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  Newsletter April 2010

Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,

 

Ende April findet die 11. Museumsnacht unter dem Motto „Schöne Nachbarin“ statt, in diesem Jahr zum zweiten Mal mit der Nachbarstadt Halle. Zahlreiche Leipziger und Hallenser Museen öffnen am 24.04.2010 von 18.00 Uhr bis 1.00 Uhr ihre Tore und laden zu interessanten Veranstaltungen und Führungen durch ihre Ausstellungen ein. Wie zweideutig dabei das Motto der „schönen Nachbarin“ sein kann, zeigt das Bürgerkomitee mit Führungen im Stasi-Bunker in Machern und ständigen Erläuterungen in unserer Dauerausstellung „Stasi – Macht und Banalität“. Wie Nachbarn eins werden, zeigen wir in der Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“. Zudem wird wieder die ehemalige zentrale Hinrichtungsstätte der DDR für Besucher geöffnet sein. Das ausführliche Programm finden Sie im Abschnitt „Wir laden ein“.

 

Umfassend berichten wir unter der Rubrik „Rückblick“ auch über unser vielfältiges Programm im Rahmen des beliebten Lesefestivals „Leipzig liest“, wo das Bürgerkomitee zu den 18 Veranstaltungen rund 1.000 Besucher begrüßte.

 

Wir freuen uns auf Ihren Besuch und wünschen Ihnen zunächst viel Freude beim Lesen des Newsletters.

 

Ihr Bürgerkomitee Leipzig

 

 

 

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INHALT

Wir laden ein

Neues auf dem Gebiet der Aufarbeitung

Rückblick

Aus dem Gästebuch

 

 

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WIR LADEN EIN

 

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24. APRIL 2009, 18.00 – 1.00 UHR

„SCHÖNE NACHBARIN“ – 2. LEIPZIGER UND HALLENSER MUSEUMSNACHT

Die „Runde Ecke“ am Innenstadtring, in der einst die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit ihren Sitz hatte, beherbergt heute die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“. In den ehemaligen Büros der Stasi-Offiziere können sich Besucher in der Dauerausstellung „Stasi – Macht und Banalität“ anhand zahlreicher Objekte über Funktion, Arbeitsweisen und Geschichte des MfS informieren. Das Bürgerkomitee als Träger der Gedenkstätte hat versucht, das authentische Umfeld weitestgehend zu erhalten, um die Gäste etwas von der Arbeitsatmosphäre erahnen zu lassen, die bis 1989 in der „Runden Ecke“ herrschte. Zeitgeschichte an Original-Orten wird somit sichtbar und greifbar. Seit Oktober erzählt die Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedliche Revolution“ vom demokratischen Aufbruch des Jahres 1989 und beleuchtet das Ende der Diktatur.

 

Ein „Nachbar“ kann vieles sein. Arbeitet er womöglich als Inoffizieller Mitarbeiter für die Staatssicherheit? Oder ist die „Schöne Nachbarin“ für die Stasi ein potentieller Klassenfeind? Das Misstrauen von SED und Staatssicherheit gegen das eigene Volk und die Angst der Bevölkerung bestimmten den Alltag in der DDR. Führungen und Rundgänge informieren über die Arbeitsweise der Staatssicherheit zur Überwachung und wie sie aus Nachbarn „Freund“ oder „Feind“ machte.

 

13:00 – 19:00 UHR

VERBORGENER NACHBAR: DER EHEMALIGE STASI-BUNKER IM NAHERHOLUNGSGEBIET LÜBSCHÜTZER TEICHE IN MACHERN

Als Ferienobjekt der VEB-Wasserwirtschaft getarnt wurde ab 1968 der Bunker aus Ausweichführungsstelle des Leiters der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig bereit gehalten. Gehen Sie den ausufernden Planungen für den Ernstfall der Stasi auf den Grund.

 

18:00 – 1:00 UHR

SCHÖNE NACHBARINNEN: DEUTSCH-DEUTSCHE BEZIEHUNGEN UNTER STASI-KONTROLLE

Gerade auf den Transitstrecken durchkreuzte die Stasi deutsch-deutsche Beziehungen. Machen Sie sich einen Eindruck davon, welchen Aufwand die Stasi betrieben hat, um möglichst jeden deutsch-deutschen Kontakt zu überwachen.

 

18:00 – 1:00 UHR

MEIN NACHBAR: EIN IM?

Die Tätigkeit der Inoffiziellen Mitarbeiter war offiziell bekannt, deren Identität jedoch streng geheim gehalten. Niemand konnte sich sicher sein, nicht von einem Kollegen oder Nachbarn bespitzelt zu werden. Erfahren Sie mehr über die Spionage-Methoden der Stasi.

 

18:00 – 1:00 UHR (stündlich Führung)

WIE NACHBARN EINS WERDEN: VON DER FRIEDLICHEN REVOLUTION ZUR DEUTSCHEN EINHEIT

Die Sonderausstellung zeigt die Entwicklung der Opposition im Jahr 1989 über die Entstehung der Runden Tische bis hin zur Deutschen Einheit. Zahlreiche Objekte, bewegte Bildern bringen die Stimmung zur Zeit der Friedlichen Revolution näher.

 

18:00 – 1:00 UHR

DES NACHBARS HEIM: „KONSPIRATIVE WOHNUNGEN“ ALS ORTE DER BESPITZELUNG

Die Wohnungen Inoffizieller Mitarbeiter wurden zum Bespitzeln derer Besucher genutzt. Erhalten Sie einen Einblick wie des Nachbars Wohnung zur Falle wurde.

 

19.00 UHR

SCHÖNE NACHBARIN!: IM „EVA“ – EIN STASI-LEHRFILM

Dieser Lehrfilm für Stasi-Mitarbeiter zeigt, mit welchen perfiden Methoden IM „Eva“ von Ihrer Überzeugung, den Spitzeldienst zu beenden, abgebracht wird.

 

23.30 UHR

LIEBENDE NACHBARN: „DIE LEGENDE VON PAUL UND PAULA“

Der systemkritische Film erfreute sich zu DDR-Zeiten großer Beliebtheit und zeichnet ein authentisches Bild der 1970er Jahre. Die Museumsnacht klingt im Museum in der „Runden Ecke“ mit einer dramatischen Liebesgeschichte aus.

 

18.00 – 1.00 UHR

EHEMALIGE HINRICHTUNGSSTÄTTE IN DER ALFRED-KÄSTNER-STRAßE (EINGANG ARNDTSTRAßE) GEÖFFNET

Während der Museumsnacht wird das Bürgerkomitee Leipzig e.V. ständig Führungen durch die authentischen Räume der ehemaligen Hinrichtungsstätte durchführen, die sonst nicht zu besichtigen ist. Eine Werkausstellung vor Ort vermittelt in komprimierter Form die wichtigsten Fakten zu gesetzlichen Grundlagen, zur Verhängung und zur Vollstreckung der Todesstrafe in Leipzig. Ab 1960 wurden alle in der DDR verhängten Todesurteile hier vollstreckt, aktuellen Erkenntnissen zufolge mindestens 64 Fälle.

 

In der Leipziger Südvorstadt befand sich ab 1960 die zentrale Hinrichtungsstätte der DDR. In einem streng abgetrennten Teil der Strafvollzugseinrichtung Alfred-Kästner-Straße wurden alle im Land ausgesprochenen Todesurteile unter absoluter Geheimhaltung vollstreckt. Daran erinnert heute eine Gedenktafel an dem Gebäude. Abgeschafft wurde die Todesstrafe erst 1987.

 

Während der Museumsnacht bietet das Bürgerkomitee Leipzig e.V. ständig Führungen durch die authentischen Räume der ehemaligen Hinrichtungsstätte an. Dies ist eine der seltenen Gelegenheiten, den Ort zu besichtigen. Eine Werkausstellung vermittelt in komprimierter Form die wichtigsten Fakten zu gesetzlichen Grundlagen, zur Verhängung und zur Vollstreckung der Todesstrafe in Leipzig.

 

 

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NEUES AUF DEM GEBIET DER AUFARBEITUNG

 

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AFFÄRE ALTENDORF – AUSEINANDERSETZUNG UM DIE LINKSEXTREME VERGANGENHEIT DES DIREKTORS DER STASI-UNTERLAGENBEHÖRDE

Seit Anfang März bekannt wurde, dass der Direktor der Stasi-Unterlagenbehörde Hans Altendorf in den 1960er und 1970er wesentlich tiefer in die Tätigkeit verschiedener westdeutscher kommunistischer Gruppen verstrickt war, ist die die Glaubwürdigkeit der BStU nachhaltig erschüttert. Altendorf war in verschiedenen kommunistischen Tarnorganisationen, die von der SED finanziert wurden, in teils führender Funktion tätig. Selbst in die Sowjetunion hat er Kontakte unterhalten und Reisen zu politischen Gesprächen unternommen.

Im offiziellen Lebenslauf, der zu seiner Amtseinführung 2001 verbreitet wurde und auch aktuell auf der Homepage der BStU abrufbar ist, finden sich keinerlei Aussagen zu diesem wichtigen Teil der Biografie Altendorfs. Die jetzt bekannt gewordenen Fakten sprechen dafür, dass Herr Altendorf diesen Teil seiner Biografie der Öffentlichkeit bewusst vorenthalten hat.

Vor dem Beirat der BStU gab Altendorf seine langjährige Tätigkeit als führender Funktionär in kommunistischen Tarnorganisationen in der alten Bundesrepublik teilweise zu, warb aber in unerträglicher Weise um Verständnis, fordert Differenzierung und redete seine Verantwortung klein. Der Beirat erklärte daraufhin zwar, dass er „selbstverständlich der Meinung“ sei, dass „kommunistische Aktivitäten bei einem Direktor der BStU nicht akzeptiert werden könnten“, kommt aber zu dem Ergebnis, dass es bei Altendorf „für solche Belastungen […] keine Anhaltspunkte“ gebe. Damit ignoriert der Beirat sowohl die Bedenken von Historikern und Wissenschaftlern als auch die berechtigten Beschwerden zahlreicher SED-Opfergruppen und nimmt die vorliegenden Dokumente nicht zur Kenntnis.

Das Bürgerkomitee bedauert, dass weder der Beirat noch die Bundesbeauftragte angemessene und klare Worte für das moralische Versagen des Direktors der BStU gefunden haben und hat sich in Pressemitteilungen an die Öffentlichkeit sowie in einem offenen Brief an den wissenschaftlichen Beirat gewandt. Die linksextreme Vergangenheit Altendorfs und das bewusste Verheimlichen machen ihn als Direktor der Stasi-Unterlagenbehörde untragbar.

 

Das Bürgerkomitee fordert deshalb nach wie vor eine gründliche Aufklärung des Falls und Konsequenzen. Ausführliche Stellungnahmen hat die Gedenkstätte dazu in verschiedenen Pressemitteilungen unter www.runde-ecke-leipzig.de veröffentlicht.

 

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RÜCKBLICK

 

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Der März stand im Museum in der „Runden Ecke“ ganz im Zeichen der Bücher. Vier Tage lang stellte das Bürgerkomitee während des Literaturfestes „Leipzig liest“ Neuerscheinungen aus Belletristik und Sachbuch vor. Auch unsere neue Reihe „Wir sind das Volk!“ – Montagsgespräche in der „Runden Ecke“ konnten wir erfolgreich fortsetzen. Passend zum Buchmessemonat begrüßte die Gedenkstätte den Schriftsteller Erich Loest als 15. Gast der Reihe „Wir sind das Volk!“ – Montagsgespräche in der „Runden Ecke“. Wenn Sie nicht dabei sein konnten, finden Sie hier Rückblicke auf die Veranstaltungen:

 

 

1. MÄRZ 2010

"WIR SIND DAS VOLK" - MONTAGSGESPRÄCH IM MUSEUM IN DER "RUNDEN ECKE" MIT ERICH LOEST

 

„Ich fiel ins Wasser und schwamm und schwamm“, so beschreibt Erich Loest seine Entscheidung, freier Autor in der DDR zu werden. Zum Montagsgespräch am 1. März 2010 begrüßten die Moderatoren Tobias Hollitzer und Reinhard Bohse den Schriftsteller, der von seiner Haft in DDR-Gefängnissen, seiner Ausreise in den Westen und seiner Rückkehr in die Stadt Leipzig nach der Friedlichen Revolution berichtete. Über 140 Besucher hatten die Gelegenheit, Einblick in sein wechselvolles Leben zu nehmen.

