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Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

im Monat April braucht der Newsletter traditionell etwas länger, da wir wie jedes Jahr auf zahlreiche spannende Veranstaltungen im Rahmen des beliebten Lesefestivals „Leipzig liest“ zurückblicken. Zu den 19 Buchpremieren, Diskussionen und Lesungen zu den Themen Kommunistische Diktatur, Staatssicherheit und Friedliche Revolution kamen fast 1.000 Gäste. Das Museum konnte sich über gut besuchte Veranstaltungen und interessante Diskussionen freuen.

 

Besonderer Publikumsmagnet waren die Buchpremiere zu „Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt“ von Jörg Baberowski, der dafür den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hatte, die Buchpremiere der Dokumentation über das Frauengefängnis Hoheneck und eine neue Sicht auf die Geschichte der Treuhand vorgestellt in Kooperation mit dem MDR. In unseren Veranstaltungsresümees unter der Rubrik „Rückblick“ finden Sie das Interessanteste zusammengefasst.

 

„Nachtaktiv“ lautet das Motto der diesjährigen Leipziger und Hallenser Museumsnacht am 5. Mai 2012. Einen Überblick über unser vielfältiges Veranstaltungsprogramm finden Sie in der Rubrik „Vorschau“.

 

Wir freuen uns auf Ihren Besuch und wünschen Ihnen eine interessante Lektüre unseres Buchmesse-Rückblicks.

 

Ihr Bürgerkomitee Leipzig

 

 

 

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INHALT

Vorschau

Aus der Arbeit der Gedenkstätte

Rückblick

Aus dem Gästebuch

 

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VORSCHAU

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5. MAI 2012, 4. LEIPZIGER UND HALLENSER MUSEUMSNACHT UNTER DEM MOTTO „NACHTAKTIV“

Am 5. Mai 2012 ist es wieder soweit. Die Städte Halle und Leipzig veranstalten die vierte gemeinsame Museumsnacht unter dem Motto „Nachtaktiv“. Auch die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ beteiligt sich wieder mit den drei Einrichtungen: ehemalige zentrale Hinrichtungsstätte in der Südvorstadt Leipzigs, Museum im Stasi-Bunker in Machern und dem Museum in der „Runden Ecke“ in der Leipziger Innenstadt.

 

17.00 - 1.00 UHR: MUSEUM IM STASI-BUNKER – Wenn Tag und Nacht keine Rolle spielte

Die ehemalige Ausweichführungsstelle in Machern lädt im Rahmen der Museumsnacht zu Führungen ein.

 

18.00 - 1.00 UHR FÜHRUNGEN – EHEMALIGE ZENTRALE HINRICHTUNGSSTÄTTE DER DDR

Die ehemalige zentrale Hinrichtungsstätte der DDR in der Alfred-Kästner-Straße (Zugang Arndtstraße 48) ist ebenfalls von 18.00 bis 1.00 Uhr geöffnet. Dort finden ständig Führungen zum Thema „Todesstrafe in der DDR – Hinrichtungen in Leipzig“ statt. Außerdem ist eine gleichnamige Ausstellung zu sehen.

 

PROGRAMM IM MUSEUM IN DER „RUNDEN ECKE“

18:00 - 01:00 Rundgang Nachts schnüffeln! Welche Anstrengungen die Stasi unternahm, um ihre Bürger auch in den intimsten Momenten zu überwachen.

 

18:00 - 01:00 Rundgang Nachts vernichten!

Vom Kampf der Stasi 1989 ihre Untaten zu verschleiern.

 

18:00 - 01:00 Rundgang Nachts besetzt!

Wie die Montagsdemonstranten die Stasizentrale lahm legten.

 

18:00/20:00/22:00/24:00 Führungen: „Im Schutze der Nacht“

Die Aktionen der Leipziger Opposition 1989“ Führungen in der Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“

 

19:00/ 21:00 Uhr: Nachtaktiv – Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter im „nächtlichen Einsatz“ erzählt von Helmuth Müller-Enbergs

 

22:00/23:00 Uhr: Film „Huren unter Honecker“ – ein Film zur Prostitution in der DDR.

 

 

 

 

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AUS DER ARBEIT DER GEDENKSTÄTTE

 

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12. MÄRZ 2012, EINWEIHUNG DES EUROPÄISCHEN KULTURERBESIEGELS IN LEIPZIG

In einem öffentlichen Akt enthüllten die Sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst Sabine von Schorlemer und der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung am 12. März 2012 vor etwa 50 Leipziger Bürgern, Zeitzeugen und Medienvertretern an der Nikolaikirche, dem Leipziger Ring und der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ die europäischen Kulturerbesiegel. Mit den blauen Plaketten erinnert die Europäische Union an wichtige Stätten europäischer Geschichte und Identitäten. Seit Januar 2011 beteiligt sich Deutschland mit den „Stätten der Reformation“ unter der Ägide der Stiftungen „Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt“ und dem „Eisernen Vorhang“ unter Leitung der Stiftung Berliner Mauer. Im Netzwerk „Eiserner Vorhang“ ist Leipzig der einzige der ausgewählten Orte, der nicht an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze liegt. Hier manifestieren sich gleichermaßen die kommunistische Diktatur und deren friedliche Überwindung.

 

„Die Montagsdemonstrationen sind fest in unserem kollektiven Gedächtnis verankert“, betonte Staatsministerin von Schorlemer in ihrer Rede in der Nikolaikirche. Nach einleitenden Worten des Superintendenten Martin Henker, der an den Beginn der regelmäßigen Friedensgebete in der Nikolaikirche im September 1982 erinnerte, die am Beginn der Massenproteste des Herbstes 1989 standen, würdigte von Schorlemer die europäische Dimension der Leipziger Ereignisse. Von Orten wie der Nikolaikirche, dem Leipziger Innenstadtring und der ehemaligen Bezirksverwaltung für Staatssicherheit gingen wesentliche Impulse für die Friedliche Revolution aus, so der Tenor der Ministerin.

Die Trias der Initiierung der Proteste im Umfeld der Kirchen, der Aktivierung der politischen Emanzipation im öffentlichen Raum der Straße und der Bezwingung der Repression des Ministeriums für Staatssicherheit mache die Bedeutung der Leipziger Ereignisse für die Überwindung des „Eisernen Vorhangs“ aus, so von Schorlemer in ihrer Rede. In Zukunft sei es mit derlei Initiativen wichtig, besonders der jungen Generation die Ereignisse des Herbstes ´89 näher zu bringen und die Erinnerung daran wach zu halten: „Die mit dem Europäischen Kulturerbesiegel ausgezeichneten Leipziger Stätten erinnern vorbildhaft daran, dass eine Gesellschaft diktatorische Vormundschaft überwinden und ihre politischen Geschicke in demokratischer Form selbst in die Hand nehmen kann,“ resümierte von Schorlemer.

„Dieses Mal musste Leipzig sich nicht bewerben, dieses Mal ist uns diese Auszeichnung einfach zugefallen,“ bemerkte der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung am Anfang seiner Rede an der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ und freute sich, dass die Bedeutung Leipzigs als Stadt der Friedlichen Revolution nun auch im europäischen Kontext gewürdigt und die damit in der Tradition der osteuropäischen Freiheitsbewegungen bis 1989 steht. Es sei gerade angesichts der allgegenwärtigen Krise in Europa wichtig, sich immer wieder das unglaublich Humane der Friedlichen Revolution in Erinnerung zu rufen. Ein wichtiges Anliegen der Stadt Leipzig sei es, an authentischen Orten wie der Nikolaikirche, der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ und entlang des Innenstadtrings das Erbe der Friedlichen Revolution sinnlich erfahrbar zu machen, so Jung.

Der Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ skizzierte die Besetzung der Leipziger Stasi-Zentrale am 4. Dezember 1989 und die schon im Sommer beginnende Aufarbeitung durch die Ausstellung „Stasi – Macht und Banalität“. Die Gedenkstätte stehe für zwei Dinge gleichzeitig: Einerseits informiere Sie über die Verbrechen und das Funktionieren des MfS als einer zentralen Stütze der SED-Diktatur, sensibilisiere für die Gefahren, die auch unsere heutige Demokratie immer wieder ausgesetzt ist und engagiert sich für einen tragfähigen antitotalitären Konsens in der Gesellschaft. Anderseits steht die „Runde Ecke“ auch für die gewaltfreie Selbstbefreiung von dieser Diktatur im Zuge der Friedlichen Revolution. In Zukunft sei die Auseinandersetzung mit extremistischen und totalitären Ideologien gerade im europäischen Kontext eine wichtige Aufgabe. „Vermittlung von Geschichte, noch dazu an authentischen Orten liefert dafür eine Grundlage“, schloss Hollitzer.

Stellvertretend für den Leipziger Ring, bei dem die einzelnen Kulturerbesiegel in die Stelenausstellung „Orte der Friedlichen Revolution“ integriert sind, verwiesen Sabine von Schorlemer, Burkhard Jung und Tobias Hollitzer auf die Stele zur Friedlichen Revolution direkt vor der „Runden Ecke“. Im Anschluss an die Enthüllung luden die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ und die Stadt Leipzig zu einem kleinen Stehempfang, bei dem Medienvertreter, Zeitzeugen, Abgeordnete und interessierten Bürgern ins Gespräch kamen.

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RÜCKBLICK

 

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15. – 18. MÄRZ 2012 BETEILIGUNG AN „LEIPZIG LIEST“

 

15.03.2012, 15.00 UHR, KINOSAAL

Buchvorstellung

RONNY KABUS: „…WEINE ICH TÄGLICH UM MEINEN VATER“

Das Lesefestival „Leipzig liest“ lebt davon, auch kleineren Autoren Raum zu bieten, um ihre Werke vorzustellen. „…weine ich täglich um meinen Vater“ von Ronny Kabus ist so ein Buch. Es handelt von der Stalinisierung der Stadt Görlitz nach dem Zweiten Weltkrieg. Kabus stellte dazu viele Einzelschicksale derer zusammen, die dem kommunistischen Terror in der Grenzstadt zum Opfer fielen.

 

Für Kabus selbst, der in die Lebenswelt des Sozialismus in die DDR hineingeboren wurde, war die immer heraufbeschworene ewige Freundschaft zum Sowjetvolk selbstverständlich. Doch hinter vorgehaltener Hand wurde über die „von den Russen Verschleppten“ geredet. Bis heute jedoch treibe die SED-Propaganda immer noch in Deutschland und Sachsen wilde Blüten: So erschien im Mai 2009 ein Gedenkartikel zur Neugründung der Görlitzer Polizei. Hier wurde vollkommen ausgespart, dass diese Polizei nicht nur eine „antifaschistische“ war, sondern auch ein Machtinstrument der Sowjetunion und der SED. Damit war für ihn klar, er müsse noch einmal das Thema aufgreifen.

 

In einem unruhigen Klima zwischen Hoffnung und Angst zogen schon mit der Roten Armee eine Handvoll Angehörige des sowjetischen Geheimdienstes NKWD in die Stadt ein. Obwohl sie nur Wenige waren, konnte diese Gruppe viel Macht erlangen. Dies lag vor allem an den Entnazifizierungsprozessen, die in der SBZ vollkommen überzogen als reiner Machterhalt der SED und der Sowjetunion durchgeführt wurden, so Kabus. Jedem kritischen Geist wurden irgendwelche Verstrickungen zur Last gelegt und hart bestraft, selbst wenn diese erfunden waren. Die Verurteilten wurden in Speziallager gesteckt, die teilweise nahtlos von den Nazis übernommen worden waren.

 

Mit der Auflösung der Speziallager 1950 verbesserte sich die Situation für die Verurteilten jedoch nicht, sondern nahm in den nächsten drei Jahren noch einmal an Brutalität zu. Das MfS und der NKWD arbeiteten Hand in Hand und stellten letztlich das Machtorgan der Kommunisten dar.

 

Das Beispiel von Herbert von Hörmer zeigt besonders eindrücklich wie die Sicherheitsorgane vorgingen. Herbert von Hörmer konnte als Balten-Deutscher fließend Russisch und wurde als solcher von der Wehrmacht als Dolmetscher geführt. Lange Zeit ging die Familie davon aus, dass von Hörmer, wie alle Dolmetscher der Wehrmacht, nach Torgau, verbracht wurde und dort aus Versehen von einem betrunkenen russischen Soldaten erschlagen wurde. In Wirklichkeit wurde er jedoch bereits 1946 von einem Sowjetischen Militärgericht wegen „Eindringens in die Sowjetunion“ zum Tode verurteil und in Russland erschossen. Ein anderes Beispiel, das auch den Buchtitel erklärt, ist das Schicksal der jungen Gisela Töpfer. Sie hatte in der Schule eine offizielle Resolution für die in den USA inhaftierten Rosenbergs unterschrieben und musste dabei an ihren selbst inhaftierten Vater denken. Gisela nahm all ihren Mut zusammen und schrieb nun auch einen Brief an den Ministerpräsidenten, in dem sie nach einem Lebenszeichen ihres Vaters fragte, denn so wie um die Rosenbergs geweint wird, weint sie täglich um ihren Vater. Zu diesem Zeitpunkt war ihr Vater bereits ein Jahr lang tot. Die offene Repression gegen die Bevölkerung sollte erst nach Stalins Tod enden.

 

Literaturhinweis:

Kabus, Ronny: …weine ich täglich um meinen Vater. In der Gewalt Stalins und der SED, Norderstedt : Books on Demand, 2011.

 

 

15.03.2012, 16.00 UHR, KINOSAAL

Diskussion und Buchvorstellung

1989 - JAHR DER FRIEDLICHEN REVOLUTIONEN IN OSTEUROPA

Im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht sind zwei Bücher zu den Friedlichen Revolutionen in der DDR und Ostmitteleuropa erschienen. Der erste Band „Das Revolutionsjahr 1989“, herausgeben von Dr. Bernd Florath, behandelt die ähnlichen Herausforderungen, unterschiedlichen Lösungen und gegenseitigen Anregungen während und nach den Friedlichen Revolutionen in den osteuropäischen Staaten. Der zweite Band „Jahre des Umbruchs“ wurde von Dr. Clemens Vollnhals herausgegeben und beschäftigt sich in 21 Beiträgen mit Unterschieden, Gemeinsamkeiten, Erfolgen und Misserfolgen der Friedlichen Revolutionen, des Transformationsprozesses sowie der Transition in der DDR und Osteuropa.

 

Aus diesem Anlass diskutierten drei der Autoren der Bände, Prof. em. Dr. Jerzy Holzer, einer der bekanntesten polnischen Publizisten, Dr. Tytus Jaskułowski, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Hannah-Arendt-Institutes in Dresden (HAIT) mit den Forschungsschwerpunkten DDR-Zeitgeschichte sowie deutsch-polnische Beziehungen und Dr. Karel Vodička, ebenfalls wissenschaftlicher Mitarbeit am HAIT mit den Schwerpunkten der Transformations- und Konsolidierungsforschung sowie das politische System Tschechiens, unter der Moderation von Dr. Clemens Vollnhals, stellvertretender Direktor des HAIT und Herausgeber des zweiten Bandes. Alle Referenten hielten ein Kurzreferat zu ihren jeweiligen in den Büchern besprochenen Themen, die später als Diskussionsgrundlage dienten.

 

Holzers Beitrag beschäftigt sich mit dem Runden Tisch in Polen. Für ihn ist dieser ein Instrument für eine friedliche Revolutionsform. „Aus Gewalt entsteht keine Demokratie!“, so Holzer. In fast allen postkommunistischen Ländern wird die Frage diskutiert, ob der friedliche auch der richtige Weg war, da viele Kompromisse mit und Zugeständnisse an das alte System gemacht worden seien. Eine Revolution ohne Kompromisse und Zugeständnisse würde nur über Gewalt erreicht werden, so der trügerische Umkehrschluss. Auch die Gewaltlösung verlangt Zugeständnisse an das alte System. Aktuelles Beispiel bietet derzeit der Umbruch in Libyen. Hier kam die Opposition nicht umhin, mit Vertretern des alten Regimes zusammenzuarbeiten. Immer, wenn die Frage nach der besseren Art der Revolution aufkommt, sollte sich vor Augen gehalten werden, dass das Blut bei einer gewalttätigen Lösung auf beiden Seiten vergossen wird, so Holzer.

