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Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

das Stasi-Unterlagen-Gesetz soll am 10. November zum siebenten Mal novelliert werden. Nötig ist die Änderung vor allem, weil zum Jahresende die Frist für die Überprüfung von Mitarbeiterin im öffentlichen Dienst auf eine frühere Stasi-Tätigkeit ausläuft. Das Bürgerkomitee plädiert dafür, diese Frist gänzlich zu streichen oder deren Ende zumindest auf 2011 zu verschieben. Gleichzeitig ist die BStU zu einer Erschließungsoffensive aufgefordert, sodass alle für die Überprüfung relevanten Akten erschlossen sind. So lange muss die Regelüberprüfung bestehen bleiben – jede andere Entscheidung würde eine grobe Ungleichbehandlung früherer MfS-Mitarbeiter bedingen.

 

Das Bürgerkomitee hält darüber hinaus noch weitere Punkte des Gesetzes für novellierungsbedürftig. So sollte nach Meinung des Vereins unter anderem die Zweckbindung bei Forschungsprojekten entfallen, und es sollten alle Außenstellen der BStU erhalten bleiben. Näheres zu den Vorschlägen des Bürgerkomitees lesen Sie im Punkt „Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung“.

 

Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre.

Ihr Bürgerkomitee Leipzig

 

 

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INHALT

Wir laden ein

Rückblick

Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung

Aus dem Gästebuch

 

 

 

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WIR LADEN EIN

 

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9. NOVEMBER 2006 – 17 JAHRE NACH DEM MAUERFALL

LESUNG UND LANGE FILMNACHT IM MUSUEM IN DER „RUNDEN ECKE“

„Wäre das System noch da, so würde ich ihm weiterhin dienen“, glaubt er. Würde nichts ahnende Touristen bei ihrem Urlaub ausspionieren. Würde aber auch sich selbst und seine eigene Familie zerstören.

 

Es ist das freimütige Bekenntnis des Joseph Klempner alias „El Padre“, dessen Geschichte der Autor György Dalos in seinem Buch „Balaton-Brigade“ erzählt. Der Leser sieht sich darin in die Rolle des Täters versetzt und erfährt, wie der Stasi-Spitzel von damals nicht nur das Leben anderer Menschen zerstört hat, sondern auch sich selbst und insbesondere seiner Tochter Tamara all das raubte, was ihnen beiden lieb und teuer war. Die Geschichte spielt 1989 in Ungarn am Balaton, wo der Protagonist mit seiner Tochter Urlaub macht und sie gleichzeitig ausspioniert. Die Erzählperspektive hat zu kontroversen Diskussionen über das Buch geführt, denn Klempner erkennt keinesfalls einen Fehler in seinem Tun. Obwohl er seine eigene Tochter bespitzelt hat und diese nach der Wendezeit, aufgrund der Einsicht in ihre Akte, jeden Kontakt zu ihm abbricht, sieht er den Staat und seinen Willen als übergeordnetes Gesetz an. Er lebt in dem Konflikt, sich sowohl der Staatssicherheit als auch ihren Opfern verbunden zu fühlen.

 

„Als Schriftsteller urteile ich nicht, ich bestrafe, denn jede Sünde trägt die Strafe schon in sich“, begründet Dalos die Wahl des Themas, und schließlich hat auch er negative Erfahrungen mit Überwachungsapparaten gemacht. Nach dem Ungarn-Aufstand 1956 wurde er verurteilt und durfte fortan 19 Jahre kein Buch mehr publizieren. Nun wolle er sich hineinversetzen in diese ungewöhnliche Sichtweise um verstehen zu können, nicht aber um zu rechtfertigen. „Aus schriftstellerischer Neugier“, wie er sagt.

 

Das Museum in der Runden Ecke lädt am 9. November 2006, dem Tag des Mauerfalls, alle, die ebenfalls auf diese ungewöhnliche Sichtweise neugierig sind, zu einer Lesung des Autors György Dalos ein. Anschließend können die Gäste mit ihm über das Buch diskutieren. Die Veranstaltung beginnt 19.00 Uhr, im Anschluss läuft eine lange Filmnacht. Das Bürgerkomitee erinnert mit dem Abend traditionell an den Fall des Eisernen Vorhangs, der Europa radikal und nachhaltig verändern sollte. Die Veranstaltung schlägt einen Bogen von den Ereignissen des Herbstes ´89 zu den heutigen Versuchen, die jüngste Zeitgeschichte zu analysieren und mit ihr umzugehen.

