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  Newsletter September 2011

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

der Bau der Berliner Mauer, eines der leidvollsten Ereignisse der deutschen Nachkriegsgeschichte, war das Thema unserer Veranstaltungen im August 2011. Im Vorfeld des 50. Jahrestages stellten die Historiker Jens Schöne, Hope Harrison und Manfred Wilke ihre fundierten Thesen vor und diskutierten im Anschluss mit dem Publikum. Die Resümees zu den Veranstaltungen finden Sie unter der Rubrik „Rückblick“.

 

Im September gibt es dagegen einen Grund zum Feiern. Das Museum im Stasi-Bunker wird 15 Jahre alt. Auf dem Gelände der ehemaligen Ausweichführungsstelle bieten wir am 10. und 11. September 2011 Sonderführungen an, laden Sie zur Eröffnung der Ausstellung „Alles im Griff“ und zum Tag des offenen Denkmals mit musikalischer Begleitung ein. Bereits am 9. September 2011 diskutieren wir, was Bunker als authentische Orte so faszinierend macht, am 10. September steht dann die Friedliche Revolution in der so genannten „Provinz“ im Mittelpunkt. Unser gesamtes Programm vom 9.- 11. September in Leipzig, Machern und Wurzen finden Sie unter der Rubrik „Wir laden ein“.

 

Am 11. September 2011 ist außerdem wieder bundesweiter „Tag des offenen Denkmals“, an dem neben der „Runden Ecke“ auch die ehemalige Hinrichtungsstätte für Besucher geöffnet sein wird.

 

Wir freuen uns auf ihren Besuch und wünschen Ihnen viel Vergnügen beim Lesen des Newsletter

 

Ihr Bürgerkomitee Leipzig

 

 

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INHALT

Wir laden ein

Aus der Arbeit der Gedenkstätte

Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung

Rückblick

Aus dem Gästebuch

 

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WIR LADEN EIN

 

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15 JAHRE MUSEUM IM STASI-BUNKER

09. SEPTEMBER 2011, 19.00 UHR, KINOSAAL

PODIUMSDISKUSSION „FASZINATION BUNKER“ – DER UMGANG MIT AUTHENTISCHEN ORTEN DER ZEITGESCHICHTE

Unterirdische Bunkeranlagen des SED-Regimes sind heute für viele Besucher primär von architektonischem und technischem Interesse. Dies kann sowohl eine Chance als auch ein Nachteil sein. Nicht selten werden die begehbaren Bunker heute von ehemaligen Angestellten betrieben und vermitteln vordergründig unkritische Ostalgie.

 

In einer Podiumsdiskussion möchte das Bürgerkomitee klären, welche Relevanz dem Erhalt solcher Bauwerke zukommt und wie letztlich mit derartigen Hinterlassenschaften der Diktatur umzugehen ist. Ebenso soll gefragt werden, wie es am besten gelingen kann, den Besuchern solcher Bauwerke auch den historischen Kontext zu vermitteln.

 

Es diskutieren: Lutz Rathenow, Sächsischer Landesbeauftragter für Stasi-Unterlagen, Siegfried Reiprich, Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, und Dietmar Arnold, Vorsitzender der Berliner Unterwelten e.V.

 

 

10. SEPTEMBER 2011, 10.00 BIS 16.00 UHR, NAHERHOLUNGSGEBIET LÜBSCHÜTZER TEICHE, MACHERN

STÄNDIG FÜHRUNGEN DURCH DAS MUSEUM IM STASI-BUNKER

Wir laden Sie ein, der Zeitgeschichte am authentischen Ort ein Stück näher zu kommen. Neben der Arbeitsweise der Stasi im Krisen- und Konfliktfall erfahren Sie auch Wissenswertes über die Geschichte des Museums und des Bürgerkomitees.

 

 

10. SEPTEMBER 2011, 14.00 UHR, IM MUSEUM IM STASI-BUNKER, MACHERN

Ausstellungseröffnung

„ALLES IM GRIFF“ – DIE ERNSTFALLPLANUNG DES MINISTERIUMS IM STAATSSICHERHEIT

Auch in Ausnahmesituationen wollte die Stasi alle im Griff behalten. Für den so genannten Spannungs- und Mobilmachungsfall erließ Minister Erich Mielke 1967 eine Direktive. Sie enthielt neben Anweisungen zum Bau von Ausweichführungsstellen auch Pläne zur Errichtung von Isolierungslagern für Andersdenkende.

Die Ausstellung zeigt das Ausmaß der zentralen Planungen am Beispiel des Bezirkes Karl-Marx-Stadt (Chemnitz).

 

Es sprechen: Tobias Hollitzer, stellv. Vorsitzender des Bürgerkomitee Leipzig e.V., Manfred Schön, Sekretär des Kulturraum Leipziger Raum, Frank Lange, Bürgermeister der Gemeinde Machern und Manfred Kolbe, MdB

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10. SEPTEMBER 2011, 19.00 UHR IM KULTURHAUS SCHWEIZERGARTEN, BLAUER SAAL,

Schweizergarten Straße 2, 04808 Wurzen

Podiumsdiskussion

VOM AUFBRUCH IN DER „PROVINZ“ – DIE FRIEDLICHE REVOLUTION IN WURZEN

Der demokratische Aufbruch in der DDR des Jahres 1989 war nicht nur in den großen Zentren, sondern auch in den kleinen Städten deutlich spürbar. Schon bald nach der friedlichen Besetzung der Leipziger Stasi-Zentrale wurde im Kreis Wurzen die geheime Bunkeranlage der MfS-Bezirksverwaltung entdeckt. Dies ist nicht zuletzt dem Engagement von Wurzener Bürgerrechtler rund um den damaligen Ortspfarrer Gottfried Süß zu verdanken.

