Objekt- und Fotodatenbank Online im Museum in der Runden Ecke



Inventar-Nr: 11076
Objekt: Kassiber


Kassiber (Schachtel mit Zahnputzstein)

Die kleine Plastikschachtel enthält einen Zahnputzstein der Marke "Rosodont". Wie der Name des Herstellers und des Herstellungsortes ist auch der Produktname außen in die Schachtel geprägt. Die Besonderheit der Schachtel liegt jedoch darin, dass auf ihrer Oberfläche - für das bloße Auge kaum erkennbar - noch mehr zu lesen ist: Ihr einstiger Besitzer, ein langjähriger Häftling, nutzte sie als Kassiber und ritzte mit einer Nadel die Namen und Adressen von ca. 80 Mithäftlingen in die Dose. Zu einigen ergänzte er sogar noch deren Zugehörigkeit zu bestimmten Studenten- und Intellektuellengruppen sowie das über sie verhängte Strafmaß. Die Daten seiner eigenen Haftzeit hielt er auf der Unterseite fest: "U-Haft v. 21.IX.57 - 4.IX.58 IN UHA/MfS LEIPZIG, DIMITROFFSTR (...) U. IN UHA/MfS HALLE/S, KIRCHTOR (...) [>>ROTER OCHSE<<] 4.IX. - 19.XII.58 (...) STRAF-VOLLZUG: 1) StVA II HALLE, KL. STEINSTR. 7 v. 19.XII.58 - 30.I.59 2) StVA NAUMBURG/ SAALE (...) v. 31.I. - 20.V.59 (...) 3) StVA BAUTZEN/SA. (GELBES ELEND) v. 20.V.59 - (...)". Im August 1964 wurde er schließlich im Rahmen einer großen Freikaufaktion aus der Haft entlassen (vgl. einen Stempel zur Kennzeichnung von Schriftstücken bei Häftlingsfreikäufen).

Nach eigenen Angaben hatte der Häftling die Schachtel am Abend des 21. September 1957 in der Untersuchungshaftanstalt (UHA) der Leipziger Bezirksverwaltung für Staatssicherheit (BVfS) als Pflegemittel ausgehändigt bekommen. Während seiner fast siebenjährigen Haft wurde sie ihm zum ständigen Begleiter: Obwohl die Gefangenen keine persönlichen Gegenstände bei sich haben durften, gelang es ihm, die Dose bei all seinen Haftstationen und sogar auch bei der Entlassung zu behalten. Die filigranen Gravuren, deren Anfertigung auch ohne erschwerende Umstände schon eine Leistung gewesen wäre, fertigte er während seiner Haftzeit in Bautzen I ("Gelbes Elend").

Obwohl der Strafvollzug in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich des Ministeriums des Innern (MdI) fiel, unterhielt auch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mit Bautzen II eine Sonderhaftanstalt. Daneben besaß das MfS siebzehn Untersuchungshaftanstalten (UHA) - zwei zentrale in Berlin und jeweils eine in jeder Bezirksstadt, einschließlich Berlin. Während die Linie XIV für den Untersuchungshaftvollzug an sich - für die "Verwahrung" der Häftlinge - zuständig war, führte die Linie IX sämtliche Ermittlungen und Verhöre durch. In Leipzig waren beide Abteilungen im Dienstgebäude Beethovenstraße 2a (heute Straße des 17. Juni 1953) untergebracht. Ein originalgetreuer Nachbau einer Zelle aus der ehemaligen Leipziger MfS-Untersuchungshaftanstalt kann heute auch in der Gedenkstätte Museum in der "Runden Ecke" in Leipzig besichtigt werden (vgl. alle Objekte zu den UHA des MfS).


Sammlung: Persönliche Ausstattung
Datierung: 1957-1960
Hersteller: VEB Rosodont-Werk Waldheim
Maße: Schachtel: Breite: 5,2 cm; Tiefe: 5,2 cm; Höhe: 1,7 cm
Material: Schachtel: Kunststoff
Farbe: Schachtel: beige,
Deckel: blau,
Stein: rosa
Verwendung: Reinigung und Pflege, Heimliches Aufzeichnen und Aufbewahren von Mitteilungen






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ausgedruckt am 19.04.2024