 

Deren Schwerpunkt wird auf dem hochkarätig besetzten Film „Die Mauer – Berlin `61“ (WDR / team Worx-Film) von Hartmut Schoen liegen, u.a. mit Heino Ferch, Iris Berben und Inka Friedrich. Er zeigt den verzweifelten Kampf einer Familie, die durch den Mauerbau getrennt wurde. Die Eltern versuchen, ihren Sohn in den Westen zu holen; der wiederum gerät in einen Konflikt zwischen dem plötzlichen Verschwinden der Eltern und der geforderten Loyalität zur Partei. Erst in letzter Sekunde erkennt er die Ausbeutung seines Schicksals zu Propagandazwecken und beschließt, seinen Eltern zu folgen. Doch die geplante Flucht gerät zu einem Wettlauf mit der Zeit.

 

Im Focus eines weiteren Films steht das berühmte „Paneuropäische Picknick“ an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn. Im August 1989 hatten die Paneuropäische Union und Ungarns Demokratisches Forum vor dem Hintergrund der zunehmenden Entspannung an der Grenze zwischen beiden Ländern zu einer Art Volksfest eingeladen, während dem der Übergang Sopron (Ungarn) und St. Margarethen (Österreich) für drei Stunden geöffnet wurde. Diese Zeit genügte etwa 600 bis 800 Urlaubern aus der DDR, sich nach Österreich abzusetzen, ohne dass die Grenzsoldaten eingegriffen hätten.

 

„Sonnenbrand aus Bruderland“ wirft ebenfalls einen Blick nach Südosteuropa, ins sozialistische Bruderland Bulgarien. Die Schwarzmeerküste galt als beliebtestes Ausflugsziel für zahlungskräftige DDR-Urlauber, die in küstennahen Hotels einen Hauch von Südseeflair genießen konnten. Von den Feriengästen aus der Bundesrepublik blieben sie in der Regel freilich strikt getrennt, und die Reiseleiter der DDR-Gruppen zählten morgens ihre Schützlinge, um zu prüfen, ob sich auch keiner abgesetzt hatte. Nach der Rückschau zeigt der Film auch das heutige Ferienleben an der Schwarzmeerküste, die nach wie vor in ostdeutscher Hand ist.

 

Abgerundet wird das Programm von der Dokumentation „Ein Volks sprengt seine Mauern“, die historisches Bildmaterial mit Ausschnitten aus einem Benefizkonzert der Berliner Philharmoniker und dem „Konzert für Berlin“ kombiniert.

 

 

LANGE FILMNACHT MIT LESUNG

DONNERSTAG, 9. NOVEMBER 2006, 19.00 UHR

 

19.00 Uhr: SONNENBRAND IM BRUDERLAND

Ein Film von Till Lehmann

 

19.30 Uhr: BALATON-BRIGADE

Lesung und Diskussion mit dem Autor György Dalos

 

20.45 Uhr: JETZT ODER NIE – DAS ENDE DES EISERNERN VORHANGS

ZDF, 37°

 

21.15 Uhr: DIE MAUER – BERLIN `61

Ein Film von Hartmut Schoen

 

22.45 Uhr: EIN VOLK SPRENGT SEINE MAUERN

Ein Film des Senders Freies Berlin

 

 

 

11. NOVEMBER 2006, 18.30 – 0.30 UHR – SHUTTLE-LESUNG

Literatur an ungewöhnlichen Orten bietet die Shuttle-Lesung, die unter dem Motto „Quo vadis – Auf Entdeckungsfahrt durch die polnische Literatur“ steht. Gelesen wird an 15 Schauplätzen, unter anderem in der „Runden Ecke“ im Leipziger Stadtzentrum. Spannend, packend und zeitgemäß soll hier Literatur präsentiert werden.