 

Jaskułowski zeigt in seinem Beitrag im zweiten Band die Erfolge, aber auch die Misserfolge des Transformationsprozesses in Polen auf. Als Erfolge wertet er die Stabilisierung der Grundzüge eines modernen politischen Systems, eines modernen Parteiensystems sowie die Stabilität beider Systeme. Die Probleme im polnischen Transformationsprozess hängen deutlich mit den in den zwei Verfassungen von 1992 und 1997 verankerten Machtverhältnissen zusammen. Die erste war stark zu Gunsten des damaligen Staatspräsidenten Lech Wałęsas ausgelegt, dem außergewöhnliche Rechte zugesprochen wurden. Die neue Verfassung von 1997 schwächte daraufhin deutlich die Rolle des Staatspräsidenten zu Gunsten des Ministerpräsidenten. Die Folge waren Machtkämpfe zwischen dem jeweiligen Staats- und Ministerpräsidenten, die zu Problemen bei der gemeinsamen Regierungsarbeit führten. Erst 2002, für Jaskułowski dauerte dies deutlich zu lang, wurden abschließende Regelungen getroffen. Ein weiteres Problem sieht Jaskułowski in einer sinkenden politischen Kultur, was nicht nur die geringe Wahlbeteiligung in Polen betrifft, sondern auch das Verhalten der politischen Parteien untereinander. Die Verständigung zwischen zwei Lagern, wie sie am Runden Tisch umgesetzt worden war, fehle derzeit in Polen.

 

Die Teilaspekte des Transformationsprozesses in Tschechien sowie der Konsolidierungsverlauf sind Themen des Beitrages von Vodička im zweiten Band, der im Anschluss an seine Ausführungen konkrete quantitativen Angaben zur derzeitigen politischen Situation in den verschiedenen Ländern Osteuropas machte. Zur Zeit der Samtenen Revolution war die Überzeugung in der Bevölkerung der CSSR weit verbreitet, dass sich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus die Marktwirtschaft und Demokratie schnell positiv entwickeln würde. Da diese Erwartung nicht erfüllt wurde, machte sich eine „tiefe soziale Depression“ bemerkbar, so Vodička. Die wichtigste Ursache für den langsamen Fortschritt sieht er in der von der kommunistischen Diktatur zerstörten Demokratie, Volkswirtschaft sowie der Eigentumsverhältnisse. Demokratie und die Marktwirtschaft wurden aber trotz der erlebten Krisen von der Bevölkerung nie in Frage gestellt und als alternativlos betrachtet.

 

Auch auf die bürgerliche Gesellschaft geht Vodička näher ein: Erst wenn die Bürger das politische System unterstützen, gilt die Demokratie als gefestigt. Hierzu führt Vodička wiederum Ergebnisse der quantitativen Sozialforschung an. Obwohl die Demokratie an sich die allgemeine Zustimmung der Bevölkerung findet, sind die postkommunistischen Länder mit der realen Demokratie ihres Landes unzufrieden, glauben nicht, dass sie etwas politisch beeinflussen könnten und in einigen Fällen stimmen sie einer antidemokratischen Systemalternative zu. Es bleibt ganz eindeutig die Frage offen, ob die Demokratie eines Landes legitimiert und gefestigt ist. Für ihn ist trotz des weitgehend gefestigten politischen Systems die tschechische Demokratie noch nicht ausgereift.

 

In der anschließenden Diskussion ging es darum, ob die demokratischen Elemente nicht erst von den Bürgern erlernt werden müssten und gerade deshalb die Transformation mehr Zeit beansprucht. Vodička erklärt, dass man in der Forschung davon ausgeht, dass die Annäherung an die politische Kultur mehrere Generationen dauert.

Ob die Abspaltung der Slowakei Einfluss auf den hier beschriebenen Verlauf gehabt habe, war eine weitere Publikumsfrage. Die Spaltung war zum Nachteil der Länder, jedoch konnten sich beide wieder davon erholen, so Vodička.

 

Ein Besucher geht von einer Krise der deutschen Demokratie aus. Nicht nur im Westen würde von einer Krise der Demokratie gesprochen werden, so die Referenten. Die Demokratie sei aber dennoch alternativlos, zumal sie lernfähig ist und ihre Fehler verbessern kann.

 

Die gut besuchte Veranstaltung gab durch die Kurzreferate einen interessanten Einblick in die wirkenden politischen und gesellschaftlichen Prozesse und aktuellen Fragestellungen der Forschung. Die Referenten boten einen Querschnitt durch alle Forschergenerationen, Prof. em. Jerzy Holzer als ältester und Dr. Tytus Jaskułowski als jüngster Vortragender.

Die hier vorgestellten Werke beschäftigen sich systematisch mit der Fragestellung, wie die Revolution in den einzelnen Ländern ablief, aber auch mit der demokratischen Entwicklung in postkommunistischer Zeit und dem Wandel auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Für alle die sich mit der Umbruchszeit beschäftigen, werden diese zwei Bände hilfreiche Anregungen sein und neueste wissenschaftliche Erkenntnisse vermitteln.

 

Literaturhinweis:

Bernd Florath (Hg.): Das Revolutionsjahr 1989. Die demokratische Revolution in Osteuropa als transnationale Zäsur, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011.

 

Clemens Vollnhals (Hg.): Jahre des Umbruchs. Die Friedliche Revolution in der DDR und Transition in Ostmitteleuropa, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011.

 

 

15.03.2012, 18.00 UHR, KINOSAAL

Buchpremiere

STEPHAN BICKHARDT (HG.): IN DER WAHRHEIT LEBEN. TEXTE VON UND ÜBER LUDWIG MEHLHORN

Der Bürgerrechtler, Pfarrer und Publizist Stephan Bickhardt stellte im Rahmen der Leipziger Buchmesse 2012 in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ sein Buch „In der Wahrheit leben. Texte von und über Ludwig Mehlhorn“ zusammen mit Annemarie Franke, einer Weggefährtin Ludwig Mehlhorns und Gedenkstättenleiterin der Stiftung in Kreisau, dem polnischen Botschafter in Deutschland Dr. Marek Prawda und Lutz Rathenow, dem sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen vor.

 

Dieses Buch erschien als jüngstes Band der Schriftenreihe des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Verlagsanstalt. Die Veranstaltung fand in Kooperationen mit diesen Institutionen und dem Polnischen Institut Leipzig statt. Lutz Rathenow übernahm die Moderation und führte durch die gesamte Veranstaltung.

 

Mit diesem Sammelband veröffentlichte Stephan Bickhardt über 100 Texte, darunter Essays, Vorträge, Übersetzungen von und über Ludwig Mehlhorn, eine Textauswahl, die einen Einblick in die Gedankenwelt des DDR-Oppositionellen und Bürgerrechtlers Ludwig Mehlhorn geben. Sie erzählen von seinem Engagement in der Evangelischen Studentengemeinde Freiberg und bei Aktion Sühnezeichen, von seinen Kontakten zur polnischen Opposition und seinem Wirken als Mitbegründer von „Demokratie Jetzt“. In seinen Texten berichtet Ludwig Mehlhorn von Begegnungen mit polnischen Bürgern und seinem Bestreben die deutsch-polnischen Beziehungen zu stärken.

 

Tobias Hollitzer, Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, Lutz Rathenow und Dr. Marek Prawda eröffneten jeweils mit ihren Grußworten die Veranstaltung. Dr. Marek Prawda betonte dabei vor allem die große Aufmerksamkeit, die Ludwig Mehlhorn in Polen hatte und würdigte sein unermüdliches Engagement für die deutsch-polnischen Beziehungen.

 

Im ersten Teil der Veranstaltung stellte Stephan Bickhardt sein Band kurz vor und betonte nochmals die Hingabe Ludwig Mehlhorns zum polnischen Volk und seiner Kultur, mit dem Erlernen der polnischen Sprache, Übersetzungstätigkeiten von Gedichten und Texten der polnischen Untergrundpresse und deren weiteren Verbreitung in der DDR. Der Band lässt sich neben einer kurzen biographischen Einführung in zwei Teile gliedern: Zunächst werden Texte von Ludwig Mehlhorn vorgestellt, etwa seine Einstellung zu den Versöhnungsdiensten der Aktion Sühnezeichen, seine Initiative für „Demokratie Jetzt“ im Jahr 1989, Texte zum Aufbruch in Mitteleuropa, Schriften zur Krise der ostdeutschen Gesellschaft und des Rechtsextremismus und Übersetzungen von Gedichten und literarischen Texten von C. Milosz und S. Mrożek. Der zweite Teil umfasst Beiträge von Wegbereitern, Freunden und Kollegen über Ludwig Mehlhorn (u.a. von Ilko-Sascha Kowalczuk, Gerd Poppe und Annemarie Franke) und am Ende ausgewählte Nachrufe und die Trauerrede von Dr. Rüdiger Sachau, dem Leiter der Evangelischen Akademie zu Berlin.

 

Mit dem Beginn des zweiten Teils der Veranstaltung verwies Lutz Rathenow auf die Abwesenheit von Ilko-Sascha Kowalczuk, der leider kurzfristig verhindert war und damit Ausschnitte aus seinem Text „Im Blick des Staatssicherheitsdienstes – Ludwig Mehlhorn“ nicht vorstellen konnte. Danach leitete er zu den am Podiumsgespräch teilnehmenden Autoren (Stephan Bickhardt, Dr. Marek Prawda und Annemarie Franke) über, um sie nacheinander mit ausgewählten Textpassagen zu Wort kommen zu lassen.

 

Marek Prawda wählte einen Auszug aus einem Text von Ludwig Mehlhorn „Nach 15 Jahren – was bleibt“, in dem Ludwig Mehlhorn die Zeit der oppositionellen Bewegungen in der DDR und der Solidarność miteinander vergleicht, Gemeinsamkeiten sieht und ein Fazit aus den bis 2004 anhaltenden Entwicklungen zieht, nämlich das die Erinnerungen an die große Zeit des Umbruchs und der gewaltfreien Revolution heute weitgehend verblasst ist – die Polen hätten es nicht geschafft den Sieg der Solidarność in einen gesamteuropäischen Freiheitsmythos umzuwandeln und den Deutschen sei es noch nicht gelungen ein gesamtdeutsches Geschichtsbewusstsein herzustellen. Dr. Marek Prawda betonte das es wichtig ist, die gemeinsamen Erfahrungen der Friedlichen Revolution in das europäische Gedächtnis zu bringen, als einen wichtigen Impuls für ein Gespräch darüber, warum heute Europa wichtig ist.

 

Bevor Annemarie Franke ihre Textauswahl vortrug, erwähnte sie das neben den zahlreichen Texten in diesem Band auch wichtige Illustrationen enthalten sind und verwies auf eine Postkarte die Ludwig Mehlhorn 1970 aus dem Sommerlager Aktion Sühnezeichen geschrieben hat, in der seine Sympathien für Polen gut zum Ausdruck kommen. Weiter fuhr sie fort, dass die Stiftung Kreisau für Ludwig Mehlhorn eine zentrale Bedeutung hatte, um deutsch-polnische Beziehungen aufzubauen und zu intensivieren. Im Anschluss daran las Annemarie Franke u.a. einen Ausschnitt aus einen Essay von Ludwig Mehlhorn, welches er für ein Begleitbuch über eine von ihm in den 90er Jahren mitinitiierte Ausstellung in Warschau mit den Titel „In der Wahrheit leben“ schrieb. In dem Essay fasst Ludwig Mehlhorn zusammen, was ihm wichtig ist bei der Beschäftigung mit dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten, aber auch mit dem Widerstand gegen die kommunistischen Regime und was die Menschen in jenen Zeiten verband.

 

Lutz Rathenow leitete nach dem Beitrag von Annemarie Franke zu einem Text von S. Mrożek „An den Sicherheitsdienst“, übersetzt von Ludwig Mehlhorn über, vorgetragen von Frau Surwiłło-Hahn, Leiterin des Polnischen Instituts Leipzig.

 

Auf die Frage von Stephan Bickhardt an Annemarie Franke, warum die Stiftung Kreisau so wichtig für Ludwig Mehlhorn war, fasst sie noch mal das zusammen, worin sich alle Podiumsgäste einig sind und was schon oft erwähnt wurde: Ludwig Mehlhorn bemühte sich stets mit seinen Textbeiträgen Menschen zusammenzuführen, in einen Dialog zu bringen, Beziehungen aufzubauen, Austausch zu gestalten, gesellschaftliche Konflikte zu stärken, vor allem in den deutsch-polnischen Verhältnissen und auch für eine Generation, die nicht die Erfahrung hätte in einer Diktatur zu leben.

Den emotionalen Abschluss der Veranstaltung bildete das Gedicht von C. Milosz „Von Engeln“ (übersetzt von Ludwig Mehlhorn), vorgetragen von Annemarie Franke, in der original polnischen Sprache abermals von Frau Surwiłło-Hahn.

 

Literaturhinweis:

Bickhardt, Stephan (Hg.): In der Wahrheit leben. Texte von und über Ludwig Mehlhorn, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2012.

 

 

15.03.2012, 19.00 UHR, AUSSTELLUNG

Buchvorstellung

BURKHART VEIGEL: WEGE DURCH DIE MAUER. FLUCHTHILFE ZWISCHEN OST UND WEST

Am 13. August 1961 um ein Uhr morgens schloss Walter Ulbricht die Grenze zwischen Ost- und Westberlin. Er ließ kilometerlang Stacheldraht ausrollen und trennte tausende Berliner Familien. 50 Jahre später schreibt Burkhart Veigel ein Buch über sein Leben als Fluchthelfer, aber auch über die Fluchthilfe im Allgemeinen. Es ist so lesenswert, packend und interessant, dass das Bürgerkomitee ihn zu einer Vorstellung seines Buches im Rahmen von Leipzig liest in die Runde Ecke einlud.

 

Burkhart Veigel berichtete zu Beginn der Veranstaltung über seine Motivation für das Engagement als Fluchthelfer. So ging es ihm als West-Berliner nie darum, der DDR zu Schaden, vielmehr wollte er seinen Mitmenschen helfen, die vor einem Unrechtsstaat fliehen wollten. Er sah es einfach als schlichtweg Falsch an, dass ein Staat seine Bürger gegen ihren Willen einsperrt und das freie Denken einschränkt. Deswegen, und nur deswegen, meinte er, müsse etwas getan werden.

 

Um den Ostdeutschen Kommilitonen zu helfen, schlossen sich einige Studenten der Freien Universität in West-Berlin zusammen und schafften es in den ersten Wochen nach dem Mauerbau mehrere hundert Berliner mit gefälschten Pässen beziehungsweise Pässen anderer Personen in den freien Teil der Stadt zu holen. Er hielt es für besonders erwähnenswert, dass in den ersten Wochen der Mauer alle Berliner bereitwillig ihre Pässe herausgaben, um anderen Menschen zu helfen.

 

Diesen Moment nutzte Burkhart Veigel um auf die Frage der Legalität einzugehen. Zwar war das Fälschen von Pässen eigentlich verboten, aber mit dem Einschränken der Menschenrechte durch den Staat in der DDR trat ein „übergesetzlicher“ Notstand ein, womit alle Handlung erlaubt waren, die den eingesperrten Menschen halfen. Aber generell stellten sich die Fluchthelfer auch nie die Frage der Legalität, sie hätten es auch getan, wenn es Illegal gewesen wäre, wie Veigel erzählte.

 

Diese grenzenlose Bereitschaft der ersten Stunde flaute leider mit der Zeit ab. Die Frage nach der Legalität wurde, vor allem auch von Bürgern der Bundesrepublik, immer wieder gestellt. Ein Phänomen, das bei Ausländern weniger bis gar nicht auftrat. So erzählte Burkhart Veigel auch von einem Bürgermeister aus Eupen-Malmedy in Belgien, der einen Koffer voll mit Blanko-Pässen vorbeibrachte. Von nun an konnten sie perfekte Fälschungen anfertigen, auf die auch das MfS zum Teil hineinfiel. In seiner Stasi-Akte fand Veigel sogar den Vermerk, dass es sich um besonders gute Fälschungen handele. Die Masche lief trotz Verschärfung der Kontrollen, zum Beispiel begann die Stasi die einreisenden Pässe zu markieren, ziemlich lange sicher. 1962 war leider Schluss, die Kontrollen wurden einfach zu perfekt.