Über die Spannung dieser Anfangszeit, in der sich die Überwindung der Diktatur mit ihrer sofortigen Aufarbeitung verband, diskutieren Akteure von damals: Lutz Otto, Mitbegründer Neues Forum in Wurzen, Pfarrer Carlitz, Beteiligter bei der Auflösung der MfS-Kreisdienststelle Wurzen, Horst Kretzschmar, 1990 Bürgermeister in Machern und Tobias Hollitzer, stellv. Vorsitzender des Bürgerkomitee Leipzig e.V.

 

Die Veranstaltung ist eine Kooperation mit der Kreistag-Wurzen Stiftung und dem Wurzener Geschichts- und Altstadtverein.

 

Weitere Informationen zur Veranstaltung erhalten Sie auf der Webseite des Kulturhauses Schweizer Garten.

 

 

11. SEPTEMBER 2011: PROGRAMM ZUM TAG DES OFFENEN DENKMALS 2011

Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“:

11.00 – 16.00 Uhr, jeweils zur halben und vollen Stunde

Sonderführungen „Stasi intern. Rundgang durch die ehemalige Zentrale des MfS“

„Stasi intern. Rundgang durch die ehemalige Zentrale des MfS“ - Vom Keller zum Boden und anderen Orten des (un)heimlichen Gebäudekomplexes, Besichtigung u.a. der „geschützten Unterkünfte“ im Kellergeschoss für den Kriegsfall, Kegelbahn des MfS, erstmals auch die wiedererrichtete Klingertreppe.

 

11.00 Uhr, Stadtrundgang „Auf den Spuren der Friedlichen Revolution“. Führung zu den Brennpunkten des demokratischen Aufbruchs 1989 in Leipzig, Treffpunkt: Hauptportal Nikolaikirche

 

15.00 Uhr: öffentliche Führung durch die Dauerausstellung „Stasi – Macht und Banalität“

 

Ehemalige zentrale Hinrichtungsstätte der DDR, Alfred Kästner-Straße (Eingang Arndtstraße 48), 04275 Leipzig

11.00 – 15.00 Uhr, ständig Führungen durch die historischen Räume unter dem Titel „Todesstrafe in der DDR – Hinrichtungen in Leipzig“

 

Besichtigung des Hinrichtungsraumes, in dem von 1960 bis 1981 sämtliche Todesurteile vollstreckt wurden, Erläuterungen zum Themenbereich „Todesstrafe in der DDR – Hinrichtungen in Leipzig“, Besichtigung der gleichnamigen Werksausstellung vor Ort

 

 

Stasi-Bunker in Machern

Vor 15 Jahren war die ehemalige Ausweichführungsstelle des Leiters der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig am Tag des offenen Denkmals zum ersten Mal für Besucher geöffnet. Seither haben fast 70.000 Menschen das Museum im Stasi-Bunker besucht und an einer Führung durch den originalen Ort teilgenommen.

 

10.00 bis 18.00 Uhr

Ständig Führungen durch den Bunker

Was es mit Dechiffriertechnik, Gasmasken, Stahlschleusen und einem Lüfterfahrrad auf sich hatte, erfahren die Besucher bei einem Gang durch das Bunkerinnere.

 

10.00 bis 18.00 Uhr (stündlich)

Filmvorführungen

„Das Schattenreich der Genossen“

Historische Filmaufnahmen von der ersten Begehung des Bunkers werden ebenso zu sehen sein wie Dokumentationen über die verschiedenen Führungsbunker des SED-Regimes.

 

16.00 bis 18.00 Uhr

Konzert auf dem Bunkergelände mit der Band

2zuEins!

Mit zwei Stimmen, zehn Saiten und allerlei Songs aus Pop-, Rock- und Bluesgefilden bringen die beiden Musiker Daniel Heinze und Heiko Dietze ihr Publikum zum Schwärmen.

 

Während des gesamten Tages können Besucher das gastronomische Angebot der Zeltplatzgaststätte „Lübschützer Teiche“ nutzen.

 

 

29. & 30. AUGUST 2011, 13.00 BIS 16.00 UHR MUSEUM IM STASI-BUNKER IN MACHERN GEÖFFNET

Ständig Führungen. Im Naherholungsgebiet Lübschützer Teiche bei Machern liegt die einstige Ausweichführungsstelle (AFüSt) des Leiters der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig. Das Objekt war als eine Ferienanlage des VEB Wasserversorgung und Abwasserbehandlung Leipzig getarnt. Kern der Anlage ist der von 1968 bis 1972 gebaute Bunker. Im Spannungs- und Mobilmachungsfall hätte der Leipziger Stasi-Chef gemeinsam mit ca. 100 hauptamtlichen Mitarbeitern und zwei Verbindungsoffizieren des KGB (des sowjetischen Geheimdienstes) seinen Dienstsitz nach Machern verlagert. Die Ausweichführungsstelle war ein heimlich geschaffener Komplex, durch den sich die Führungsriege des MfS ihren Machtanspruch im Fall eines Ausnahmezustands zu erhalten gedachte.

 

Zu besichtigen sind das 5,2 Hektar große, denkmalgeschützte Gesamtgelände mit allen erhaltenen Bauten und Anlagen, sowie das 1.500 Quadratmeter umfassende Bunkerinnere. Dokumentiert ist dabei auch die spezielle Aufgabe des MfS im Ernstfall – bis hin zur geplanten Einrichtung von Isolierungslagern für Oppositionelle.

 

 

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Aus der Arbeit der Gedenkstätte

 

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TEILNAHME AN DER „INFO-MEILE DER ZEITGESCHICHTE“, 13.AUGUST 2011, BERLIN

Das Bürgerkomitee Leipzig nahm anlässlich des 50. Jahrestags des Mauerbaus an der Infomeile der Zeitgeschichte in Berlin teil. Auf der Bernauer Straße präsentierten sich über vierzig Gedenkstätten, Museen und Institutionen, die sich mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur beschäftigen. Es entstand ein Ort der Diskussionen, der Fragen und Antworten, an dem sich Jung und Alt trafen und sich untereinander austauschten.