 

Erich Loest wurde 1926 im sächsischen Mittweida geboren und verbrachte dort im Kreis seiner Familie eine glückliche Kindheit, wie er sagt. Nachdem er in seiner Jugend HJ-Mitglied gewesen war, wurde er 1944 zum Kriegsdienst eingezogen. Allerdings bekam er als Reserveoffiziersbewerber eine so gründliche Ausbildung, dass er nur drei Monate „im Feld“ war. Das Kriegsende erlebte er in der Oberpfalz und wurde in amerikanische Kriegsgefangenschaft genommen. Nach einem Verhör und der Feststellung, dass er „okay“ und nicht „SS“ sei, wurde er entlassen und ging zurück nach Mittweida. Als die sowjetische Besatzungsarmee verkündete, alle ehemaligen Wehrmachtssoldaten hätten sich auf dem Marktplatz zu melden, beschloss Loest auf Rat seines Vaters hin, dort nicht hinzugehen. Stattdessen setzt er sich zu Verwandten ab, die Verwalter auf einem Rittergut bei Borna waren. Bis Weihnachten 1945 fand Loest dort eine Anstellung und begann für sich persönlich die NS-Zeit zu verarbeiten. In diesen Monaten fing er an zu begreifen, welche Verbrechen von den Nazis verübt wurden.

 

Nach seiner Rückkehr nach Mittweida legte er sein Abitur ab und arbeitete anschließend als Lokalredakteur, was er als „großartige Zeit“ beschreibt. Ab April 1948 wurde er Provinzredakteur bei der „Leipziger Volkszeitung.“ Diese berufliche Entwicklung war möglich, weil er 1947 in die SED eintrat. Da sein Interesse auf dem Gebiet der Kultur lag, wechselte er als zweiter Redakteur in die Kulturabteilung der „LVZ“ nach Leipzig. Zu dieser Zeit schrieb er auch Kurzgeschichten und seinen Roman „Jungen, die übrig blieben“, der allerdings schlechte Kritiken bekam, da „der Sozialismus zu wenig Raum“ einnähme. Generell war Loest jedoch noch bis über den 17. Juni 1953 hinaus ein treuer Parteigenosse, der das Regime unterstützte, eine Position, die sich erst Mitte der 1950er Jahre grundlegend wandeln sollte.

 

Zu diesem Zeitpunkt entschloss sich Loest, freier Schriftsteller in der DDR zu werden, er veröffentlichte den Roman „Elfenbeinturm und rote Fahne“, in dem er die Ansicht vertrat, Schuld an Problemen habe die SED, nicht die Arbeiter. Dies führte zu einem Parteiverfahren, nicht jedoch zum Ausschluss. Loest wurde wegen Revisionismus angeklagt und zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen er ab November 1956 sieben Jahre absaß, erst in Halle, dann in Bautzen II. Den Grund für diese Verurteilung sieht Loest in dem fehlenden „Sozialismus mit menschlichem Antlitz.“ Man habe sich keine eigenen Gedanken machen dürfen, denn: Die Partei hatte immer recht. Bürger, die so dachten wie im Wesentlichen die Bürgerrechtler von 1989, wurden als Staatsfeinde eingestuft. Der Tag des Mauerbaus am 13. August 1961 war für Loest ein guter Tag, denn an diesem Datum lag die Hälfte der Gefängniszeit hinter ihm. Im Gefängnis erfuhr er erst drei Tage später aus der Tageszeitung „Neues Deutschland“ vom Mauerbau.

 

Nach seiner Haftentlassung 1964 kehrte Loest zurück zu Frau und Kindern nach Leipzig, wo er in den folgenden Jahren ein sehr privates Leben als Autor von Kriminalromanen führte. Anfang der 1970er Jahre wurde er von Freunden aufgefordert, sich auch politisch zu äußern, schließlich genüge das Ziel, der beste Krimiautor der DDR zu werden, nicht. In seinem zu dieser Zeit entstandenen Roman „Es geht seinen Gang“ verwertet er eigene Erfahrungen und die seiner Kinder in der DDR. Ganz wichtig war ihm, ohne Zensor im Kopf zu schreiben, er verbat sich auch dahingehende Ratschläge seiner Freunde. Das Buch konnte in der DDR erscheinen, die 2. Auflage wurde jedoch schon verboten, so dass er sich entschloss, gegen DDR-Gesetze zu verstoßen und das Buch selbst bei Verlegern im Westen anzubieten. Nachdem der Roman tatsächlich im Westen erschien, stellt ihn Klaus Höpke, der oberste Zensor der DDR, zur Rede. Loest sollte eine Erklärung abgeben, nie wieder im Westen zu veröffentlichen. Er weigert sich und kam dem drohenden Ausschluss aus dem Schriftstellerverband durch eigenen Austritt zuvor. Nach eineinhalb Jahren bekam er ein auf drei Jahren befristetes Visum für Westdeutschland. Im März 1981 reiste Loest in den Westen aus, seine Familie folgte in Etappen.

 

Seinen beruflichen Start im Westen beschreibt er als hervorragend; er bekam interessante Aufträge und konnte die Welt bereisen unter anderem für das Magazin GEO. Erich Loest wurde Mitglied des westdeutschen Schriftstellerverbandes, später auch stellvertretener Verbandsvorsitzender. Sein Interesse für die DDR blieb jedoch bestehen, er hatte oft Anfragen nach seiner Einschätzung zu dortigen Ereignissen und hielt den Kontakt zu anderen im Westen lebenden DDR-Bürgern. Jedoch war seine Wahrnehmung der DDR-Bürgerrechtsbewegung gering, zumal die westlichen Medien wenig Interesse an diesem Thema hatten. Veränderungen in der DDR hat er zum ersten Mal im August 1989 wahrgenommen, jedoch konnte er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorstellen, dass die Mauer noch zu seinen Lebzeiten fällt. Abends in den Tagesthemen am 9. Oktober 1989 nahm er zum ersten Mal die Montagsdemonstrationen mit dem Ruf „Wir sind ein Volk“ wahr.

 

Den 9. November verbrachte hat er in Berlin verbracht, er sollte an einer ZDF-Sendung teilnehmen. Als er hörte, was geschah, verspürte er Glück und Freude, nun endlich wieder in die Heimat reisen zu können. Zur ersten Reise kam es, noch mit einem Visum, da die Mauer nur für „Ossis“ offen war, im Dezember zusammen mit einem Stern-Fotografen. Auf dieser Reise sah Loest seine Heimatstadt Leipzig wieder, nahm, schockiert vom schlechten baulichen Zustand der Stadt, an der Montagsdemonstration vom 11. Dezember teil und ließ sich in einer Zelle seines ehemaligen Gefängnisses fotografieren.

 

Die Revolution hätte weitergehen müssen, aber seiner Meinung nach wurde sie „in der Mitte gestoppt.“ Die SED und all ihre Konten hätten aufgelöst werden müssen. Er selbst habe die Auflösung aber auch nicht öffentlich gefordert, in Ermangelung einer gesellschaftlichen Kraft, die eine Fortführung der Revolution hätte durchsetzen können. Den Ablauf des Jahres 1990 erlebte er als wirr und bürokratisch, aber nicht als sensationell. Die Arbeit der Gauck-Behörde beschreibt Loest als ordentlich, „es musste gemacht werden und ist nach unseren Maßstäben hervorragend gemacht worden.“ Das Gespräch endete mit Rückblicken auf die Entstehungsgeschichte seines Romans „Nikolaikirche“ und dem Umgang der Stadt Leipzig mit dem „Pfund“ „Herbst ´89.“ Nach einer abschließenden Fragerunde durch das Publikum endete der Abend mit stehenden Ovationen.

 

18. MÄRZ 2010 14.00 UHR

CHRISTIANE BAUMANN „MANFRED ,IBRAHIM´ BÖHME. EIN REKONSTRUIERTER LEBENSLAUF“

Die Autorin Christiane Baumann kam zu dem „Projekt Böhme“, weil das Leben eines der größten Hoffnungsträger der DDR-Opposition, der als Stasi-Spitzel enttarnt wurde, noch immer sehr im Ungefähren lag und sie ein journalistisches Interesse an einer Gegenrecherche zu den verschiedenen kursierenden Versionen hatte. Der rekonstruierte Lebenslauf entstand nach zweijährigen Recherchen, die sie im Auftrag der Robert-Havemann-Gesellschaft durchführte. Neu an ihrem Buch, im Gegensatz zu bestehenden Schriften über Böhme, ist, dass sie sein ganzes Leben in den Blick nehmen konnte, inklusive seiner Kindheit. Dabei konnte sie in seinem Nachlass, der sich im Robert-Havemann-Archiv befindet, recherchieren. Seine sämtlichen Stasi-Aktivitäten hat sie dagegen nur im Überblick beschrieben, da alles „viel zu viel, eine Wucherung“ sei.

 

Begleitet wurde die Buchvorstellung außerdem von den Zeitzeugen Wolfgang Templin und Hans-Jürgen Börner, die Manfred „Ibrahim“ Böhme noch zu DDR-Zeiten kennengelernt hatten. Börner war von 1986-89 ARD-Korrespondent in der DDR, er moderierte die Sendung „Extra3“, aus der auch Ausschnitte gezeigt wurden. Der DDR-Bürgerrechtler Templin bezeichnete Böhme als „Menschenfischer“; er habe immer das getan, was andere nicht taten. Dadurch habe er glaubwürdig gewirkt. Börner erinnert sich in diesem Zusammenhang einen Anruf der Regisseurin Freya Klier, die ihm im Januar 1988 im Zuge der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration in Berlin gesagt habe „Die (die Stasi) schlagen Böhme heute tot – dreh das mal“. So sei es zu den Filmaufnahmen des verprügelten Böhme gekommen, bei denen niemand ahnte, dass er diese Prügel bei der Stasi bestellt hatte. Als ein weiteres Beispiel berichtet Templin davon, wie sich bei Treffen der Oppositionsgruppen „alle die Köpfe heiß geredet hätten“, Böhme aber in die Küche ging und den Abwasch erledigte, was ihn sehr beliebt bei den Frauen machte. Er sei ein „Meister der Effekte“ gewesen.

 

Baumann berichtete zu Böhmes IM-Tätigkeit, dass er am Anfang viel „Klatsch und Tratsch“ „geliefert“ habe, dann jedoch in seinen Berichten immer detaillierter wurde und eigenmächtige Einschätzungen der Betroffenen lieferte. Böhme habe dadurch über Freunde „sehr diffamierend und belastend“ berichtet, so Baumann. Im Jahr 1977 traute die Stasi Böhme nicht mehr, seine Berichte hielten Gegenprüfungen nicht stand. Gleichzeitig sei Böhme auf Betreiben der SED-Leitung als Kulturbundleiter abgesetzt worden und reagierte mit Aktionen, die ihm nun die Aufmerksamkeit des MfS mit aller Macht sichern sollten. Darunter fiel seine Flugblattaktion in Magdeburg, nach der er sich so auffällig verhielt, dass er verhaftet wurde und insgesamt vier Monate in Stasi-Haft verbrachte. Der MfS-Psychiater, der ihn in dieser Zeit untersuchte, sprach von einer „akzentuierten Persönlichkeit“ Böhmes und riet von weiterer Zusammenarbeit dringend ab. Entgegen dem ärztlichen Rat aus eigenen Reihen hielt das MfS jedoch den Kontakt zu Böhme, der sich von diesem Zeitpunkt an völlig in die Hände der Stasi gab.

 

Im Weiteren las Baumann aus dem Kapitel zu Böhmes Kindheit, die er später sehr verschleiert wiedergegeben habe. Böhme, Jahrgang 1944 ging nach seiner Ausbildung zum Maurer in den Leuna-Werken nach Greitz ins Vogtland, wo er erfolgreich als Jugendklubleiter arbeitete. Als Anhänger des Prager Frühlings wurde er zum Briefträger degradiert und in dieser Lage vom MfS angeworben. Böhme verpflichtete sich aufgrund „seiner politischen Überzeugung“ zur IM-Tätigkeit. Schon in seiner Greitzer Zeit bespitzelte Böhme eine Reihe von Personen, darunter der Lyriker Reiner Kunze, Jürgen Fuchs und Dr. Ralf Schröder.