 

Der Schauspieler Michael Schrodt liest in den Ausstellungsräumen der Gedenkstätte aus „Die Frau des Präsidenten“ von Stefan Chwin. Der Roman bewegt sich im Bereich der politischen Fiktion. Ein Patient einer psychiatrischen Klinik in Florida schreibt die Geschichte der Frau des polnischen Präsidenten. Dieser Patient ist Dolmetscher in der Armee, ein Amerikaner politischer Abstammung, der Krystyna (so der Name der First Lady) begegnet, als sie von Offizieren des amerikanischen Geheimdienstes verhört wird. Denn Krystyna wurde in Warschau als gefährliche Terroristin verhaftet und in ein geheimes Lager in den USA gebracht. Zuvor war sie vor ihrem – in eine Affäre mit einer Praktikantin verwickelten – Mann geflohen, hatte sich einer nicht näher definierten Sekte angeschlossen und war an merkwürdigen, sensationellen und abenteuerlichen Ereignissen beteiligt. Der Plot des Romans ist nur ein Vorwand. Seine Form ist nicht von Bedeutung, wichtig ist das, woraus er gemacht ist. Und das sind Dutzende von politischen Skandalen, die ungefähr in den letzten fünf Jahren Polen, Europa und die Welt erschütterten.

 

Programm und weitere Leseorte

 

 

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RÜCKBLICK

 

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HERBST `89 – AUFBRUCH ZUR DEMOKRATIE

Im Rahmen der städtischen Reihe „Herbst ´89 – Aufbruch zur Demokratie“, organisiert von einer Interessengemeinschaft aus Museen, Archiven und anderen Einrichtungen der Stadt, lud das Bürgerkomitee rund um den 9. Oktober zu Veranstaltungen in die Gedenkstätte ein.

 

 

3. OKTOBER 2006

VERNISSAGE DER SONDERAUSSTELLUNG „LETTLANDS WEG VON DER SINGENDEN REVOLUTION ZUR EUROPÄISCHEN UNION

„Ich gehöre zu denen, die 1989 die Montagsdemonstrationen hier in Leipzig mit eigenen Augen sehen konnten. Und ich war tief berührt als ich erkannte, dass sich diese Szenen zum verwechseln ähnlich auch in Lettland abgespielt haben.“ So beschreibt Irmtraut Hollitzer vom Museum in der „Runden Ecke“ ihren Eindruck von der deutsch-lettischen Gemeinschaftsausstellung, die anlässlich des Tags der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2006 im ehemaligen Stasi-Kinosaal eröffnet wurde. Zu sehen ist eine Ausstellung des lettischen Oppositionsmuseums Riga zum Thema „Lettlands Weg von der singenden Revolution bis zur Europäischen Union“ sowie die Ergebnisse eines Projektes hamburgischer und lettischer Schüler, die sich mit einem „Vergleich der Montagsdemonstrationen in der DDR mit den Demonstrationen zur Überwindung der Diktatur in Lettland“ auseinandergesetzt haben.

 

In ihren einführenden Worten machte Irmtraut Hollitzer auf die parallelen Entwicklungen in beiden Ländern aufmerksam und betonte, wie erstaunlich und zugleich erfreulich es sei, dass den Menschen hier wie dort der friedliche Weg aus der Diktatur gelang. Sie dankte dem Oppositionsmuseum wie auch den Schülern für die Möglichkeit, den Menschen in Leipzig die Umwälzungen, die sich im Europa des Jahres 1989 vielerorts manifestierten und glichen, im Museum vor Augen führen zu können.

 

Doch nicht nur für alle, die sich die fertige Ausstellung heute ansehen, sei sie eine Bereicherung, sagte der Projektbetreuer der hamburgischen Berufsschüler, Reinhard Dreyer, sondern auch für die an der Entstehung Beteiligten. Viele wichtige Erfahrungen hätten er und seine Schüler gemacht; sowohl bei ihren Recherchen in Leipzig als auch bei der gemeinsamen in Arbeit in Riga. „Ich bin Wessi“, schloss er, „und wir alle wussten nur wenig.“ Eine lettische Schülerin pflichtete ihm bei. Sie unterstrich den Aspekt, dass man sich mit Menschen gleichen Alters habe austauschen können, die zwar in einem anderen Land lebten, aber dennoch eine verblüffend ähnliche Geschichte aufzuweisen hätten.