 

Erinnern, Gedenken, Aufklären und Beraten stand im Fokus der Infomeile. Mit einem eigenen Stand informierte das Bürgerkomitee Leipzig e.V. die Besucher über seine Arbeit. Dabei waren die anstehenden Veranstaltungen und geplanten Aktionen wie beispielsweise das diesjährige Lichtfest am 9. Oktober 2011 und das 15-jährige Jubiläum des Museums im Stasi-Bunker.

 

Das Interesse an der Arbeit der Gedenkstätte war groß. Im Austausch mit Zeitzeugen entstanden viele interessante und informative Gespräche. Besonders durften wir feststellen, dass viele Besucher unseres Standes durch die großen Plakate zum Lichtfest 2011 und der Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ den Bezug zwischen den Montagsdemonstration in Leipzig (9. Oktober) und dem Mauerfall in Berlin (9. November) herstellten und ihre Hochachtung gegenüber den Leipziger Ereignissen ausdrückten. Als einzige Institution aus Leipzig präsentierte sich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ in einem größeren Kontext und konnte so das Interesse des Berliner Publikums nicht nur für die Arbeit der eigenen Institution wecken.

 

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Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung

 

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16. AUGUST 2011: BETEILIGUNG AN EINEM OFFENEN BRIEF AN DIE PARTEI DIE LINKE

Am 13. August 2011, dem 50. Jahrestag des Mauerbaus, hat sich die Zeitung Junge Welt für die Errichtung des menschenverachtenden DDR-Grenzregimes bedankt. Auf ihrer Titelseite schrieb sie über einem Foto bewaffneter Kampfgruppenangehöriger vor dem Brandenburger Tor in großen Lettern: „Wir sagen an dieser Stelle einfach mal: Danke“. Darunter listet sie 13 vermeintliche Errungenschaften der DDR auf und bedankt sich unter anderem „für 28 Jahre Hohenschönhausen ohne Hubertus Knabe“.

 

An der Berliner Mauer kamen mindesten 136 Menschen zu Tode, im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen wurden etwa 11 000 Menschen gequält – das Titelblatt ist an Zynismus kaum zu überbieten. Da die Verherrlichung kommunistischer Verbrechen in Deutschland nicht verboten ist, stellten sich zahlreiche Vertreter aus Politik und Aufarbeitungsinitiativen mit einem offenen Brief vor die Opfer von Mauer und Staatssicherheitsdienst.

 

Die Bundestagsfraktion der Partei die LINKE unterstützt die Junge Welt mit Online-Anzeigen. Deren innenpolitische Sprecherin Ulla Jelpke leitete jahrelang das innenpolitische Ressort. Viele prominente Vertreter der Partei schreiben immer wieder in dem Blatt oder geben dort Interviews.

 

In dem offenen Brief an die Fraktionsvorsitzenden der Partei die LINKE im Deutschen Bundestag Klaus Ernst, Gesine Lötzsch und Gregor Gysi forderten Vertreter verschiedener Aufarbeitungsinstitutionen die sofortige Beendigung der Zusammenarbeit der Partei mit der Zeitung Junge Welt. Der Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ beteiligte sich mit 30 anderen Erstunterzeichnern, darunter zahlreiche Bürgerrechtler und Hinterbliebene von Mauertoten.

 

Der Brief ist unter anderem auf der Homepage der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ veröffentlicht.

Zum Download

 

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Rückblick

 

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50. JAHRESTAG DES MAUERBAUS 9.-13. AUGUST 2011

 

09.08.2011, 19.30 UHR, EHEMALIGER STASI-KINOSAAL

Vortrag und Diskussion

JENS SCHÖNE „DIE MAUER STAND IN EILENBURG“

„Im Schatten der Mauer schien nun alles erlaubt“, eine erschreckende Aussage mit doch wahrem Gehalt, die der Historiker Jens Schöne am Beispiel des Kreises Eilenburg in den Jahren 1959-1961 verdeutlichte. Der stellvertretende Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Berlin berichtete über die Vorgeschichte des Mauerbaus, seine Ursachen, Wirkungen und Folgen und machte bewusst, dass die Politik der SED nicht nur von den „großen Männern“, sondern vor allem auch von den Handlungen und Entscheidungen des „einfachen Volkes“ beeinflusst wurde.

 

Der Kreis Eilenburg sei für die Zeit symptomatisch wie auch außergewöhnlich, so Schöne. Der einst rückständige Kreis Eilenburg sollte 1959 „unter der schützenden Hand Ulbrichts“ im Zuge der gesamten Zwangskollektivierung in der DDR zum „sozialistischen Vorzeigekreis“ hervorgehoben werden und geriet so zum Problemfall. Hier hätten die Landwirte dann auch als Erste die negativen Konsequenzen der Zwangskollektivierung gespürt. Der Zusammenschluss aller einzelbäuerlichen Betriebe in Produktionsgenossenschaften (LPG) sollte schnellst möglichst abgeschlossen werden, wie es auf der Sonderversammlung des Rates des Kreises am 8. November 1959 beschlossen wurde. Ziel der Verstaatlichungswelle in der DDR sei die dringend benötigte Produktionssteigerung gewesen, um das Land dauerhaft konkurrenz- und überlebensfähig zu machen. Auch die Steuer- und Regelbarkeit des Agrarsektors habe die Partei auf diesem Wege versucht zu sichern.

