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Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

Bevor das Jahr zu Ende geht, laden wir Sie zu einer letzten Veranstaltung in die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ ein. Den Jahrestag der Leipziger Stasi-Besetzung, den 4. Dezember, begehen wir in diesem Jahr mit einer Film- und Diskussionsveranstaltung. Im ehemaligen Stasi-Kinosaal zeigen wir „Das Leben der Anderen“ und debattieren anschließend mit Vertretern aus politischer Bildung und Aufarbeitung über das kontrovers aufgenommene Regiedebüt von Florian Henckel von Donnersmarck. Wir laden Sie dazu herzlich ein.

 

Danach wünschen wir Ihnen und Ihrer Familie eine ruhige Adventszeit, ein frohes Fest und einen guten Jahresbeginn 2007 sowie zunächst eine interessante Lektüre.

Ihr Bürgerkomitee Leipzig

 

 

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INHALT

Wir laden ein

Rückblick

Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung

Aus dem Gästebuch

 

 

 

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WIR LADEN EIN

 

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4. DEZEMBER 2007, 18.30 UHR

„DAS LEBEN DER ANDEREN“ – GESCHICHTSAUFARBEITUNG ODER KASSENSCHLAGER?

„Kultfilm“ oder „politische Ignoranz“? „Lebendige Geschichte“ oder „prophylaktische Exkulpierung wahrer Täter“? Die Kritiken für den Kinofilm „Das Leben der Anderen“ könnten kontroverser nicht sein und haben in der Regel nur eines gemeinsam: Sie bewegen sich im Bereich der Extreme. Kalt gelassen hat das Kinodebüt des jungen Regisseurs Florian Henckel von Donnersmarck also offenbar niemanden, nur streitet sich die Fachwelt in Wissenschaft, politischer Bildung und Erinnerungspolitik, ob es nun für die Aufarbeitung der SED-Diktatur besonders nützlich oder besonders abträglich ist. Differenzierte Bewertungen kommen immerhin zu dem Schluss, das Stasi-Drama sei „künstlerisch ein Meisterwerk - historisch ein Märchen“.

 

 

FILM UND DISKUSSION IM MUSEUM IN DER „RUNDEN ECKE“

Das Bürgerkomitee Leipzig e.V. beteiligt sich anlässlich des 17. Jahrestages der Besetzung der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit am 4. Dezember 2006 mit der Vorführung des Films „Das Leben der Anderen“ sowie einer anschließenden Podiumsdiskussion an der aktuellen Debatte. Interessierte sind eingeladen, die Veranstaltung ab 18.30 Uhr zu besuchen. Wer den Film bereits gesehen hat und nur der Diskussion beiwohnen möchte, ist auch dazu eingeladen. Der Eintritt in den ehemaligen Stasi-Kinosaal ist frei.

 

Die Veranstaltung wird der Frage nachgehen, ob historische Ungereimtheiten den Spielfilm automatisch disqualifizieren oder er dennoch das Prädikat „pädagogisch wertvoll“ verdient und wesentlich zur Geschichtsbildung beiträgt. Anhand einzelner Filmszenen werden momentan Details aus der Arbeit des MfS debattiert, für die sich sonst außerhalb der Wissenschaftlerbüros wohl niemand interessiert hätte: Saß ein Stasi-Offizier, der einen Operativen Vorgang leitete, selbst an der Abhöranlage und tippte Berichte? Nein. War er dabei, wenn die Wohnung des Überwachten verwanzt wurde? Sehr unwahrscheinlich. Hat es je Fälle gegeben, in denen ein MfS-Ermittler seinem Opfer zur Seite sprang und klammheimlich Beweismittel verschwinden ließ - und wenn ja, hätte dies lediglich eine Strafversetzung zur Folge gehabt? Nichts dergleichen ist überliefert, hätte der Betreffende doch mit Untersuchungsverfahren und Haft rechnen müssen.

 

 

DEUTSCHER FILMPREIS UND OSKAR – „DAS LEBEN DER ANDEREN“ UND SEIN GESELLSCHAFTLICHER WERT

Während der Film zur Zeit allen Diskussionen und Kritiken zum Trotz reihenweise Wettbewerbe gewinnt und Nominierungen für den Europäischen Filmpreis und sogar den Oscar erhält, debattiert eine breite Öffentlichkeit seit Monaten darüber, wie die Tätigkeit des MfS aus heutiger Sicht zu bewerten sei. Solche Aufmerksamkeit für ein zunehmend stiefmütterlich behandeltes Thema geweckt zu haben, allein dafür gebührt dem Regisseur Dank. Ohne Zweifel hat er wesentlich dazu beigetragen, in Zeiten, in denen frühere MfS-Offiziere unverholen öffentlich auftreten, für die Opfer der Diktatur zu sensibilisieren.