 

Nun suchten sich die Studenten und Fluchthelfer neue Möglichkeiten, die Menschen über die Grenze zu holen. Einige bauten Tunnel, Andere fanden andere Möglichkeiten. Veigel berichtete als Beispiel über seine teuerste, aber vielleicht auch seine spannendste Fluchtart, nämlich mit einem umgebauten Cadillac. Anfangs sträubte er sich noch davor, ein umgebautes Auto zu benutzen, es wurden einfach zu viele geschnappt. Aber mit einem großen“ Amischlitten“ dachte er, könne es funktionieren und es funktionierte. Diese Fluchtart war jedoch sehr kostenaufwendig, da sie erst im Ruhrgebiet ein geeignetes Auto finden und eine Werkstatt sowie Mechaniker bezahlen mussten. Insgesamt dauerte es ein halbes Jahr und verschlang 50.000 Mark, bis der Cadillac einsatzbereit war. Nun fuhren damit immer verschiedene Fahrer über die Grenze und sammelten die Flüchtlinge an verabredeten Punkten in Prag oder Budapest ein.

 

Der gesteigerte Aufwand erklärt auch, warum die Fluchthelfer mit der Zeit anfingen, Geld zu nehmen, so Veigel. Am Anfang kostete eine Flucht 23 Ost-Pfennig, die S-Bahn Karte in Berlin, später mehrere tausend Mark, wie man am Cadillac sehen konnte. Dadurch wird auch gezeigt, dass der Vorwurf an die ehemaligen Fluchthelfer, sie hätten sich damit bereichert, absurd ist. Die Fluchthelfer haben oft eher noch Schulden gemacht.

 

Damit endeten seine lebhaften Erzählungen und er öffnete sich Fragen aus dem Publikum. Unter anderem wurde er gefragt, ob er noch Kontakt zu ehemaligen Flüchtlingen hätte und ob sich diese erkenntlich gezeigt hätten. Dies bejahte Veigel und erzählte von Menschen die im Moment der Flucht unglaublich ruhig waren und sich erst einige Zeit später bedanken konnten, einfach weil die Anspannung so groß war. Menschen die Jahre später zwei Geburtstage feiern: Einmal ihren Geburtstag und einmal den Tag ihrer Flucht. Das seien Momente, die ihn sehr glücklich machen.

 

Literarturhinweis:

Veigel, Burkhart: Wege durch die Mauer. Fluchthilfe und Stasi zwischen Ost und West, Edition Berliner Unterwelten, Berlin 2011.

 

 

15.03.2012, 20.00 UHR, KINOSAAL

Buchvorstellung und Diskussion

GERALD PRASCHL: ROLAND JAHN. EIN REBELL ALS BEHÖRDENCHEF

In dieser Veranstaltung wurde die Biografie des Mannes präsentiert, der heute als „Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik“ bekannt ist: Roland Jahn. Über dessen turbulentes Leben verfasste Autor Gerald Praschl, im selben Jahr in dem Jahn Bundesbeauftragter wurde, die Biografie „Roland Jahn. Ein Rebell als Behördenchef“. Verlagsinhaber und Moderator der Veranstaltung Christoph Links erklärt, dass das Buch ohne Zusammenarbeit mit dem Protagonisten entstand. Gerald Praschl, seit 1996 Chefreporter der Wochenzeitschrift Superillu, stammt aus Bayern und war somit kein Beteiligter der Friedlichen Revolution in der DDR. So sehe er die Ereignisse dieser Zeit als Journalist mit kritischem Außenblick, schaffe es aber durch Zeitzeugeninterviews, beispielsweise mit dem ebenfalls anwesenden Weggefährten Jahns, Rüdiger Rosenthal und Uwe Schwabe, trotzdem authentisch zu bleiben. Uwe Schwabe war Mitveranstalter des Straßenmusikfestivals im Juni 1989 und einer der Mitbegründer und Regionalsprecher des Neuen Forums. Er war an zahlreichen Initiativen der Leipziger Oppositionsszene beteiligt, wie der Arbeitsgruppe Umweltschutz und der Initiativgruppe Leben. Rosenthal, Journalist und DDR-Oppositioneller, emigrierte 1987 aufgrund anhaltender Repressionen seitens des Staates nach Westberlin und arbeitete dort bis 1989 unter anderem bei der Tageszeitung taz. Er erhielt den Konrad-Adenauer-Journalistenpreis und ist Pressesprecher bei Bündnis 90/Die Grünen.

 

Praschl las einen Auszug aus seinem Buch vor. Der Stil ist nüchtern journalistisch gehalten. Der zuerst vorgelesene Abschnitt handelt von dem Tag, an dem die Stasi Roland Jahn verhaftet: Am 1. September 1982 wird er in seiner Heimatstadt Jena vom Fahrrad gezerrt und in die Untersuchungshaftanstalt Gera gebracht. Ihm wird die Missachtung staatlicher Symbole vorgeworfen, doch allen ist klar, dass der wahre Grund in Jahns Engagement in der Jenaer Oppositionsbewegung liegt. Der damalige Mitstreiter Jahns, Rüdiger Rosenthal, erläutert das Besondere der Jenaer Oppositionszelle: Alles Unangepasste, wie die Junge Gemeinde, fand sich in Jena wieder, Demonstrationen und Protestaktionen mit Plakaten fanden dort schon bereits Anfang der 1980er Jahre statt. Roland Jahn erkannte früh, dass man um Einfluss zu gewinnen aus der Nische der Kirche heraustreten und in die Öffentlichkeit gehen musste.

In den Verhören verweigert Jahn jede Aussage, deshalb üben die Vernehmer immer mehr psychischen Druck auf ihn aus: Man droht, ihm seine Tochter wegzunehmen und seine Freunde ebenfalls zu verhaften. Durch verschlüsselte Zeilen in Briefen seiner Freundin Petra Falkenberg erfährt Jahn, dass die westdeutschen Medien sich seines Falles angenommen haben, sogar Amnesty International ist auf ihn aufmerksam geworden. Später wird auch Petra festgenommen und bei den Verhören psychisch zersetzt. Man stellt sie vor die Wahl: Gefängnis oder Ausreise. Schweren Herzens stimmt Petra Falkenberg einem Ausreiseantrag zu. Sie geht mit Tochter Lina nach Westberlin. Schließlich werden Roland Jahn und die Inhaftierten aus seinem Umfeld wieder freigelassen, die Westpresse hat dem Fall so viel Aufmerksamkeit geschenkt, dass die DDR um ihren Ruf fürchtet.

 

Im Juni 1983 kommt es zu neuen Schlagzeilen im Westen. Roland Jahn wird gegen seinen Willen ausgebürgert: Er wird verhaftet, gezwungen einen Ausreiseantrag zu unterschreiben und schließlich in einen Interzonenzug nach Bayern gezerrt. Dieser Vorfall verhilft ihm endgültig zur Presseprominenz in den Westdeutschen Medien. Für viele DDR-Bürger wäre ein Traum in Erfüllung gegangen, wenn man sie so schnell in den Westen entlassen hätte, Jahn jedoch wendet sich auch nach der Ausbürgerung seinem Heimatland nicht ab. Er wollte nicht abhauen, sondern das Land von innen heraus verändern. Von Westberlin aus setzt er seine Oppositionsarbeit fort. Diese wird ihm nicht immer leicht gemacht: In der westdeutschen Entspannungspolitik als kontraproduktiv betrachtet, gilt er als Außenseiter. Jahn ist sich der Macht der Medien bewusst. Besonders das Fernsehen ist dabei wichtig, da sich auch viele Ostdeutsche über die Westsender über die Ereignisse in ihrem Land informieren konnten, was beispielsweise durch Zeitungen kaum möglich war. So versuchte er als freier Journalist in westdeutschen Fernsehsendern wie dem SFB, auf die Situation in der DDR aufmerksam zu machen. Er kauft zwei Kameras, die er durch Helfer, darunter Rüdiger Rosenthal, für Aufnahmen in die DDR und zurück schleust. Es entstehen riskante Aufnahmen, die die Umweltverschmutzung im Chemiedreieck Leuna-Bitterfeld-Schkopau und später auch die Leipziger Montagsdemonstrationen dokumentieren. Für eine Sendung berichtet Uwe Schwabe vor der Kamera über die Situation in Leipzig, die Öffentlichkeit bietet ihm Schutz. Dabei spielen die Westmedien natürlich eine herausragende Rolle. Im Jahr 1989 treten nun auch die Bürger in Leipzig aus der Kirche in die Öffentlichkeit. Die Aufnahmen des 9. Oktober, dem Tag, an dem zwischen einem friedlichen oder blutigen Verlauf der Montagsdemonstrationen entschieden wurde, werden noch in derselben Nacht nach Westberlin geschmuggelt und sind am nächsten Tag in der ARD zu sehen. Die Bilder gehen um die Welt. Auch die ostdeutschen Bürger erfahren von den Vorgängen in ihrem Land. Die Aufnahmen sind also ein wichtiger Beitrag im Verlauf der Friedlichen Revolution.

 

Wie kam es nun dazu, dass Roland Jahn 2011 zum neuen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen ernannt wurde? Laut Autor Gerald Praschl ist seine Biografie entscheidend, schließlich war er einer der wichtigsten Oppositionellen der DDR. Praschl bedauert außerdem, dass Jahn auch nach 1999 einer der wenigen Enthüllungsreporter blieb, der sich mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur beschäftigte, denn auch nach der Friedliche Revolution hielten sich viele West-Journalisten für zu inkompetent, um sich mit der DDR-Geschichte zu befassen, dies sei ein Trauerzeugnis in der Geschichte des Journalismus. Mit seinem Buch geht Gerald Praschl allerdings mit gutem Beispiel voran und beweist, dass DDR-Geschichte auch von westdeutschen Journalisten kompetent verarbeitet werden kann.

 

Literaturhinweis:

Praschl, Gerald: Roland Jahn. Ein Rebell als Behördenchef, Ch. Links Verlag, Berlin 2011.

 

15.03.2012, 21.00 UHR, AUSSTELLUNG

Lesung

EVA MARIA POSTER: MEIN LEBEN SO TOT

„Opfer werden heute in eine Glasvitrine gestellt und nur zu Feiertagen herausgeholt. Doch nur 2 Prozent erhalten eine Entschädigung für Ihre Leiden.“ Dies bedauert die Autorin Eva Maria Poster, die ihren autobiographischen Roman „Mein Leben so tot“ im Rahmen von „Leipzig liest“ vorstellte. Die ehemalige DDR-Richterin, die 1977 nach Berufsverbot, Drangsalierungen und Stasi-Haft nach Westdeutschland ausgereist ist, hat in ihrer Protagonistin Lena eine Figur gefunden, die ihre Leiden in Romanform erlebt und am Ende daran zerbricht. Die Veranstaltung fand mit dem Verlag Oertel+Spörer statt.

 

Beklemmend und düster zeichnet Poster die Erlebnisse einer DDR-Richterin in den 1970er Jahren nach, die feststellt, „wenn das geltende Recht bereits Unrecht impliziert, kann es keine Gerechtigkeit geben.“ Aufgrund der Weigerung auf dieser Grundlage Recht zu sprechen und ihrer Absicht aus der DDR zu fliehen wird Lena zur Kündigung gezwungen. Die Szene, in der zwei Stasi-Männer sie zwingen ihre eigene Kündigung zu unterschreiben ist nur das Ende von Jahre währenden Schikanen, die die Protagonistin erdulden musste, weil sie sich „gegen den Alte-Männer-Sozialismus“ stellte.

 

Gleichzeitig lernt sie einen Mann kennen, einen Schweizer, der ihr schließlich helfen will, über die ungarische Grenze zu fliehen. Der Versuch endet in einem Fiasko. Sie werden erwischt, Lena muss wieder zurück in die DDR und erlebt alle Schikanen der MfS-Untersuchungshaft, die die Ich-Erzählerin eindringlich beschreibt. Das Knallen des Türschlosses, das unangenehme Abtasten des nackten Körpers, die Beobachtung beim Wasser lassen, die langen Verhöre lassen die Protagonistin verrückt werden. Immer wieder fragt sie sich, wieso sie so lange an diesem System festgehalten hat und tatsächlich dachte, sie könne wirklich Recht sprechen.

 

Eva Maria Poster selbst ist 1977 ausgereist und versucht seither, das Erlebte zu verarbeiten. „In Baden-Württemberg, wo ich heute wohne, ist das Ganze sehr weit weg, dort scheint es mir manchmal so, als hätten die Leute immer noch nicht verstanden, dass es eine Wiedervereinigung gab.“ Für Frau Poster war es nicht immer leicht, mit den Dämonen ihrer Vergangenheit umzugehen und in Westdeutschland Fuß zu fassen. Zumal sie jahrelang beim Verfassungsschutz unter Spionageverdacht gestanden habe, so die Autorin.

 

Es sei schrecklich, nach über 20 Jahren wieder in das Gebäude der „Runden Ecke“, in dem sie mehrmals verhört wurde, zu kommen und festzustellen, dass es noch genauso bedrückend sei wie damals, so Poster. Die Psychologie der Zersetzung der Stasi wirkt bei ihr bis heute nach. Deshalb sei umso zufriedener, diese Lesung geschafft zu haben und ihrer persönlichen Aufarbeitung damit ein Stück näher gekommen zu sein. „Es ist toll, dass ich heute hier sitzen kann und zu wissen: Die anderen sind nicht mehr da.“

 

Literaturhinweis:

Poster, Eva Maria: Mein Leben so tot. Eine in der DDR verfolgte Richterin erzählt, Oertel + Spörer, Reutlingen 2011.

 

 

16.03.2012, 14.00 UHR, KINOSAAL

Buchvorstellung

DANIELA MÜNKEL: DIE DDR IM BLICK DER STASI 1961. DIE GEHEIMEN BERICHTE AN DIE SED-FÜHRUNG

Die beiden BStU-Forschungsbeauftragten Roger Engelmann und Christian Adam diskutierten in dieser Nachmittagsveranstaltung unter der Moderation des Leiters der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ Tobias Hollitzer über den dritten Band der Editionsreihe zum MfS-Informationswesen (ZAIG-Berichte). Nach den Jahren 1976 und 1988 steht bei dieser Ausgabe das Jahr des Mauerbaus 1961 im Mittelpunkt. Es ist mittlerweile der dritte Band einer Reihe, die die Gedenkstätte mit dem Verlag Vandenhoeck und Ruprecht vorstellte.

 

Das zentrale Informationswesen gehe auf MfS-Minister Ernst Wollweber zurück und wurde als Folge des 17. Juni 1953 eingerichtet, so Dr. Roger Engelmann in einem kleinen Einführungsvortrag. Nach scharfer Kritik von Walter Ulbricht am Informationsdienst infolge des Ungarn-Aufstandes 1956, der, nach seiner Sichtweise, die Partei schädige und legal die Hetze der Feinde verbreite, so dass die Mitarbeiter schwankend werden müssten, wurde der zentrale Informationsdienst eingestellt und in einzelne Bereiche aufgesplittet (Informationsberichte). Mit einem Grundsatzbefehl von Erich Mielke 1960, der bis 1989 Bestand haben sollte, wurde dem Berichtswesen wieder eine größere Bedeutung zuteil. Grund war die rapide zunehmende Zahl an Republikflüchtlingen.

 

Nach der kurzen Einführung stellte Dr. Christian Adam die Datenbank mit allen editierten ZAIG-Berichten aus dem Jahr 1961 vor, die sich als digitale Version im Buch befindet und jeweils ein Jahr nach Erscheinen des Buches frei über das Internet zugänglich sein soll. Es ist mit dieser Datenbank möglich, über die Volltextsuche nach einzelnen Informationen zu recherchieren. Die Datenbank beinhaltet auch Faksimiles und Bearbeitungsvermerke. Die entsprechend des Stasiunterlagengesetzes zum Teil anonymisierten Informationen sind ausdruckbar. Dr. Christian Adam veranschaulichte die Funktionsweise der Datenbank anhand einiger Beispiele. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf die Verteilerlisten der einzelnen Berichte gelegt, die offenbaren, wer informiert gewesen ist und wer nicht.

 

Im Folgenden ging es um den Inhalt des Editionsbandes. Dr. Engelmann führte aus, dass die Berichterstattung in den frühen 1960er Jahren nicht so stark standardisiert war, wie in der sehr bürokratischen Honecker-Ära. Mit dem Mauerbau am 13.08.1961 ist in den Berichten eine Zäsur zu erkennen. Standen bis dato Berichte aus den Betrieben, Verwaltungen, der Landwirtschaft sowie über die ansteigende Republikflucht im Mittelpunkt, so ging es mit dem Mauerbau zunächst und in hoher Berichtsdichte primär um die Grenzsicherung (Aktion „Rose“). Dies ist auch der Kern der Edition. Die Berichte gingen unmittelbar nach Karlshorst, an Walter Ulbricht (über Erich Mielke) und den zentralen Einsatzstab unter Leitung von Erich Honecker (allein im Jahr 1961 insgesamt 86 Stück).