 

Im Folgenden wird der Werdegang Böhmes ab 1989 geschildert, besonders seine Enttarnung durch den Spiegel-Artikel „Von Reiner für Manfred“ im November 1990. Böhmes „schier grenzenloser“ Verrat ist für manche seiner Bekannten schwer zu fassen. Aufgrund der Integrität Kunzes, der sich unter anderem mit seinem Buch „Deckname Lyrik“ einen Namen als oppositioneller Künstler gemacht hatte, wird diesem jedoch Glauben geschenkt. Nach der Enttarnung sei Böhme für kaum jemanden noch erreichbar gewesen, er leugnete jegliche MfS-Mitarbeit.

 

In der abschließenden Diskussionsrunde kam die Quellenlage zur Sprache; Böhmes eigentlich IM-Akte ist nicht erhalten, jedoch zahlreiche andere Akten zu seiner Person. Seine Akte aus der Haftzeit und darin enthalten eine Zusammenfassung seiner bisherigen IM-Tätigkeit sowie die Akten seiner Opfer mit den Berichten Böhmes können eingesehen werden. Zudem wurde noch auf die angeblich jüdische Herkunft Böhmes eingegangen, die aber einer Gegenrecherche nicht stand halte und zu einem Bereich des Halbwissens gehört, mit dem Böhme stetig jonglierte.

 

 

18. MÄRZ 2010 16.30 UHR

KAI SCHLÜTER „GÜNTER GRASS IM VISIER: DIE STASI-AKTE“

Sehr lange hatte sich Günter Grass dagegen gesträubt, Einsicht in seine Stasi-Akte zu gewähren und damit Licht in das schwierige Verhältnis zwischen den Literaturschaffenden in Ost und West zu bringen. Hauptmotiv für seine skeptische Haltung war die Sorge, dass diese Akten, auf Grund ihrer negativen Intention, ein verzerrtes Bild der Ereignisse und der Einstellungen der damaligen Protagonisten wiedergeben würden.

 

Die Grass-Stiftung hatte aufgrund der langjährigen und vertrauensvollen Zusammenarbeit Radio Bremen damit beauftragt, einen geeigneten Autor zu finden, der sich des Themas mit der nötigen Gewissenhaftigkeit und Seriosität annehmen würde. Die Wahl fiel auf Kai Schlüter, der lange Jahre als deren Korrespondent gearbeitet hatte. Daraus entstand ein umfangreiches vom Ch. Links Verlag herausgegebenes Werk, das der Autor im Rahmen von „Leipzig liest“ unter der Moderation von Christian Booß vorstellte.

 

Um aufzuzeigen wie fehlerhaft die Berichte der Staatssicherheit und ihrer Zuträger waren, stellte Schlüter ausgewählte Akten vor und ließ im Anschluss Günter Grass und weitere Zeitzeugen zu Wort kommen, welche die Ereignisse in den jeweiligen Kontext bringen.

 

Günter Grass führte seit den 1960er Jahren einen intensiven Dialog mit den Literaturschaffenden und dem Schriftstellerverband in der DDR. Er tat dies aus der Überzeugung heraus ein gesamtdeutscher Schriftsteller zu sein und betrachtete das geteilte Deutschland als eine unteilbare deutsche Kulturnation. Im Rahmen der Gruppe 47 beteiligte sich Grass an Literatentreffen in der DDR, in welchen die Autoren gemeinsam aus ihren Werken vorlasen und sie kritisch kommentierten. Für einige der ostdeutschen Schriftsteller hatte die Teilnahme an diesen Treffen jedoch die Konsequenz, dass sie nacheinander ausgewiesen wurden. Das MfS hielt die Gruppe 47 für den verlängerten Arm der SPD.

 

Die Stasi befasste sich zum ersten Mal 1961 mit Günter Grass, als dieser in Bezug auf den Mauerbau einen Protestbrief an den Schriftstellerverband der DDR verfasste, in dem er Walther Ulbricht mit einem KZ-Wärter verglich. Der erste Vermerk in Günter Grass Stasiakte lautete aus diesem Grund auch: „Angefallen wegen Provokation.“ Sie schätzte ihn als gefährlichen Agitator ein, der gegen die DDR Hetze betreibe. Trotz seiner offenen Kritik an den Verhältnissen in der DDR, ließ deren Führung Grass immer wieder einreisen, da er spätestens mit der Blechtrommel ein Schriftsteller von internationalem Rang war und man negative Schlagzeilen vermeiden wollte.

 

Oft wurde Grass eine zu große Nähe zur DDR vorgeworfen. Schlüters Buch rückt diese Einschätzung zurecht und kann anhand der Aktenlage nachweisen, das Grass einer der schärfsten Kritiker der DDR war. Er war auch kein Gegner der Einheit, wie oft unterstellt wurde, sondern vertrat die Idee einer langsamen Annäherung, an deren Ende eine neue gemeinsame Verfassung stehen sollte, so wie das Grundgesetz es im Falle einer Einheit eigentlich auch vorsah.

 

Schlüters Nachforschungen haben einen wichtigen Einblick in den deutsch-deutschen Literaturbetrieb während der Teilung eröffnet und wie die Führung der DDR durch Unterwanderung versucht hat, die Literaturschaffenden zu kontrollieren um auf diesem Weg Kritik am Regime und der sozialistischen Gesellschaft zu unterbinden.

 

 

18. MÄRZ 2010 18.00 UHR

SVEN-FELIX KELLERHOFF „DIE STASI UND DER WESTEN: DER KURRAS-KOMPLEX“

Er wollte eigentlich ein Buch über die Stasi schreiben, doch dann sei ihm Kurras dazwischen gekommen. So beantwortete der Journalist Sven-Felix Kellerhoff die Frage von Moderator Christian Booß, warum er dieses Buch geschrieben habe. Am 21.Mai 2009 wurde er per E-Mail über die Enttarnung Karl-Heinz Kurras´ informiert. Von da an habe der WELT-Redakteur so viel Zeit und Mühe in die Recherchen zu diesem Thema investiert, dass er kurzerhand ein Buch dazu schrieb.

 

Zur Einführung in das Thema las der Autor aus der Einleitung seines Buches „Die Stasi und der Westen: Der Kurras-Komplex“. Er zitierte Stimmen von Bundestagsabgeordneten im Mai 2009, die sich kritisch gegenüber der mangelhaften Aufarbeitung der Stasiunterlagen äußerten. Es sollten nicht nur gegenwärtig aktive Politiker aus der ehemaligen DDR, sondern auch Politiker aus der alten Bundesrepublik überprüft werden. Der Mythos, dass sich der Einfluss ausschließlich auf die DDR beschränkte, sei spätestens seit der Enttarnung von Kurras gebrochen worden. So stünden die Enthüllungen im Westen jetzt erst am Anfang.

 

Das zentrale Ereignis, der Tod des Studenten Benno Ohnesorg bei der Demonstration gegen den Besuch des Schahs, fand am 2. Juni 1967 statt. Der tödliche Schuss auf den Studenten aus einer Polizeipistole löste Entsetzen in der Bundesrepublik aus und wurde zu einem der zentralen Mythen der Studentenbewegung. Unter welchen Umständen er fiel, konnte jedoch nie eindeutig geklärt werden. Auch Kellerhoff erlangte während seiner Recherchen keine neuen Erkenntnisse. Es gebe über 20 Zeugenaussagen über den Abend des 2. Juni, aber niemand scheint im Moment des Schusses Täter und Opfer gesehen zu haben. So wurde der Polizist Kurras damals wegen Mangels an Beweisen freigesprochen.

 

Im Weiteren brachte Kellerhoff seinen Zuhörern „Kurras als Spion“ näher. Er sei sehr waffenaffin gewesen und hätte sogar wegen illegalen Waffenbesitzes eine 6-monatige Haftstrafe verbüßen müssen. Diese Vorliebe sei nach Kellerhoff auch eine Motivation gewesen, in die SED einzutreten und als Spion tätig zu werden. Auch die Macht gegenüber den Bespitzelten, deren Unwissenheit sie zu Opfern machte, müsse für ihn ein Anreiz gewesen sein. Nicht zu vergessen das Geld und das Lob, das er für seine Arbeit bekam.

 

Der Autor widmet der Kurierin von Kurras viel Aufmerksamkeit in seinem Buch. Der Kurier eines Spions transportiere Informationen beziehungsweise Material zwischen Auftraggeber und dem „GM“ (Geheimer Mitarbeiter). Im Fall Kurras war das Charlotte Müller, eine überzeugte Kommunistin, die bereits in den 1930er Jahren im Untergrund tätig war. Kurras und Müller trafen sich mehrere hundert Male. Den Schaden auf westlicher Seite, den die beiden dabei angerichtet hätten, sei sehr groß gewesen, betonte Kellerhoff. Denn es wurde alles weitergegeben: Namen, vollständige Adressen, Einsatzpläne, politische Konzepte. In jedem Fall wurde die Arbeit der Westberliner Polizei erheblich erschwert, zumal Kurras gerade als Leiter der Abteilung zu Enttarnung von DDR-Spitzeln eingesetzt war.

 

Zum Schluss der spannenden und aktuellen Veranstaltung spekulierte Moderator Christian Booß und fragte Kellerhoff, ob er es für möglich halte, dass J. Bachmann, der Mörder von Rudi Dutschke, auch ein GM war. Darauf antwortete Kellerhoff schmunzelnd, dass er nach seinen Erkenntnissen durch dieses Buch nichts mehr für unmöglich halte. Um die Spekulation auf die Spitze zu treiben, wurde zuletzt gefragt, was nach Kellerhoffs Meinung passiert wäre, wenn Kurras bereits im Laufe der Ermittlungen vom 2. Juni enttarnt worden wäre. Kellerhoff antwortete: „Kurras wäre wegen Dienstvergehen hinter Gittern gelandet, die Massenbewegung wegen des Mordes an Ohnesorg wäre ausgeblieben und möglicherweise wäre es nicht zur 68er-Bewegung gekommen.“ Ein spekulativer Abschluss einer erkenntnisreichen Unterhaltung.

 

 

18. MÄRZ 2010 19.00 UHR

LUDWIG GROßE „EINSPRICH! DAS VERHÄLTNIS VON KIRCHE UND STAATSSICHERHEIT IM SPIEGEL GEGENSÄTZLICHER ÜBERLIEFERUNGEN“

Mit Ludwig Große war ein Mann der Kirche zu Gast in der „Runden Ecke“, der sich seit 1990 engagiert für die Aufarbeitung der Stasi einsetzt und nun sein neues, in der Evangelischen Verlagsanstalt erschienenes Buch vorstellte. In den Jahren 1951-1956 hat Große Theologie studiert, danach arbeitete er als Superintendent in Saalfeld und ab 1988 als Oberkirchenrat. Während der DDR-Zeit fanden kritische Geister in ihm einen Ansprechpartner, der kein IM war und systematisch von der Stasi verfolgt wurde, so der Moderator Michael Beleites in seiner Begrüßung.

 

Große begann seine Lesung, die er immer wieder mit freier Rede ergänzte, mit dem Prolog des Buches. Dort beschreibt er eine Straßenszene in der DDR, in der ein Schüler von einem Polizisten aufgefordert wird, das Abzeichen „Schwerter zu Pflugscharen“ von seiner Jacke zu entfernen. Der Schüler erhebt Einwände und wird von den Polizisten abgeführt. Große berichtet, dass das Symbol „Schwerter zu Pflugscharen“ aus der DDR-Öffentlichkeit verschwinden sollte, da es sich um „westliches Provokationsmaterial“ handeln würde und deshalb physische und psychische Gewalt gegen seine Träger ausgeübt worden sei. Die Position der Kirche Anfang der 80er Jahre sei gewesen, dass sie zu den jugendlichen Abzeichenträgern stand, jedoch keine Macht gehabt hätte, sie zu schützen. Die Statistiken in den Akten gäben derlei Schicksale nicht wieder.