Um den gesellschaftlichen Wert des Films aus verschiedenen Perspektiven zu durchleuchten, sind für die Podiumsdiskussion Teilnehmer unterschiedlichster Provenienz eingeladen, deren kontroverse Sichtweisen eine facettenreiche und spannende Debatte versprechen. So wird einerseits die Meinung eines Beteiligten an der Filmproduktion zu hören sein, wie auch die kritische Perspektive eines Vertreters des Forschungsverbundes SED-Staat.

 

 

DER 4. DEZEMBER 1989 – DIE BEZIRKSVERWALTUNG FÜR STAATSSICHERHEIT WIRD BESETZT

Jedes Jahr am 4. Dezember erinnert das Bürgerkomitee mit einer Veranstaltung an einen der Höhepunkte der Friedlichen Revolution in Leipzig: Am 04.12.1989 besetzten Bürger im Anschluss an eine Montagsdemonstration die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit, in der auch nach Mauerfall und Grenzöffnung weiter gearbeitet wurde. Sie legten die Arbeit des MfS lahm und stoppten die seit Wochen laufende Aktenvernichtung. Noch in der Nacht zum 5. Dezember gründete sich das Bürgerkomitee, das in der Folge die Bezirksverwaltung auflöste und sich gleichzeitig als Mittler zur Öffentlichkeit verstand. Seit 1990 ist der Verein Träger der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“.

 

 

PROGRAMM

 

 

18.30 UHR: FILMVORFÜHRUNG

 

„Das Leben der Anderen“

Regie: Florian Henckel von Donnersmarck, Deutschland 2005

 

 

GEGEN 21.00 UHR: PODIUMSGESPRÄCH mit

 

TOBIAS HOLLITZER, Bürgerkomitee Leipzig e.V.

KLAUS SPIELHAGEN, Requisiteur des Films „Das Leben der Anderen“

TOBIAS VOIGT, FU Berlin, Forschungsverbund SED-Staat

KONRAD WEIß, Publizist, Filmemacher

KATRIN WILLMANN, Bundeszentrale für politische Bildung

CHRISTIAN BOOß, Journalist, Berlin

 

 

 

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RÜCKBLICK

 

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9. NOVEMBER 2006

„9. NOVEMBER 1989 – FALL DER MAUER“ LANGE FILMNACHT MIT LESUNG

„Erich Mielke ist uninteressant.“ Mit dieser Aussage brachte György Dalos das Publikum, das sich am Abend des 9. November 2006 im ehemaligen Stasi-Kinosaal des Museums in der „Runden Ecke“ versammelt hatte, zum Lachen. Man könne keinen Roman über den ehemaligen Stasi-Chef schreiben, weil er nur Teil des Systems gewesen sei, fuhr der Autor fort, und ihn interessiere „die Sünde, das Fiasko“.

 

Das sei bei den großen Autoren der Literaturgeschichte nichts anderes gewesen, meinte er. Die bedeutendsten Werke drehten sich um Hass und Liebe, Gut und Böse. Warum er sich selbst allerdings überaus bescheiden nicht zu diesen Schriftstellern zählte, sondern sich sogar bewusst abgrenzte, ließ er hingegen offen. Literaturkritiker zählen Dalos zu den bedeutendsten zeitgenössischen Autoren Ungarns.

 

Dann ließ der Autor mit ruhiger Stimme die Geschichte des Joseph Klempner vor dem geistigen Auge des Publikums vorüberziehen; eines Mannes, der „Opfer seines eigenen Tuns“ gewesen sei – „und das ist sein Schicksal“, erläuterte Dalos später. Die Bilder, die dabei entstanden, waren von einer Klarheit und Ungebrochenheit, dass ihm am Ende der Lesung die Frage gestellt wurde, wie er sich derart genau in die Rolle eines Täters habe hineinversetzen können, wo er selbst doch Opfer gewesen sei.

