Ende.

 

Den 30. Jahrestag dieser letzten bisher bekannten Hinrichtung in Leipzig hat das Bürgerkomitee Leipzig e.V. genutzt, um die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. In der Leipziger Südvorstadt befand sich ab 1960 die zentrale Hinrichtungsstätte der DDR. In einem streng abgetrennten Teil der Strafvollzugseinrichtung Alfred-Kästner-Straße wurden alle im Land ausgesprochenen Todesurteile unter absoluter Geheimhaltung vollstreckt. Das Bürgerkomitee Leipzig e. V. als Träger der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ setzt sich seit Mitte der 1990er für den Erhalt der ehemaligen zentralen Hinrichtungsstätte als Erinnerungsort ein. So erreichte der Verein, dass der ehemalige Hinrichtungsort nach dem Auszug der JVA im Jahr 2001 unter Denkmalschutz gestellt wurde.

 

Daneben engagiert sich das Bürgerkomitee auch für die Aufarbeitung der Todesstrafe in der DDR. Im Jahr 2002 übertrug das sächsische Kabinett dem Staatsministerium der Justiz die Aufgabe, diesen zeitgeschichtlichen Ort zu erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen sowie seine Geschichte zu erforschen und darzustellen. Daraufhin wurde das Bürgerkomitee vom Staatsministerium gebeten, eine Konzeption für die weitere Nutzung zu erarbeiten. Im Zusammenhang mit dieser Entscheidung entstand bereits im Vorfeld eine Werkausstellung, die über die Geschichte der Todesstrafe in der DDR informiert und bis heute in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ zu sehen ist.

 

Zur Etablierung der ehemaligen zentralen Hinrichtungsstätte als justizgeschichtlichen Erinnerungsort an authentischer Stelle hat das Bürgerkomitee in den vergangenen Jahren immer wieder mit dem Justizministerium zusammengearbeitet, eine umfangreiche Dokumentation aufgebaut und konzeptionelle Vorarbeiten geleistet. Heute ist die Gedenkstätte auch zentraler Anlaufpunkt für die immer zahlreicher werdenden Anfragen zum Thema.

 

Derzeit ist die ehemalige zentrale Hinrichtungsstätte nur zwei Mal jährlich zur Leipziger Museumsnacht sowie zum Tag des offenen Denkmals für Besucher zugänglich. Dabei belegen die Besucherzahlen das herausragende öffentliche Interesse an der Vermittlung dieser Thematik: Im vergangenen Jahr kamen zu den beiden Öffnungstagen der ehemaligen Hinrichtungsstätte, an denen das Bürgerkomitee Führungen anbot, fast 1.700 Besucher.

 

Zum Erhalt des historischen Ortes, der sich baulich in einem sehr schlechten Zustand befindet, sowie für den Anbau einer modernen Ausstellungsfläche ist die Unterstützung des Freistaates Sachsen und der Bundesrepublik Deutschland notwendig. Insbesondere der Freistaat als Besitzer der Liegenschaft, in der sich die Hinrichtungsstätte befindet, ist gefordert, sich für ihren Erhalt als bundesweites Mahnmal und einmaligem Lernort einzusetzen.

 

Für die weitere museale Erschließung hat das Bürgerkomitee mit zahlreichen Forschungen zum Thema und der Erarbeitung der Werkausstellung „Todesstrafe in der DDR – Hinrichtungen in Leipzig“ entscheidende Vorarbeit geleistet und steht in positiven Gesprächen mit dem Sächsischen Staatsministerium der Justiz. Das gemeinsame Ziel, dauerhaft einen justizgeschichtlichen Erinnerungsort zu etablieren, sollte in den kommenden Jahren verwirklicht werden.

 

 

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RÜCKBLICK

 

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17. JUNI 2011, 17.00 UHR, STRAßE DES 17. JUNI, 04107 LEIPZIG

GEDENKFEIER FÜR DIE OPFER DES VOLKSAUFSTANDES VOM 17. JUNI 1953 MIT KRANZNIEDERLEGUNG

„Einen schmerzlich kurzen historischen Moment wurde die Demokratie geprobt, für einen kurzen Moment die Einheit vollzogen. Es hat noch ein wenig gebraucht, bis es zu all dem gekommen ist,“ so fasste die Freya Klier am Ende ihrer Rede die Ereignisse vom 17. Juni 1953 zusammen. Die Bürgerrechtlerin und Regisseurin würdigte damit den Mut der Menschen von damals, die Vorbilder für die Friedliche Revolution waren.