 

Die Berichte des MfS an die SED waren in Quartalsberichte (z. B. über allgemeine Entwicklungen) und Einzelberichte (z. B. über spektakuläre Fluchtversuche) geteilt. In den Anfangsjahren fanden die politischen Lagen in der DDR und in Westdeutschland Eingang in die Berichte, später wurde dies getrennt (Zuständigkeit Auslandsspionage HVA). So ging es 1961 beispielsweise auch um die Lage in West-Berlin. Informationen über Reaktionen auf den Mauerbau gelangten vor allem aus der Westberliner SPD in die DDR. Innerhalb der DDR wurde über die Stimmung in der Bevölkerung berichtet, die überwiegend, aber nicht ausschließlich positiv war. Das MfS berichtet zudem über gefälschte Ausweise bei den Passkontrollen, was dazu führte, dass dieser Aufgabenbereich 1962 an das MfS überging. Hinzu kamen Meldungen über Todesschüsse an der Mauer und Jugendproteste in der DDR an den Grenzsicherungsanlagen. Ab Oktober 1961 ist eine „Normalisierung“ der Berichterstattung zu konstatieren, d. h. es wurde auch wieder über Dinge außerhalb des Mauerbaus berichtet.

 

Engelmann verwies auf die Notwendigkeit, schutzwürdige Belange von Personen der Zeitgeschichte bei der Editierung der Berichte, zu beachten. Über 100 Personen mussten benachrichtigt werden, zum Teil waren Einwilligungserklärungen notwendig. Über diesen Weg erfolgtem wichtige Hinweise oder auch Richtigstellungen, die in die Edition einfließen konnten. Auf die Frage von Tobias Hollitzer, ob es relevante Dinge gab, die das MfS nicht in den Berichten berücksichtigte, stellte Roger Engelmann klar, dass die Stasi vielmehr die Erwartungshaltung der Partei erfüllt hat, die Kommunikation sehr einseitig war und es kaum Quellen gebe, welche die Reaktion der SED auf die Berichte zeigen. Alle Berichte mussten immer zurückgegeben werden. In seltenen Fällen finden sich handschriftliche Anmerkungen auf die MfS-Darstellungen.

 

MfS-Stimmungsberichte der Bevölkerungen stellten, so Roger Engelmann, eine „eigene Textgattung“ dar. Zunächst wurden immer die positiven Stimmungen, dann schwankende und schließlich ablehnende ausgeführt. Berichte waren vielmals an die aktuelle Parteilinie angepasst, teils im vorauseilenden Gehorsam. In der Edition wird nachgewiesen, dass das MfS zudem vielfach Berichte nicht an die SED-Führung weitergeleitet oder gefiltert hat. Es entwickelte sich in den Jahren ein ritualisiertes Berichtswesen mit zunehmenden affirmativen Relativierungen auf den verschiedenen Ebenen. Von einer schonungslosen Berichterstattung über die Lage in der DDR an die SED-Führung, wie es Erich Mielke im November 1989 vor der Volkskammer behauptete, konnte daher nicht gesprochen werden. Dies hatte die eigenartige Folge, dass auf MfS-Kreisdienststellenebene vielfach schonungsloser an die jeweiligen lokalen SED-Kreisleitungen berichtet wurde als auf zentraler Berliner Ebene. Letztlich wurde das MfS Opfer der eigenen Inszenierungen. Auch verfolgte die Stasi mit ihren Berichten eigene Ziele. So wurde zum Beispiel vielfach die Volks- oder Grenzpolizei schlecht gemacht, um sich mehr Kompetenzen zuzueignen.

 

Auf die Frage von Tobias Hollitzer, welchen Nutzen diese Edition hätte, prognostizierte Roger Engelmann eine zukünftig intensive Nutzung durch die Wissenschaft, auch mit Blick auf das folgende Online-Angebot und die in den nächsten Jahren erscheinenden Bände (1977, 1953, 1965, 1980, 1981). Die bereits erschienenen Editionen wurden sehr positiv in den Rezensionen bewertet, vor allem auch wegen ihres hohen zeitgeschichtlichen Wertes.

 

Literaturhinweis:

Münkel, Daniela (Hg.): Die DDR im Blick der Stasi 1961. Die geheimen Berichte an die SED-Führung, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2011.

 

16.03.2012, 16.00 UHR, KINOSAAL

Buchvorstellung

EDDA AHRBERG: ERIKA DREES. EIN POLITISCHER LEBENSWEG 1935-2009

„Erika Drees wäre bestimmt dagegen gewesen, dass man eine Biographie über sie schreibt,“ bemerkte die ehemalige Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Sachsen-Anhalt Edda Ahrberg, die anhand zahlreicher Quellen die Etappen des Lebens der 2009 verstorbenen Bürgerrechtlerin zusammengetragen hat. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Hasenverlag statt. Das Leben von Erika Drees, geborene von Winterfeld, das sie von Niederschlesien über Schleswig-Holstein und West-Berlin nach Dresden und schließlich in die Altmark führte, war wechselvoll und stets geprägt vom Einsatz für eine menschlichere Gesellschaft und die Verständigung zwischen Ost und West. Es sei deshalb wichtig, dieses Leben noch einmal in Erinnerung zu rufen, so die ehemalige Landesbeauftragte.

 

Edda Ahrberg geht bei ihrer Vorstellung chronologisch vor: Erika von Winterfeld wurde 1935 geboren und wuchs in Niederschlesiens auf dem Gut ihrer Eltern als zweitälteste von fünf Geschwistern auf. Der Vater fällt 1944, die Flucht im Januar 1945 vor der heranrückenden Roten Armee führte die Familie nach Schleswig-Holstein. Erika verbrachte ihre Schulzeit auf einem Internat in Wyk auf Föhr, wo viele Flüchtlingskinder aus den Ostgebieten hingeschickt werden. Dort fanden sich junge Menschen zusammen und diskutierten schon früh über die die Geschichte Deutschlands.

 

Nach ihrem Abitur 1954 studierte Erika von Winterfeld Medizin, zunächst in Kiel und West-Berlin, und engagierte sich in der evangelischen Studentengemeinde. Dort war sie Vertrauensstudentin und pflegte Kontakte zu Partnergemeinden in der DDR unter anderem nach Rostock. Die dortige Vertrauensstudentin Hildegard Becker wurde zu einer Freundin auf Lebenszeit. Der Kontakt führte aber auch im Sommer 1958 zu Erika von Winterfelds Verhaftung in West-Berlin wegen Spionageverdacht und ihre Haft in der Untersuchungshaftanstalt „Roter Ochse“ in Halle. Die Verhörprotokolle aus der Zeit sind bis heute erhalten und insofern erstaunlich, als das Erika von Winterfeld diese korrigiert hat. Sehr direkt steht sie schon in der Haft für den Erhalt des christlichen Glaubens gegen die kommunistische Diktatur aber auch gegen die „Übersättigung“ und das Abflachen des Glaubens in Westdeutschland. Auch gegen den Vorwurf, dass sie noch Besitzansprüche in Schlesien hege, wehrte sie sich erfolgreich. Frei gekommen ist sie im Februar 1959 im Zuge eines „Gefangengenaustausch“ und beendete ihr Studium in Göttingen.

 

Zu einer Zeit, als viele Ärzte aus der DDR nach Westdeutschland gingen, zog Erika von Winterfeld nach Dresden und sammelte dort erste praktische Erfahrungen in einem Krankenhaus, wo sie auch ihren späteren Mann Ludwig Drees kennen lernte. 1962 wurde sie vor die Wahl gestellt, ihren bundesdeutschen Pass abzugeben oder die DDR zu verlassen. Nach langen Überlegungen entscheidet sich Erika Drees in der DDR zu bleiben. Das Ehepaar zieht zunächst 1968 nach Bernburg und setzt sich gegen den Widerstand der Krankenhausleitung für einen menschlicheren Umgang mit psychisch kranken Menschen ein. Schließlich eskaliert der Konflikt, so dass Ludwig Drees zur Kündigung gezwungen wird und schließlich eine Stelle in Stendal aufnimmt, wohin ihm Erika Drees 1975 folgt.

 

Organisiert waren beide in einem DDR-weiten christlichen Gesprächskreis, der sich für ein christliches Zusammensein in der DDR einsetzte. Erika Drees engagiert sich unermüdlich für Abrüstung und protestierte fortwährend gegen den Bau eines Atomkraftwerkes in der Nähe von Stendal, was nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl von 1986 eine besondere Brisanz erhielt. In zahlreichen Eingaben bekennt sie sich zwar zur sozialistischen Gesellschaft, übt jedoch gleichzeitig auch scharfe Kritik. So setzt sie sich etwa Anfang der 1980er für einen sozialen Friedensdienst und gegen die Militarisierung der Gesellschaft ein. Für Erika Drees war es selbstverständlich, das, was ihr richtig schien auch zu tun ohne nach den Konsequenzen zu fragen, die es für sich und andere bringt.

 

Mit der Aufklärung sei es ihr aber nie genug gewesen, sie wollte auf Missstände aufmerksam machen, so Ahrberg. Erika Drees ärgerte auch 1990 besonders, dass Funktionäre der SED-Kreisleitung, mit denen sie sich regelmäßig herum schlagen musste, oder Angehörige der Volkspolizei nie für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen wurden und darüber reflektierten. Bezeichnend ist ihr Umgang mit den Stasi-Akten. Erika Drees ist auf jeden der Spitzel zugegangen und versuchte Wege für ein Miteinander zu finden.

 

Erika Drees blieb auch im wiedervereinigten Deutschland ein kritischer Geist. Mit dem 3. Oktober war sie nicht zufrieden, sie hätte sich eine längere Entwicklung der DDR hin zu einer menschlicheren Gesellschaft gewünscht. Zum Wiedervereinungsgottesdienst erschien sie demonstrativ in schwarz. Auch nach 1990 hörte ihr Engagement nicht auf. Erika Drees konzentrierte sich dabei auf das Recht auf Asyl und gegen den Krieg auf dem Balkan und im Irak aber auch für die friedliche Nutzung eines ehemaligen militärischen Geländes. Erika Drees geht mit ihren Aktionen dabei so weit, dass sie 1999 zu einer sechswöchigen Haftstrafe verurteilt wird. Auch als 2004 bei ihr Krebs diagnostiziert wird, bleibt Erika Drees engagiert und bis zum Sterbebett aktiv. In den zahlreichen Nachrufen auf ihre Person wurde ihr schließlich auf eine Weise gedankt, wie sie es zu Lebzeiten wahrscheinlich nie erlebt hätte.

 

 

 

16.03.2012, 18.00 UHR, KINOSAAL

Buchpremiere

DIRK VON NAYHAUß, MAGGIE RIEPL (HG.): DER DUNKLE ORT. 25 SCHICKSALE AUS DEM DDR-FRAUENGEFÄNGNIS HOHENECK

Welch großes Interesse an der Aufarbeitung der SED-Diktatur herrscht, konnte man am zweiten Messetag bei der Buchpremiere von „Der dunkle Ort“ sehen. In einem übervollen Saal präsentieren in der wohl emotionalsten Veranstaltung der Fotograf Dirk von Nayhauß und die Autorin Maggie Riepl Haftschicksale des DDR-Frauengefängnisses. Eingeladen waren mit Anita Gossler, Rosel Werl und Inge Naumann außerdem drei der portraitierten Frauen, die sehr bewegend von ihrem Schicksal erzählten. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem be.bra Verlag und der Stiftung Sächsische Gedenkstätten statt.

 

In seiner Begrüßung geht Tobias Hollitzer, der Leiter der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, auf die Bedeutung des Frauengefängnisses in Hoheneck ein und gibt damit einen Ausblick auf den zweiten Teil der Buchpräsentation, in dem der Stollberger Oberbürgermeister Marcel Schmidt, der Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten Siegfried Reiprich und die Vorsitzende des Frauenkreises der ehemaligen Hoheneckerinnen Inge Naumann unter der Moderation von Tobias Hollitzer über die angemessene Aufarbeitung der Thematik Hoheneck und die Etablierung des Ortes als Gedenkstätte diskutieren.

 

Der Ausgangspunkt für dieses Buch waren die Fragen „Wer kennt Hoheneck? Welche Frauen sind dort hingekommen? Und warum?“. Für den Titel haben sich Dirk von Nayhauß und Maggie Riepl entschieden, nicht nur weil Hoheneck mit dieser Vergangenheit ein dunkles Kapitel aufweist, sondern auch aufgrund des beklemmenden Gefühls, das den Besucher vor Ort umfängt – es ist laut Nayhauß „im ureigensten Sinn des Wortes ein dunkler Ort“.

 

Im Folgenden schildern die drei Zeitzeuginnen, die jeweils zu unterschiedlichen Zeiten in Hoheneck inhaftiert waren, eindringlich ihre Erlebnisse und Erfahrungen, die sie in dieser Haftanstalt gemacht haben. Man bekommt dadurch einen Überblick über die katastrophalen Haftbedingungen von den 50er bis in die 80er Jahre und die Einzelschicksale der Frauen.

 

Anita Gossler, die Anfang der 1950er Jahre in Hoheneck einsaß, erzählt aus jener Zeit: Es gab keine Sanitären Anlagen, die Notdurft wurde in Kübel verrichtet, morgens mussten sich drei Frauen eine Schüssel mit Wasser zum Waschen teilen. Einmal pro Woche konnte man kalt duschen. Die Bettdecken waren mit Stroh gefüllt, Heizungen gab es nicht. Die Gefangenen waren billige Arbeitskräfte: Im Drei-Schichten-Betrieb mussten die Frauen Zwangsarbeit verrichten. Anita Gosslers Tochter kam ins Kinderheim und glaubt bis heute nicht, dass ihre Mutter unschuldig im Gefängnis saß. Der Kontakt zwischen ihnen ist abgebrochen.

 

Anfang der 1980er Jahren, im Zuge der ersten Antragswelle der Ausreisewilligen, kam es zu Massenverhaftungen. Hoheneck war zeitweise dermaßen überbelegt, dass Gefangene auf dem Boden schlafen mussten. In dieser Zeit, zwischen 1980 und 1982, stellte auch Inge Naumann mit ihrem Mann insgesamt 29 Ausreiseanträge, die alle abgelehnt wurden. Schließlich erfolgte die Verhaftung und, trotz massiver gesundheitlicher Probleme, die Einweisung nach Hoheneck. Als sie nach 1,5 Jahren aufgrund ihrer schlechten Gesundheitsverfassung die Arbeit verweigert, kommt sie in die Dunkelzelle und die Tigerzelle. Im Arrest ist das Essen noch knapper und noch weniger nahrhaft, das Mittagessen wird oftmals einfach weggelassen. Im Gefängnis muss sie zeitweise als einzige politische Gefangene unter lauter Kriminellen in einer Zelle einsitzen. Dort lernte sie Menschen kennen, die es in der DDR offiziell gar nicht gab: Analphabeten, Mörderinnen und Kindsmörderinnen; laut DDR-Propaganda Ausgeburten des Kapitalismus. Inge Naumann gehörte zu den wenigen Frauen, die nicht vor Ende ihrer Haftzeit von der Bundesrepublik freigekauft wurde. Sie musste über drei Jahre in Hoheneck einsitzen.

 

Rosel Werl wird 1982 zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Sie muss in der Näherei arbeiten. Durch das Schicht-System wurde rund um die Uhr gearbeitet. Die Arbeitsnormen waren geradezu utopisch hoch und konnten so gut wie nie erreicht werden. Die Erzeugnisse wie Bettwäsche und Strumpfhosen wurden nicht in der DDR verkauft, sondern gingen in den Westen, beispielsweise an Neckermann oder Quelle. Nach einiger Zeit darf Rosel Werl den Gottesdienst im Gefängnis besuchen. Dort trifft sie andere politische Gefangene und tauscht sich mit ihnen aus. Später stellt sich heraus, dass der Pfarrer für die Staatssicherheit arbeitete und vertrauliche Nachrichten weitergab.

 

Alle drei leiden auch heute noch unter den Folgen ihrer Haft. Das Vergessen fällt ihnen schwer, da sie tagtäglich an diese Zeit erinnert werden. Sie leben in dem Bewusstsein, dass ihnen die genommene Lebenszeit nicht wiedergegeben wird und dass der Großteil der Täter von damals auch heute ungestraft in Freiheit lebt.