 

Er habe sich „nicht als Opfer gesehen“, antwortete Dalos prompt. Er sah in verständnislose Gesichter. Warum sagte das jemand, der wegen ‚maoistischer Umtriebe’ 1968 Berufs- und Publikationsverbot erhielt? Ohne weiter auf diese Frage einzugehen, fuhr er in seiner Erklärung fort. Nun hätten sich Geheimdienste in der Vergangenheit derart intensiv um ihn gekümmert, „dass ich mich jetzt um sie kümmere. In Ungarn sagt man zu solchen Menschen, sie hätten eine große Zukunft hinter sich.“ Wieder hatte Dalos die Lacher auf seiner Seite, das Publikum war sichtlich begeistert von einem Autor, der alles Beweinenswerte immer auch zum Lachen finden will, wie er sagte. Und weil man ihm das mühelos glauben konnte.

 

Das wird man von Joseph Klempner nicht behaupten. Der ehemalige Hauptmann der Staatssicherheit erzählt seine Lebensgeschichte seinem Hund, denn der hört ihm widerspruchslos zu. Außerdem meint Klempner, der Hund müsse sich gut in seine Situation hineinversetzen können, da auch er seine Geheimnisse gehabt habe. Die Hintergründigkeit des Hinweises, dass diese in Form von Fressensresten stets aufgedeckt worden seien, weil sie angefangen hätten zu stinken, scheint ihm dabei nicht in den Sinn zu kommen. Der Leser bzw. Zuhörer jedoch merkte den untergründigen Sarkasmus des Autors, der immer auch Widersprüche grell aufleuchten ließ.

 

Dalos allerdings wollte von einer pädagogischen Wirkung des Buches nichts wissen. Er habe beim Schreiben die meiste Freude gehabt und in erster Linie einen moralischen Standpunkt vertreten. Nicht zuletzt deswegen erzähle er ungewöhnlicherweise aus der Perspektive des Täters.

 

Vor und nach der Lesung wurden die Besucher mit verschiedenen Filmen und Dokumentationen zum Thema ‚Mauer’ und ‚Ungarn’ eingestimmt und mit den notwendigen Hintergrundinformationen versorgt. So zeigte das Museum unter anderem den Spielfilm „Die Mauer – Berlin `61“ von Hartmut Schoen und schloss somit gedanklich den Kreis zwischen Joseph Klempner, Ungarn sowie dem Mauerbau und –fall. Bevor die Besucher nach Hause gingen, erhielten sie noch die Möglichkeit, ein Exemplar des Buches „Balathon-Brigade“ zu erstehen und vom Autor persönlich signieren zu lassen.

 

Das Bürgerkomitee erinnerte mit dem Abend traditionell an den Fall des Eisernen Vorhangs, der Europa radikal und nachhaltig verändern sollte. Die Veranstaltung schlug einen Bogen von den Ereignissen des Herbstes ´89 zu den heutigen Versuchen, die jüngste Zeitgeschichte zu analysieren und mit ihr umzugehen.

 

 

11. NOVEMBER 2006

„QUO VADIS – AUF ENTDECKUNGSFAHRT DURCH DIE POLNISCHE LITERATUR“

Es sei ein Roman der Kategorie „Politische Fiktion“, ließ der Schauspieler Michael Schrodt das Publikum am Abend des 11.11.2006 in den Gängen der ehemaligen Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Leipzig wissen, mit dem der Autor Stefan Chwin der Gattung etwas vollkommen Neues und Unbekanntes verliehen habe.

 

Im Rahmen der 2. Leipziger Shuttle-Lesung „Quo Vadis – Auf Entdeckungsfahrt durch die polnische Literatur“ las Schrodt zwischen 18.00 und 24.00 Uhr mehrmals einen Teil aus Chwins Roman „Die Frau des Präsidenten“. Das Publikum war stets ein anderes, da die Teilnehmer mit Bussen quer durch Leipzig fuhren und dabei neben der „Runden Ecke“ auch zwölf andere Lesungsorte literarisch entdeckten, beispielsweise das Krematorium am Südfriedhof oder die Fußballumkleide im Zentralstadion.

 

Es gehe in Chwins Buch um die großen Affären, die Deutschland, Amerika und sogar die ganze Welt bewegten; um Liebesbeziehungen, Folterungen und andere Skandale. Er ließ anklingen, dass dieser Roman alles andere als ‚normale’ Klischees bediene. Vielmehr gehe es um Sekten, Psychosen und Krieg, doch all das in einer scheinbar burlesken, ironischen Art und Weise.

 

Nach dieser Einleitung ließ Schrodt eine kurze Pause entstehen, die er nutzte, um sich seines Jacketts zu entledigen und es sich zur Überraschung und Belustigung des Publikums auf der obersten Stufe der neben ihm stehenden Leiter bequem zu machen. Was dann begann, beschrieben die Besucher im Anschluss als erschreckend und aufregend zugleich.

