Sie sind hier: Runde-Ecke-Leipzig.de / Presse

einzelne Meldung

Sonntag, den 10. September 2000

Internationales Demokratie-Kolloquium 2

Kategorie: Pressemitteilung
Von: Bürgerkomitee

Wieviel Wahrheit verträgt der Mensch? Aktenumgang und Elitenwechsel im internationalen Vergleich"

Vertreter aus Chile, Südafrika, Kroatien, Slowenien, Estland, Lettland und Deutschland trafen sich vom 8. bis 10. September 2000 in Leipzig, um die verschiedenen Ansätze von Vergangenheitsbewältigung und Elitenwechsel nach dem Ende von Diktaturen zu untersuchen.

Die Teilnehmer des Kolloquiums verabschiedeten eine Resolution, in der Sie die internationale Staatengemeinschaft auffordern, umgehend die Arbeitsfähigkeit des internationalen Gerichtshofs herzustellen, dessen Satzung bereits von 14 Staaten ratifiziert wurde.

Gerd Poppe, der Beauftragte für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe der Bundesrepublik Deutschland, eröffnete das Kolloquium am Freitag nachmittag. In seiner Rede sprach er von der Notwendigkeit, sich im internationalen Rahmen über Vergangenheitsbewältigung und -aufarbeitung auszutauschen. Anschließend empfing der Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee die Teilnehmer des Kolloqiums im Neuen Rathaus. Er betonte, dass Leipzig als Stadt der Friedlichen Revolution besonders dazu verpflichtet sei, international den gewaltlosen Wechsel zur Demokratie zu unterstützen. Er begrüßte das Engagement des Bürgerkomitees auf diesem Gebiet.

Gestern sprachen die Teilnehmer des Kolloquiums über unterschiedliche Ansätze der Aktenaufarbeitung nach dem Ende einer Diktatur. Es herrschte Konsens darüber, dass der deutsche Weg einmalige Voraussetzungen für Vergangenheitsbewältigung geschaffen hat. Die internationalen Teilnehmer beklagten dagegen übereinstimmend, dass in ihren Ländern Akten massiv vernichtet wurden oder nicht zugänglich seien. Dies erschwere die Wahrheitsfindung massiv. Als ungenügend wurde in allen Ländern der Interessenausgleich für die Opfer eingeschätzt. Selbst die Vertreter aus Südafrika resümierten, dass die Arbeit der Wahrheits- und Versöhnungskommission nicht den erwarteten Erfolg gebracht habe.

Die Teilnehmer waren sich darüber einig, dass empirische wissenschaftliche Forschung und die breite Rezeption ihrer Ergebnisse nötig sind, um die gesellschafliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und dem persönlichen Schicksal des einzelnen sachlich zu führen. Diktatorische Strukturen und Funktionsweisen müssen beschrieben, vor allem aber übergreifend analysiert werden.

Heute debattieren die Teilnehmer des Kolloquiums über den Wechsel von Eliten und den gesellschaftlichen Wandel von einer Diktatur hin zur Demokratie. Elitenwechsel sei ein andauernder Prozess, "der sich nur nach dem Maß des Möglichen" vollzieht. Alicia Frohmann, Beraterin beim chilenischen Außenministerium sagte, dass sich dieses Maß im Demokratisierungsprozess ständig verändere. Auch in ihrem Heimatland sei die Gesellschaft bei der Bewertung der Diktatur gespalten. So erreichte Pinochet bei der ersten freien Wahl 1989 noch 44 Prozent der Stimmen. Als großes Problem bei der Bildung neuer gesellschaftlicher Eliten nannten die Teilnehmer des Kolloquiums, dass es im Bereich von Bildung und Erziehung nur sehr wenige neue Lehrmodelle gebe. Elitenwechsel sei eine Frage der Moral, nicht des Alters, sagte Dr. Valdis Birkavs, der ehemalige Ministerpräsident Lettlands. "Man kann keine neue Elite schaffen, ohne eine neue Gesellschaft zu schaffen."

In einem Abschlusspodium, das 16 Uhr beginnt, werden Vertreter aller Schwerpunktländer den Zusammenhang zwischen Aktenumgang und erfolgreichem Elitenwechsel erörtern und Perspektiven für eine wirkungsvolle Auseinandersetzung mit der Vergangenheit entwickeln.