 

Laut Schöne wollte SED-Parteichef Ulbricht die dabei entstandenen Komplikationen und Probleme nicht sehen. Als Folge von Zwang, platter SED-Propaganda und massiver Präsenz von Volkspolizei und Stasi, sei die landwirtschaftliche Produktion auch im Kreis Eilenburg massiv eingebrochen, die Viehsterblichkeit in die Höhe gestiegen, die Lebensmittel knapper geworden. Eilenburg habe sich so zum größten Planschuldner des Bezirkes Leipzig „gemausert“. Schöne ging dabei auch auf die rapide ansteigende Zahl der Republikflüchtlinge sowie die Unruhen in der Bevölkerung ein. Die Entstehung von Untergrundbewegungen sei, wie Schöne dies aus den Stasi-Akten entnehmen konnte, die Folge. All diese Schwierigkeiten hätten nichts daran geändert, Eilenburg als Erfolgsmodell für die Kollektivierung unter dem SED-Regime zu feiern und die Realität zu verkennen.

 

Die aus der Zwangskollektivierung resultierenden Probleme waren 1960 nicht mehr zu übersehen. Der Staat konnte seine Bevölkerung nicht mehr mit Lebensmitteln versorgen und musste in Moskau um Hilfe bitten. Ebenso konnte er seinen Exportverpflichtungen nicht mehr nachkommen und die massiv angestiegene Fluchtwelle in das westliche „Wirtschaftswunder“ schien nicht aufzuhalten zu sein. Laut Schöne stürzte der SED-Staat in eine Krise.

 

Aus den Protokollen des Spitzengesprächs am 1. August 1961 zwischen Ulbricht und Chruschtschow konnte man entnehmen, dass der SED-Chef die Notwendigkeit der Grenzschließung ansprach. Nach langem Drängen Ulbrichts, das „Schlupfloch zum Westen“ in Berlin zu schließen, gab der Kreml-Chef seine Zustimmung zum Mauerbau mit folgenden Worten, die der Experte zitierte: „Führt es durch, wann ihr wollt. Wir können uns jederzeit darauf einrichten.“

 

Der Blick auf die ländliche Provinz im Eilenburger Kreis drei Wochen später zeige erschreckende Auswirkungen des Mauerbaus, so Schöne. Nachdem kreisleitende Spitzenfunktionäre der SED sich eigenständig zu einem Einsatzstab zusammenschlossen, um die von oben angeordnete Disziplinierung nach innen durchzuführen, regierte das Faustrecht in Eilenburg. Verhaftungen stiegen dramatisch an, oft wurden persönliche Rechnungen beglichen. Es herrschte eine gewollte Gesetzlosigkeit im Kreis, die Jens Schöne an vielen Einzelbeispielen verdeutlichte. Erst Ende 1961 griff die SED-Bezirksleitung ein, da die Machenschaften der Kreisleiter schon in die höheren Ränge sogar bis nach Berlin drangen. So wurden die Funktionäre öffentlich von ihrem Dienst entlassen und durch linientreue Genossen ersetzt. Zwar, und das betonte Schöne auch in der anschließenden Diskussion bewusst, wurde hartes Durchgreifen und politische Willkür vom SED-Regime gewollt und befürwortet, doch durfte dabei nicht das sozialistische Herrschaftssystem in Frage gestellt werden. Darum, das von den Eilenburger Kreisleitern begangene Unrecht wieder gut zu machen, sei es der SED-Führung in keinem Fall gegangen, so Schöne.

 

Letztlich muss man sich mit der provokanten These von Jens Schöne auseinandersetzen: Stand die Mauer wirklich in Eilenburg? Physisch gesehen natürlich nicht. Um die Ereignisse rund um den Mauerbau verstehen und erklären zu können, reicht der Blick auf die Machtzentren jedoch nicht aus. Der Einfluss der ländlichen Bevölkerung auf die Politik des SED-Regimes ist eindeutig nachzuweisen. Im anschließenden Publikumsgespräch betonte Schöne noch einmal die einschneidenden Folgen der Kollektivierung der Landwirtschaft. Auch die gewollten Terroraktionen der lokalen SED-Funktionäre als Signale der neuen Repressionspolitik nach dem Mauerbau wie z.B. die Aktion Ochsenkopf, bei der die FDJ ihre Mitglieder aufgerufen hatte, die auf den Dächern angebrachten Antennen gen Westen abzuknicken, wurden näher beleuchtet.

 

Zu verdeutlichen, dass Eilenburg als Sonderfall galt, in dem sich die Kreisleitung gegen die Bezirksleitung stellte und selbst sozialistische Moralvorstellungen untergrub, war für Schöne ein besonderes Anliegen. Ebenso die Republikflüchtlinge sind ein größeres Themengebiet gewesen. Um die DDR-Geschichte und ihren Verlauf nachzuvollziehen, muss die Wechselwirkung von Provinz und Machtzentrum beachtet werden. Hinsichtlich dieses Aspektes beendete Jens Schöne seinen Vortrag mit dem Fazit:„Ja, die Mauer stand in Eilenburg.“

 

 

VORTRÄGE UND DISKUSSIONEN: CHRUSCHTSCHOWS ODER ULBRICHTS MAUER?

An den folgenden beiden Abenden stellten zwei Forscher ihre, auf den ersten Blick, gegensätzlichen Positionen zum Bau der Berliner Mauer vor: Hope Harrison, Professorin für Geschichte und Internationale Beziehungen an der George Washington University und Manfred Wilke, Berliner Soziologe und Mitglied der beiden Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages zur Geschichte der SED-Diktatur, nehmen in der Forschung zwei, auf den ersten Blick gegensätzliche Positionen ein.