 

Schrodt schlüpfte in die Rolle eines psychisch Gestörten aus dem Roman „Die Frau des Präsidenten“, dem sein behandelnder Arzt zur Überwindung posttraumatischer Belastungsstörungen das Aufschreiben seiner Gedanken verordnet. Bei der Aufzählung dieser Gedanken wurde klar, warum das Museum in der „Runden Ecke“ als idealer Lesungsort ausgewählt worden war. In steigender Ekstase berichtete der Schauspieler von der Angst seiner Figur vor Mikrofonen in Wänden und Menschen, die sein Essen mit Substanzen anreichern, die in Sekundebruchteilen sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verändern könnten. Davon, dass Menschen heute „Speichelproben von Cola-Bechern, die du im Restaurant stehen gelassen hast“ nehmen und sogar die Hautfetzen, die noch am Rasierer kleben, auf DNA überprüfen würden. Immer lauter berichtete er von Stichworten, deren Eingabe in Suchmaschinen überwacht wird und Pornoseiten, die man längst nicht mehr allein besuche. Dass in Schlafwägen Akten kopiert und in Hotelzimmern Sachen durchwühlt würden, stand für ihn fest.

 

Nach diesen ersten Vorstellungen hielt Schrodt nichts mehr auf der Leiter. Mit einem Satz sprang er auf den Panzerschrank neben ihm und musste sogar den Kopf ein wenig einziehen, um nicht gegen die Decke zu stoßen. Es schien, als habe er Angst sogar vor dem Publikum, so sehr presste er sich an die Wand. Mittlerweile war die Erregung in seiner Stimme nicht mehr zu überhören. Ausgeliehene Bücher würden kontrolliert und wenn man sich ein gefährliches Buch ausleihe, dann werde der Name auf irgendwelchen Listen mit einem fetten roten Marker unterstrichen und ein Kreuz daneben gemacht sowie alle Daten gesammelt, codiert und mit einem Decknamen versehen. Plötzlich sprang er von dem Schrank herunter und las weiter, dass ‚sie’ einen vor wirklich allem schützen würden, vor jedem Fehltritt, vor falschen Freunden. Und, so schrie er im Davonlaufen, sogar vor der Verfassung.

 

Die Zuschauer der Lesungen wussten lange nicht, ob sie klatschen sollten oder nicht, ob die Vorstellung hier ihr Ende gefunden habe oder noch weitergehe. Erst mit einiger Verzögerung setzte der Applaus ein. Doch ob sie Zeuge einer psychopathischen Vision oder möglicherweise einer realistischen Einschätzung unserer Gegenwart geworden waren, dürfte als Frage den Zuhörern noch einige Zeit Kopfzerbrechen bereiten.

 

Am Ende stimmten alle überein, dass die Lesung wie maßgeschneidert in die Räumlichkeiten des heutigen Museums in der „Runden Ecke“ passe. Dabei erinnerten sich wohl auch einige an die Geruchsproben, von denen die Rede gewesen war und die tatsächlich schon vom MfS angefertigt wurden. So hat die Lesung erreicht, was ihr Ziel war: Literatur an einem ganz besonders ungewöhnlichen Ort zu präsentieren. Und die Menschen zum Nachdenken über die politische Gegenwart zu bewegen.

 

 

 

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NEUES AUF DEM GEBIET DER AUFARBEITUNG

 

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ERKLÄRUNG DES BÜRGERKOMITEES ZU MITARBEITERN DER BSTU MIT MFS-VERGANGENHEIT

Früher Mitarbeiter der Staatssicherheit, heute Angestellter bei der Stasi-Aufarbeitungsbehörde – solche Karrieren dürfte es eigentlich nicht geben. Und doch war heute aus der Tageszeitung „Die Welt“ zu erfahren, dass die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen (BStU) mehr als 50 Personen mit eben jener Biographie beschäftigt. Obwohl ihre frühere hauptamtliche oder inoffizielle Tätigkeit intern bekannt ist, arbeiten sie in teilweise exponierten Positionen.