 

Fast sechzig Anwesende, darunter Zeitzeugen des Volksaufstandes, Vertreter des Leipziger Stadtrates, Journalisten, Bürgerrechtler und Interessierte gedachten in der Straße des 17. Juni den Opfern von 1953. Das Bürgerkomitee hat mit Unterstützung der Verfolgtenverbände BSV und VOS zur Gedenkfeier eingeladen und konnte neben der Bürgerrechtlerin Freya Klier auch die Zeitzeugin Brigitte Dienst für eine Gedenkrede gewinnen. Für einen würdigen Rahmen sorgten die Leipziger Blechbläsersolisten.

 

Nach einer Begrüßung durch Tobias Hollitzer vom Bürgerkomitee Leipzig e.V., sprach Freya Klier über die Ereignisse des Jahres 1953, aber auch über die Versäumnisse der eigenen Wahrnehmung. So habe sie sich als Oppositionelle für den Aufstand in Ungarn 1956 interessiert, sich für den Prager Frühling begeistert und für Solidarnosc geschwärmt, „im eigenen Land ging der Widerstand doch erst mit der Biermann-Ära los.“ Das Schulsystem habe dafür gesorgt, dass keine Klassenstufe jemals Sympathien für die Aufständischen vom 17. Juni hatte, eine Manipulation, die Freya Klier am eigenen Leib erfuhr. Dabei hätten die anderthalb Millionen von 1953 „Pate stehen können“ im Herbst ´89.

 

Allein in Leipzig gingen im Laufe des 17. Juni 1953 40.000 Menschen auf die Straße. Einer von ihnen war der damals 15-jährige Paul Ochsenbauer, der sich von seiner Schwester mit den Worten von zuhause verabschiedete: „Das muss ich mir ansehen“. Diese Neugierde und dieser Mut sollte ihn das Leben kosten. Seine Schwester Brigitte erinnerte in ihrer Gedenkrede an seinen Tod, von dem die Familie erst zwei Wochen später erfuhr, und diesen 17. Juni 1953, der das Leben der damals 14-jährigen geprägt hat wie kein anderer Tag. Ihr Bruder Paul kam wohl mit einem sowjetischen Offizier in Konflikt und wurde in den Wirren des Tages erschossen. Für die Angehörigen brach damals eine Welt zusammen, immer wieder sei die Frage nach dem „Warum?“ hochgekommen, so Dienst.

 

Heute spricht Brigitte Dienst regelmäßig vor Leipziger Schülern über den 17. Juni. Dabei empfindet die 72-jährige keinen Hass auf das SED-REgime oder die Sowjets. Vielmehr ist sie froh, als Erinnerungsträgerin jungen Menschen Denkanstöße geben zu können, „dass unser Frieden nicht so selbstverständlich ist.“ Eindrücklich appellierte sie am Ende Ihrer Rede: „Wir können die Toten der ungerechten Gewalt nicht wieder lebendig machen, aber wir dürfen sie nicht vergessen und jeder Einzelne von uns kann zu einem friedlichen Miteinander beitragen.“

 

 

17. JUNI 2011, 19.00 UHR

PODIUMSDISKUSSION ZUM 17. JUNI 1953

Das Bürgerkomitee wollte in diesem Jahr dem Gedenken auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Vorgeschichte des Volksaufstandes zur Seite stellen. Mit den Historikern Jan Foitzik vom Institut für Zeitgeschichte München, Abteilung Berlin und Mike Schmeitzner vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung, Dresden saßen zwei ausgewiesene Experten zu dem Thema auf dem Podium und diskutierten unter der Moderation von Tobias Hollitzer vor einem interessierten Publikum.

 

In seinem vorangestellten Eröffnungsreferat konnte der Historiker Jan Foitzik aufgrund fehlender Untersuchungen die Frage nicht beantworten, was es für konkret Leipzig bedeutete, dass, nachdem die Stadt im April von der US-Armee von der NS-Diktatur befreit worden war, die sowjetische Armee Anfang Juli 1945 in der Stadt einmarschierte. Daher konzentrierte er sich abstrakt auf den Begriff „Sowjetisierung“, den er immer in Anführungsstriche gesetzt wissen wollte. Zunächst von der Sowjetunion als machtpolitische, gesellschaftliche Einbindung verschiedener Länder in den Bereich der UdSSR selbst propagiert, wurde der Ausdruck 1939 durch das Paradigma der „Befreiung“ ersetzt und 1950 schließlich verboten, was stillschweigend für den ganzen Ostblock bis 1989 galt.