 

Bewusst setzte das Bürgerkomitee hierfür zwei Abende an, um den Experten für diese fachliche Debatte Raum zu geben. Hope Harrison richtete ihre Fragestellung auf die Kommunikation zweier kommunistischer Führer in existenziellen Krisen und schloss ausgehend ihres erstellten Psychogramms auf das staatliche Machtverhältnis zwischen DDR und Sowjetunion. Sie stellte die vermeintliche Schwäche der DDR, als Satellitenstaat der UdSSR zu existieren, als große Stärke dar und präsentierte Ulbricht als entscheidenden Akteur der Grenzschließung. Manfred Wilke betrachtete hingegen die äußeren staatlichen Strukturen und Entwicklungen speziell Ostdeutschlands, und band das Verhältnis der beiden Bruderstaaten sowie die Staats- und Regierungschefs in den politischen Kontext ein. Beide Experten werteten die Quellen kritisch aus, um die Frage der Verantwortung des Mauerbaus zu klären. Dabei wendeten sie verschiedene Vorgehensweisen an. Hope Harrison schloss vom “Kleinen“ auf das “große Ganze“, Manfred Wilke nahm als Grundlage die äußeren gesamtinternationalen Beziehungen, um die Einzelentwicklungen der DDR darzustellen.

 

 

10.08.2011, 19.30 UHR, EHEMALIGER STASI- KINOSAAL

Buchvorstellung und Diskussion

HOPE HARRISON „ULBRICHTS MAUER“

„Die Berliner Mauer kam nicht von außen, sondern von innen!“ Diese These spiegelt die Quintessenz des Vortrages von Hope Harrison wieder. Indem sie die persönliche Beziehung zwischen den beiden Staatsmännern Walter Ulbricht und Nikita Chruschtschow verglich und gleichsam ein Psychogramm der beiden erstellte, überprüfte sie das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und dem angeblichen Satellitenstaat DDR. Dabei entlarvte sie den SED-Chef als Initiator des Berliner Mauerbaus und unterstrich ihre Thesen mit einer Analyse der berühmten Pressekonferenz vom 15. Juni 1961, in der Ulbricht verkündete: „Niemand habe die Absicht eine Mauer zu errichten.“

 

Neugierde und Interesse, die Politik des Kremls zu verstehen, haben Harrison als eine im Kalten Krieg aufgewachsene Amerikanerin dazu bewegt, sich mit dem Berliner Mauerbau auseinanderzusetzen. Da sie sich damals nicht habe vorstellen können, wie man eine pulsierende und lebendige Stadt teilen könne und den Gedanken absurd und traurig fand, machte sie sich dieses Thema in ihrer Dissertation zu Eigen. Nach der Öffnung der Archive hatte sie die Möglichkeit, in die bis dato geheimen Akten über den Mauerbau zu blicken und überarbeitete ihre Doktorarbeit. In den frühen 1990er Jahren, der „Goldenen Zeit“ der Akteneinsicht, erhielt sie Einblicke in die Berliner SED-Akten, Stasi-Akten, Akten des Ministeriums des Auswärtigen Amtes sowie in die Moskauer Akten des ZK, der KPdSU, des russischen Außenministeriums und den Akten des russischen Staatsarchivs für Zeitgeschichte. Auch nahm sie Einsicht in Briefe mitsamt deren Entwürfen zwischen Ulbricht und Chruschtschow, Gesprächsprotokolle und ihre Vorbereitungen zwischen den beiden Protagonisten. Ebenso Protokolle von Politbürositzungen, Reden und Gespräche des politischen Konsultativkomitees des Warschauer Paktes wie auch Berichte von Botschaftern in Ostberlin konnte sie für ihre Forschungsarbeit nutzen. Seit Ende der 1990er seien in den russischen Archiven wieder viele Daten, die sie damals einsehen konnte, erneut versperrt.

 

Mit vielen Beispielen machte Hope Harrison deutlich, dass sich, anders als in der Forschung bislang vertreten, zwei Staatsmänner auf Augenhöhe verständigt haben. Ulbricht habe mit seiner „arroganten Haltung und überlegenen Art“ in den Gesprächen mit Chruschtschow sich nicht als einen Vasallen des Kremlchefs präsentiert. Vielmehr habe sich der SED-Chef als überlegen angesehen, da er, im Gegensatz zu Chruschtschow, Lenin noch persönlich getroffen habe und deshalb ein „wahrer Gefolgsmann Lenins und Stalins“ gewesen sei. Chruschtschow empfand er als einen „Bauernlümmel“, nicht qualifiziert, ein sozialistisches Land zu führen und deshalb auch nicht fähig über die Situation der DDR zu richten und zu entscheiden. Hope Harrison betonte stets Chruschtschows Möglichkeit, Ulbricht abzusetzen und somit das permanente Drängen, die Grenzen nach Westberlin zu schließen, zu beenden. Doch dazu kam es nicht.

 

Während der Kremlchef auf der „Weltbühne“ mit dem Westen verhandelte, verfolgte Ulbricht konsequent das eine Ziel: Die sofortige Grenzschließung und Abschottung der DDR. Schon im März 1953 lehnten Stalins Nachfolger diese Forderung ab. Aus den Akten konnte Hope Harrison die Gründe für die Absage einer Grenzschließung finden. Mit einer solchen Vorgehensweise hätte man die vorhandene Ordnung sowie die Wirtschaft der Stadt Berlin durcheinander gebracht, Unzufriedenheit bei den Bürgern mit der DDR-Regierung und der sowjetischen Besatzungsmacht erzeugt und die Beziehungen zu den USA, Großbritanniens und Frankreich unnötig kompliziert. Stattdessen schlug die sowjetische Regierung Ulbricht in einem Schreiben vor, seinen repressiven und administrativen Regierungsstil abzulegen und die Republikflucht mit Reformen, die das Leben der Bürger in der DDR attraktiver gestalten sollten, zu unterbinden. Hope Harrison zeigte durch viele vorgelesene Briefsentenzen auf, wie Ulbricht seinen harten Kurs letztlich jedoch beibehielt. Mit dem Argument, der westlichste Vertreter des Sozialismus in Europa zu sein, der sich „solche Dinge nicht erlauben kann“, zementierte der Regierungschef seine Reformunwilligkeit.