 

Als Verein, der den Weg für die Gründung der BStU mit geebnet hat, ist das Bürgerkomitee betroffen von den jetzt ans Licht gekommenen Fakten. Auch die Reaktion der Behörde, die in ihrer Pressemitteilung abzuwiegeln versucht, ist erschreckend. Man fühlt sich unangenehm erinnert an die Vertuschungsstrategie des Mitteldeutschen Rundfunks, der vor fünf Jahren ebenfalls hartnäckig sein internes Problem mit belastetem Personal heruntergespielt hatte. Es ist unerträglich, dass die beiden Bundesbeauftragten Joachim Gauck und Marianne Birthler jetzt, da ihre eigenen Personalentscheidungen hinterfragt werden, genau so reagieren wie die Institutionen, die sie in den vergangenen Jahren eben dafür kritisiert hatten.

 

Das Bürgerkomitee Leipzig, das Anfang der 90er Jahre an der Verabschiedung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes und somit der Gründung der BStU beteiligt war, ist entsetzt über die hohe Quote belasteter Behördenmitarbeiter. Von Anfang an hatten die Leipziger Stasi-Auflöser, ebenso wie andere Aufarbeitungsinitiativen, die Beschäftigung von MfS-Personal abgelehnt. Das Argument, man brauche zum Erschließen der Stasi-Akten unbedingt deren Insiderwissen, ist absurd, schließlich werden auch Überlieferungen aus weiter zurückliegenden Epochen ohne Hilfe von Zeitzeugen quellenkritisch ausgewertet.

 

Bei der Auflösung der Staatssicherheit in Leipzig und seinen eigenen Forschungen hat das Bürgerkomitee stets die Erfahrung gemacht, dass ehemalige MfS-Mitarbeiter entweder gar nicht zur Kooperation bereit waren, oder ihre Tätigkeit in unerträglicher Weise glorifizierten. Wichtiges Fachwissen war von ihnen noch nie zu erhalten. Sie haben den Bürgerrechtlern nicht geholfen, sondern vielmehr versucht, ihnen ihre Sicht auf die Dinge einzuflüstern und den Prozess der Auflösung mitzubestimmen.

 

War die Beschäftigung einiger weniger MfS-Mitarbeiter zu Zwecken der Aktenaufarbeitung immerhin bekannt, so hat die BStU die jetzt von der Welt veröffentlichten Fakten auch bei konkreten Anfragen niemals publik gemacht. In Veröffentlichungen, Interviews und sogar bei parlamentarischen Anfragen gab sie bewusst falsche Zahlen an. Auch in den Tätigkeitsberichten, die die Behörde aller zwei Jahre veröffentlicht, findet sich kein Hinweis auf die Zusammenarbeit mit ehemaligen Mitarbeitern und Zuträgern der Staatssicherheit. So wurde die Öffentlichkeit über Jahre hinweg getäuscht, und die Vermutung liegt nahe, dass die BStU die Zahl der MfS-Mitarbeiter in ihrem Haus offenbar selbst als Problem einschätzte.

 

Dass frühere MfS-Mitarbeiter ungeeignet sind für ein Amt in einer der zentralen Aufarbeitungsinstanzen, steht außer Frage. Selbst ihre Beschäftigung auf den unteren Ebenen der Behördenhierarchie würde ausreichen, um die BStU in eine Glaubwürdigkeitskrise zu stürzen. Offenbar konnte aber eine Reihe einschlägig vorbelasteter Personen über die Jahre aufsteigen und prägt jetzt in leitenden Positionen die Arbeit und die Entwicklung der BStU mit. So ist ausgerechnet ein ehemaliger Inoffizieller Mitarbeiter der Auslandsspionage HVA heute als Referatsleiter zuständig für die Überprüfung der Behördenmitarbeiter auf frühere Stasi-Kontakte. Auch im Personalrat sammeln sich die Ehemaligen in geradezu unappetitlicher Dichte.

 

Der Hinweis der Behörde, es habe sich bei vielen der betreffenden Mitarbeiter „nur“ um Personal aus der Abteilung Personenschutz gehandelt, ist irreführend. Denn diese Abteilung war keinesfalls für Belanglosigkeiten zuständig, sondern sicherte unter anderem die Siedlung des Politbüros in Wandlitz, führte IM zur Absicherung der Wohn- und Dienstobjekte von SED-Funktionären und war während der Friedlichen Revolution vor allem an der Auflösung von Demonstrationen beteiligt.

 

Welche Auswirkungen die sorglose Beschäftigungspolitik der BStU hat, beschrieb schon Jürgen Fuchs in seinem Buch „Magdalena“. Dort ist nachzulesen, wie frühere hauptamtliche MfS-Mitarbeiter sowie DDR-Staatsfunktionäre, die in der Behörde ebenfalls in problematisch hoher Zahl angestellt sind, dafür sorgten, dass aus der Bürgerrechtsbewegung stammende Kollegen die BStU oft wieder verließen – oder verlassen mussten.