 

Im Westen dagegen wurde die Theorie der Sowjetisierung von Wissenschaftlern weiterentwickelt und als analytisches Instrumentarium benutzt. Der Begriff beschrieb zunächst die militärisch-imperiale Dimension der Hegemonie der Sowjetunion über Osteuropa. Weitere Ebenen seien Parteidiktatur, ideologische, mentale und kulturelle Vereinheitlichung und die strukturelle und kulturelle Gleichschaltung der betroffenen Gesellschaften. Gerade in den letzten Bereichen habe das am wenigsten funktioniert, so Foitzik.

 

Die generelle Schwäche des Konzeptes der Sowjetisierung sei, dass es auf mehr auf Absichten abziele und weniger auf die Wirkung. Hinzu komme, „dass gleiche Intentionen, Institutionen und Regelungsmechanismen nicht automatisch zu den gleichen Ergebnissen führen.“ In Polen, dem Baltikum oder in der Tschechoslowakei hätten die sowjetischen Besatzer doch ziemlich unterschiedlich agiert. Trotzdem neige man immer noch dazu für die Zeit nach 1945 von einem bestimmten Modell zu sprechen und einfach unter dem Rubrum „Sowjetisierung“ zu verbuchen. Ein Beispiel für dieses Auseinanderklaffen von Wahrnehmung und Wirklichkeit sei der Antrag von Grotewohl und Pieck bei den sowjetischen Behörden öffentlich-rechtliche Jugend- und Frauenausschüsse (später FDJ und Demokratischer Frauenbund) bilden zu dürfen. Dies war in keinerlei Hinsicht sowjetisch, sondern beruhte auf der Praxis der Nationalsozialisten.

 

Für Foitzik gab es in der SBZ keine Sowjetisierung als solche, sondern ein „gemischtes System“, da die Besatzungsmacht nicht zwischen deutsch und sowjetisch unterschieden hat. Verfügungen galten oft für beide Seiten. Die SED versuchte die Kontakte zur Besatzungsmacht ab 1947 zu monopolisieren, was ihr auch zunehmend gelang. Ab Mitte der 1950er Jahre, als sich die Sowjets zunehmend von der Kontrolle zurückzogen, habe dann die Stasi die Kontakte und Kontrolle von SED und deutscher Verwaltung übernommen. Über dieses Verhältnis von Stasi zu SED und Verwaltung sollte geforscht werden, vor allem in der Stasi-Unterlagenbehörde, so Foitzik abschließend.

 

Im Anschluss an den Vortrag kam Tobias Hollitzer mit Mike Schmeitzner und Jan Foitzik ins Gespräch. Schmeitzner schloss sich, was die Unterschiede in den verschiedenen sowjetisch besetzten Ländern anbelangte, Foitzik an. Es seien doch mehr als nur graduelle Abweichungen etwa in Polen oder dem Baltikum. Nach seiner Meinung hätte die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) in der SBZ ebenso die „Sowjetisierung“ exekutieren können, wie etwa im Baltikum, jedoch entschied man sich für einen längeren Weg. Das erkläre auch, warum nur hier vier Parteien gegründet wurden, oder warum die KPD aus taktischen Gründen einen Aufruf startete, in dem sie die Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848 forderte und nicht die Vollendung eines kommunistischen Systems. Für die Partei sei das 1945 die große Chance gewesen, mithilfe der sowjetischen Truppen, die das Land sicherten, ihre Absichten durchzusetzen. Hier ergebe sich eine Divergenz. Die KPD hat die Chance dann relativ schnell genutzt und ihren Machtanspruch ausgebaut.

 

In Leipzig waren jedoch durch die 10-wöchige amerikanische Besatzung viele leitende Stellen in der Verwaltung mit demokratischen Kräften besetzt worden, so dass der KPD die Kontrolle hier viel schwerer fiel und auch die Zwangsvereinigung mit der SPD 1946 auf heftigeren Widerstand stieß. Ab 1948 ließ dann die SED alle Taktik fallen und machte sich an die offene Diktaturdurchsetzung, wobei die Führung in Moskau andere Alternativen gehabt hätte, die SED hatte keine.