 

Des Weiteren berichtete Große über eine Zusammenkunft im April 1982 zwischen Vertretern der Kirche und Staatssekretär Gysi. Dieser bezeichnete es als „Katastrophe“, wie sich Kirche und Jugendliche in der DDR verhalten würden. Die Kirchenleitung hingegen protestierte gegen staatliche Maßnahmen, die eine Einschränkung der verfassungsrechtlich zugesicherten Glaubens- und Gewissensfreiheit mit sich brächten. In den Protokollen der staatlichen Seite fänden sich diese Proteste hingegen nicht.

 

Zudem analysierte Große die Sprache der Stasi und erläuterte, wie ganz gewöhnliche Worte im Stasi-Kontext ihre Bedeutung änderten. Sein „Alphabet der Stasi“ ginge von „Abhören“ bis „Zersetzen“ Beispielhaft erläuterte Große die Bedeutung des Wortes „durchsetzen“; die Stasi meinte damit, dass in einer Gruppe mindestens ein IM war. Es handele sich um ein „Kauderwelsch“, bei dem schon in der Sprache die Irreführung läge.

 

Beleites fragte, ob diese Sprache der Stasi auf die Mitarbeiter in der Birthler-Behörde abfärbe. Gedenkstättenleiter Tobias Hollitzer, der zu Anfang an der Diskussion teilnahm, verneinte dies und meinte bezogen auf die von Große vorgebrachte Aktenkritik, alles müsse im Kontext gesehen werden, sonst hätte der jeweilige Autor „sein Handwerk nicht verstanden“. Große war es wichtig, darauf hinzuweisen, dass keine leichtfertigen Urteile gefällt werden, sondern hingesehen wird.

 

In der abschließenden Diskussion mit Zeitzeugen kam die Situation der Opfer und Täter damals und heute zur Sprache. Große beschloss die Diskussion damit, dass „differenziert, differenziert, differenziert und genau hingesehen werden müsse, wenn es um Menschen geht“.

 

18. MÄRZ 2010 20.00 UHR

PODIUMSDISKUSSION „GENUG DER FORSCHUNG? DIE GESCHICHTE DER FRIEDLICHEN REVOLUTION IM RÜCKBLICK“

Genug der Forschung? - Unter diesem Motto diskutierten auf den Tag genau 20 Jahre nach den ersten und letzten freien Volkskammerwahlen in der DDR die Historiker Ehrhart Neubert, Wolfgang Schuller, Michael Richter und Jens Schöne unter der Moderation des Direktors des Zeitgeschichtlichen Forums Rainer Eckert über offene, bisher wenig beachtete und möglicherweise gänzlich unbeantwortete Fragen der aktuellen Geschichtsschreibung zum Themenkomplex „Friedliche Revolution“.

 

Nach den eröffnenden Worten Andreas Apelts von der Deutschen Gesellschaft e.V. und des Leiters der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, Tobias Hollitzer, begann eine Diskussion, in der mehrere Historikergenerationen ihre Sichtweise auf die historische Aufarbeitung der epochalen Ereignisse von 1989/90 und deren Folgen verdeutlichen wollten.

 

Einigkeit bestand zunächst darin, dass sich vor allem dank der bisherigen Forschungsarbeit im wissenschaftlichen wie im allgemeinen Sprachgebrauch der Begriff der „Friedliche Revolution“ durchgesetzt habe und der im Wesentlichen durch Egon Krenz geprägte Begriff der „Wende“ dahinter zurück getreten sei. Vor allem mit Blick auf den wenig rühmlichen Ausgang bisheriger Revolutionen auf deutschem Boden sei dies von nicht zu unterschätzender Bedeutung für das künftige Verständnis des Umbruchs von 1989/90.

 

Wichtig sei es nun vor allem, diesen neu entstandenen Revolutionsbegriff mit der notwendigen Nachhaltigkeit auszufüllen, seine Akzeptanz weiter zu steigern. Dies seien laut Ansicht aller an der Diskussion Beteiligter in erster Linie die Aufgaben der Geschichtswissenschaft im Allgemeinen und die von Historikern, Gedenkstätten und Museen im Speziellen, von „Genug der Forschung“ könne also überhaupt keine Rede sein.

 

Vielmehr müsse man sich nun den verbliebenen „weißen Flecken“ widmen, Themenfelder die bisher unbearbeitet wären. Jens Schöne, stellvertretender Landesbeauftragter für Stasiunterlagen in Berlin, wies in diesem Zusammenhang besonders auf die vielen „Revolutionsgeschichten“ kleinerer Städte und Gemeinden hin, die bisher ungeschrieben geblieben seien. Daran anknüpfend plädierte Ehrhart Neubert, Theologe und selbst ehemaliger Bürgerrechtler, dafür, besonders die Akteursebene im Auge zu behalten und das Gesamtbild der Friedlichen Revolution um die vielen bisher unbekannten Geschichten zu ergänzen und nicht zuletzt zu bereichern.

 

Gleichzeitig nahm man aber auch die Politik in die Pflicht, Nachhaltigkeit zu generieren, indem man in angemessener Weise der entscheidenden Tage der Jahre 1989/90 gedenkt. Mit Blick auf die grundsätzlich verschiedenen Konzepte des Leipziger Lichterfestes am 9. Oktober 2009 und der offiziellen Feierlichkeiten in Berlin anlässlich des Mauerfalls vor 20 Jahren mahnte besonders Rainer Eckert vom Zeitgeschichtlichen Form Leipzig eine „Feierkultur“ an, die besonders denjenigen gerecht wird, um die es vor allem geht, die Menschen, die vor 20 Jahren für die Freiheit auf die Straße gegangen sind.

 

 

19. MÄRZ 2010 15.00 UHR

HOLLY-JANE RAHLENS „MAUERBLÜMCHEN“

20 Jahre nach dem Fall der Mauer wächst mit den deutschen Jugendlichen die erste Generation heran, die den Mauerfall und die Wiedervereinigung nicht mehr selbst miterlebten. Die Autorin des Buches Mauerblümchen, Holly-Jane Rahlens, die selber als US-Amerikanerin den Kalten Krieg in Westberlin erlebt hat, sieht sich in der Aufgabe, genau bei diesen Jugendlichen einen Bezug zu den Geschehnissen von 1989 wiederherzustellen.

 

Das Jugendbuch „Mauerblümchen“, erschienen im Rowohlt Verlag erzählt eine Liebesgeschichte eringebettet in die Zeit des Mauerfalls: Aufgewachsen in New-York, lebt die sechzehnjährige Molly mit ihrem Vater, einem Chemiker, in Westberlin. Das Mädchen kann und will hier nicht heimisch werden. Wehmütig blickt sie auf die glückliche Zeit in den Staaten zurück, die sie mit Freunden und Familie verbindet. Mit einem Fuß schon im ersehnten Flieger zurück nach New York, hat sie sich zuvor noch eine Sache vorgenommen. Das Geburtshaus ihrer verstorbenen Mutter, die als jüdische Deutsche in den 1930ern emigrieren musste, zu besichtigen. Dieses Vorhaben führt sie über die innerdeutsche Grenze nach Berlin-Ost, zum Prenzlauer Berg. Es ist das erste Mal, dass Mauer und Mauerfall sie tangieren.

 

Holly-Jane Rahlens erste rezitierte Passage befasst sich mit der Protagonistin Molly Lenzfeld, dem „Mädchen hinter der Wand“. Unzufrieden mit ihrer Situation und ihrem Aussehen, stellt das introvertierte, schüchterne Mädchen das Musterbeispiel einer Außenseiterin dar, in deren Leben unerwartet der junge Schauspielstudent Mick tritt, als sie in der S-Bahn nach Ost-Berlin sitzt. Das Interesse Micks an dem Mädchen „mit dem amerikanischen Blick“, für die sowohl in den Staaten als auch in West-Berlin so viel selbstverständlich war, was er sich als Jugendlicher hinter der Mauer herbeisehnte, stößt bei Molly auf Unverständnis. Die viele Fragerei ist ihr unangenehm und zu persönlich. Erst als sich ihrerseits Fragen auftun, entwickelt sich das Ost-West-Wechselspiel, was den weiteren Handlungsverlauf dominieren wird und zur Annäherung der beiden Fremden führt. Die von Spionagefilmen ein wenig verblendete Molly stößt sich im Dialog schon an banalen DDR-Gegebenheiten und schätzt sich immer glücklicher, einziges Mitglied in Micks Schnellkurs „DDR für Anfänger“ sein zu dürfen. Angesichts des unbefangenen Dialogs über ernste und nichternste, oberflächliche und persönliche Themen kommt Molly nicht umher, wieder in ihre alte, ungeliebte Rolle zurückzufallen. Die Tatsache, dass sie Mick ein Bild von sich gibt, das sonst nicht ihrem Selbst entspricht, weckt wieder die altbekannten Selbstzweifel und Sentimentalitäten in ihr. Ob sie sich damit und mit sich selbst arrangieren kann, und ob die U-Bahnfahrt, die so schlimm begann und sich so schön entwickelte, auch wirklich zu einem befriedigenden Ende an der Haltestelle am Prenzlauer Berg kommt, darüber schweigt Holly-Jane Rahlens.

 

In der kurzen aber erfrischenden „Question-and-Answer“-Runde zeigte sich die Autorin, die in Westberlin als Radiomoderatorin bei „Rock over Rias“ arbeitete sehr erfreut, dass sich in den Reihen „ein wirklicher Fan“ fand. Auf die Frage einer Schülerin, weswegen sie denn damals – so wie Molly – aus den USA nach Westberlin emigrierte antwortete sie fröhlich: „Ich war jung und ich war dumm und ich war verliebt!“ Ein Hinweis auf das Ende des Buches?

 

 

19. MÄRZ 2010 16.30 UHR

STEPHAN KRWACZYK „DER HIMMEL FIEL AUS ALLEN WOLKEN“

Bereits zum zweiten Mal in Folge konnte das Bürgerkomitee dank der erneuten Unterstützung der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung den Liedermacher Stephan Krawczyk für eine Lesung im Rahmen von „Leipzig liest“ gewinnen. Diesmal stand die Vorstellung seines im Herbst 2009 erschienen Buches „Der Himmel fiel aus allen Wolken“, herausgegeben von der Evangelischen Verlagsanstalt. Nach einer kurzen Einleitung durch die Verlagsmitarbeiterin Frau Lepper begann der Liedermacher Stephan Krawczyk seinen Vortrag vor fast 100 Besuchern im ehemaligen Stasi-Kinosaal im Museum in der „Runden Ecke“. Die Lesung war gleichzeitig Konzert und so wurde jedes vorgetragene Kapitel mit Liedern und Anekdoten umrahmt. „Der Himmel fiel aus allen Wolken“ beschreibt die Zeit unmittelbar nach der zwangsweisen Ausreise aus der DDR 1988, die er und seine damalige Frau Freya Klier antraten um langjährigen Haftstrafen zu entgehen.

 

Die ersten Szenen, die Krawczyk liest, erzählen von den allerersten Stationen außerhalb der DDR auf seiner Reise aus dem Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen in den Westen. Von Wasserhähnen mit Sensor, vor denen man als „gelernter DDR-Bürger“ zunächst etwas unbeholfen steht. Von der Begegnung mit einem Mann, der den „Spiegel“ mit Krawczyk auf dem Titel unterm Arm trägt und den „Star-Dissidenten“ sogleich erkennt. Vom lauten Weinen auf dem Beifahrersitz des VW-Busses, der, von einem Pfarrer gesteuert, ihn und Freya Klier zunächst nach Bethel bei Bielefeld bringen soll. Von eingelegten Weinblättern und einem Perikles-Zitat. Von der unfreiwillig komischen Vorbereitung auf die erste Pressekonferenz und dem optimalen Tonfall für die Forderung, wieder in die DDR einreisen zu dürfen. Aber auch von der stärkenden Kraft der Liebe in einer Zeit widrigster äußerer Umstände, in der nicht weniger als 80 Spitzel auf Krawczyk und Klier angesetzt waren. In dieser Zeit, so Krawczyk, fühlte er sich fernab der Heimat wie ein Grashalm: „Jetzt bin ich abgeschnitten. […] Morgens ist das abgeschnittene Gras mit Tränen bedeckt.“

 

Zwischen Auszügen aus seinem Buch und vielen Liedern äußert sich Krawczyk auch vereinzelt zu aktuellem Geschehen und beklagt beispielsweise ein immer geringer werdendes Bewusstsein für den Zustand der Gesellschaft. Wichtige Entwicklungen wie die Beteiligung Deutschlands an einem Krieg würden nur noch marginal wahrgenommen. Auch Hausgemeinschaften wie in der ehemaligen DDR gebe es kaum noch, bedauert Krawczyk, jedoch ohne den Ton des verklärten Rückblicks. Nach etwa eineinhalb Stunden war die kritische, humorvolle und äußerst musikalische Lesung zu Ende und wurde vom Publikum mit einem langen Applaus bedacht.