 

Günter Hönemann, Vorstandsmitglied des Bürgerkomitees Leipzig e.V., verlas anschließend Grußworte des lettischen Botschafters in Berlin. Darin wurde die Bedeutung der Aufarbeitung für das heutige interkulturelle Zusammenleben deutlich gemacht. Vielen seiner Landsleute sei noch heute die Unterstützung ihres Wegs zur Demokratie durch die Bundesrepublik in guter Erinnerung. Eine solche gemeinsame Vergangenheit stärke das Verständnis füreinander und trage, so der Botschafter, zu gegenseitiger Achtung und Wertschätzung bei. Schließlich verleihe die Einbindung in ein festes Wertesystem beiden Ländern mehr Sicherheit.

 

Dieser Meinung war auch Meldra Usenko, die als Direktorin des lettischen Oppositionsmuseums insbesondere den Schülern und dem Museum in der „Runden Ecke“ für die Unterstützung und die Möglichkeit dankte, die eigene Ausstellung zu präsentieren. Ihre Worte schlossen den einleitenden Teil der Veranstaltung ab. Mitwirkende und Gäste der Eröffnung stießen anschließend mit einem Glas Sekt an und diskutierten in kleineren Gruppen über die Ausstellung.

 

 

AM 6. OKTOBER 2006

DISKUSSION UND FILM: GEHEIME VIDEOS – MUTIGE BÜRGER.

Leipzig als Olympiastadt – diese Vision hatte schon Erich Honecker 1989. Die Messestadt sollte sich für die Spiele 2004 bewerben, obwohl sie sich in einem trostlos desolaten Zustand befand: heruntergekommene Altbauten, Dauersmog aus dem südlich gelegenen Braunkohletagebau, ganze Stadtviertel verfallen. Gezeigt wurde das im offiziellen DDR-Fernsehen freilich nicht. Dort waren stattdessen Bilder vom herausgeputzten Messegelände und pompösen Feierlichkeiten im Zentralstadion zu sehen.

 

Was die Bewohner Leipzigs vom Plan Olympia hielten, darüber hätte eigentlich nie berichtet werden sollen, schon gar nicht von einem Sender des Klassenfeindes. Dennoch lief am 12. September 1989 im Magazin „Kontraste“ des SFB eine Dokumentation, in der endlos verfallene Straßenzüge zu sehen und unzufriedene Einwohner zu hören waren. Aus heutiger Sicht möge die Sendung banal wirken, kommentierte der Journalist Christian Booß am 6. Oktober 2006 im ehemaligen Stasi-Kinosaal in der „Runden Ecke“. „Aber vor ´89 hätte sie so eigentlich nicht stattfinden dürfen.“

 

Der „Kontraste“-Film lief im Rahmen der Veranstaltung „Geheime Videos – mutige Bürger“ in der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, die vom Bürgerkomitee als Beitrag zur städtischen Reihe „Herbst ´89 – Aufbruch zur Demokratie“ organisiert wurde. Moderator Christian Booß diskutierte mit dem heutigen ADR-Journalisten Siegbert Schefke, der seinerzeit die heimlichen Aufnahmen in Leipzig gemacht hatte, und Roland Jahn, dem zuständigen Redakteur bei „Kontraste“. Die Bilder für die Sendung zur Olympia-Bewerbung Leipzigs waren nicht die ersten gewesen, die Schefke aufgenommen und auf geheimen Wegen an Jahn weitergeleitet hatte, und es sollten auch nicht die letzten bleiben. „Jahrelang“, erinnerte sich Roland Jahn, „haben wir nur telefoniert. Persönlich begegneten wir uns erst am Tag des Mauerfalls. Trotzdem hatte sich bis dahin bereits eine tiefe Vertrautheit entwickelt.“

 

Anliegen des Politmagazins war es, über die offiziell verschwiegenen Zustände im Osten zu berichten. Und zwar nicht nur für die Bevölkerung der Bundesrepublik – vielmehr sollten die Bilder auch in die DDR zurückstrahlen. Ein offizieller ARD-Korrespondent, so Jahn, hätte derart brisantes Material unter keinen Umständen erbringen können. Dafür wurden die Journalisten aus dem so genannten Nichtsozialistischen Wirtschaftsraum zu intensiv überwacht und hätten sich mit allzu kritischen Berichten wohl auch selbst in Gefahr gebracht.