 

In der Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, die heute im Bundestag verabschiedet werden soll, wird die Überprüfungsmöglichkeit für BStU-Mitarbeiter unbefristet ermöglicht, um „der notwendigen Sensibilität dieser Tätigkeit und dem erforderlichen Vertrauen in diese Institutionen zu entsprechen.“ Marianne Birthler sollte also dringend aufhören, das Problem herunterzuspielen.

 

Die zuständigen Gremien sind nun zum Handeln aufgefordert: Der Kulturausschuss als parlamentarisches Kontrollgremium muss den Vorgang prüfen, der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien (BKM) dienstrechtlich aktiv werden und der Bundestag sollte dringend stärkere Kontrollmechanismen gegenüber der BStU in Kraft setzen. Alle dienstrechtlichen Möglichkeiten müssen sofort ausgeschöpft werden. Wenn keine Entlassungen möglich sind, müssen die betreffenden Personen zumindest ihre leitenden Positionen verlassen und an andere Stellen versetzt werden.

 

Darüber hinaus unterstützt das Bürgerkomitee die Anregung von Prof. Manfred Wilke vom Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin, die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der BStU in den ersten zehn Jahren von unabhängigen Wissenschaftlern untersuchen zu lassen und die Ergebnisse zu veröffentlichen.

 

 

 

STASI-UNTERLAGEN-GESETZ NOVELLIERT

Der Bundestag hat die 7. Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes verabschiedet. Am 30.11. beschloss das Parlament, nur mit den Gegenstimmen der PDS, die Änderung des Regelwerks zum Umgang mit den Aktenhinterlassenschaften der Staatssicherheit. Demnach dürfen Amtsträger in herausgehobenen Positionen nun weitere fünf Jahre auf frühere MfS-Kontakte überprüft werden.

 

Das Bürgerkomitee begrüßt diesen Kompromiss, stellt er doch zumindest sicher, dass an exponierter Stelle keine ehemaligen Mitarbeiter der Staatssicherheit wirken und die Arbeit von Behörden, Gerichten und anderen öffentlichen Einrichtungen prägen. Optimal wäre jedoch gewesen, die Überprüfungsmöglichkeit für alle bisher laut Gesetz betroffenen Berufsgruppen – und nicht nur für einen Teil davon – beizubehalten. Zumindest so lange, bis die BStU alle momentan noch nicht erschlossenen und die zerstörten Akten vollständig rekonstruiert hat. Nach der jetzigen Regelung ist Ungleichbehandlung vorprogrammiert: Viele Personen, deren Stasi-Kontakte in bisher noch nicht wiederhergestellten Dokumenten vermerkt sind, haben keine beruflichen Konsequenzen zu befürchten, während andere, deren Akten unversehrt vorlagen und somit schon früher ausgewertet werden konnten, vor diesem Hintergrund nicht eingestellt bzw. entlassen wurden.

 

Wie schon in einer Stellungnahme von November ausführlich beschrieben, sieht das Bürgerkomitee noch weiteren Novellierungsbedarf. So sollte unter anderem die Zweckbindung bei Forschungsprojekten entfallen und es bedarf einer stärkeren Kontrolle der BStU. Außerdem muss öffentlich über die die künftige Schwerpunktsetzung bei der Arbeit der BStU gesprochen werden.

 

 

 

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AUS DEM GÄSTEBUCH

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

 

Viele unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch und schreiben hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben. Unter dieser Rubrik geben wir monatlich einige dieser Einträge an Sie weiter.

 

 

„This museum is providing an outstanding public service – remembering the past helps us to be mindful of the present.“

Eric Dickerson aus Oregon, USA am 09.11.2006.

 

„Es wühlt einen auf und zeigt, dass es wichtig und schön ist, frei zu sein!“

Familie Kruck aus Berlin am 17.11.2006.

 

 


 



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Die Arbeit des Bürgerkomitees wird gefördert durch die Stiftung Sächsische Gedenkstätten aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien auf der Grundlage eines Beschlusses des Deutschen Bundestages und des Sächsischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst sowie durch die Stadt Leipzig und den Kulturraums Leipziger Raum.

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Bürgerkomitee Leipzig e.V.
für die Auflösung der ehemaligen Staatssicherheit (MfS)
Träger der Gedenkstätte
Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker
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