 

Nachdem Ulbricht im September 1960 im Alleingang eigene Maßnahmen an der Sektorengrenze durchsetzte, unterband Chruschtschow diese Bestrebungen 1961 in einem Schreiben, welches die Expertin für ihre wissenschaftlichen Untersuchungen benutzt hat. Chruschtschow bereitete sich auf das Gipfeltreffen in Wien mit dem neuen amerikanischen Präsident Kennedy vor und wollte alle Konflikte im Vorfeld unterbinden. Er hoffte, einen Friedensvertrag unterschreiben und Westberlin den Status einer freien Stadt verleihen zu können. Dies hinderte Ulbricht jedoch nicht, seine Pläne über die Grenzschließungen weiter zu verfolgen. Er berief eine Politbürokommission ein, in der der damalige Sekretär für Sicherheitsfragen Honecker, Innenminister Maron und der Minister für Staatssicherheit Mielke über das Problem der „offenen Grenze“ diskutierten.

 

Nach dem gescheiterten Gipfeltreffen im Juni 1961 und der anhaltenden Berlin-Krise wuchs, laut Hope Harrison, der Druck auf Ulbricht, so dass die SED-Spitze eine Öffentlichkeitskampagne startete. Es war der Versuch, Chruschtschow zum Handeln bezüglich Westberlin zu zwingen und Äußerungen über die Frage der Souveränität der DDR zu klären. So kam es am 15. Juni 1961 zur berühmten Pressekonferenz, in der Ulbricht scheinheilig verkündet:„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Seine schnellen Antworten auf die Fragen der Reporter und seine gewundenen, doppelbödigen Äußerungen erschienen Hope Harrison als ein Signal. Die Pressekonferenz war, in den Augen der Historikerin, eine Machtdemonstration, die Ost wie West veranschaulichen sollte, dass es dem SED-Chef obliege, über die Grenzen der DDR zu entscheiden.

 

Auch wenn Chruschtschow keinen separaten Friedensvertrag mit der DDR abschloss, wie in seinem Ultimatum angedroht, sondern nur die Kontrolle über die Verbindungswege einschließlich des Luftverkehrs an die deutschen Organe abgab, könne man laut Hope Harrison, Ulbrichts „beharrliche Politik der harten Linie“ als erfolgreich bezeichnen, da er es schaffte, die Grenzen zu schließen und so seine Macht zu sichern. Ohne die Zustimmung Moskaus wäre der Mauerbau nicht möglich gewesen, doch ging die Initiative, die Idee und das Drängen von Ulbricht aus. Die Grenze sei ein gemeinsames Unterfangen, für das beide Mächte, das SED-Regime wie die Moskauer Regierung, die gemeinsame Verantwortung tragen müsse.

 

Nachdem Hope Harrison ihre Thesen vorgestellt hatte, eröffnete der Leiter der Gedenkstätte Tobias Hollitzer die Diskussions- und Fragerunde. In fließendem Deutsch beantwortete Hope Harrison die Fragen aus dem Publikum über die damalige politische Bedeutung der Mauer. Dabei wurde unter anderem darüber diskutiert, ob es einen „Plan B“ für die Sowjetunion, aber auch für Ulbricht gab, falls die Grenze nicht geschlossen werden sollte. Ein weiterer Schwerpunkt bildete die Person Kennedy und seine Rolle als Repräsentant des Westens im Kalten Krieg. Kritisierend verwies Hope Harrison auf die defensive Haltung des amerikanischen Präsidenten und die ausschließliche Sicherung Westberlins. Viele Jahre beschäftigte sich Hope Harrison mit dem Bau der Mauer. Nun arbeitet sie an einem neuen Buch, das über die Geschichtsbetrachtung und den Umgang mit der Mauer nach 1989 in Deutschland berichtet.

 

 

Zum Buch: Harrison, Hope M.: Ulbrichts Mauer, Propyläen Verlag, Berlin 2011.

 

11.08.2011, 19.30 UHR, EHEMALIGER STASI-KINOSAAL

Buchvorstellung und Diskussion

MANFRED WILKE „DER WEG ZUR MAUER“

„Wer war schon Ulbricht?“, lautete die provokante Frage Manfred Wilkes in seinem Vortrag, der chronologisch-argumentativ die Frage nach der Stellung der DDR im Machtverhältnis zur Sowjetunion thematisierte und seine Position mit einer Fülle an Daten fundierte. Der Mauerfall als einschneidendes Ereignis der ostdeutschen Geschichte habe schließlich die Mächteverhältnisse der Welt verändert, so Wilke.

 

Der Historiker zeichnete die Entwicklung bis zum Bau der Berliner Mauer nach und berief sich auf die Akten des V. Parteitag der SED 1958. Hier hielt Ulbricht eine Rede und versprach den DDR-Bürgern, Westdeutschland im pro Kopfverbrauch an Lebensmitteln bis 1961 überholt zu haben, da nach Aussagen der DDR-Ökonomen Westdeutschland vor einer schweren Wirtschaftskrise stehe. Schon 1958 verlangte er den Abzug der westlichen Besatzungsmächte aus Westberlin und forderte, dass Westberlin zu einer freien Stadt erklärt werde. Diese Rede mitsamt ihren Forderungen wurde, laut Wilke, zuvor in Moskau abgesegnet und von Chruschtschow somit unterstützt. Ohne die UdSSR habe die DDR als international nicht anerkannter Staat ihre Forderungen kaum durchsetzen können und bedurfte stets sowjetischer Unterstützung, so Wilke. Zwar war Ulbricht innerhalb der DDR-Führung „Chef, und niemand sonst“, doch konnte die SED-Politik ohne die Sowjetunion nicht umgesetzt werden.