 

In dem Buch „Der dunkle Ort. 25 Schicksale aus dem DDR-Frauengefängnis Hoheneck“ werden 25 Schicksale von politisch inhaftierten Frauen geschildert. Sie werden mit einem stichpunktartigen Lebenslauf und Fotos von früher und heute vorgestellt. Anschließend folgen ihre persönlichen Erinnerungen an ihre Haftzeit, versehen mit Fotos und Abbildungen originaler Dokumente. Die Schicksale sind chronologisch der Haftzeit entsprechend geordnet. Letztendlich sollen sich dem Leser die 25 Einzelschicksale wie ein Mosaik zu einem Bild von Hoheneck zusammenfügen. Laut Herausgeberin Maggie Riepl versteht sich das Buch als ein Zeichen gegen das Vergessen.

 

In der folgenden Diskussion geht es um die Idee der Gedenkstätte Hoheneck. Aufgrund der Weiternutzung als Gefängnis nach 1990 bis vor einigen Jahren war lange Zeit nicht daran zu denken an diesem Ort eine Gedenkstätte zu errichten. Nachdem die Haftanstalt endgültig geschlossen wurde, wurde das Objekt an einen privaten Investor verkauft. Der erste Schritt des Gedenkens wurde vor vielen Jahren mit einer Ausstellung in der Stollberger Bibliothek durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten, die Bundesstiftung für Aufarbeitung und den Frauenkreis der ehemaligen Hoheneckerinnen realisiert. In der Diskussion schildern nun die drei Beteiligten ihre Vorstellungen wie sie sich den Umgang mit diesem Ort vorstellen. Es gibt mittlerweile konkrete Ansatzpunkte und Konzepte wie die Nutzung des Ortes aussehen soll. So soll der Eingangsbereich der ehemaligen Haftanstalt als Gedenkstätte hergerichtet werden und der Zellentrakt als solcher zur Besichtigung freigegeben werden.

 

Ein wichtiges Ziel dieser Gedenkstätte soll es sein ein europaweites Verständnis für die Schicksale der in Hoheneck inhaftierten Frauen zu erzeugen. Dafür müssen die Gemeinde, die Stiftung Sächsische Gedenkstätten, der Frauenkreis und der Investor gemeinsam agieren um ein entsprechendes Konzept zu realisieren.

 

Literaturhinweis:

Dirk von Nayhauß, Maggie Riepl (Hg.): Der dunkle Ort. 25 Schicksale aus dem DDR-Frauengefängnis Hoheneck, Be.bra Verlag, Berlin 2012.

 

 

16.03.2012, 19.00 UHR, AUSSTELLUNG

Buchvorstellung

PETER ERLER, TOBIAS VOIGT: MEDIZIN HINTER GITTERN

Besonderer Andrang herrschte in der Dauerausstellung bei der Vorstellung eines Buches über das Haftkrankenhaus (HKH) Hohenschönhausen mit dem Autor Tobias Voigt, moderiert von Hubertus Knabe, dem Leiter der Gedenkstätte Stiftung Berlin-Hohenschönhausen, die zusammen mit dem Jaron Verlag Kooperationspartner des Bürgerkomitees waren. Das Thema Medizin und Staatssicherheit galt bisher als ein Forschungsdesiderat, weshalb „Medizin hinter Gittern“ eine erste thematische Abhandlung darstellt.

 

Das HKH war seit seiner Gründung 1960 ein spezielles „Krankengefängnis“ für MfS-Untersuchungshäftlinge, das Personal bestand aus Wachsoldaten, es gab wenige Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger waren speziell ausgewählt. Patienten wurden mit Nummern angeredet, Personal und Ärzte waren namenlos, es durfte nicht mit den Kranken gesprochen werden, so Tobias Voigt einleitend. Es wurden keine Informationen über die Medikation oder Behandlung gegeben. Insgesamt „behandelte“ das MfS in Berlin 3.000 Patienten stationär und 13.000 ambulant. Einer der letzten Patienten war im Dezember 1989 Stasi-Minister Erich Mielke.

 

Für die Stasi war, so Tobias Voigt, die Krankheit eines Inhaftierten ein „Störfall“, der die Vernehmungen behinderte. Das HKH Hohenschönhausen wurde geschaffen, damit derartige „Störfälle“ – zumeist politische Gefangene – unter Wahrung der Geheimhaltung „behandelt“ werden konnten. „Behandlung“ bedeutete die Herrichtung für weitere Vernehmungen oder für den Prozess. Die weitere gesundheitliche Entwicklung nach dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens war der Stasi egal, gab es doch noch die Haftkrankenhäuser des Innenministeriums, die sich nach Verurteilung weiter kümmern konnten. Vernehmungen fanden sogar am Krankenbett statt.

 

Brigitte Bielke, eine anwesende Zeitzeugin, berichtete über ihren Aufenthalt im HKH 1988. Infolge eines Kniescheibenbruches wurde sie vom „Roten Ochsen“ in Halle nach Berlin gebracht, ohne dass sie genau wusste, wo sie sich befand. Sie zweifelt bis heute an der Kompetenz des Personals, fühlte sich in Folge der stetigen Überwachung bis in die Intimsphäre erniedrigt und kam sich wie ein „Tier in einer Tierklinik“ vor. Sie durfte keine Besuche empfangen und hatte keinen Kontakt zu Angehörigen. Die häufige Einzelhaft („es herrschte Totenstille“) führte bei ihr zu Halluzinationen. Über ihren Krankheitszustand und die genauen Behandlungen wurde sie nicht informiert. Empathie oder Eingehen auf die Bedürfnisse des Patienten gab es nicht – einzige Bezugsperson sollte der Vernehmungsoffizier sein, kein Arzt, keine Krankschwester. Die Zimmer waren etwas größer als eine normale Zelle, die Fenster bestanden aus den auch in der Zelle üblichen Glasbausteinen.

 

Laut Tobias Voigt habe die Stasi die Problematik kranker Untersuchungshäftlinge völlig unterschätzt, die sie letztendlich durch schlechte Haftbedingungen, Isolation, die mäßige Ernährung, wenig Freigang und ständige Verhöre selbst produzierte. Hinzu kamen Hungerstreikende und Suizidversuche von Gefangenen. Voigt konnte bei seinen Recherchen keine Hinweise darauf finden, dass die Ärzte eine Besserung der Haftbedingungen angeregt hätten. Der hippokratische Eid verkam zur bloßen Floskel. Haftpsychosen, deren Existenz der MfS-Psychologe Horst Böttger nach 1990 bestätigt hatte, tauchten in den Akten kaum auf. Hubertus Knabe fasste diese Situation treffend zusammen: „krank machen, gesund machen, um sie wieder krank zu machen“. Zu den üblichen Mitteln gehörten medikamentöse Sedierungen, um die Beschuldigten verhandlungsfähig zu machen. Nicht selten waren MfS-Krankenschwestern bei den Verhandlungen anwesend, wenn der Beschuldigte gesundheitlich stark angegriffen war. In der Stasiakte von Brigitte Bielke fanden sich indessen nur sehr knappe Vermerke über den Gesundheitszustand. Dies bestätigte auch Tobias Voigt, der ebenfalls kaum derartige Hinweise in den Akten fand. Er erklärt dies mit dem engen Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und MfS. Viele Dinge wurden mündlich geregelt und fanden so keinen Eingang in die Unterlagen. Etwa ein Drittel der Insassen des HKH waren Zelleninformanten, so Tobias Voigt.

 

Der bis heute unzureichende Forschungsstand führte letztlich dazu, so Tobias Voigt, dass Ermittlungen gegen MfS-Ärzte und Personal im Sande verliefen, da den Richtern die genauen Verflechtungen und Strukturen nicht bekannt waren. Eine Bewertung der individuellen Schuld konnte so nicht nachgewiesen werden, wie zum Beispiel ein gezielter Einsatz von Psychopharmaka. Alle Ärzte haben nach 1989 weiter als Ärzte praktiziert. Hubertus Knabe betonte am Ende der Veranstaltung, dass die Forschungen zum Medizinapparat des MfS, wozu auch der Zentrale Medizinische Dienst zählt, der für alle Angehörigen des MfS zuständig war, erst am Anfang stehen. Die Quellenlage sei sehr schwierig und sie stellt ein großes Puzzle dar, welches erst durch Zeitzeugen dechiffriert werden könnte, so Tobias Voigt. Das Buch sei ein erster Anfang, um diese Forschungslücken zu schließen.

 

Literaturhinweis:

Voigt, Tobias, Erler, Peter: Medizin hinter Gittern. Das Stasi-Haftkrankenhaus in Berlin Hohenschönhausen, Jaron Verlag, Berlin 2011.

 

 

16.03.2012, 20.00 UHR, KINOSAAL

Buchpremiere

DIRK LAABS, DER DEUTSCHE GOLDRAUSCH

Es ist der Vorabend des 40. Jahrestags der DDR, als in einem Babelsberger Garten verschiedene Intellektuelle ein Papier erarbeiten, das den Verlauf der nächsten Jahre genauestens voraus sagt. Die DDR Wirtschaft wird zusammenbrechen, die „D-Mark Armee“ wird über das Land hereinbrechen und die Kontrolle des Land übernehmen. In den folgenden Wochen ersinnen sie einen Plan, wie sie das Volkseigentum retten können. Es soll eine Treuhandgesellschaft gegründet werden, um die DDR vor dem Ausverkauf zu retten. Zumindest hofften sie das.

 

So beginnt Dirk Laabs Buch „Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand“, das die Gedenkstätte in Kooperation mit dem Pantheon Verlag und dem MDR-Nachrichtenmagazin Exakt und MDR info vorstellte. Das Buch, das laut MDR-Moderatorin Annett Glatz Wirtschaftsthriller und Geschichtsbuch in einem ist, behandelt ein Thema, das noch heute viele Ostdeutsche bewegt. Also lud das Bürgerkomitee in Zusammenarbeit mit MDR Exakt Dirk Laabs zu einer Podiumsdiskussion mit Detlef Scheunert, einem ehemaligen Direktor der Treuhand und dem Journalisten und Fachmann für DDR-Fragen Uwe Müller ein. Annett Glatz vom MDR übernahm die Moderation.

 

Detlef Scheunert war der einzige Ostdeutsche im Vorstand der Treuhand, wechselte aber nach deren Ende sehr schnell in die westdeutsche Wirtschaft. Dementsprechend fragte sich Frau Glatz, ob er selber von den Vorgängen schockiert gewesen sei? Dies lag vor allem daran, dass er 1989 von der allgemeinen Euphorie erfasst wurde, die im ganzen Land herrschte, endlich bewegte sich etwas. 1994 war er aber ausgebrannt und musste erst einmal Abstand nehmen, so Scheunert. Vor allem die Machtlosigkeit habe ihm schwer zugesetzt.

 

Frau Glatz stellte fest, dass die Idee einer Anstalt, die den ostdeutschen Besitz verwaltet für die Bürger zwar sicher ganz gut sei, jedoch die Frage nach dem Wert der Ostwirtschaft aufwerfe und in wie weit das im Westen bewusst gewesen ist?

 

Anfangs ging Rohwedder, der der erste Direktor der Treuhand war, von 600 Milliarden Mark aus, so Uwe Müller. Es handelte sich aber um einen Brutto-Wert, deswegen herrschte in der Bevölkerung ein hohes Maß an Erwartung. Von diesem Wert hatte sich Rohwedder zu Lebzeiten jedoch noch distanziert, wie Dirk Laabs anmerkte. Überhaupt müsse allen Beteiligten klar gewesen sein, dass die DDR Wirtschaft marode war und dementsprechend nichts wert, wie Detlef Scheunert meinte. Das sah man schon an der Umweltverschmutzung, aber die Wiedervereinigung wurde ja auch nicht unter wirtschaftlichen Aspekten durchgeführt.

 

Aus Laabs Sicht war Thilo Sarrazin eine ganz entscheidende Persönlichkeit der Wiedervereinigung. Er hatte den wirtschaftlichen Wert der DDR ganz rational durchgerechnet, und wie viel die Bundesrepublik bezahlen müsse, aber er erkannte auch, dass sie mit der Einführung der D-Mark in Ostdeutschland die DDR in der Hand haben würden, da die DDR auch gleichzeitig das Wirtschaftssystem übernehmen müsste. Damit erst begannen die gesamten Verfehlungen, meinte Laabs. Sarrazins zentrale Erkenntnisse waren also, dass sie zum einen die DDR mit der D-Mark in der Hand hatten, aber zum anderen auch ein vollkommen funktionsloses Steuersystem, also wollte er ein Faustpfand haben. Das waren die Volkseigenen Betriebe, als Bindeglied sollte die Treuehand fungieren.

 

Ein weiteres Problem war, dass die westdeutschen Unternehmen noch vor der Gründung der Treuhand und der Schaffung von Gesetzten begannen, ostdeutsche Betriebe und Unternehmen aufzukaufen. Ein Beispiel hierfür ist die Allianz Versicherung, die bereits drei Tage nach dem Mauerfall damit begann, die staatliche Versicherung der DDR aufzukaufen, so Laabs.

 

Diese, aber auch andere Faktoren, wie die Intransparenz der Treuhand, waren Gründe für eine tiefe psychologische Verletzung der Ostdeutschen, die man noch bis heute spüren kann. Insgesamt kam bei den Ostdeutschen das Gefühl auf, dass ihr Leben nichts wert gewesen sei und dass sie vom Westen über den Tisch gezogen wurden. Diese negativen Aspekte waren für Dirk Laabs und Uwe Müller klare Zeichen dafür, dass sich die Bundesrepublik bei der Wiedervereinigung nicht von ihrer besten Seite gezeigt hat. Detlef Scheunert jedoch sieht die Treuhand als alternativlos an, was die anderen Podiumsteilnehmer auch schlussendlich bestätigen mussten.

 

Literaturhinweis:

Laabs, Dirk: Der deutsche Goldrausch. Die wahre Geschichte der Treuhand, Pantheon Verlag, München 2012.

 

 

16.03.2012, 21.00 UHR, AUSSTELLUNG

Lesung

ANDRÉ KUBICZEK: DER GENOSSE, DIE PRINZESSIN UND IHR LIEBER HERR SOHN

Ein Junge deutsch-laotischer Eltern wächst zu DDR-Zeiten in einer Potsdamer Neubausiedlung auf. In seinem autobiografisch geprägten Roman „Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn“ erzählt André Kubiczek die Geschichte einer exotischen Familie in einem Land, das alles andere als exotisch sein wollte. Kubiczek selbst wurde 1969 als Sohn eines deutschen Vaters und einer laotischen Mutter in Potsdam geboren. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Berlin. In Kooperation mit dem Piper Verlag stellte das Bürgerkomitee Kubiczeks Neuerscheinung vor.