 

Auch für Siegbert Schefke, der damals noch in Berlin lebte und für Filmaufnahmen mehrfach nach Leipzig reiste, waren diese Drehs nicht ungefährlich. Die Staatssicherheit überwachte ihn und seinen Kompagnon, konnte die beiden jedoch nie mit der Kamera erwischen. „Sie konnten sich wohl sowieso nicht vorstellen, dass hinter den Aufnahmen nur zwei Personen stecken“, berichtete Schefke amüsiert. „Die vermuteten ein ganzes ‚Nest’, natürlich vom BND gesteuert.“ Waren die Aufnahmen beim SFB angekommen – eingeschmuggelt vom Ostberliner Korrespondenten des „Spiegel“ – wurde deren Herkunft sorgfältig verschleiert: Weder der Name von Siegbert Schefke noch der von Roland Jahn tauchte im Abspann auf. Der SFB-Redakteur, selbst früher in der DDR wohnhaft und dort auch inhaftiert, erklärte während der Veranstaltung in der „Runden Ecke“: „Ich konnte nur deshalb guten Gewissens DDR-Bürger dazu animieren, heimlich zu drehen und sich dabei selbst in Gefahr zu bringen, weil ich mich schon in ähnlichen Situationen befunden hatte.“

 

Das Meisterstück gelang Schefke am 9. Oktober in Leipzig. Während der entscheidenden Montagsdemonstration, bei der 70.000 Menschen den bewaffneten Organen einen gewaltfreien Verlauf abzwangen und damit der Friedlichen Revolution zum Durchbruch verhalten, filmte er vom Turm der reformierten Kirche, unmittelbar am Ring. „Ich habe geheult, als ich die Bilder im SFB-Studio gesehen habe“, erinnert sich Roland Jahn. Er platzierte sie dann umgehend in den Tagesthemen, wo der Sprecher Hans-Joachim Friedrichsen sie zur Tarnung als Aufnahmen eines italienischen Fernsehteams anmoderierte. Wenig später gingen die Bilder um die Welt.

 

Auch während der folgenden Montagsdemonstrationen waren Schefke und sein Kompagnon in Leipzig unterwegs. Die Kamera steckte in einer Plastiktüte und war in ein Handtuch eingewickelt. Obwohl ab dem 9. Oktober spürbar gewesen sei, dass das Ende des Staates bevorgestanden habe, trauten sich die beiden nicht, offen zu filmen. Das taten sie erst am 23. Oktober: „Da war dann auch schon das DDR-Fernsehen da.“

 

 

9. OKTOBER 2006

LANGE FILMNACHT: DER 9. OKTOBER – TAG DER ENTSCHEIDUNG

Am 9. Oktober stand alles auf des Messers Schneide. Der Ausgang der abendlichen Montagsdemonstration machte klar, dass eine „Friedliche Revolution“ nicht undenkbar war und entschied darüber, wie unser heutiges Europa aussehen würde. Heute fällt es schwer, sich einen anderen als den friedlichen und waffenlosen Ausgang des Tages vorzustellen.

 

Siebzigtausend wagten damals alles und errangen einen ersten wichtigen Sieg. In Erinnerung daran zeigte das Museum in der „Runden Ecke“ zum siebzehnten Jahrestag des 9. Oktobers im ehemaligen Stasi-Kinosaal Filme zum Thema.

Es liefen Teil 1 und 2 von „Leipzig im Herbst“, einem Film von Andreas Voigt aus dem Jahr und 1991und anschließend eine Produktion des deutschen Fernsehfunks von 1990: „Leipzig im Oktober“. Zuletzt wurde der 1994 erschienene Film „9. Oktober – Tag der Entscheidung“ von Eckehard Kuhn gezeigt – der Namenspate des Abends.

120 Besucher nutzten die Möglichkeit, an authentischem Ort der langen Filmnacht beizuwohnen.

 

 

 

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NEUES AUF DEM GEBIET DER AUFARBEITUNG

 

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BÜRGERKOMITEE SIEHT DRINGENDEN ÄNDERUNGSBEDARF AM VORLIEGENDEN ENTWURF ZUR NOVELLIERUNG DES STASI-UNTERLAGEN-GESETZES

Das Stasi-Unterlagen-Gesetz (StUG) steht vor der siebenten Novellierung in seiner erst 15-jährigen Geschichte. Die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben am 17. Oktober 2006 einen entsprechenden Entwurf vorgelegt (Bundestags-Drucksache 16/2969).