 

Im Herbst 1958 schlug Chruschtschow derweil sein Ultimatum im Moskauer Präsidium vor und erhielt hierfür die Mehrheit. Das Deutschland-Problem müsse endlich gelöst werden, entweder mit einem Friedensvertrag über ein entmilitarisiertes, entföderalisiertes Deutschland oder mit zwei deutschten Staaten. Manfred Wilke fasste die drei vom Kreml-Chef gestellten Forderungen zusammen, nämlich die Anerkennung der DDR, die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und die Umwandlung Westberlins in eine freie, entmilitarisierte Stadt. Denn solange der Westen in Westberlin präsent sei, könnten sich die „Blütenträume aus Ostberlin und Moskau“, so Wilke, nicht behaupten. Dies wurde ganz klar, als sich die SED im Dezember 1958 das erste Mal an den freien Wahlen in Westberlin beteiligte und bei einer Wahlbeteiligung von 93,5% nur 1,9% der Stimmen erhielt.

 

1960 hatte sich die Lage in der DDR gründlich verändert. Manfred Wilke führte hierbei Beispiele an. So habe die Kollektivierung der Landwirtschaft weit reichende Folgen wie die Massenflucht von Bauern oder die schwere Versorgungskrise der DDR hervorgerufen. Auch sei die Einführung von Passierscheinen für Westdeutsche eine Provokation für die Bundesrepublik, so Wilke. Schon im Grundgesetz sei die Einigung Deutschlands verankert, so dass die DDR als nicht anerkannter Staat ihre Befugnisse überschritten hätte. Westdeutschland kündigte der DDR den Interzonenhandel auf. Die Versorgungs- und Wirtschaftskrise spitzte sich, nach Einschätzung Wilkes, mehr und mehr zu. Doch der Befehl Chruschtschows an Ulbricht, sich mit Adenauer und Westdeutschland zu versöhnen und den Interzonenhandel wieder aufzunehmen, sei nicht aus Fürsorge zur DDR entstanden. Vielmehr konnte diese durch das Embargo den für die sowjetische Maschinenbauindustrie benötigten Stahl aus dem Ruhrgebiet nicht mehr liefern.

 

Die im Januar 1961 von der SED-Führung eingesetzte Arbeitsgruppe, bestehend aus dem Minister für Staatssicherheit Mielke, Innenminister Maron, Verteidigungsminister Hoffmann und Verkehrsminister Kramer, die konspirativ die Grenzerschließung vorbereiten sollte, wurde im Gespräch mit Ulbricht und Chruschtschow lahm gelegt. Auf den drängenden Brief Ulbrichts an Chruschtschow, in dem er die wirtschaftlich-gesellschaftlichen Probleme wie Massenflucht und Versorgungskrise der DDR ansprach und eine sofortige Lösung der Westberlin-Frage forderte, machte der Kreml-Chef seine Prioritäten für den Historiker Wilke deutlich sichtbar. Solange das Gipfeltreffen mit Kennedy bevorstehe, werde das Status quo in Westberlin erhalten.

 

Während Kennedy auf dem Gipfeltreffen im Juni 1961 über atomare Abrüstung, Teststopps für Atomwaffen etc. sprechen wollte, lenkte Chruschtschow den Schwerpunkt dieser Unterredung auf die Berlin-Frage. Er erneuerte sein Ultimatum von 1958. Manfred Wilke zeigte die Konsequenzen auf: Entweder würde Ende 1961 ein Friedensvertrag geschlossen werden oder die UdSSR würde einen separaten Friedensvertrag mit der DDR aushandeln, der dazu führte, dass die Westmächte Verhandlungen mit dem ostdeutschen Staat aufnehmen und international seine Souveränität anerkennen müssten. Diese Forderung Chruschtschows war ein „Bluff“, so Wilke, den die Westmächte durchschauten. Zu lange hatte Moskau das Ultimatum im Raum stehen lassen ohne die angedrohten Konsequenzen zu ziehen.

 

Die Westmächte blieben in Westberlin, um ihre Rechte, die im Zweiten Weltkrieg erkämpft hatte, zu bewahren. Würde Moskau diese Rechte an Dritte, sprich an die DDR, abgeben, so sei dies, laut Kennedy, als ein „kriegerischer Akt“ zu verstehen. Wilke zeigte den Grund für die amerikanische Politik auf: Die USA würden in der Welt ihre Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie ihr Versprechen gegenüber den Westberlinern brechen und die Freiheit der Stadt nicht schützen würden. Zudem stellte die 1949 neu gegründete NATO Westberlin unter ihren Schutz, so dass der Abzug aus Westberlin als Auflösung des Bündnisvertrages verstanden worden wäre.

 

Auch hätten die Informationen der sowjetischen Geheimdienste Chruschtschows Entschluss beeinflusst, die Grenze in Berlin zu schließen. Ihm wurde über die guten Vorbereitungen der NATO auf eine militärische Konfrontation, die Überlegenheit der amerikanischen Luftwaffe bei einem europäischen Krieg, über die Rüstungsprogramme Kennedys nach dem gescheiterten Gipfeltreffen wie auch über den zügigen Aufbau der amerikanischen Polaris-U-Boot-Flotte (gegen die die UdSSR keine Verteidigungsmechanismen besaßen) berichtet.

 

Die sowjetische Politik schien nach Einschätzung des Referenten, an ihre Grenzen gestoßen zu sein. Chruschtschow musste sein Sträuben vor einer Grenzschließung und der damit immanenten, symbolischen Botschaft, der fortgeschrittene Sozialismus müsse sich einmauern, zu Gunsten der Realpolitik fallen lassen. Die Frage, ob es nun während der Zeit der Umsetzung “Ulbrichts Mauer“ oder doch “Chruschtschows Mauer“ gewesen sei, sei hinfällig, so Wilke. Ulbricht habe die Mauer gebaut, Chruschtschow habe den Befehl militärisch und politisch gegeben. Ihm oblag die Macht. Während der erste Befehl an Ulbricht ging, schickte er mit dem zweiten die Rote Armee an die Grenze, um, den Operationsplan des Mauerbaus zu koordinieren und zu kontrollieren. Für Wilke ein Zeichen dafür, dass Ulbricht, wie schon zu Zeiten seiner Einsetzung durch Stalin, lediglich ein Vasall der Sowjetunion blieb.