 

Die Handlung des Buches umfasst einen Zeitraum von 1961 bis 2007. Der erste Teil der Lesung spielt in Vientiane, der Hauptstadt von Laos. Der Protagonist kommt mit dem Flugzeug an und betritt zum ersten Mal den Boden der Heimat seiner Mutter. Mit dem Taxi fährt er ins Stadtzentrum zu seinem Hotel. Kubiczek schildert eindrücklich die Impressionen des fernen Landes: „Wir fuhren mit vierzig durch die dunklen Straßen, der Fahrtwind trocknete mir den Schweiß im Gesicht. In den Häusern brannten, wenn sie überhaupt beleuchtet waren, wattschwache Energiesparlampen, die Bebauung wurde immer dichter, je länger wir fuhren. In Zentrumsnähe wurden die Häuser höher, plötzlich gab es Neubauten und warm beleuchtete Restaurants. Menschen liefen auf den Bürgersteigen, und Schwärme von Mopedfahrern kamen uns entgegen, japanische Autos und dreirädrige Tuk-Tuks.“

 

Der zweite Abschnitt spielt im Jahr 1978, die Hauptperson ist neun Jahre alt und wohnt in einem Potsdamer Neubaugebiet. Der Junge wartet, in viel zu warmen Sonntagsklamotten schwitzend, am Auto auf seine Eltern und die Großmutter. Zusammen wollen sie ins Krankenhaus fahren, sein Bruder liegt im Koma. Das Angebot eines Nachbarjungen mit den anderen Kindern dem Tod des tollwütigen Hundes, der seit geraumer Zeit durch die Gegend streunte, auf den Grund zu gehen, muss er widerwillig ablehnen. Er lässt die kindlichen Gedanken schweifen. Wahrscheinlich hatten die Kinder aus seiner Nachbarschaft gerade jetzt den toten Hund aufgesammelt und schleppten diesen gerade durch die Siedlung bis zur Wohnung des ABV (Abschnittsbevollmächtiger). „Der ABV, so stellte ich mir vor, nur mit Unterhemd und Trainingshose bekleidet, eventuell sogar eine Flasche Bier in der Faust, starrte nun abwechselnd auf jenes Fellbündel, das auf seinem Fußabtreter lag, und dann wieder auf die durcheinander plappernden Kinder, (…) und die der riesigen karierten Männertaschentücher wegen, die sie sich aus Seuchenschutzgründen vor die Gesichter gebunden hatten, ein bisschen aussahen wie eine Bande DEFA-Cowboys in der staubigen jugoslawischen Pampa.“

 

Abschließend liest André Kubiczek den Beginn der Liebesgeschichte zwischen dem „Genossen“ und der „Prinzessin“ vor: Der Vater lebt in Moskau und studiert dort an einer Diplomatenschule mit Mitschülern aus dem gesamten sozialistischen Ausland. Eines Tages nimmt er dort an einer von laotischen Studenten ausgerichteten Neujahrsfeier teil. Bei einer traditionellen Tanzaufführung fällt ihm sofort eine der Tänzerinnen ins Auge: „Wie Schlangen, dachte der junge Mann, der neben seinen Freunden in der letzten Reihe stand, so sahen diese Arme mit den beweglichen Fingern aus. Seine Augen hatten sich geradezu festgebissen an jener Tänzerin, die sich einen halben Schritt vor den anderen bewegte und die noch einen Hauch schmaler schien als ihre Kolleginnen.“ Wie sich herausstellt handelt es sich um die jüngere Schwester einer Kommilitonin. Er lässt sich mit ihr bekanntmachen und überredet das Mädchen namens Tèo, das dem jungen Deutschen zunächst sehr abgeneigt scheint, zu einem Drink. Aus dieser schicksalhaften ersten Begegnung folgt schließlich die Heirat, der Umzug in die DDR und Geburt der Kinder, die eine ganz normale DDR-Kindheit verleben, bis der Erzähler schließlich Jahrzehnte später auf den Spuren seiner Vorfahren in das Heimatland seiner Mutter reist.

 

Literaturhinweis:

Kubiczek, André: Der Genosse, die Prinzessin und ihr lieber Herr Sohn, Piper, München 2012.

 

 

17.03.2012, 11.00 UHR, KINOSAAL

Buchpremiere

JÖRG BABEROWSKI: VERBRANNTE ERDE. STALINS HERRSCHAFT DER GEWALT

Am Samstagmorgen war Jörg Baberowski, Lehrstuhlinhaber für die Geschichte Osteuropas an der Humboldt Universität zu Berlin und frisch gebackener Träger des Preises der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch, in der Gedenkstätte zur Vorstellung seines neuen Buches zu Gast. Neben der Lesung einiger Passagen aus dem aktuellen Werk stellte er sich den Fragen von Helmuth Frauendorfer, stellvertretender Direktor der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen und der zahlreich anwesenden Zuhörer. Die Veranstaltung war eine Kooperation mit dem Ch. Beck Verlag.

 

Helmuth Frauendorfer stieg mit der Frage ein, warum sich Jörg Baberowski so intensiv mit dem Thema Russland beschäftigt. Baberowski erläuterte, dass an seiner Universität in Göttingen während seiner Ausbildungszeit der Lehrstuhl für die Geschichte Osteuropas neu eingerichtet wurde und ihn das Thema sofort faszinierte sowie für ihn letztendlich „Selbstläufer“ wurde. So verwundert es nicht, dass er bereits in seiner Magisterarbeit sich mit dem zaristischen Russland beschäftigte und bis zu seiner Habilitation und der heutigen Forschungsarbeit dem Thema Russland/Sowjetunion treu blieb. Jörg Baberowski recherchierte monatelang in russischen Archiven vor allem zur stalinistischen Gewaltherrschaft. Ein Ergebnis dieser Recherchen war sein erstes großes Standardwerk „Der Rote Terror. Die Geschichte des Stalinismus“ von 2003. Für eine englischsprachige Neuauflage wollte er dieses im Jahr 2009 unter Einbeziehung des aktuellen Forschungsstandes überarbeiten. Doch es blieb nicht bei einer bloßen Aktualisierung. Jörg Baberowski konnte sich mit seinen damaligen von Zygmunt Baumann abgeleiteten Thesen zur Erklärung der stalinistischen Gewaltexzesse (Streben nach Eindeutigkeit, die Überwindung von Ambivalenz, die Ordnungswut des modernen Gärtnerstaates) nicht mehr identifizieren, da er infolge intensiver Quellenarbeit seinen Blickwinkel nach fast zehn Jahren geändert hatte. Stalin war für ihn nun eindeutiger Urheber und Regisseur des millionenfachen Massenmordes; das kommunistische Experiment schrieb diesen Weg aber nicht vor. So entstand schließlich ein komplett neues Buch über Stalins Gewaltherrschaft.

 

Nach umfangreichem Lob von Helmuth Frauendorfer, der sich in den „Sog der Sätze“ begab und diese „gewaltige Erzählung“ als sprachliches Meisterwerk identifizierte, dem man anmerke, dass der Autor die Geschichte verinnerlicht hat und „die Sätze aus der Geschichte entstehen und nicht, wie so oft, umgekehrt“, beantwortete Jörg Baberowski die Frage, wie es ist, sich mit so einem grausamen und blutigen Thema so intensiv zu beschäftigen. Es sei „sehr schwierig und eine Qual“, er mache es nicht gerne und hätte auch des Öfteren schlaflose Nächte gehabt, so Baberowski. „Doch einer müsse es ja machen, die Geschichten hinter toten Statistiken erzählen.“ Jörg Baberowski beschäftige sich außerhalb der Forschung nicht mit dem Thema, da man nur mit einer klaren Trennung Abstand zu den grausamen Einblicken gewinnen könne.

 

Mit einer Lesung aus seiner Einleitung verdeutlichte Baberowski noch einmal das Ansinnen des neuen Buches und die besondere Herausarbeitung des Themas „Gewalt“, das „Lebenselixier der Skrupellosen“. Der Standeskodex Stalins und seiner Mitstreiter „ähnelte dem der Mafia“, das „Spiel mit dem Tod war Teil seiner Machtstrategie“.

 

Auf die Frage von Helmuth Frauendorfer, wie er an die Details für sein Buch gekommen ist, verweist Jörg Baberowski auf seine intensive Archivarbeit. Neben den Befehlen Stalins, über dessen Schreibtisch unzählige Todesurteile gingen, sind besonders die Papiere seiner Gefolgsleute interessant, um zu bewerten, wie die Befehle ausgeführt wurden und um nachzuweisen, dass die regionalen Machthaber im vorauseilendem Gehorsam sich in Terrormaßnahmen gegen die Bevölkerung gegenseitig überboten, um nicht selbst ins Fadenkreuze zu geraten. Eine Befragung Stalins über seine brutalen Herrschaftsmittel – wenn er denn als Zeitzeuge zur Verfügung stünde – hätte, so Jörg Baberowski, nichts gebracht, da er ein genialer Manipulator und Schmeichler war.

 

Stalins Gewaltherrschaft kann nicht durch die sozialistische Ideologie erklärt werden, auch wenn sie die Basis darstellte. Dies belegt die sofortige Eindämmung der Gewalt nach Stalins Tod 1953. Die Diktatur konnte auch ohne Massenterror funktionieren. So wurde in der Bevölkerung die gesellschaftliche Entwicklung nach Stalin überwiegend positiv aufgenommen, die Eliten vernichteten sich nicht mehr gegenseitig. An die Stelle der Tötung politisch Diskreditierter trat deren Ruhestand. Der Geheimdienst sollte nach Stalins Tod ziviler auftreten und nicht mehr selbst richten. Diese Aufgabe sollte nun den Gerichten zustehen. Die Bevölkerung gehorchte, auch ohne Terror, nachdem die Phase zwischen 1914 und 1953 von den Menschen als Dauerkrieg wahrgenommen wurde, wie es Jörg Baberowski infolge seiner Recherchen eruierte.

 

Stalin folgte der Selbstverständlichkeit, dass Ziele nur mit Gewalt umzusetzen seien. Wer an diesem System zweifelte, wurde von ihm beseitigt. Dies hatte zur Folge, dass Stalins Gefolgsleute von Tätern selbst zu Opfer wurden, wenn sie sich an den Mordtaten nicht beteiligten („Beförderung oder Sarg“). Helmuth Frauendorfer brachte ein, dass sich die Gefolgsleute Stalins selbst demütigten, indem sie zum Beispiel Angehörige opferten, um sich Stalin zu unterwerfen. Die Dynamik der Gewalt, die durch zahlreiche Säuberungsaktionen fast auch die Kommunistische Partei selbst zerstört hätte, so der Buchpreisträger, kann daher nicht bloß durch die Ideologie erklärt werden. Jörg Baberowski betonte aber, dass das stalinistische System besonders gut für kriegerische Auseinandersetzungen geeignet gewesen sei. Die Frage von Helmut Frauendorfer, warum es genügend Leute gab, die Stalin gelobpreist haben, beantwortet Baberowski mit der Feststellung, Stalin sei ein Psychopath gewesen, der unglaublich charmant sein und andere Leute, wie zum Beispiel der Schriftsteller Lion Feuchtwanger, einnehmen konnte. Linke und Emigranten, die aus Hitler-Deutschland geflohen waren, hätten Kritik an Stalin zudem als Rechfertigung der Nazis verstanden. Am Ende habe sich die Gefolgschaft Stalins selbst isoliert und in einer eigenen, sich selbst rechtfertigenden Welt gelebt ohne den genauen Sinn der Gewaltexzesse erklären zu können.

 

Auf die Publikumsfrage, ob es mit dem neuen Buch einen neuen Historikerstreit geben könnte, antwortete Jörg Baberowski mit einem klaren Nein. In den letzten 15 Jahren hätten sich die Perspektiven geändert. Mit dem Verständnis der kommunistischen Gewaltherrschaft könne man auch das NS-System besser verstehen. Heute dürfe man vergleichen, das Eine im Licht des Anderen sehen. Erst dann erkenne man die Einzigartigkeit dieser Systeme. Es gibt mit der EU-Osterweiterung zudem viele Staaten mit doppelter Diktaturerfahrung und für die historische Forschung seien derartige Systemvergleiche mittlerweile völlig normal, so der Osteuropaexperte. Eine gewisse heute in Russland anzutreffende Renaissance des Stalinkultes erklärt sich vielmehr aus der imperialen Vergangenheit der ehemaligen Sowjetunion und die positiven Erfahrungen des Sieges über Hitlerdeutschland. Es gebe jedoch keine Verherrlichung der stalinistischen Gewalt in Russland, betonte Jörg Baberowski abschließend.

 

Literaturhinweis:

Baberowski, Jörg: Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt, C.H. Beck, München 2012.

 

 

17.03.2012, 14.00 UHR, KINOSAAL

Buchvorstellung

ANDREAS H. APELT; ROBERT GRÜNBAUM, MARTIN GUTZEIT (HG.): VON DER SED-DIKTATUR ZUM RECHTSSTAAT. DER UMGANG MIT RECHT UND JUSTIZ IN DER SBZ/DDR

„Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat“. Mit diesem Eingangszitat, das der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley zugeschrieben wird, führte Tobias Hollitzer in die Diskussion über das Thema juristische Aufarbeitung der SED-Diktatur ein. In Anlehnung an den Tagungsband diskutierten Mitherausgeber Andreas H. Apelt sowie Bernhard Jahntz, Jurist und ehemaliger Oberstaatsanwalt im Prozess gegen Egon Krenz, über die Hintergründe der Prozesse gegen SED-Funktions- und Amtsträger. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft e.V. und dem Metropollverlag statt.

 

Andreas H. Apelt beginnt mit der Frage, ob die DDR ein Rechtsstaat war. Diese sei schwer zu beantworten, da es in der DDR auch nach bundesdeutschen Kriterien nicht anfechtbare Urteile gab. Er findet die Bezeichnung Diktatur für die DDR passender als die Deklaration als Unrechtsstaat. Es sei zudem sehr schwer, mit rechtsstaatlichen Mitteln eine Diktatur juristisch aufzuarbeiten, so Apelt weiter. Dies liege vor allem am im Einigungsvertrag nochmals unterstrichenen Rückwirkungsverbot.

 

Die juristische Aufarbeitung unterlag der zweifachen rechtlichen Bewertung. Es musste die Strafbarkeit nach dem Recht der DDR und dem der Bundesrepublik gleichermaßen nachgewiesen werden, dabei kam immer das mildere Recht zur Anwendung. Systembedingtes Unrecht blieb daher faktisch straffrei. Insgesamt wurden 75.000 Verfahren wegen des Verdachtes von Straftaten gegen DDR-Funktions- und Amtsträger eingeleitet, wovon letztlich nur 753 zu einer Verurteilung führten, zumeist wegen Rechtsbeugung und Gewalttaten an der Grenze. Neben der strafrechtlichen Verfolgung wurde den Opfern die Möglichkeit der Rehabilitierung gegeben, die Haftentschädigungen und Opferrenten zur Folge haben konnten.

 

Nach der allgemeinen Einführung vertiefte der Oberstaatsanwalt a. D., Bernhard Jahntz, das Thema in einem Vortrag. Für die Strafjustiz, so betonte Jahntz, sei die Frage ob Rechts- oder Unrechtsstaat irrelevant. Es zähle nur die individuell nachweisbare Schuld. Damit saß nicht die DDR auf der Anklagebank, wie aus einschlägigen Kreisen immer wieder vorgebracht wurde. Bereits im Dezember 1989 nahm die DDR-Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen gegen DDR-Staatsfunktionäre auf, die Staatsanwalt Jahntz später „erbte“. Spätestens mit den Volkskammerwahlen im März 1990 war eine allgemeine Amnestie – die auch diskutiert wurde – nicht mehr durchsetzbar. Jedoch betonte Bernhard Jahntz, nachdem er die schwerpunktmäßigen Ermittlungsfelder aufgezählt hatte, sei nicht alles, was nicht rechtens war, strafrechtlich zu fassen. Der bundesdeutsche Rechtsstaat hätte nur sehr begrenzt die Möglichkeit, Systemunrecht einer Diktatur strafrechtlich aufzuarbeiten.

 

Neben der grundsätzlichen rechtlichen Bewertung spielte bei Verfahren gegen hochrangige DDR-Funktionäre auch das Thema Verhandlungs- bzw. Strafunfähigkeit eine zentrale Rolle. Dies müsse der Rechtsstaat ebenfalls hinnehmen, auch wenn die langjährige Erfahrung Bernhard Jahntz in einigen Fällen zweifeln ließ. So nahm er 1988 an ein einem NS-Verfahren teil, bei dem der Angeklagte faktisch mit dem Sterbebett in den Gerichtssaal getragen wurde, da ihm Prozessfähigkeit attestiert worden war. Laut Gutachten galt hingegen Erich Honecker als verhandlungsunfähig, obwohl er erst 1994 gestorben ist. Die Einstellung des Verfahrens gegen Honecker bezeichnete Jahntz als politische Justiz und Rechtsbeugung. Der hierfür verantwortlich zeichnende Berliner Verfassungsgerichtshof, der bereits im Vorfeld auf Einstellung der Verfahren gegen die SED-Elite gepocht hatte, maßte sich diese Entscheidung an, obwohl er gar nicht zuständig gewesen war. Der BGH verhielt sich ebenfalls sehr zurückhaltend. So wurden Urteile gegen Mauerschützen kassiert, da das Gericht bereits präventiv vermeiden wollte, dass einfache Befehlsempfänger härter verurteilt werden als die eigentlich verantwortlichen SED-Funktionäre. Pikant dabei war, dass damit auch das Strafmaß jener verantwortlichen Funktionäre gedrückt wurde, deren Prozesse nur wenige Tage später folgten.

 

Es könne daher, so Bernhard Jahntz eindrücklich, nicht von einer Siegerjustiz gesprochen werden, da das bundesdeutsche Strafrecht nur sehr begrenzt auf das SED-Unrecht reagieren konnte und Handlungsspielräume selten ausgeschöpft wurden. Es hätte jedoch keine strafrechtliche Alternative gegeben (Rückwirkungsverbot, individueller Schuldnachweis). Bernhard Jahntz zeigte sich allerdings auch verwundert, dass seitens der Opfer des SED-Unrechts kaum Proteste hervorgebracht wurden, was sicherlich die „Zurückhaltung“ einiger Gerichte konterkariert hätte. Aufgrund der Verjährungsfristen obliegt es nun der Geschichtswissenschaft, die SED-Diktatur und deren juristische Aufarbeitung zu untersuchen und zu bewerten. Bis auf Tötungsverbrechen ist die Justiz von dieser Aufgabe entbunden.

