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Inventar-Nr: 06848
Objekt: Transparent


Transparent "GEGEN DEN STROM FREIES REISEN FÜR ALLE" (Nachfertigung als Filmrequisit)

Das weiße Stofftransparent mit der rot und schwarz gemalten zweizeiligen Aufschrift "GEGEN DEN STROM FREIES REISEN FÜR ALLE" ist eine Reproduktion die als Requisit für den Spielfilm "Nikolaikirche" (1995) angefertigt wurde. Vorlage war ein Transparent, das am 4. September 1989 nach dem Friedensgebet vor der Nikolaikirche in Leipzig entrollt wurde, um mit der eindeutigen aber ganz normalen Forderung nach Reisefreiheit öffentlich gegen die bestehenden Verhältnisse in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zu protestieren. Gemeinsam mit sechs weiteren Mitgliedern Leipziger Basisgruppen hatten Katrin Hattenhauer und Gesine Oltmanns am Nachmittag des gleichen Tages in einer Leipziger Wohnung vier Transparente gestaltet - die ersten die auf einer Montagsdemonstration gezeigt werden sollten. Unter den Jacken versteckt schmuggelten sie die Transparente in die Kirche (siehe auch ein von K. Hattenhauer angefertigtes Plakat zum Leipziger Straßenmusikfestival 1989).

Im September 1989 wuchs in der Bevölkerung die Bereitschaft zum offenen Widerspruch gegen das SED-Regime. Leipzig und seine montäglichen Friedensgebete wurden dabei zum Zentrum des Protestes. Die SED hatte erfolglos versucht, die Wiederaufnahme der Friedensgebete nach der Sommerpause zu verhindern. Am Messemontag, dem 4. September 1989, begannen sie wieder. Etwa 1.000 Personen besuchten an diesem Tag die Nikolaikirche. Im Anschluss entrollten Leipziger Bürgerrechtler auf dem mit Menschen gefüllten und von Ausreisewilligen beherrschten Nikolaikirchhof Transparente, unter anderem mit der Aufschrift "Für ein offenes Land mit freien Menschen". Innerhalb weniger Sekunden wurden ihnen die Spruchbänder von in Zivil gekleideten Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) entrissen. Daraufhin protestierte die Menge mit Rufen wie "Stasi raus!", "Wir wollen raus!" und "Freiheit! Freiheit!". Diese Vorgänge wurden von Kamerateams westlicher Medien gefilmt und weltweit übertragen. Der Demonstrationsversuch von Leipziger Bürgerrechtlern scheiterte indes an mangelnder Beteiligung. Den Ausreisewilligen hingegen gelang es, unter dem Motto "Für freie Fahrt nach Gießen" zum Hauptbahnhof zu ziehen. Eine wichtige Errungenschaft dieses Montagabends war aber der Ruf "Wir bleiben hier!", der den Willen zur aktiven Beteiligung an politischen und gesellschaftlichen Veränderungen zum Ausdruck brachte. Musste sich die Staatsmacht an diesem Messemontag auch noch zurückhalten - es kam zu keinen Verhaftungen - machte sie doch unmissverständlich klar, dass für sie die Grenze der Toleranz erreicht sei. Am darauf folgenden Montag, dem 11. September, rächte sie sich aber. Massiv ging die Volkspolizei an diesem Tag gegen die Besucher des Friedensgebetes vor. Unter Gewalteinsatz wurden 89 Personen festgenommen. 22 von Ihnen erhielten empfindliche Geldstrafen zwischen 1.000 und 5.000 (DDR-)Mark, gegen 19 wurde Haftbefehl erlassen. Sie kamen erst nach dem 13. Oktober 1989 wieder frei. Die Verhaftungen lösten im gesamten Land Solidaritätsaktionen aus. Auch in Leipziger Kirchen fanden täglich Fürbittandachten statt. Ein Koordinierungskreis informierte über die Verhaftungen und die aktuelle Entwicklung. So wuchs in der Bevölkerung zunehmend die Solidarität mit den Protestierenden in Leipzig. Dies motivierte in der Folgezeit auch Menschen in anderen Orten zu eigenen Aktionen. Am 25. September zog dann zum ersten Mal ein großer Demonstrationszug mit über 5.000 Personen durch die Leipziger Innenstadt und forderte Reformen und die Zulassung des Neuen Forums.


Sammlung: Transparente
Datierung: 1995, 04.09.1989
Hersteller: Theatermaler
Maße: Länge: 70 cm; Breite: 205 cm
Material: Baumwolle
Farbe: Aufschrift: schwarz, rot,
Tuch: weiß
Verwendung: Filmaufnahme, Protest und Demonstrationen








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