 

Auch dem Vortrag von Manfred Wilke folgte eine rege Beteiligung an der Diskussion, die vom Leiter der Gedenkstätte Tobias Hollitzer moderiert wurde. Nach Wilkes informationsreichem Vortrag gab es viele Fragen. So ging Wilke auf die strukturellen Probleme der DDR-Ökonomie und ihre Unfähigkeit, aus eigener Kraft ihre Schwächen zu bewältigen, ein. Auch weiterführende Themen zum heutigen Umgang mit den Opfern der SED-Diktatur wurden diskutiert. Manfred Wilke sprach über seine persönlichen Erfahrungen, die er als Mitglied in den Enquete-Kommissionen zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sammelte. Er sei stets solidarisch mit den Opfern der Teilung umgegangen. Die Mauer physisch abzureißen, sei nicht der letzte Schritt zur Einheit. Westdeutschland habe lange die Opfer der SED-Repression ignoriert. Zu langsam habe man eingesehen, dass man diese Menschen rehabilitieren und ihnen Platz in der Gesellschaft einräumen musste. Auch die Problematik der juristischen Verfolgung der Täter und die anfänglich träge Einstellung der westdeutschen Gesellschaft, sich mit der Aufarbeitung auseinanderzusetzen, waren nur einige Themen der abendlichen Diskussionsrunde.

 

Zum Buch: Wilke, Manfred: Der Weg zur Mauer, Ch. Links Verlag, Berlin 2011.

 

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Aus dem Gästebuch

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

 

Viele unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch und schreiben hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben. Unter dieser Rubrik wollen wir monatlich einige dieser Einträge an Sie weitergeben.

 

 

EINTRÄGE AUS DER DAUERAUSSTELLUNG „STASI - MACHT UND BANALITÄT“

 

„Gegen das Vergessen“

(Besucher am 01.08.2011)

 

„I was impressed that Germans preserved many documents from GDR. Very proud of the East Germans who fought to get the freedom and tried to keep the records! I hope two Koreas will get peaceful unification which two Germans achived. Thanks!”

(01.08.2011, Besucher aus Seoul, Korea)

 

„I wonder why we don't have such a museum in Italy for the secret services… but we still have patience… with respect and love”

(Besucher am 03.08.2011 aus Italien, Castelfranco Veneto)

 

„Eine der interessantesten Ausstellungen, die ich jemals gesehen habe. Da bleiben keine Fragen offen! Super!“

(Besucher am 03.08.2011)

 

„Merci pour l´audioguide en francais qui permet de comprendre de manière détaillée le fonctionnement de la stasi. Et Bravo et merci pour tous celles et ceux qui ont sauvé les documents et réalisé ce musée.˝

(Besucher am 07.08.2011 aus Frankreich)

 

„Das Museum bedarf dringend einer Sanierung und einer museumsdidaktischen Überarbeitung. Die Reihenfolge der Ausstellung ist nicht immer logisch. Die Vielzahl an klein gedruckten Texten erschlägt einen, die großen Thesen gehen unter. Die wichtige Botschaft und die wichtige Aufgabe des Museums hat es so schwer die Besucher zu erreichen. Ich werde kräftig spenden und hoffe, dass sich etwas tut.“

(Besucher am 07.08.2011 aus Duisburg)

 

„Eine sehr gute Ausstellung, hoffentlich bleibt sie noch lange erhalten. Auch sollte sie jeder aus dem Westen gesehen haben, Überwachung gibt es auch heute.“

(Besucher am 07.08.2011 aus Karlsruhe)

 

„Wichtige Aufklärung über das, wie´s wirklich war. Diese Ausstellung muß erhalten bleiben – Aufklärung ist wichtig.“

(Besucher am 13.08.2011)

 

„Erschütternd und lächerlich und Zorn entfachend. Vielen Dank für die „Aufklärung““

(Besucher am 13.08.2011 aus Hamburg)

 

 

EINTRÄGE AUS DER SONDERAUSSTELLUNG „LEIPZIG AUF DEM WEG ZUR FRIEDLICHEN REVOLUTION“

 

 

„Wir kommen von der damaligen „Zonengrenze“ bei Coburg – Zum Glück gibt es die nicht mehr!! Danke!“

(Besucher am 01.08.2011)

 

„Tolle Ausstellung – Diese sollte als Dauerausstellung weitergeführt werden.“

(Besucher am 01.08.2011)

 

„Die Lehrgruppe der PFS Leipzig bedankt sich für die tolle Führung. Sehr schön gemacht mit viel Hintergrundwissen.“

(Besucher aus Leipzig im August 2011)

 

„Ich bekomme noch immer Gänsehaut. Diese Ausstellung ist so wichtig!“

(Besucher am 10.08.2011)

 

„Sehr beeindruckend. Der Mut und die Initiative die die Bürger der DDR aufgebracht haben ist beeindruckend. Schön, dass alles friedlich beendet werden konnte. Schön, dass ich einfach hier her fahren kann und diese schöne Stadt besichten kann. Schön, dass alle Deutschen jetzt in Freiheit leben können.“

(Besucher am 11.08.2011)

 

„Zur Aufarbeitung der tatsächlichen !!! Geschichte unbedingt empfehlenswert. Sehr liebevolle Zusammenstellungen.“

(Besucher am 12.08.2011)

 

„Eine beeindruckende Ausstellung der friedlichen Revolution von Leipzig und dem (Er-)Leben der Bürgerrechte“

(Besucher am 13.08.2011)

 

„Sehr anschauliche Dokumentation! Ein Bravo den ehemaligen DDR-Bürgern!“

(Besucher am 13.08.2011 aus Wiesbaden)

 

„Erinnerung und Aufarbeitung sind die Grundlage der Zukunft“

(Besucher am 13.08.2011)

 


 



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