 

Literaturhinweis:

Apelt, Andreas H., Grünbaum, Robert, Gutzeit, Martin (Hg.): Von der SED-Diktatur zum Rechtsstaat : der Umgang mit Recht und Justiz in der SBZ/DDR, Metropol, Berlin 2012.

 

17.03.2012, 16.00 UHR, KINOSAAL

Buchpremiere

UDO SCHEER: DIE SONNE HAT VIER ECKEN. BIOGRAFIE ÜBER GÜNTER ULLMANN

Im Jahr 2009 verstarb der bekannte ostdeutsche Lyriker und Künstler Günter Ullmann. Eine wichtige oppositionelle Persönlichkeit in der DDR, die nie ein politischer Mensch sein wollte, aber vom Staat dazu gemacht wurde. Udo Scheer, Autor und Freund Günter Ullmanns, verfasste nun mit dem Buch die „Die Sonne hat vier Ecken“ eine Biografie über ihn. Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ präsentierte die Neuerscheinung in Kooperation mit dem Mitteldeutschen Verlag und der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung.

 

In seinen einleitenden Worten hebt Herr Fricke vom Mitteldeutschen Verlag die Wichtigkeit hervor bestimmte Teile der Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Obwohl es sich bei dem Buch „Die Sonne hat vier Ecken“ um eine Biografie handelt, lese es sich wie ein Roman und ziehe so seine Leser in den Bann.

 

Der erste Teil der Veranstaltung bildete die Präsentation des Buches durch den Autor Udo Scheer und Utz Rachowski, ebenfalls Schriftsteller, Freund Ullmanns und Verfasser des Nachwortes für diese Biografie. Anschließend sprachen Udo Scheer, Utz, Rachowski und Lutz Rathenow, Lyriker und sächsischer Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen, unter der Moderation des Schriftstellers Udo Vaatz über die Bedeutung Günter Ullmanns als Person.

 

Kennen gelernt haben sich Udo Scheer und Günter Ullmann 1990 in Flotow auf einem ostdeutschen Autorentreffen für Schriftsteller, die in der DDR nicht veröffentlichen durften oder ausgebürgert wurden. Udo Scheer schildert in dieser Biografie wie Ullmann durch den Staat zu einem politischen Menschen gemacht wurde, der er nie sein wollte, wie er Kontakt zu anderen Schriftstellern in der DDR knüpfte, wie von Menschen, denen er vertraut hat, verraten und hintergangen wurde, wie er in den Zersetzungsapparat der Stasi geriet, der ihn in eine innere Isolation brachte, aus der er sich nie wieder vollständig befreien konnte.

 

Während der Buchpräsentation tragen Udo Scheer und Utz Rachowski immer wieder Gedichte des Lyrikers vor, die die ernsten und teilweise schwermütigen Gedanken Ullmanns verdeutlichen, aber auch Kindergedichte, die im Gegensatz dazu von einer Leichtigkeit und Lebensfreude geprägt sind. Auch nach dem Zusammenbruch der DDR lassen Ullmann die Folgen der Zersetzung nicht zur Ruhe kommen. Sein psychischer Zustand verschlechtert sich und auch die Anerkennung und damit die Möglichkeit seine Werke zu Veröffentlichen halten sich in Grenzen. Im Jahr 2009 stirbt Günter Ullmann an Krebs. Den Titel dieser Biografie entlehnt Udo Scheer dem Gedicht „Hinterhof“ von Günter Ullmann „Hinterhof – der Winter bleibt klein – die Sonne hat vier Ecken“, welches die Perspektivlosigkeit in der DDR treffend veranschaulicht.

 

Bis heute sei Günter Ullmann einer der wichtigsten ostdeutschen Lyriker seiner Zeit. Sein tragisches Schicksal steht besipielhaft für die schlimmen Folgen des DDR-Zersetzungsapparates. Arnold Vaatz der die anschließende Diskussion leitete, würdigte die Biographie über Günter Ullmann nochmals nachdrücklich und befand, dass dieses Buch sich als Lernmaterial für die Schule eigne.

 

Literaturhinweis:

Scheer, Udo: Die Sonne hat vier Ecken. Günter Ullmann – eine Biografie, Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2012.

 

 

17.03.2012, 18.00 UHR, KINOSAAL

Heftpremiere

Horch & Guck, Heft 75: SIEG UM JEDEN PREIS. SPORT IN DER DDR

Was der DDR in allen anderen Bereichen versagt blieb, im Sport erreichte sie es: Das angestrebte Weltniveau. Ging es um Weltmeistertitel und Goldmedaillen, war der kleine Staat in der internationalen Spitzengruppe. Für den Erfolg hat der SED-Staat viel getan. Was genau und wie die Kehrseite der Medaille aussah, wollte das Bürgerkomitee im Zuge der neuen Heftveröffentlichung von Horch & Guck in einer Podiumsdiskussion klären. Die Heftpremieren der neuesten Horch & Guck Ausgabe in Kooperation mit dem Bürgerkomitee 15. Januar e.V. während der Leipziger Buchmesse sind schon eine Tradition in der Gedenkstätte.

 

Es diskutierten Jutta Braun, die seit langem an der Universität Potsdam zum Sport in der DDR forscht und Thomas Purschke, der sich als freier Journalist mit dem Fachgebiet „Doping“ für das Thema engagiert. Peter Grimm von der Horch & Guck Redaktion moderierte die Veranstaltung.

 

Zu Beginn gab Jutta Braun einen kurzen Überblick zur Bedeutung und Entwicklung des DDR-Sportes. Es sei bemerkenswert wie viel Mühe die DDR im Leistungssport an den Tag legte. Der Sport wurde 1969 rationalisiert und nach Prestige eingeteilt in fördernswerte, sprich medaillenträchtigen Sportarten und weniger beachtete Randsportarten, wie zum Beispiel Wasserball. Dementsprechend verteilte das Regime die Finanzmittel mit der Konsequenz, dass der DDR-Sport monotoner wurde, so Braun weiter. Um die optimalen Sportler zu finden, machte man sich die Tatsache zu nutze, dass alle Schüler bereits in jungen Jahren gemessen und gewogen wurden. Das ging soweit, dass einmal der Trainer des Fußballclubs Carl Zeiss Jena Kurbjuweit auf die Frage „Warum alle DDR-Fußballer so klein seien?“ erbost antwortete: „Die langen Fußballer sind bei uns Ruderer“. Außerdem mussten die zukünftigen Sportler ideologische Rahmenbedingungen erfüllen. So durften sie zum Beispiel keine West-Verwandtschaft besitzen. In den eigens geschaffenen Kinder- und Jugendsportschulen wurde das Training perfektioniert und die Jugendlichen auf künftige Rekorde getrimmt. In diesen Schulen wurde massiv, auch ohne Wissen und Einverständnis der Jugendlichen gedopt. Dieser flächendeckende Missbrauch, der von der SED-Führung abgesegnet war, sei so nur in der Diktatur möglich gewesen, betonte Jutta Braun.

 

Mit dem Doping wurde ein Reizthema angesprochen, das viele Menschen bewegt und zu dem Thomas Purschke einiges berichtete. Natürlich sei Doping auch nach DDR-Recht verboten gewesen. Trotzdem wurde es von den Verantwortlichen gebilligt, da es schließlich um Leistung ging. Die DDR-Führung ging sogar soweit, Minderjährige ohne ihr Wissen oder das ihrer Eltern zu dopen, um deren sportliche Leistung zu verbessern. So war das jüngste Dopingopfer mit männlichen Sexualhormonen ein achtjähriger Junge. Auch ein zehnjähriges Mädchen wurde mit den berühmt berüchtigten blauen Pillen von Jenapharm gedopt. Diese Dopingeingriffe führten zu schweren Gesundheitsschäden, an denen die Opfer zum Teil bis heute leiden. Viele Sportler seien sich aber auch damals nicht der Gefahren bewusst gewesen, so Purschke.

 

Hier hakte Peter Grimm nach und fragte, ob es bekannte Fälle von Weigerung gab. Es sei schwierig gewesen sich als Sportler zu weigern, da zu einem Unwissenheit herrschte, zum anderen die Mittel bei Verweigerung unter das Essen gemischt wurden, betonte Jutta Braun. Dennoch gab es aber einige Fälle von Frauen, die sich weigerten und danach vom DDR-Sport ausgeschlossen wurden. Frustration folgte bei den Sportlerinnen und bei einigen auch die Flucht in den Westen, was mit einem großen Ansehensverlust der DDR verbunden war. Diese Sportler sollten vom MfS zurückgeführt werden, jedoch blieb es meist nur bei den Plänen.

 

Ob, bei all diesem Druck und den gesundheitlichen Risiken die DDR mit der Zeit Nachwuchsprobleme bekommen hätte fragte Peter Grimm. Interessanterweise sei dies erst in den 1980er mit der Gorbatschow-Ära eingetreten, so Braun. Das lag zum einem daran, dass die SED ihre Macht und Einfluss verloren hatte, aber zum anderen auch, weil sich bei den Eltern rum gesprochen hatte, dass der sportliche Werdegang durchaus mit hohen Risiken verbunden ist. Als Reaktion senkte die Führung die sportlichen Kriterien für eine Aufnahme, jedoch nicht die ideologischen, was ein Beispiel dafür ist, wie sich das System selbst im Weg stand. Allerdings war der Anteil der Sportler, der der Ideologie kritisch gegenüberstand, generell gering. Somit könne man den DDR-Sport nicht als Widerstandsnest ansehen, ergänzte Frau Braun auf Nachfrage von Peter Grimm.

 

Die DDR heute rückblickend als Sportmacht zu sehen, entspreche letztlich nur der halben Wahrheit, resümierte Purschke abschließend. Durch die Konzentration auf wenige Sportarten sei die Vielfalt des Sports stark eingeschränkt gewesen, für die meisten Freizeitsportler habe es keine Geräte gegeben. Auch stimme es natürlich, dass die ganze Welt gedopt habe, die DDR jedoch habe das Doping staatlich organisiert und perfektioniert, was man nicht vergessen dürfe. Ein Großteil der ehemaligen DDR-Sportlern könne sich bis heute nicht von ihren Erfolgen und der DDR-Praxis distanzieren, die die es aber taten, werden wie Nestbeschmutzer behandelt und diffamiert. Den DDR-Sport gesellschaftlich aufzuarbeiten, wird wohl noch eine Weile dauern.

 

Hinweis für weitere Informationen zur Zeitschrift und zum Abonnement:

www.horch-und-guck.info

 

 

17.03.2012, 19.00 UHR, AUSSTELLUNG

Buchvorstellung

FRANCESCA WEIL: VERHANDELTE DEMOKRATIE. DIE RUNDEN TISCHE DER BEZIRKE

Als „Kaffeekränzchen“ wurden sie auch abwertend bezeichnet. Die Runden Tische in den Bezirken der DDR, die sich in den letzten Monaten des SED-Staates um die Vorbereitung von demokratischen Wahlen, die Länderbildung, die Kontrolle und Auflösung der Staatssicherheit und zahlreiche regionale Themen kümmerten, werden heute recht unterschiedlich bewertet. In der alten Bundesrepublik hatten sie eine fast mystische Bedeutung, man befürchtete gar, dass sich dieses Modell auch auf die demokratische Praxis im wiedervereinigten Deutschland überträgt.

 

Wie diese Runden Tische der Bezirke, bei denen sich Oppositionellen mit den alten Machthabern zusammensetzten, arbeiteten, hat die Leipziger Historikerin Francesca Weil in einer Studie des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Dresden genau untersucht und ihre Ergebnisse in dem Buch „Verhandelte Demokratisierung“ vorgelegt. Im Rahmen von „Leipzig liest“ stellte sie in Kooperation mit dem Verlag Vandenhoeck und Ruprecht ihre Monographie vor.

 

„Die Wiedervereinigung Deutschlands hätte es ohne eine Demokratisierung der DDR nicht gegeben.“ Diese sinngemäße Äußerung des Zeithistorikers Klaus-Dietmar Henke stellte Francesca Weil an den Anfang ihrer Buchvorstellung „Verhandelte Demokratisierung“. Es falle hier auf, dass bei den Forschungsergebnissen über die Friedliche Revolution vor allem über die Entmachtung von Partei- und Staatsführung, die großen Montagsdemonstrationen, die ersten demokratischen Wahlen oder den zentralen Runden Tisch der DDR viel gesagt und geschrieben worden sei, so Weil. Doch wenn man wissen wolle, wie diese Demokratisierung wirklich von Statten ging, müsse man das Phänomen der Runden Tische betrachten, die es vom Oktober 1989 bis Sommer 1990 zu Hunderten in der gesamten DDR gab.

 

Eine äußerst schwierige Aktenlage habe sie zu bewältigen gehabt, so Weil. In den Archiven finde sich zu der Arbeit der Runden Tische der Bezirke nur wenig, da wenig gesammelt wurde. Sie konnte zwar Zeitzeugeninterviews führen, jedoch sei eben bei keinem der Beteiligten die Erinnerung lückenlos. Ein weiteres Problem sei, dass die heutige politische Einstellung der damals Beteiligten ihre Meinung beeinflusse. Jemand der heute der SPD nahe stehe, sehe die Dinge ganz anders als jemand von der CDU, so Weil.

 

Trotzdem habe sie versucht ein möglichst differenziertes Bild der Runden Tische der Bezirke der DDR zu zeichnen und diese in Relation zu anderen Runden Tischen in postkommunistischen Ländern zu setzen. Auch den Zentralen Runden Tisch der DDR hat Weil untersucht, dieser habe jedoch keine direkte Vorbildfunktion für die kleinen Runden Tische gehabt.

 

Die Runden Tische der Bezirke entstanden im Dezember 1989 unabhängig von einander. Die ursprüngliche Vermutung Weils, dass diese von oppositionellen Gruppen beziehungsweise Kirchenvertretern ins Leben gerufen wurden, bestätigte sich nicht. Oftmals gründeten Vertreter der Blockparteien oder Bezirksräte die Runden Tische. In Leipzig scheiterte dieser Versuch jedoch am Widerstand der oppositionellen Gruppen. Oft wurden die Runden Tische von Kirchenvertretern moderiert.

 

Die Zusammensetzung der Runden Tische war grundsätzlich nicht demokratisch. Zwar waren Sie von der Massenbewegung legitimiert und von den bisherigen Machthabern in den Bezirken für die Außenwirkung gern gesehen, jedoch übten die Runden Tische keine Macht aus, sondern begleiteten beratend. Ihre direkte Einflussnahme auf die Administration war begrenzt. Bei manchen regionalen Themen konnten die Runden Tische aber auch Erfolge verbuchen. So war es maßgeblich dem Runden Tisch des Bezirkes Leipzig zu verdanken, dass unter dem Motto „Stopt Cospuden“ im Süden der Stadt kein neues Braunkohlegebiet entstand

 

Im Ergebnis kann man sagen, dass in diesen wenigen Monaten 1989/90 die Runden Tische zwar keine Teilhaber der Macht waren, „dass sich jedoch kein Machthaber leisten konnte, sie zu ignorieren.“ In den ersten Wochen und Monaten stellten die Runden Tische also durchaus eine Autorität dar, jedoch konnten die Runden Tische der Bezirke bis zu ihrer Auflösung im Frühjahr 1990 die Bezirksleitungen nie vollständig kontrollieren und waren auch keine Platzhalter für nachfolgende demokratisch legitimierte Institutionen.

 

„Dennoch trugen die Runden Tische dazu bei, die Massenproteste zu kanalisieren und eine gewaltfreie, institutionalisierte Demokratisierung zu gewährleisten.“ resümierte Francesca Weil. Auf diese Entwicklung könne man heute durchaus stolz sein.

 

Literaturhinweis:

Weil, Francesca: Verhandelte Demokratisierung. Die runden Tische der Bezirke 1989/90 in der DDR, Vandenhoeck & Ruprecht Unipress, Göttingen 2011.