 

Das Bürgerkomitee begrüßt ausdrücklich, dass das Gesetz fortentwickelt und aktuellen Erfordernissen angepasst wird. Schließlich regelt es den Umgang mit historisch und gesellschaftspolitisch bedeutsamen Dokumenten zur Zeitgeschichte. Der Verein unterstützt daher die Bemühungen um eine Novellierung des StUG, hält den vorliegenden Entwurf aber in einigen Punkten für nicht weit reichend genug beziehungsweise dringend korrekturbedürftig. Eine entsprechende Stellungnahme ging am 2. November den Mitgliedern des Kulturausschusses sowie den Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag zu.

 

 

BÜRGERKOMITEE PLÄDIERT FÜR ENTFRISTUNG DER ÜBERPRÜFUNGSMÖGLICHKEIT UND FÜR ERSCHLIESSUNGSOFFENSIVE DER BSTU

Besondere Eile hat die Novellierung der Paragraphen 20 und 21 StUG. Die dort vorgesehene Überprüfung auf eine mögliche frühere MfS-Tätigkeit vor allem im Öffentlichen Dienst aber auch Bereich der Kirchen oder des Sports, läuft zum Ende dieses Jahres aus. Dann soll nur noch für Vertreter einiger weniger Berufsgruppen (etwa Richter, Abgeordnete etc.) eine Auskunft bei der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen eingeholt werden dürfen.

 

Das Bürgerkomitee schließt sich dem Vorschlag des Bundesrates (Bundesrats-Drucksache 425/06) an, die Befristung für die Regelüberprüfung gänzlich aufzuheben. Es gibt schon jetzt keine Pflicht zur Überprüfung sondern das Gesetz regelt nur die Möglichkeit. Alternativ fordert der Verein zumindest eine Verschiebung der Frist um fünf Jahre auf 2011.

 

Eine solche Fristverschiebung wäre vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass noch immer entscheidende Aktenbestände unerschlossen sind, geboten. Mindestens bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die BStU alle Akten erschlossen hat und die zerrissenen Akten über das EDV-Projekt computergestützt zusammengesetzt sind, muss die Überprüfungsmöglichkeit verlängert werden. Jede andere Entscheidung würde eine grobe Ungleichbehandlung früherer MfS-Mitarbeiter bedingen.

 

Sollte der Gesetzgeber dennoch entscheiden, die Überprüfungsmöglichkeit zu beenden, muss unter allen Umständen dafür Sorge getragen werden, dass dies keinesfalls auch eine Einschränkung der Zugangsmöglichkeiten zu Unterlagen früherer hauptamtlicher und inoffizieller MfS-Mitarbeiter zur Folge hat. Insbesondere die Nutzung durch die Forschung und die Medien muss uneingeschränkt möglich bleiben. Die im Novellierungsvorschlag enthaltene Formulierung „darf die Tatsache einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst dem Mitarbeiter im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden“ ist ersatzlos zu streichen. Bleibt sie erhalten, könnte dies durch die Rechtsprechung sowie die BStU-Praxis unbeabsichtigte negative Auswirkungen im Bereich der Verwendung der Stasi-Unterlagen durch Wissenschaft, Medien und politischer Bildung haben und würde das Ende der Aufarbeitung bedeuten.

 

 

WEITERER NOVELLIERUNGSBEDARF UNTER ANDEREM BEI ZWECKBINDUNG, FORSCHUNGSPRIVILEG UND ERHALT DER BSTU-AUSSENSTELLEN IN ALLEN NEUEN LÄNDERN

Novellierungsbedarf besteht auch in weiteren Punkten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Der vorliegende Entwurf berücksichtigt bereits einige dieser Fragen, muss aber laut Meinung des Bürgerkomitees noch darüber hinausgehen. Der Verein hält unter anderem folgende Änderungen für nötig:

 

• Die Zweckbindung bei Forschungsanträgen muss entfallen. Nur so können die Akten als historische Quellen für alle Fragestellungen der wissenschaftlichen Forschung herangezogen werden.