 

 

19. MÄRZ 2010 18.30 UHR

REGINE MÖBIUS „WORTMACHT UND MACHTWORT. DER POLITISCHE LOEST“

„Warum gerade ein Buch über Erich Loest?“Regine Möbius wollte die Biographie des Kulturpolitikers und Querdenkers Loest schreiben, beantwortete die Autorin ihre sich selbst gestellte Frage. Das umfangreiche Loest-Archiv der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig, denen der Autor seinen Vorlass übergeben hat, habe dabei ihr Interesse geweckt.

 

Die Autorin wurde 1943 geboren und studierte zunächst „Chemische Verfahrenstechnik“ und später am Leipziger Institut für Literatur. Seit 1997 ist Regine Möbius stellvertretende Vorsitzende des Verbandes deutscher Schriftsteller und verfasst Lyrik, Prosa und Essays im politisch-historischen Kontext. Erich Loest, von dem ihr Buch erzählt, gehört ihrer Meinung nach zu den führenden Schriftstellern Deutschlands. In seinen Romanen beschreibt er unter anderem die Auswirkungen des 17. Juni 1953, seine Jahre in politischer Haft, den Schmerz über seinen Weggang aus Leipzig sowie die Friedliche Revolution vom Herbst 1989.

 

Regine Möbius begann zunächst aus dem Vorwort des Buches zu lesen. Das Schreiben über Loest betrachte sie als Suche nach einer Persönlichkeit, in der sich „politische Wachsamkeit und überzeugende Fabulierkunst“ vereinen. In seinen Romanen nutze Loest eine „Mischung aus Privat- und Zeitgeschichtsschreibung“ und mache sich somit zum „Mittler zwischen gelebter Geschichte und einer heutigen Leserschaft“. Möbius erzählte von dem Zorn, den sich Loest nach den Jahren seiner Haft von der Seele geschrieben habe und wie der in der DDR veröffentlichte Roman „Es geht seinen Gang“ kassibergleich in ihrem Freundeskreis herumgereicht wurde. Dieses Buch, in geringer Auflage veröffentlicht und zur „Bückware“ geworden, bezeichnete die Autorin als ihre erste Berührung mit Erich Loest.

 

Anschließend las Regine Möbius über einen offenen Brief an Erich Honecker, den Loest mit einigen Schriftstellerkollegen geschrieben hatte und dessen Folge Loests Austritt aus dem Leipziger Schriftstellerverband war. Darauf folgten seine Ausreise nach Westdeutschland und sein kulturpolitischer Einsatz für andere Exilautoren. Die Leserschaft in der DDR sah Möbius von Loest getröstet, da seine Romane weiterhin in Leipzig spielten. Auch Loest selbst kommt in Möbius Buch zu Wort, etwa im Kapitel „Zwiebeln für den Landesvater“, in dem Loest überlegt, welche Blumen er Erich Honecker zum 75. Geburtstag schenken würde. Schließlich entscheidet er sich für einen Bund Zwiebeln. Die Autorin beschrieb, wie Loest 1989 im Geiste mit „seinen Sachsen“ über den Leipziger Ring zog und sein Interesse für den Widerstand im Roman „Nikolaikirche“ zum Ausdruck brachte.

 

Mit der Wiedervereinigung sah Regine Möbius Schriftsteller und Kulturpolitiker gefragt, die Loest in sich vereine. Er bezog die Exilautoren in die Diskussionen mit ein und kehrte in einer symbolischen Handlung nach Leipzig zurück. Da man mit Jubel über die Wiedervereinigung allein die Probleme in Deutschland nicht lösen könne, mische sich Loest auch heute weiterhin ein. Er leistete große Verdienste um die polnische Literatur und begibt sich auch heute in Leipzig immer wieder in den Diskurs mit der Stadtführung, der Universität oder dem Oberbürgermeister. Für Regine Möbius spielt Erich Loest gerade durch dieses ständige Anecken eine wichtige Rolle im wiedervereinigten Deutschland. Mit dem letzten Kapitel ihres Buches, welches den Titel „Aufrecht stehen“ trägt, beendete Regine Möbius ihre Lesung.

 

 

19. MÄRZ 2010 19.00 UHR

ACHIM WALTHER „DIE EISIGE NAHT. DIE INNERDEUTSCHE GRENZE BEI HÖTENSLEBEN, OFFLEBEN UND SCHÖNINGEN“

„Hunderte Hötenslebener standen mit tränenden Augen am Bahnhof, ohne Abschied zu nehmen.“ Dieser eingehende Satz von Achim Walther trifft wohl am ehesten die Lage der Menschen, die wegen der Demarkationslinie zwischen der Bundesrepublik und der DDR im Jahre 1952 umgesiedelt wurden. Dieses Ereignis, mit dem viel sagenden Namen: „Aktion Ungeziefer“, und andere einschneidende Erlebnisse beschreibt Achim Walther neben umfangreichen Fakten über die Sperranlagen an der innerdeutschen Grenze in seinem Band „Die eisige Naht. Die innerdeutsche Grenzen Hötensleben, Offleben und Schöningen“.

 

Zur Einführung in das Thema brachte der 73-jährige die geschichtlichen Ereignisse seinem Publikum näher. Er umriss die einzelnen Bauphasen der innerdeutschen Grenze 1952 bis 1989 und erklärte – zum großen Teil mit Hilfe eigener Erfahrungseindrücke – wie die Anwohner der besonderen Umgebung lebten und leben mussten. Welchen Gefahren und Schikanen sie ausgesetzt waren. Beispielsweise die „Aktion Ungeziefer“, die die Menschen verschreckte und einschüchterte. Zum Teil willkürlich ausgewählte Anwohner der Sperrzone wurden aus ihrer Heimat ins Hinterland zwangsumgesiedelt. Binnen drei Tagen mussten sie ihre Häuser verlassen und wurden zum Bahnhof gebracht, wo sie ein Zug „abtransportierte“. Es verbreitete sich das Gerücht, man würde nach Sibirien evakuiert werden.

 

Dieser ersten folgten noch zwei weitere Zwangsumsiedlungen. Der Staat hatte in diesem Gebiet seine ganze Härte gezeigt, folglich war von den Anwohnern der Grenzgebiete kein Widerstand zu erwarten. Jeder gab sich linientreu, es herrschte maßgebliches Misstrauen, was soweit ging, dass „am 17. Juni 1953 im gesamten Grenzgebiet Ruhe herrschte!“. Im Rahmen der Abrüstungspolitik Ende der 1960er Jahre wurden gleichfalls die Posten im Sperrgebiet abgezogen, diese jedoch wiederum für die Bespitzelung der Bevölkerung eingesetzt. „Sie sollten herausfinden, ob Grund zum Verdacht auf Flucht besteht.“ Vorrangig wurden Männer im Alter zwischen 17 und 25 Jahren kontrolliert und im Zuge dessen viele erfinderische Bauten zur Fluchthilfe enttarnt.

 

Die Folge war, dass der „Todesstreifen“ der Sperranlage vergrößert wurde. Wie genau diese Anlage aufgebaut war, erklärte Herr Walther sehr ausführlich. Sie wären militärstrategisch perfekt durchdacht gewesen, aber in der Praxis hätten sie versagt. So wären in 99 Prozent aller Schüsse der Selbstschussanlagen Tiere der Auslöser gewesen. Ab 1961 wurde der „Todesstreifen“ mit Erdminen versehen. Der Bericht eines Betroffenen, welcher bei einem Fluchtversuch auf eine Mine trat, untermalte die beklemmende Stimmung, die im Lesungsraum herrschte.

 

 

19. MÄRZ 2010 20.30 UHR

JANA HENSEL „ACHTUNG ZONE“

„´89 ist ein unglaublich wichtiges Datum, doch vermisse ich eine Gegenwartsdarstellung der Zeit“ so beschrieb Jana Hensel die Motivation für ihr neues Buch. Die Autorin und Journalistin stellte „Achtung Zone – Warum wir Ostdeutschen anders bleiben sollten“ am 19.03.2010, um 20.30 Uhr im Museum in der „Runden Ecke“ im Rahmen von „Leipzig liest“ vor und zeigte sich positiv überrascht angesichts des bis auf den letzten Platz ausgefüllten ehemaligen Stasi-Kinosaals.

 

Die Sammlung verschiedener Essay sei im Vorfeld des 20. Jahrestages des Mauerfalls entstanden und wurde im Herbst 2009 vom Piper Verlag herausgebracht. Jana Hensel versucht darin, die Gegenwart der ostdeutschen Vergangenheit zu beleuchten, sowohl aufgrund ihrer eigenen Erfahrung als auch durch verschiedene Recherchen.

 

Das erste Ergebnis ihrer Recherchen sei die Enttarnung einer Legende: Der berühmte Satz des Altkanzlers Willy Brandt „Nun wächst zusammen, was zusammen gehört“, den er angeblich am 10. November 1989 vom Schöneberger Rathaus verkündete, sei so nie gesagt worden, nicht einmal etwas ähnliches habe Brandt formuliert. Dennoch fand sich der Satz am nächsten Tag in der Presse wieder, der Altkanzler selbst erinnerte sich ein halbes Jahr später sogar daran. Ausgerechnet Brandt, der als Politiker seit dem Ende der 1980er Jahre an Bedeutung verloren hatte, habe mit dieser Legende die entscheidenden Stichworte zur Deutschen Einheit geliefert. Für Persönlichkeiten seiner Generation, die die Deutsche Einheit politisch nicht mehr gestalten konnten, sei damit ein Kapitel der deutschen Geschichte zu Ende gegangen, für viele Ostdeutsche jedoch, so Hensel, war es ein Beginn. „Vor 20 Jahren wurden die Ostdeutschen neu geboren. Zugleich erlebten Sie Ihr letztes sinnstiftendes Ereignis. Danach ist nichts passiert, das ähnlich positiv in das kollektive Gedächtnis Ostdeutschlands eingegangen wäre“ heißt es in Ihrem Buch.

 

Die Erinnerung der Ostdeutschen an den „Wendeherbst“ sowie an das Leben in der DDR selbst, habe sich ohnehin von ihrem eigentlichen Gegenstand entfernt. Es seien daraus Anekdoten geworden, die Ostdeutsche sich selbst und Westdeutschen erzählen, zum Teil gespeist aus medialen Überformungen. „Die dauernd wiederholten Erinnerungen helfen mir nicht mehr, mich zu verorten. Im Gegenteil, dieser Brei an Anekdoten widersetzt sich meinen Erinnerungen, er überlagert, blockiert und verstellt sie.“

 

In „Achtung Zone“ thematisiert Jana Hensel auch Stasi-Vergangenheit oder besser die „Stasi-Gegenwart“ wie sie es im Vorfeld formulierte. Zunächst habe sie sich immer um das Thema Staatssicherheit gedrückt, weil sie der Meinung war, damit nichts zu tun zu haben, doch sei dies, angesichts der allgemeinen Relevanz des Themas, eigentlich Quatsch, so die Autorin.

 

In ihrem persönlichen Lieblingstext in diesem Buch, so Hensel, geht es um Schauspieler Jenny Gröllmann und Ulrich Mühe. Ende der 1980er Jahren ein gefeiertes Paar am Deutschen Theater in Ost-Berlin, gingen sie im wiedervereinigten Deutschland getrennte Wege, Ulrich Mühe dabei mit deutlich größerem Erfolg als seine Exfrau, nicht zuletzt in seiner Hauptrolle in dem Film „Das Leben der anderen“. Kurz nach dessen Erscheinen bezichtigte er Jenny Gröllmann öffentlich in den 1980er Jahren für die Stasi gearbeitet zu haben. Im darauf folgenden Streitfall erfährt Jenny Gröllmann, zu dem Zeitpunkt bereits schwer erkrankt, wesentlich mehr Unterstützung durch ehemalige Kollegen und Freunde als es Ulrich Mühe tut. Ihr Anliegen sei es, so Hensel, in dieser emotional geführten Debatte beiden gleichberechtigt nebeneinander zu stellen. Am Ende des längsten Kapitels von „Achtung Zone“ blieb jedoch auch das Publikum etwas ratlos zurück.

