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Freitag, den 01. Dezember 2000

Elfter Jahrestag der Besetzung der Leipziger Bezirksverwaltung für Staatssicherheit

Kategorie: Pressemitteilung
Von: Bürgerkomitee
Heute vor elf Jahren: Bürger entmachten die Stasi

Am 4. Dezember 2000 jährt sich zum elften Mal der Tag, an dem sich für Zehntausende Montagsdemonstranten in Leipzig ein lang gehegter Traum erfüllte: Bürger besetzten die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit und entmachteten so den berüchtigten SED-Geheimdienst. Anlässlich der ersten Kontrollen in den Dienstgebäuden des MfS bildete sich in der Nacht zum 5. Dezember das Bürgerkomitee Leipzig für die Auflösung der Staatssicherheit. Es entstand aus dem losen Verbund engagierter Bürger, die anschließend Tag und Nacht in der "Runden Ecke" über Tausende Akten wachten. Von Anfang an war es Mittler zwischen den Demonstranten und der Staatssicherheit und damit der Öffentlichkeit verpflichtet. Wichtigstes Ziel des Bürgerkomitees war es, das MfS vollständig aufzulösen und die noch verbliebenen Akten zu sichern.

Nachtwache für Spionageakten

Im Frühjahr 1990 tauschten Mitglieder des Bürgerkomitees ihre heimischen Betten gegen Matratzen in der Leipziger Untersuchungshaftanstalt des MfS. Dort lagerten die Spionageakten der Abteilung XV, die auf Zentrale Anweisung nach Berlin gebracht und zerstört werden sollten. Die Leipziger Bürgerrechtler weigerten sich jedoch, die Unterlagen herauszugeben. Rund um die Uhr bewachten sie die Akten und sicherten sie so vor der Vernichtung. Währenddessen beseitigte die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) in Berlin fast ihren kompletten Aktenbestand. Mehrere hundert Offiziere der Stasi kappten dort offiziell die Verbindungen zu ihren IM im Westen und zerschredderten anschließend die entsprechenden Unterlagen. In Verantwortung des damaligen Innenministers Peter-Michael Diestel erfuhren die Akten aus fast allen Bezirken der DDR das gleiche Schicksal. Einzig die Leipziger Hinterlassenschaften der Stasi-Spionageabteilung sind noch heute erhalten.

Die Spionageabteilung arbeitete auch in der DDR

Eine wichtige Motivation für das Leipziger Bürgerkomitee, die Herausgabe der Akten zu verweigern, war die Erkenntnis, dass viele Inoffizielle Mitarbeiter (IM) der Auslandsspionage als DDR-Bürger auch an der Innenreppression beteiligt waren. Die Überprüfung sowie die historische Aufarbeitung der SED-Diktatur blieben ohne die Einbeziehung der HVA-Akten auch bezüglich der DDR unvollständig.

Der lange Arm der Stasi

"Die Arbeit der Stasi im Westen - Geheime Verschlußsache? Vom Umgang mit den HVA-Akten" lautet der Titel der Podiumsdiskussion, die das Bürgerkomitee am 4. Dezember 2000, 19 Uhr, im Museum in der "Runden Ecke" veranstaltet. Anlass für die Wahl dieses Themas war die beschriebene Weigerung des Leipziger Bürgerkomitees, die brisanten Spionage-Akten der Stasi herauszugeben. Zwei Entwicklungen haben in den vergangenen Monaten wieder neuen Zündstoff in die Debatte um den Umgang mit den Hinterlassenschaften der HVA gebracht.

Erstens gelangte ein Teil der verfilmten IM-Kartei der HVA in den Besitz der Bundesrepublik. Bereits seit 1990 war bekannt, dass die CIA sich im Rahmen der Aktion "Rosenholz" auf bisher ungeklärte Weise diese Daten angeeignet hatte, nun ist die schrittweise Rückgabe angelaufen. Jedoch stuften die Amerikaner die Verfilmungen laut Angaben der Bundesregierung als Verschlußsache ein.

Zweitens tauchte in den Archiven der Gauck-Behörde die Datenbank SIRA (System Information und Recherche der Aufklärung) auf, die bereits teilweise entschlüsselt wurde. SIRA könnte, mit den Daten aus Amerika in Verbindung gebracht, brisante Aufschlüsse über ehemalige IM der Stasi im Westen geben.

Von der Podiumsdiskussion, bei der kontroverse Meinungen aufeinandertreffen werden, versprechen sich die Veranstalter neue Erkenntnisse und Impulse für den weiteren Umgang mit den HVA-Akten. Der US-amerikanische Schriftsteller und Journalist Robert Gerald Livingston will über Details der Operation "Rosenholz" sprechen und aufklären, wie die verfilmte IM-Kartei in die USA gelangte und warum sie so lange geheim gehalten wurde.

Von der Machtzentrale zum Ort politischen Diskurses

Das Museum in der "Runden Ecke", früher Sitz der Stasi-Bezirksverwaltung, mit seiner ständigen Ausstellung "STASI - Macht und Banalität" hat sich nicht nur zu einer viel besuchten Einrichtungen in Leipzig entwickelt, sondern auch als Ort gesellschaftlichen und politischen Diskurses etabliert. Das Bürgerkomitee als Träger des Museums engagiert sich mit zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen für eine aktive Auseinandersetzung mit der jüngsten deutschen Geschichte. Es will so der zunehmenden Verklärung und Verharmlosung der DDR-Geschichte entgegenwirken. Mit seinen Angeboten und Veranstaltungen trägt das Bürgerkomitee dazu bei, dass Vergangenheit aufgearbeitet statt verdrängt und vergessen wird.