• Das Nutzungsprivileg für Mitarbeiter der BStU muss endlich auch auf die externe Forschung ausgedehnt werden. Bisher haben nur Wissenschaftler der Behörde Zugang zu ungeschwärzten Akten. Dieser sollte jedoch für jeden Forscher gegeben sein, selbstverständlich ohne dass dieser von den Anforderungen des Datenschutzes entbunden ist. Entsprechende Regelungen aus anderen Gesetzen, so beispielsweise der Strafprozessordnung, können dazu problemlos übernommen werden.

• Ersatzlos zu streichen ist die Pflicht zur Benachrichtigung von Funktions- und Amtsträgern sowie Personen der Zeitgeschichte vor der Herausgabe von Akten zu ihrer Person. Diese Regelung wurde nachträglich ins Gesetz aufgenommen, verursacht einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand und führt zu einer drastischen Einschränkung der Forschungsfreiheit, da fast alle relevanten Informationen geschwärzt werden.

• Die derzeitigen Außenstellen der BStU müssen vollständig erhalten bleiben. Sie sind mit ihren Archiven unverzichtbare Standorte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur in den Ländern. Im vorliegenden Gesetzentwurf ist lediglich eine Kann-Bestimmung für den Erhalt der Außenstellen vorgesehen.

 

Angesichts des sehr engen Zeitrahmens, der jetzt für eine parlamentarische Behandlung noch verbleibt, plädiert das Bürgerkomitee allerdings dafür, in diesem Jahr nur das Problem der Befristung der Überprüfungsmöglichkeit auf eine Stasi-Mitarbeit zu lösen, und die grundsätzlich notwendige Anpassung des StUG mit der nötigen Zeit für Fachgespräche und gesellschaftliche Diskussionen im kommenden Jahr zu behandeln.

 

 

Ausführliche Informationen zum Thema gibt es auch auf der Website der Robert-Havemann-Gesellschaft.

 

 

 

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AUS DEM GÄSTEBUCH

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

 

Viele unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch und schreiben hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben. Unter dieser Rubrik geben wir monatlich einige dieser Einträge an Sie weiter.

 

 

„Eine interessante, wichtige Ausstellung, die hoffentlich auch viele Jugendliche erreichen wird.“

Eintrag von Besuchern vom 06.10.2006.

 

„Die gewonnene Freiheit muss nun gegen bzw. vor jedem Missbrauch geschützt werden.“

Eintrag eines Besuchers vom 08.10.2006.

 

„Am Montag, dem 09.10.1989, stand ich als Westdeutscher mit grünem BRD-Pass in der Tasche (Verwandtenbesuch) mit den anderen zigtausend an der Nikolaikirche. Ich werde es nie vergessen. Heute ist wieder der 09.10., es ist wieder Montag. Darum bin ich hergekommen. Es wird nicht das letzte Mal sein. Diese Ausstellung wird von Jahr zu Jahr wichtiger.

Eintrag eines Besuchers aus Münster.

 

„Schrecklich, was die Bürger der DDR erfahren haben. Verraten durch eigene Mitbürger und verfolgt. Mehr als 40 Jahre. Wichtig, dass die Geschichte hier bewahrt wurde.“

Joop und Rosa Comelissen-Lausen aus den Niederlanden, 16.10.2006.

 

„DDR = Deutsche Demokratische Republik. Ich frage mich immer wieder, was daran wohl ‚demokratisch’ war? Ich ärgere mich, dass ich damals zu jung war um alles mitzubekommen – aber meine Eltern sagten mir mal, dass auch sie (wir sind vom ‚Westen’) nicht viel mitbekommen haben, da wir keine Verwandten hier hatten. Super, dass es solche Einrichtungen wie diese ermöglichen, einen Einblick zu bekommen.“

Eintrag einer Besucherin am 23.10.2006.

 

„Interessant für uns ‚Wessis’ was man mit Witzen wie z.B. ‚baut die Mauer wieder auf’ eigentlich anrichtet!“

Eintrag eines Besuchers.

 


 



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Bürgerkomitee Leipzig e.V.
für die Auflösung der ehemaligen Staatssicherheit (MfS)
Träger der Gedenkstätte
Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker
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