 

 

17.03.2012, 20.00 UHR, KINOSAAL

Buchpremiere

TOBIAS HOLLITZER, SVEN SACHENBACHER (HG.): DIE FRIEDLICHE REVOLUTION IN LEIPZIG

Das Titelbild der zwei Bände ist ein Foto vom 9. Oktober 1989 in Leipzig, als trotz massiver Bedrohung und Einschüchterung mindestens 70.000 Menschen auf dem Innenstadtring für Freiheit und gegen das SED-Regime demonstrierten. Der geschichtsträchtige Tag, der entschied, ob es eine friedliche oder blutige Revolution werden würde. Mit dem Doppelband„Die Friedliche Revolution in Leipzig“ ist es nun endlich gelungen die Sonderausstellung „Wir sind das Volk! Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ des Museums in der „Runden Ecke“ in einen Katalog aufzunehmen. In Zusammenarbeit mit dem Universitätsverlag stellte die Gedenkstätte den Band vor.

 

Die zwei Bände erscheinen gerade zu dem Zeitpunkt an dem entschieden wird, ob die Sonderausstellung zu einer permanenten Ausstellung wird. Seine Begrüßungsrede beginnt Rainer Eckert, Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig, mit einem Plädoyer für den erhalt der Sonderausstellung. Die Ausstellung ist wichtig für Leipzig, deshalb solle bald ein neuer Ort für sie gefunden werden, der sich in der Nähe der Dauerausstellung „Stasi – Macht und Banalität“ und der BStU-Außenstelle befindet. Seiner Einschätzung nach ist der Ausstellungskatalog mehr als nur ein Begleitbuch, sondern vielmehr ein Nachschlagewerk das mithilfe wichtiger Bilder und Texte an die Leipziger Opposition und die Ereignisse bis hin zur Wiedervereinigung erinnert. Es handele sich um ein Buch über Freiheit und die Zivilcourage des Volkes, das so selber zum Akteur der Nationalgeschichte wurde.

 

Herausgeber Tobias Hollitzer stellt das Buch vor: Die zwei Bände beleuchten anhand von über 550 Fotos, mehr als 1000 Einzeldokumenten und fast 100 Objekten detailliert die Geschichte des Oppositionellen Widerstandes in Leipzig vom Herbst 1988 bis zum Herbst 1990, die Vor- und Nachgeschichte sei bewusst mit einbezogen worden. Über 800 Seiten dokumentieren, wie aus Einzelaktionen eine Massenbewegung wird, die letztendlich zum Zusammenbruch der SED-Diktatur wird, und beleuchten die Bedeutung der Berichterstattung in den Westmedien. Die Kapitel sind chronologisch geordnet und jeweils mit einem einleitenden Text versehen. Außerdem ist ein Personenregister beigefügt, das beispielsweise die Rolle der SED-Funktionäre Anfang 1989 und während der Friedlichen Revolution zeigt. Entstanden sei ein Grundlagenwerk für Forschung und Lehre, sowie für die politische Bildung. Anschließend dankt er noch denjenigen, ohne deren Unterstützung die Entstehung diese Buches nicht möglich gewesen wäre: Besonders Sven Sachenbacher, dem Mitherausgeber, Tina Langner, die die Entstehung des Werkes unermüdlich unterstützt und begleitet hat, der Gestalterin Marina Siegemund, dem Freistaat Sachsen für eine finanzielle Förderung und dem Leipziger Universitätsverlag.

 

Moderator Heydemann stellt die Anwesenden vor: Christoph Wonneberger, ein Hauptakteur der Friedlichen Revolution, der zunächst die Initiative Friedensdienst als Alternative zum Wehrdienst bei der NVA gründete, sich für die Arbeitsgruppe Menschenrechte einsetzte und schließlich seit 1986 Initiator der Montagsgebete war. Während seines längjährigen oppositionellen Engagements stand er ständig im Konflikt mit der Stasi. Nach einem Schlaganfall 1990 ging er in den Ruhestand.

 

Gunter Weißgerber, bis 1990 als Betriebsingenieur und Leiter der Abteilung „Erkundungsbohrung“ in Borna tätig, war 1990 eines der Gründungsmitglieder der SPD in der DDR und bis 2009 Mitglied im deutschen Bundestag. Zudem ist er einer der Protagonisten bei der Initiative für das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal.

 

Hartmut Zwahr war bis 1992 Professor für die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in Chemnitz und bis zu seiner Emeritierung 2001 Lehrstuhlinhaber für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Leipzig. Im Jahr 1993 gab er die erste wissenschaftliche Publikation über die Friedliche Revolution heraus und brachte so eine weitere Perspektive in die Gesprächsrunde ein.

 

Die Diskussion beginnt mit der Frage Heydemanns, ob die Friedliche Revolution schon abgeschlossen sei. Wonneberger bejaht dies, da die Revolution ein Ergebnis hatte, der erste gewaltfreie Umbruch in der deutschen Geschichte. Die Frage wie es nun weiter gehen soll bliebe offen. Weißgerber betont, Geschichte sei nie abgeschlossen, man müsse aus Geschichte lernen und Aufarbeitung und politische Bildung zur Prävention betreiben, denn in Deutschland soll es nie wieder eine Diktatur geben. Zwahr meint, manchmal sei Geschichte abgeschlossen, aber es blieben trotzdem Fragen offen. Seiner Ansicht nach sei nach der Friedlichen Revolution wenig offen geblieben. Das Demokratie- und Souveränitätspostulat „Wir sind das Volk“ bliebe erhalten. Heydemann lenkt die Erinnerungen an den 9. Oktober zurück. Er selbst hat die Friedliche Revolution von England aus mitverfolgt und konnte sich damals nicht vorstellen, dass die Sowjetunion die DDR, den leistungsfähigsten Staat des Ostblocks, freiwillig aus der Hand geben würde. Auch Weißgerber befürchtete in der Zeit des Umbruchs, dass die DDR nach all den Bemühungen wieder erstarken könnte, vielleicht würden die Montagsdemonstrationen wieder abebben, weil das Volk meinte genug erreicht zu haben und sich mit einer reformierten DDR zufrieden geben würde. Laut Zwahr ist die Stimmung bei den Montagsprotesten sehr generationsspezifisch. Seine Generation sah die Niederschlagung des Volksaufstandes am 17. Juni, die gewaltsame Auflösung des Prager Frühlings und habe die Montagsdemonstrationen daher mit mehr Skepsis und Angst betrachtet. Die jüngere Generation war sich zwar auch des Risikos der „chinesischen Lösung“ bewusst gewesen, habe sich jedoch, laut Wonneberger, nicht von der Angst lähmen lassen.

 

Die Ereignisse aus England verfolgend hatte Heydemann den Eindruck einer atypischen Revolution: Anders als beispielsweise in Rumänien gab es keine Toten, es war einzig die Staatsmacht die Gewalt ausübte, während bei den Demonstrationen absolute Gewaltfreiheit propagiert wurde. Trotzdem wurde die Ohnmacht des Systems deutlich. Von der Sowjetunion allein gelassen konnte das SED-Regime nichts aussetzen und musste den eigenen Untergang mit ansehen. Inwiefern war dieser zivilgesellschaftliche Ansatz bedeutend für die Weiterentwicklung der Demokratie? Weißgerber zufolge erkannten die Menschen damals den Wert des Individuums und die Notwendigkeit sich selber zu engagieren. Die Werte dieser Zeit würden immer noch viele Menschen in sich tragen.

 

Zwahr erzählt von einem zentralen Moment aus seinen Erinnerungen von der Wendezeit, dem Moment als er vom Bürgersteig auf die Straße trat um sich zum ersten Mal der Montagsdemonstration anzuschließen. Es war sein persönlicher Augenblick der Entscheidung, aus dem Privaten zu gehen und seine Meinung in der Öffentlichkeit zu zeigen.

 

Nach der Publikumsdiskussion gab es anschließend einen Sektempfang, bei dem sich Referenten und Besucher der Veranstaltung noch lange angeregt austauschten. Keine zwei Wochen später konnten sich die Autoren schon über positive Resonanz freuen: „Eine phantastische Dokumentation – unverzichtbar für jeden, der das annus mirabilis 1989/90 verstehen möchte.“ (Aus einer E-Mail von Hans-Hermann Hertle, ZZF Potsdam, an Gedenkstättenleiter Tobias Hollitzer am 29.03.2012)

 

Literaturhinweis:

Hollitzer, Tobias, Sachenbacher, Sven (Hg.): Die Friedliche Revolution in Leipzig: Bilder, Dokumente und Objekte Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2012.

 

 

18.03.2012, 11.00 UHR, KINOSAAL

Matinée

DANIELA KRIEN: IRGENDWANN WERDEN WIR UNS ALLES ERZÄHLEN

Es ist Sommer 1990, der Schauplatz in der Provinz nahe der innerdeutschen Grenze. Daniela Krien schafft es in ihrem Debütroman „Irgendwann werden wir uns alles erzählen“ Liebesdrama, ländliche Sommeridylle und deutsch-deutsche Geschichte harmonisch zu einer packenden Erzählung zu verbinden. Moderator Christhard Läpple bezeugt selbst, lange kein so gutes Buch mehr gelesen zu haben. Die letzte Veranstaltung bei „Leipzig liest“ im Museum in der „Runden Ecke“ in Zusammenarbeit mit den Ullstein Buchverlagen wurde zu einem besonderen Ereignis. Die Autorin las mehrere Passagen aus ihrem Buch:

 

Es ist heißer Sommer, das Jahr nach dem Mauerfall. Die 16-jährige Maria ist zu ihrem Freund Johannes Brendel gezogen und lebt dort mit ihm und dessen Familie auf deren Hof zusammen. Anstatt zur Schule zu gehen bleibt sie lieber in ihrer Dachkammer liegen und liest „Die Brüder Karamasov“. Auf dem Nachbarhof lebt alleine der 40-jährige Henner. Im Dorf wird er misstrauisch beäugt, er scheint von einem tragischen Geheimnis umgeben zu sein. Maria fühlt sich sofort stark von ihm angezogen. Wie Maria ist Henner ein Einzelgänger und sehr belesen, weshalb er bei den Dorfbewohnern als Sonderling gilt. Eines Tages wird Maria von ihrer Mutter im Trabant zum Brendel-Hof gefahren, auf dem Weg dorthin verliert die Mutter jedoch die Kontrolle über den Wagen, das Auto fährt eine Böschung hoch und überschlägt sich. Der Henner erscheint und hilft ihnen das Auto wieder aufzurichten. Maria folgt ihm anschließend auf seinen Hof. Eine intensive und heimliche Liebesgeschichte entwickelt sich zwischen den beiden. Maria leidet unter einem permanenten Gewissenskonflikt, sie hat gegenüber ihrem Freund und dessen Familie, die sie wie eine Tochter aufnehmen ein schlechtes Gewissen, kann jedoch nicht anders als das Verhältnis zwischen ihr und Henner heimlich weiterzuführen, bis sich die Ereignisse letztendlich überschlagen.

 

In der Familie Brendel herrscht Aufbruchstimmung. Der Fall der Mauer weckt besonders bei Vater Siegfried neuen Tatendrang. Gemeinsam mit der Familie schmiedet er Pläne seinen Hof in einen Demeterhof umzuwandeln. Auch Johannes ist begeistert von den neuen Möglichkeiten. Auch das Dorf spürt allmählich den Wandel. Noch ist das Dorfleben intakt, die letzten Monate vor dem Umbruch sind angebrochen. Doch nicht alle teilen die euphorische Stimmung Siegfried Brendels. Für viele bedeutet die Wende ein Bruch, sie verspüren Angst vor dem Neuen. Am Abendbrottisch diskutieren die Brendels über das nun nicht mehr existierende Land, das vierzig Jahre ihre Heimat war. Siegfried möchte seine Stasi-Akten beantragen lassen um Klarheit zu gewinnen und die Vergangenheit aufzuarbeiten. Laut Christhard Läpple thematisiert das Buch die DDR und die Situation nach der Wende, jedoch gehe es nicht wie meistens um DDR-Eliten oder Täter-Opfer-Geschichten, sondern das Buch spiegelt die Gefühle, Probleme, Ängste und Hoffnungen der normalen, unpolitischen DDR-Bürger in ihrem alltäglichen Leben wider.

 

Daniela Krien selbst hat einige autobiografische Elemente in ihren Roman eingebaut. Wie die Hauptperson im Buch ist Krien in der Provinz aufgewachsen und schildert so aus eigener Erfahrung das Landleben zu DDR-Zeiten, als Dörfer noch „richtige“ Dörfer waren und keine Wohnsiedlungen wie man sie heute kennt. Auch war sie als Kind ausgewählt worden für drei Wochen in ein Pionierlager zu fahren, in dem man mit militärischem Drill eine sozialistische Erziehung genießen sollte. Dort erlebte sie am eigenen Leib die Wandlung von einem Gruppenzwang ablehnenden Kind mit Individualbedürfnissen zu einem begeisterten Jungpionier. Krien erklärt, ein Schriftsteller könne besser über das schreiben was er kennt. In ihren Augen sei Dostojewski, aus dessen Buch „Die Gebrüder Karamasov“ ein Zitat titelgebend für Kriens Roman war, der beste Schriftsteller aller Zeiten. Er hätte die Gabe sich in seine Charaktere besonders gut hineinversetzen zu können. Gute Literatur könne viel bewirken: unterhalten, bilden, oder gar neue Perspektiven eröffnen. Da seien keine Grenzen gesetzt.

 

Literaturhinweis:

Krien, Daniela: Irgendwann werden wir uns alles erzählen, Graf Verlag, München 2011.

 

 

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AUS DEM GÄSTEBUCH

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

Viele unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch und schreiben hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben. Unter dieser Rubrik wollen wir monatlich einige dieser Einträge an Sie weitergeben.

 

EINTRÄGE AUS DER DAUERAUSSTELLUNG „STASI - MACHT UND BANALITÄT“

„Danke für die informative Führung und Gestaltung des Museums. Gibt nur ein Fazit: ‚Manches war doch auch ganz gut’ – der Spruch ist so falsch, so unmöglich falsch. Das muss für die kommenden Generationen dokumentiert bleiben“

(Besucher aus Hamburg am 27.03.2012)

 

„Erschreckend, schockierend, deprimierend… Gut gemachte Ausstellung – bleibt richtig haften – wie furchtbar dumm die Menschen sind… erschreckend, schockierend, deprimierend. Hat es überhaupt noch Sinn auf diesem Planeten weiterzuleben? Schauen wir uns um – wie furchtbar dumm die Menschen immer noch sind“

(Besucher am 07.03.2012)

 

„Very interesting! It is good Germany is united now!“

(Besucher aus London am 13.03.2012)

 

„Extremely interesting – great audio guide! An extremely informative and thought-provoking exhibition.“

(Besucher aus Neuseeland am 18.03.2012)

 

„Es ist aufbauend zu sehen, dass nicht 100% vergessen wollen/haben. Die Stasiverbrecher müssten/sollten nach internationalem Recht (..Den Haag) als Verbrecher gegen die Menschlichkeit verurteilt werden. Wo bleibt die öffentliche Diskussion? Danke für die gelungene Ausstellung.“

(Besucher im März 2012)

 

 

EINTRÄGE AUS DER SONDERAUSSTELLUNG „LEIPZIG AUF DEM WEG ZUR FRIEDLICHEN REVOLUTION“

„Wichtige Ausstellung, um sich noch mal dessen vergewissern, was die Elemente der ‚Friedlichen Revolution’ von 1989 ausmachten! Man vergisst ja viel zu schnell, Geschehnisse schleifen sich zu schnell in ihrer historischen Wirkmächtigkeit ab. Sie müssen darum erinnert werden! Diese Ausstellung leistet darum einen wichtigen Beitrag zur Erinnerung historische Wendepunkte deutscher Geschichte.”

(Besucher am 30.03.2012)

 

„Wir sind heute nach Leipzig gekommen für einige Tage und dieses Museum hier war einer der wichtigen Punkte für unsere Städtereise-Planung. Es ist wichtig und gut, dass es das Museum gibt. Auch deshalb, weil nach über 20 Jahren so manches aus dem Bewusstsein verblasst, aber nicht die Größe und der Mut der Friedlichen Revolution. Und gerade Leipzig war in dieser Zeit der Ort, auf den viele DDR-Menschen schauten und von dem Hoffnung und Mut ausgingen. Danke für dieses Museum!“

(Besucher aus Cottbus am 01.04.2012)

 

„Wir sind beeindruckt! Mögen sich vor allem junge Menschen über dieses Kapitel der deutschen Geschichte informieren!“

(Besucher aus London im März 2012)

 

 

 

 

 


 



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