 

20. MÄRZ 2010 11.00 UHR

GERD KOENEN „WAS WAR DER KOMMUNISMUS?“

„Es geht ums Verstehen, nicht ums Verzeihen.“ Dies machte Gerd Koenen, der Autor des Essays „Was war der Kommunismus?“ am Ende seiner Ausführungen deutlich, als es um die Frage ging, wie es zu diesen sieben Jahrzehnten von Terror und Diktatur kommen konnte. Um die Bewegung(en) des Kommunismus ging es in der elften Veranstaltung im Rahmen von „Leipzig liest“ im Museum in der „Runden Ecke“. Vor mehr als 50 Besuchern referierte der Historiker und freie Autor unter der Moderation von Rolf Hosfeld, der sich in einer kritischen Marx-Biographie ebenfalls intensiv mit dem Thema befasst hat. Zuletzt erschien von ihm eine kritische Marx-Biographie. „Eine der lesenswertesten Neuerscheinungen“ sei der Band von Koenen, so Hosfeld.

 

Gerd Koenen wurde 1945 in Marburg geboren und war während seiner Studienzeit Mitglied des SDS sowie in verschiedenen maoistischen und neo-leninistischen Gruppen aktiv. „So gesehen beschäftige ich mich also seit 40 Jahren mit dem Thema.“ Den Perspektivwechsel vollzog er, als er sich Anfang der 1980er Jahre mit der Solidarnosc-Bewegung beschäftigte. „Wenn das keine Arbeiterbewegung war, was dann?“ Gleichzeitig sei es aber auch eine Bürgerbewegung gewesen, die für Freiheit und Demokratie gestanden habe, so Koenen. Über Solidarnosc kam er zu einer kritischen Haltung zum Kommunismus und forschte anschließend immer wieder zu dessen Geschichte.

 

Der im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht erschiene Essay „Was war der Kommunismus?“ ist ein Versuch, das Gesamtphänomen zu beleuchten. Ein ausführliches Werk zum Kommunismus in seinem Zeitalter ist für 2013 geplant. Dabei sollen auch die unterschiedlichen Wege Chinas und der Sowjetunion vergleichend nebeneinander gestellt werden. Hier seien noch Lücken zu schließen, da sich mit dem Thema entweder Osteuropahistoriker oder Sinologen beschäftigten. Koenen betrachtet den Kommunismus im 20. Jahrhundert als Bewegung, die mit dem Jahr 1989 in den nicht immer friedlichen Revolutionen ihr plötzliches Ende fand. Heutige Beispiele wie Nordkorea oder Kuba seien lediglich Mutationen eines historischen Typus, den es so nicht mehr gebe.

 

Koenen fährt mit der historischen Betrachtung des Kommunismus fort, die für ihn im Jahr 1917 mit der russischen Revolution einsetzt. Bis 1914 sei der Begriff des Kommunismus so gar nicht verwendet worden. Die marxistischen Strömungen waren bis 1914 in die parlamentarisch-demokratische Entwicklung eingebunden. Dies änderte sich 1917 mit dem Zusammenfall des russischen Reiches, das die bis dahin unbedeutende Gruppe der Bolschewiki um Lenin als „window of opportunity“ nutzten, um das Land wieder zusammenzuführen. Die gewaltsame Umkrempelung der Gesellschaft von oben stand dabei von Anfang an im Mittelpunkt. Die zahlreichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Misserfolge konnten die Bolschewiki ebenso politisch überformen und legitimieren wie den Terror, den sie vom ersten Tag an ausübten.

 

Erstaunlich sei, wie die Bolschewiki einerseits den Hyperinternationalismus propagierten, sich andererseits aber immer stärker abschotteten, fast bis hin zu einer Autarkie des Landes. Der Begriff des „Eisernen Vorhangs“ sei bereits 1919 aufgekommen, so Koenen. Das so plötzliche Verschwinden des Ostblocks sei durchaus einer Revolution geschuldet, aber eben auch dem bevorstehenden wirtschaftlichen Kollaps und einer gewissen Erlöschung der Überzeugung bei den Systemträgern. Für das Beispiel der DDR wird dieses Argument aus dem Publikum verneint. Sehr wohl habe es noch bis Ende 1989 den Willen zur Macht gegeben, wie heute aus den Stasi-Akten hervor geht.

 

Der Essay „Was war der Kommunismus?“ enthalte die ersten Planken, die sich der Autor für eine genaue Analyse der Bewegung gelegt habe. Das Ergebnis werde er dem Leser hoffentlich 2013 präsentieren.

 

 

20. MÄRZ 2010 14.00 UHR

SIEGFRIED SUCKUT „DIE DDR IM BLICK DER STASI 1976. DIE GEHEIMEN BERICHTE AN DIE SED FÜHRUNG“

Der langjährige Leiter der Forschungsabteilung der Stasi-Unterlagenbehörde Siegfried Suckut stellte den ersten Band einer Reihe vor, die den Blick der Stasi auf die DDR dokumentiert. Die BStU plant, für jedes Jahrzehnt der DDR zunächst einen Band herauszugeben, zu dem jeweils auf 40-50 Seiten eine Einführung in das jeweilige Jahr sowie eine Interpretation der Berichte gegeben wird. Das von Suckut herausgegebene Buch befasst sich mit dem Blick der Stasi auf die DDR 1976. Anhand der Darstellungen der Aktenwege werden die Informationsflüsse und Entscheidungswege in der Stasi und zwischen Stasi und politischer Führung der DDR deutlich. Nach Vorstellungen des Politbüros sollte die Stasi objektiv festhalten, wie die Stimmung im Volk sei und sich dabei zu allen sicherheitsrelevanten Themen äußern.

 

Generell machte die zuständige Abteilung ZAIG Vorschläge an Mielke, der entscheiden musste, wer weiter informiert wurde. Meist blieben drei bis fünf Adressaten übrig, die heute anhand des Adressverteilers in den Akten nachvollzogen werden könnten. Im Jahr 1976 fertigte die ZAIG ca. 900 Berichte an, davon befassten sich ca. 300 Berichte mit der politischen Lage der DDR, der Rest befasste sich mit „Auslandsspionage“, die jedoch fast nur auf die Bundesrepublik bezogen gewesen wäre.

 

Daraus könne abgeleitet werden, dass die Stasi die Sicherheitslage in der DDR für nicht gefährdet erachtete. Berichte über bestehende Probleme der Wirtschaft leitete Mielke nach Aktenlage nicht weiter. Suckut warf die Frage auf, woran dies gelegen haben könnte, da die Stasi doch sehr detailliert und kritisch etwa über die Fluchtversuche von Ärzten im selben Jahr berichtete. Aufgrund der KSZE-Akte von 1975 kam es zu zahlreichen Fluchtversuchen von medizinischem Personal, über das die Stasi-Offiziere wiederholt an Mielke berichteten, der sie aber nicht weitergab. Nach Erkenntnissen der BStU hat Honecker die Ausreiseproblematik im Jahr 1976 nicht ein einziges Mal auf die Tagesordnung des Politbüros, die er allein bestimmte, gesetzt. Die Stasi wurde von Suckut als „so etwas wie eine Ideologiepolizei“ bezeichnet, die trotz besseren Wissens über vorhandene Probleme nichts gegen die Politik der Partei sagen konnte. Mielke meldete deshalb nichts, was die Parteiführung nicht wissen wollte.

 

Die Themen, mit denen sich die Stasi sonst im Jahr 1976 befasst habe, waren das Verhalten der Sowjetarmee in der DDR, die Kirchen, insbesondere die Selbstverbrennung von Brüsewitz und die darauf folgenden Reaktionen der Kirchenleitung, Wolf Biermann und Reiner Kunze, sowie generell das Thema Ausbürgerungen. Im Falle Biermanns wurde die Stasi sehr aktiv, Mielke forderte Honecker auf, Biermann nach dem Konzert in Köln im November 1976 auszubürgern, eine Bestimmtheit, die sonst nicht zu finden ist. Viele Themen waren auch eher banaler Natur, etwa die Einnahmen der Transitgebühren. Das Buch müsse daher eigentlich 1200 Seiten umfassen, um alle Berichte abzudrucken. Der Großteil der Informationen sei auf der beiliegenden CD-Rom enthalten, das Buch komme daher mit einem weitaus geringeren Umfang aus.

 

Aus dem Publikum kamen mehrere Fragen, u. a. danach, ob die Stasi ein „ineffektiver Laden“ gewesen sei. Suckut verneint dies, die Stasi habe sich sehr stark in die Parteidisziplin eingeschworen gefühlt und wollten deswegen nichts Kritisches zu Papier bringen. Abgesehen vom Biermann-Fall habe sich Mielke auch nicht als politischer Berater verhalten.

 

 

20. MÄRZ 2010 16.00 UHR

HORCH UND GUCK „DER OSTEN IM WESTEN. BLICKE „VON DRÜBEN“ AUF DIE DDR

„Wo liegt der Unterschied zwischen dem tatsächlichen DDR-Bild der Bundesdeutschen und der offiziellen Wahrnehmung der DDR in der BRD?“ Mit dieser Frage begann die Diskussion zur Heftpremiere der 67. Ausgabe der Zeitschrift „Horch und Guck“. Auf dem Podium saßen Peter Grimm, Redakteur der Zeitschrift „Horch und Guck“ sowie die Zeitzeugen Michael Kubina und Bernd Eisenfeld. Michael Kubina wurde 1958 in Brandenburg/Havel geboren und arbeitet als Historiker und Redakteur. Seine Forschungsschwerpunkte sind Geschichte des Kommunismus und die Geschichte der deutschen Teilung. Bernd Eisenfeld wurde 1941 geboren. 1968 wurde er zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, da er Flugblätter gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings verteilt hatte. 1975 siedelte er nach Westberlin um, wo er erst beim Gesamtdeutschen Institut, dann bei der BStU und seit 2006 als freier Publizist arbeitete. Die Zeitschrift „Horch und Guck“ wird seit 1992 vom Bürgerkomitee „15. Januar“ e.V. Berlin herausgegeben und widmet sich der Aufarbeitung der SED-Diktatur.

 

Michael Kubina merkte zu Beginn der Diskussion an, dass es durch die fast 10.000 Flüchtling, die jedes Jahr von der DDR in die Bundesrepublik kamen, viele Bürger im Westen mit einer Rückverbindung in der DDR gegeben habe. Somit hätte die Distanz zwischen Ost- und Westdeutschen immer relativ gering bleiben können. Bernd Eisenfeld, selbst einer dieser Flüchtlinge, wollte, in der West-Berlin angekommen, über seine Möglichkeiten in der DDR aufklären. Jedoch fühlte er sich nicht immer verstanden.

 

Bernd Eisenfeld äußerte weiterhin, dass er es als peinlich betrachte, wie die versuchte Annährung der Bundesrepublik an die DDR zur Anbiederung geworden sei. Dies kam für ihn einer Hilfslegitimation des SED-Staates durch die BRD-Entspannungspolitik gleich. Außerdem wies er auf den sich verändernden politischen Zeitgeist in der Bundesrepublik hin. Erst hätte bei den Bürgern ein Interesse für das Stimmungsklima in der DDR geherrscht, von dem die Flüchtlinge hätten berichten können. Später hätte man diese Informationsquelle nicht mehr wahrgenommen und stattdessen eine Schönfärberei der Lage in der DDR betrieben. Als Folge dessen wäre man auch sehr blauäugig in die deutsche Einheit gegangen. Daraufhin wurde aus dem Publikum nach dem Verbleib des Milliardenkredits der Bundesrepublik an die DDR gefragt. Kubina antwortete, diese Gelder seien gegen die ausbrechende Krise in der DDR eingesetzt worden, wobei die Bundesregierung nicht in der Lage gewesen sei, diese Krise sinnvoll politisch zu nutzen.