 

Wer war die treibende Kraft dieses beschriebenen Sonderweges, wollte Tobias Hollitzer von beiden Podiumsteilnehmern wissen. Foitzik betonte, dass es schon 1945 den Vorschlag von Ulbricht gab, eine Art DDR aufzubauen. Wer letztlich die treibende Kraft dafür war und wer bremste sei jedoch irrelevant. Der Historiker Norman Naimark habe das einmal so formuliert: „Die DDR ist das Ergebnis deutsch-russischer Interaktion.“ Es habe zum Beispiel Befehle von Stalin gegeben, über die sich Ulbricht einfach hinweg gesetzt hat und selbst agierte. Die Frage sei hier nur, warum? Die deutschen und russischen Dokumente gingen hier auch noch auseinander. Zudem seien viele Dokumente zu floskelartig, als dass man konkrete Aussagen herauslesen könnte. Es heiße immer so schön: Die DDR war Stalins ungeliebtes Kind. Da könne man dagegen halten. “Immerhin sein Kind“, so Foitzik.

 

„Doch wessen Entscheidung war es 1945 vordergründig, dass es in der SBZ etwas ,moderater´ zuging als in anderen Ländern, wo die Sowjetmacht ihre Politik radikaler durchgesetzt hat“, so eine weitere Frage des Moderators. Er glaube nicht, dass das eine bewusste Entscheidung gewesen war, so Foitzik, es habe sich so ergeben, vor allem, weil es die Sowjets mit den drei weiteren Besatzungsmächten zu tun hatten. Das erforderte bis 1948 ein gewisses Lavieren im Alliierten Kontrollrat, wo es noch andere Interessen zur berücksichtigen galt. Die KPdSU sah auch ein, dass man der KPD/SED einen gewissen Spielraum lassen musste, was vor allem Ulbricht voll ausnutzte. Obwohl es ihm einige Probleme bereite, sich Ulbricht als intellektuellen Verhandlungspartner vorzustellen, so habe er mit Sicherheit schlau taktiert und sei mit seiner Sturheit weit gekommen, betonte Foitzik.

 

Moskau hatte durchaus verschiedene Optionen, bemerkte Schmeitzner. Doch mit der Oktroyierung des Vier-Parteien-Systems in der SBZ erhoffte sich die russische Führung eine Ausstrahlungskraft auf alle Besatzungszonen und damit auch Einfluss. Dies sei dann eben für die Besatzungsmacht in der eigenen Zone nicht erfolgreich gewesen, die KPD kam bei Wahlen nicht auf das gewünschte Ergebnis. Nichtsdestotrotz sei es in den 1940ern üblich gewesen, dass KPD/SED-Funktionäre die sowjetischen Besatzer gebrauchten, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

 

Der Moderator kam auf die Rolle des sowjetischen Geheimdienstes bei der Diktaturdurchsetzung zu sprechen. Hier unterschied Schmeitzner zwei Phasen der Repression. Die erste, interalliiert festgelegt, war der automatische Arrest und Internierung von Funktionsträger des NS-Regimes unabhängig ihrer Taten. Der flächendeckende Prozess entwickelte sich in der SBZ bereits ab 1946 bis 1948 immer mehr zum Repressionsapparat gegen neue politische Gegner, brachte aber auch Willküropfer, die man nach stalinistischer Manier verhaftete. In Leipzig traf dies vor allem „aufmüpfige“, liberal denkende Studenten, die 1947/48 aus politischen Gründen verhaftet und verurteilt wurden.

 

„Was konnte man wissen? Und wie konnte man davon ausgehen, das ,bessere Deutschland´ aufzubauen und dabei die Diktatur nicht sehen?“ wollte Hollitzer von den Podiumsteilnehmern wissen. Foitzik, der sich in dieser Hinsicht kein moralisches Urteil erlauben wollte, nannte ein Beispiel, das die Blindheit und Naivität einiger verdeutlichte: Die juristische Verwaltung in der SBZ, so geht aus den Dokumenten hervor, habe lange Zeit im Glauben des Vorübergehenden gelebt und immer wieder gehofft „ordentliche Gesetze“ zu bekommen, um richtig arbeiten zu können. Den Aufbau einer Justiz in der Diktatur habe man einfach nicht sehen wollen.

 

Auch Schmeitzner lag ein moralisches Urteil fern. Um herauszufinden, warum Teile der „normalen“ Bürger und der alten Eliten aus der Weimarer Republik mitgemacht haben, müsse man sich anschauen, was einzelne Funktionsträger erreichen wollten. So habe es einige gegeben, die sich auch gegen die sowjetische Besatzung mit ihren tradierten Vorstellungen durchsetzten.