 

Aus dem Publikum wurde gefragt, wie es möglich war, dass SED-Größen und ehemalige Stasi-Mitarbeiter sofort nach der Wiedervereinigung wichtige Positionen besetzen konnten. Bernd Eisenfeld schloss auf eine Verbindung zwischen DDR- und BRD-Verwaltung und Regierung, welche aber nicht bis in die Spitze der Politik gereicht hätte. Kubina bemerkte, dass die Mitglieder der DDR-Blockparteien, etwa der CDU, nach 1989 bei ähnlichen Parteien in der BRD hätten Fuß fassen können. Weiter vermutete er, dass die SED ein Bauernopfer gebracht hätte, um ihren Ruf in der BRD nicht ganz zu vernichten. Die Stasi sei als Buhmann und eigentlicher Herr im SED-Staat dargestellt worden.

 

Zum Ende der Diskussion wies Eisenfeld auf eine, in seinen Augen, große Ungerechtigkeit hin. DDR-Widerstandskämpfer bekämen eine geringe Opferrente, und DDR-Politiker aus dem Wendehalbjahr eine üppige Rente. Dies dürfe in einem Land, in dem ständig nach Zivilcourage verlangt würde, eigentlich nicht möglich sein.

 

Weitere Informationen zur Zeitschrift sind unter www.horch-und-guck.info zu finden.

 

 

20. MÄRZ 2010 18.00 UHR

ARMIN FUHRER „WER ERSCHOSS BENNO OHNESORG? DER FALL KURRAS UND DIE STASI“

Natürlich war der zuständige Beamte misstrauisch, als sich im Hauptsitz der SED ein Westberliner Polizist einfand, mit dem Anliegen als politisch Neutraler in die DDR überzusiedeln und bei der Volkspolizei zu arbeiten. Der zuständige MfS-Leutnant zweifelte: Dieses Vorgehen war nicht subtil genug für eine westliche Spionageaktion. Andererseits witterte man auch eine Chance, aus dieser Person einen Nutzen ziehen zu können.

 

Diese Person war Karl-Heinz Kurras, ebendieser Polizist, dessen Namen bekannt wurde, weil sein tödlicher Schuss auf den Studenten Benno Ohnesorg als ein Startschuss für die 68er-Bewegung gesehen werden kann. Seit 2009 muss man die Geschehnisse um den Mord und um die Person Kurras anders deuten. Denn Kurras war Mitarbeiter der Staatssicherheit, wie die jüngst entdeckten Stasi-Akten belegen. Diese 5.000 Seiten legt Fuhrer zugrunde, um zu erschließen, was und wer wirklich hinter der Tat stand: Wer erschoss Benno Ohnesorg? Gleich zu Beginn stellt Armin Fuhrer, der als Redakteur beim Wochenmagazin FOCUS arbeitet das ihm vielleicht Wichtigste klar: Ohnesorg war nicht, wie seither behauptet, von einem „faschistisch-imperialistischen Vertreter“ erschossen worden. Der „Mythos Benno Ohnesorg“ kann heute nicht mehr als das „linke Aushängeschild“ fungieren, denn die Belege sind deutlich: Sein Mörder stand im Dienst der Staatsmacht der DDR und war SED-Mitglied. Doch was bewegte ihn dazu?

 

Aufgrund eines banalen Vergehens, er feuerte die Waffe eines Freundes ab, wurde Karl-Heinz Kurras von einem sowjetischen Gericht zu 10 Jahren Arbeitsdienst im Lager Sachsenhausen verurteilt. Dort wurde er aufgrund von Spitzel-Tätigkeiten und guter Führung nach dreieinhalb Jahren mit einem ausgezeichneten Zeugnis entlassen. Aufgrund seiner Lagerhaft wurden ihm jegliche sowjetischen Sympathien abgesprochen, als er sich bei der westdeutschen Polizei bewarb. Er entsprach dem Musterbild eines westdeutschen Beamten. Nachdem er seine Erklärung zur Zusammenarbeit mit dem MfS unterschrieben hatte, die ihn zur Spionagearbeit in Westberlin verpflichtete, notierte sich der zuständige MfS-Leutnant Rettling, Kurras sei „akkurat, höflich, sauber gekleidet, aufmerksam und habe einen guten Umgang“.

 

Wie der Titel des Buches schon vermittelt, geht Fuhrer explizit auf die Person Kurras ein. Sein Pflichtbewusstsein und Ehrgeiz lassen ihn rasch innerhalb der Westberliner Kriminalpolizei aufsteigen, was zur Folge hatte, dass sich mit seiner Karriere, auch ein für die HVA des MfS interessante Einblicke boten. Er wird zum Leiter der Abteilung 1 befördert, deren Auftrag es ist, gegen polizeiinterne Spione vorzugehen. So saß Kurras für das MfS „wie die Made im Speck“. Zwar kam er nicht umher, DDR-Spione zu enttarnen, was jedoch in keiner Relation zu der Bedeutsamkeit der Informationen stand, zu denen er Zugang hatte und die er nach Ost-Berlin weitergab. Bemerkenswerterweise wurde sein Aufstieg auch nicht durch die Tatsache beeinflusst, dass er ausschließlich Ost-Fernsehen sah und sogar mit seinen Polizei-Kollegen DDR-Radiosender hörte.

 

Neben der Erörterung des beruflichen Werdegangs setzt sich Fuhrer ausführlich mit persönlichen, gerade den zwischenmenschlichen Gegebenheiten, im Falle Kurras auseinander. In journalistischer Manier wird die Persönlichkeit Kurras durchleuchtet und offen gelegt. Kurras Verhältnis zu seiner Frau beschreibt Armin Fuhrer als sehr differenziert. Aus hygienischen Gründen weigert er sich sie auf den Mund zu küssen. Gegenteilig scheint dabei die Verbindung zu seiner Kontaktperson Charlotte Müller zu sein. In längeren, akribisch geführten Passagen aus den Akten, in denen die Treffen beschrieben wurden, geht hervor, dass sie für Kurras gewisse mütterliche Gefühle hegte.

 

Kurras rückte in den Brennpunkt der gesamten Medien der Bundesrepublik, als der persische Schah Westberlin besuchte; es war der 2. Juni 1967. Als Polizist in Zivil bekam er die von den „Jubelpersern“ ausgehenden gewalttätigen Ausschreitungen der Studentendemonstration hautnah mit. Im Zuge der anschließenden Gewalteskalation erschoss Karl-Heinz Kurras Benno Ohnesorg aus weniger als einem Meter Entfernung. Sein Name wurde zunächst in den westlichen Medien nicht veröffentlicht und auch die Stasi sollte den Kontakt zunächst abbrechen, was sich als „ein schwerer Schlag“ für die Informationsbeschaffung des MfS erwies. Aus den Akten geht explizit nicht hervor, dass Kurras den Befehl erhalten hatte, jemanden zu erschießen, jedoch war ein zusätzliches Anfeuern des Konflikts erwünscht. Die Tatsache aber, dass der Stasi-Spion für seine Tat Geld erhielt und dass er bis heute seine Tat nie öffentlich bereute, sprechen für sich.

 

 

20. MÄRZ 2010 19.00 UHR

THEMENABEND RUMÄNIEN: HELMUTH FRAUENDORFER UND RICHARD WAGNER „ALS „EVA“ INFORMANTIN WAR“

Der eindeutige Schwerpunkt der diesjährigen Buchvorstellungen und Premieren lag auf der Aufarbeitung der Stasi-Akten. Dabei versucht man nicht nur Deutschland sondern auch in anderen osteuropäischen Ländern anhand der Akten die kommunistische Diktatur aufzuarbeiten. Erste Versuche haben der Journalist Helmuth Frauendorfer und der Schriftsteller Richard Wagner, beide aus dem Banat, nach der Sichtung ihrer Securitate-Akten unternommen. Der rumänische Geheimdienst bespitzelte beide während ihrer Zeit bis zu ihrer Ausreise 1987 in Temeswar, wo Wagner und später auch Frauendorfer in unabhängigen literarischen Kreisen aktiv waren, Lyrik und Prosa verfassten und so offen diskutierten, „als ob es keine spätstalinistische, totalitäre Diktatur gegeben hätte,“ so Frauendorfer.

 

Die Lesung „Als ,Eva´ Informantin war“ ist eine Sammlung von Lyrik, die beide in ihrer Securitate-Akte gefunden haben, jeweils versehen mit der Interpretation des Informanten. Die Gedichte zusammen mit den Kommentaren der Securitate zu lesen, erzeugt ein absurdes, zuweilen jedoch auch ein komisches Bild von der Arbeit des Geheimdienstes, der jedes Gedicht von den Informanten übersetzen lassen musste, da die hauptamtlichen Mitarbeiter kein deutsch konnten. „Meist waren es sehr schlechte Übersetzungen,“ bemerkt Richard Wagner. Helmuth Frauendorfer berichtet von einem Gedicht, dass er zusammen mit anderen einst aus Angst in seinem Garten in Temeswar vergrub und nun in seiner Akte wieder fand. Natürlich musste auch er dieses zurück übersetzen.

 

Gerade wegen der Komik kommt die Absurdität dieser Beurteilungen besonders zur Geltung. Die Repressionen, denen beide Autoren ausgesetzt waren bewogen sie schließlich zur Ausreise nach West-Berlin. Die Namen der Spitzel kennen Frauendorfer und Wagner nur teilweise. Wer „Eva“ war, wissen sie allerdings. Sie lebt heute als pensionierte Lehrerin in Rumänien. Jeder Versuch, sie mit ihrer Vergangenheit zu konfrontieren, scheiterte jedoch an ihrem Leugnen.

 

In der anschließenden Diskussion bedauerte Richard Wagner, dass die Aufarbeitung der Geheimdienst-Akten bisher nur von den rumäniendeutschen Schriftstellern und Künstlern vorangetrieben worden sei, es von Seiten der rumänischen Kollegen jedoch wenig Bemühungen gebe, teils aus Desinteresse, teils, „weil sie sowieso wüssten, was drin steht“. Auch sei man mit dem Problem konfrontiert, dass die Akten vorher gesäubert worden seien. Nicht alles lässt sich heute nachweisen. „In meiner Akte tauchen 32 Informanten auf,“ so Wagner, „in den letzten zwei Jahren habe ich zwei Klarnamen erhalten. Sie können sich also vorstellen, wie lange ich warten muss, bis ich alle habe,“ sagt Richard Wagner, nicht ohne einen gewissen Humor.

 

 

20. MÄRZ 2010 20.00 UHR

PODIUMSDISKUSSION „RES SCRAE IN DEN NEUEN BUNDESLÄNDERN. RECHTSFRAGEN ZUM WIEDERAUFBAU DER UNIVERSITÄTSKIRCHE IN LEIPZIG“

Zu einer Podiumsdiskussion zur Leipziger Unikirche lud das Bürgerkomitee am Samstag, den 20. März ein. Den Rahmen bot dabei die Studie, die von Helmut Goerlich und seinem Mitautoren Torsten Schmidt verfasst wurde und auf einer Untersuchung des vertraglich geregelten Verhältnisses zwischen der evangelischen Kirche und dem Freistaat Sachsen basierte. Dieses Vertragswerk, so Goerlich, der mit auf dem Podium saß, beinhaltet eine Freundschaftsklausel, welche beide Partner dazu anhält, strittige Themen in gleichberechtigten Verhandlungen zu klären.

 

Helmut Goerlich wirft die Frage auf, ob es möglich sei in Sachsen eine Kirche zu bauen, ohne die Kirche in dieses Bauvorhaben mit einzubeziehen. Dabei setzt er voraus, dass es sich bei dem als Paulinum, in Anlehnung an die gesprengte Universitätskirche St. Pauli benannten Aula-Neubau, auf Grund dessen sakraler Architektur um eine Kirche handelt.

Da es sich nun nach Goerlichs Auffassung um den Wiederaufbau einer Kirche handelt, lebe die Widmung als geweihte Kirche wieder auf, da diese niemals erloschen sei. Aus diesem Grund hat die Kirche, nach Auffassung der Autoren, wieder ein Mitspracherecht bei der Nutzung des Raumes.

 

Auf Basis der von Goerlich vorgestellten Erkenntnisse entspann sich unter den Diskussionsteilnehmern, unter Ihnen der Universitätsprediger Rüdiger Lux, der Vorsitzende der Stiftung „Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig“ Martin Oldiges, Johannes Kimme dem Präsidenten des Ev. Landeskirchenamtes Sachsen und dem Moderator Dankwart Guratzsch, eine lebhafte Diskussion.