 

„Welche Erklärung haben Sie für den Aufstand vom 17. Juni 1953, warum kam dieser gerade in der DDR?“ lautete die letzte Frage auf dem Podium. „Gebrodelt hat es überall. Genau klären, warum es in der DDR zum ersten Aufstand kann man da gar nicht abschließend“, so Foitzik, nur sei der entscheidende Unterschied gewesen, dass es in Ost-Berlin noch Westkorrespondenten gegeben habe, die darüber berichten konnten, während man aus der Tschechoslowakei, Polen oder Ungarn, wo auch schon Menschen protestierten, praktisch nichts erfuhr. Solche Zufälle spielten eben auch eine Rolle.

 

Darauf eingehend fügte Schmeitzner hinzu, dass im Sommer des Jahres 1952 eine Vielzahl von Entscheidungen im Rahmen der II. Parteikonferenz getroffen wurden, die die Bevölkerung mit Missgunst wahrnahm, etwa die Abschaffung der Länder, die Schließung der innerdeutschen Grenze und der harte Aufrüstungskurs, den die SED auf Betreiben der Sowjetunion ab dem Sommer 1952 fuhr, eben zu sozialen und ökonomischen Lasten der Bevölkerung. Dazu kam der Frust über die Normerhöhung bei der Arbeiterschaft, die sich dann im Aufstand vom 17. Juni 1953 entlud. Bereits im Mai hätte dies der sowjetische Geheimdienst vorausgesehen, wie die Quellen belegen. Auch die Proteste und der Unmut der Bevölkerung reichten weit über die Ereignisse eines einzigen Tages hinaus, bemerkte Schmeitzner abschließend.

 

 

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AUS DEM GÄSTEBUCH

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

 

Einige unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch und schreiben hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben. Unter dieser Rubrik wollen wir monatlich einige dieser Einträge an Sie weitergeben.

 

Aus der Dauerausstellung „Stasi - Macht und Banalität“

 

Wie kleinlich, minutiös und bürokratisch das MfS war! Wie wäre es heute mit den verbesserten Möglichkeiten der Datenverarbeitung?

(Besucher im Juni 2011)

 

Welch hohes Gut ist die Freiheit! Die tolle Ausstellung hat mir dies verdeutlicht. Gleichzeitig hat sie mich nachdenklich und traurig gemacht. Danke. Hoffentlich wird so etwas nie wieder möglich sein.

(Besucher am 12.06.2011)

 

Vor dem Hintergrund „Zensus 2011“ und „einheitliche Identifikationsnummern von Geburt an“ sowie der digitalen Vernetzung von unseren Behörden kann man nur hoffen, dass mit unseren Daten kein Missbrauch geschieht. Doch man fragt sich als freier, aufgeklärter und demokratischer Bürger schon aus welchem Grund unser Regierungsapparat all diese Informationen haben möchte? Die Ausstellung hier zeigt eindrücklich, wie sehr wir alle am Schutz unserer Daten interessiert sein sollten!

(Besucher am 12.06.2011)

 

Sehr beeindruckend, hatte wenige Vorstellungen, wie die Realität im sozialistischen Staat aussah. Die Ausstellung „vor Ort“ finde ich sehr gut. Zum Glück wurden nicht alle „Alltagsmaterialien“ vernichtet. Danke den Bewahrern und Hütern der Zeugnisse

(Besucher Juni 2011)

 

 

EINTRÄGE AUS DER SONDERAUSSTELLUNG „LEIPZIG AUF DEM WEG ZUR FRIEDLICHEN REVOLUTION“

 

Ein sehr wichtiges und bewegendes Zeugnis eines Volkes, welches sich wehrt. Interessant die Parallelen zu den Geschehnissen in der arabischen Welt. Einziger Wermutstropfen: Keine Texte auf Englisch. Noch was: viele Videos zu leise (besser Kopfhörer)

(Besucher Juni 2011)

 

IHR – als das Volk habt gigantisches geleistet. Jeder Westdeutsche sollte diese eindrückliche Ausstellung gesehen haben!

(Besucher am 26.06.2011)

 

Ganz tolle und wertvolle Dokumentation der damaligen Ereignisse!! Empfehlenswerte Ausstellung für alle Besucher von Leipzig.

(Besucher am Juni 2011)

 

 


 



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