 

Im Verlauf der Veranstaltung wurde deutlich, das dass beiderseitige Nutzungsrecht einer Universitätskirche, sowohl der Kirche als auch der Universität die Pflicht zur Kooperation auferlegt und keine Seite der Anderen, gegen deren Willen, eine Position aufzwingen kann. Ziel müsse eine auf vertrauensvollen Gesprächen basierende Planung für die weitere Nutzung des Paulinums sein. Die Sächsische Landeskirche strebt nach den Aussagen ihres Vertreters Dr. Johannes Kimme, keine rechtliche Auseinandersetzung mit der Universität Leipzig an, um ihre Position durchzusetzen. Auch hätte sie selbst niemals vorgehabt selbst einen Kirchenbau umzusetzen, da dies weder finanziell, noch entsprechend dem zu erwartenden Bedarf zu rechtfertigen gewesen wäre.

 

Einigkeit bestand darin, dass zukünftige Veranstaltungen, insbesondere die weltlichen, den Charakter der Kirche nicht verletzen dürften. Auch müsse jeden Sonntag ein Universitätsgottesdienst möglich sein. Anschließende Fragen aus dem Publikum kritisierten eine zu nachsichtige Haltung der Kirche gegenüber der Universitätsleitung und beklagten den Mangel an Willen seitens der an den Planungen beteiligten, die alte Universitätskirche, wie in Dresden mit der Frauenkirche geschehen, wieder aufzubauen.

 

 

20. MÄRZ 2010 21.00 UHR

THEMENABEND RUMÄNIEN: JOHANN LIPPET „DAS LEBEN EINER AKTE. CHRONOLOGIE DER BESPITZLEUNG DURCH DIE SECURITATE“

Als, „noch mal so ein Revolutionär à la Don Quixote“ wurde er von einem Mitarbeiter des Geheimdienstes bezeichnet. Johann Lippet, Referent der zweiten Veranstaltung zum rumänischen Themenabend in der „Runden Ecke“ gelang es bei der Buchvorstellung seines jüngsten Werkes „Das Leben einer Akte“ eine ergreifend-spannende Atmosphäre in den engen, hohen Gängen des Museums zu erzeugen. Eindrucksvolle Worte zu einem eindrucksvollen Thema, die für manchen ein bekanntes aber keinesfalls identisches Bild eines Lebens unter ständiger Überwachung beschreiben. Im Buch setzt sich Lippet anhand der Vielzahl an Akten, die die Securitate, der rumänische Geheimdienst, über ihn anlegte, mit seiner Person und seiner Vergangenheit auseinander und erarbeitet somit seine eigene Chronologie einer Bespitzelung.

 

Wie er es schaffe so nüchtern und emotionslos zu bleiben, angesichts der nun offen liegenden eklatanten Eingriffe in die Privatsphäre, fragt Moderator Hellmuth Frauendorfer, selbst Schriftsteller und von der Securitate langjährig überwacht. „Das muss man üben.“, meint Johann Lippet, der zu der Erkenntnis kam, dass alles emotional zu verarbeiten psychisch und auch physisch nicht zu ertragen sei. In Österreich geboren, gehörte er in Rumänien der deutschsprachigen Minderheit an. Mit einigen Bekannten vom Gymnasium, von denen einige selbst Lyriker wurden, gründete er die für Rumänien bedeutende „Aktionsgruppe Banat“. „Lippet war immer anders als die Anderen“, beschreibt ihn Frauendorfer heute, er befasste sich mit „anderer Thematik“ und hatte eine „andere Herangehensweise“, und auch wenn er „nie ein böses Wort geschrieben“ hatte, geriet er ins Visier der Securitate. Grund hierfür war, dass er sich kritisch mit der 1945 stattgefundenen Deportation so genannter „unzuverlässiger Gruppen“ aus dem Grenzgebiet Rumäniens in die Walachei auseinandersetzte. Das brachte „die Alarmglocke der Securitate“ zum läuten und sein Operativer Vorgang „Luca“ wurde eingeleitet. Johann Lippets Mutter war 17, als sie verschleppt wurde. In seinen Akten fand er einen detaillierten Bericht, über ein Gedicht, welches er über sie, die Deportation und die Zugreise verfasste und in seinem Literaturkreis rezitierte. Die scheinbar harmlosen Aufzeichnungen offenbarten erst ihre Brisanz, als der Beauftragte den Begriff „Vollbringung“, Deckname für Deportation, benutzte, woraufhin der Literaturkreis als „gefährlich“ eingestuft wurde.

 

Die Securitate selber interpretierte die Werke der Schriftsteller nie. Das war Aufgabe der Informanten, die es auch ins Rumänische übersetzten. Im Nachhinein bringen die Akten oftmals Amüsantes zum Vorschein, da die bezuglosen Informanten sich sichtbar schwer taten mit der Interpretation der Texte. So werden bei der Überwachung der Literaturtreffen häufig „raffinierte Anspielungen“ auf kritische Themen, wie den Prager Frühling, gesehen, welche selten als solche gedacht waren. Auch der Versuch Metaphern zu deuten, führte nur zu „irrwitzigen Vergleichen“ und stellte sich im Nachhinein meist als haltlos heraus.

 

Aus der Berichterstattung der Informanten zog der Geheimdienst seine Schlüsse und ergriff entsprechende Maßnahmen. Waren sie mit der Interpretation nicht zufrieden, wurde ein neuer IM engagiert. Da die Gedichte Lippets und anderer Lyriker zunächst noch übersetzt werden musste, ebenfalls Informantenaufgabe, stellte sich ein zusätzliches Fehlerpotential bei den Deutungen heraus. Das melancholische Gedicht „Gewesener Selbstmordgang der Familie“, welches Lippet dem Publikum vortrug, dass von einer Familie von Selbstmördern handelt, deren Mitglieder sich alle aus unterschiedlichen, teilweise, scheinbar banalen Gründen aufhängten und durch den Strick ihre Liebe, ihr Alter, ihre Müdigkeit festhielten. Die Anweisung aus den Gedichten Hinweise zu filtern, die inkriminiert werden konnten weckten zwangsläufig auch den allgegenwärtigen Verdacht, dass sie auch solche beinhalteten. So wurde das Ende des genannten Werkes, welche lediglich den Brauchtum des Weißen von Bäumen an Feiertagen und das Heraushängen von Fahnen beinhaltete, als ein Aufruf zur Emigration interpretiert.

 

„Aber woher diese Behauptung?“, schreibt Lippet, da Vergleichbares gar nicht dahin enthalten war. Bei der Rückübersetzung fällt jedoch auf, dass der Informant gravierende Fehler machte. Bewusst? Da hieß es nämlich: „sie träumten jetzt von autos / viel geld / und es ist sehr gut daß sie träumen / einige wollen auswandern“. Anhand dieses Gedichtes zeigt sich, dass das was man suchte, gefunden wurde, auch wenn es nicht in dieser Form existierte. Abschließend lässt sich sagen, dass alle Interessierte auf den Stühlen in den Gängen, die einen kurzweiligen, inhaltsvollen Abend suchten, diesen mit Sicherheit fanden.

 

 

21. MÄRZ 2010 11.00 UHR

MATINÉE-LESUNG MIT FOTOAUSSTELLUNG

HARALD HAUSWALD UND JUTTA VOIGT „AUFERSTANDEN AUS RUINEN“

Die Matinée-Lesung mit Harald Hauswald und Jutta Voigt begann mit einer Begrüßung durch ihren Verleger Dr. Jaron. Für ihn sei die Zusammenarbeit mit Hauswald und Voigt eine Wunschkonstellation für das Buch „Auferstanden aus Ruinen“, das Menschen, die nicht dabei waren, erzählt, wie das Leben in der DDR funktioniert hat. Mit ihren eigenen Worten aus dem Nachwort des Buchs erzählt Voigt von Hauswalds Werdegang. 1954 in Radebeul geboren, ging er 1978 nach Berlin, „wo man die Freiheit schon riechen konnte“. Die Stadt empfand er als „Schmelztiegel der Bildmotive, wie sie woanders nicht vorkamen“. Für Hauswald ist das vorherrschende Motiv zum Fotografieren die Neugierde. In seiner Berliner-Zeit arbeitete er als Telegrammbote und lernte dadurch die Straßen Ost-Berlins und den „Untergrund im Sozialismus“ kennen. Die offizielle DDR sah er als das „wahre Asoziale“ und wollte daher mit seinen Fotos die „widersprüchliche Wirklichkeit“ der DDR abbilden.

 

Jutta Voigt, die von sich selbst sagt „ich, erst beflügelt, dann abgestürzt im Ballon des Sozialismus“, las zu ausgewählten Bildern ihre Texte vor, unter anderem zu „Südseetraum“; „Die echte Camel“ und zu „Lange Schatten“. In dem Bildband „Auferstanden aus Ruinen“ werden die gleichen Motive gegenübergestellt, die im Abstand von 30 Jahren zuerst in der DDR, später im wiedervereinigten Deutschland fotografiert wurden. Voigt sagt über Hauswalds Fotos, „der Westen ist nicht das Paradies, der Westen ist die Wirklichkeit. Hauswald fotografiert die Differenz“.

 

Anschließend berichtete Hauswald von seinen Erfahrungen mit der Stasi, die er als „verdammte ernsthafte Lächerlichkeit“ bezeichnete. Als „OV Radfahrer“ wurde Hauswald durch die Stasi überwacht, die ihm vorwarf, ein „entstellendes Bild der Hauptstadt“ zu zeigen. Insgesamt hat das MfS rund 2000 Seiten Akten über ihn angelegt.

 

Nach einer Fragerunde aus dem Publikum zu dem Titelfoto des Bildbands und dem Schicksal der Zeitung „Sonntag“, bei der Voigt zu DDR-Zeiten beschäftigt war, schloss die Veranstaltung mit lang anhaltenden Ovationen. Das Titelbild zeigt den Reichstag 2005 mit einer Fotografie von 1945 davor und die Zeitung „Sonntag“ ist zu Teilen im heutigen „Freitag“ aufgegangen. Begleitet wurde die Lesung durch eine Ausstellung mit Fotografien von Hauswald, die während der ganzen „Leipzig liest“-Tage für die Besucher zugänglich war.

 

 

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AUS DEM GÄSTEBUCH

 

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Mehrere tausend Menschen besuchen monatlich die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker. Manche leben in Leipzig und kommen – häufig mit Gästen – immer wieder in die Ausstellung. Andere kommen von weit her zu Besuch in die Stadt und wollen hier sehen, wo und wie vormals das berüchtigte Ministerium für Staatssicherheit arbeitete.

 

Viele unserer Besucher hinterlassen eine Notiz im Gästebuch der Dauerausstellung „Stasi – Macht und Banalität“ und der Sonderausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ und schreiben hier ihre Eindrücke nieder, die sie in der Gedenkstätte gesammelt haben. Unter dieser Rubrik wollen wir monatlich einige dieser Einträge an Sie weitergeben.

 

„Sehr interessante Einblicke und informativ. Kann man sich kaum vorstellen. Auf jeden Fall bewegend und sehenswert.“

Eintrag einer Besuchergruppe vom 11.03.2010

 

„Wir zogen in unserer Stadt Leipzig mit um den Ring! Es ist die Wahrheit und sind froh, dass dieses „Stasi-Volk“ weg ist. Danke für Sie, hier die Verantwortlichen, für die große Mühe der Ausstellung.“

Eintrag eines Besuchers vom 11.03.2010

 

„Thank God the good people of East Germany peacefully overthrew this evil.“

Eintrag eines Besuchers aus den USA vom 14.03.2010

 

„Es ist ein Wahnsinn, wie viel Aufwand für diese Überwachung betrieben wurde. Von den Todesurteilen habe ich z.B. auch nichts gewusst. Vielen Dank für die Aufarbeitung!“

Eintrag einer Besucherin vom 26.03.2010

 

 


 



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Bürgerkomitee Leipzig e.V.
für die Auflösung der ehemaligen Staatssicherheit (MfS)
Träger der Gedenkstätte
Museum in der „Runden Ecke“ mit dem Museum im Stasi-Bunker
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