2022
Die „Runde Ecke“ war während der Montagsdemonstrationen 1989 der neuralgische Punkt, an dem immer die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation bestand. Heute erinnert die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ mit seinen Angeboten und Ausstellungen an die Repressionen in der kommunistischen SED-Diktatur sowie deren Überwindung durch die Friedliche Revolution. Rund um den 9. Oktober 2022 – dem 33. Jahrestag – bietet das Museum eine lange Ausstellungsnacht, Stadtrundgänge „Auf den Spuren der Friedlichen Revolution“, zeitgenössisches Filmmaterial am Originalschauplatz, verlängerte Öffnungszeiten sowie Podiumsdiskussionen, Filme, Vorträge und Gespräche an.
Mit dem 9. Oktober als städtischen Gedenktag erinnert Leipzig an eine der bedeutendsten Ereignisse der jüngsten Demokratiegeschichte in Deutschland. An jenem Tag entschied sich in Leipzig, ob die Revolution friedlich oder blutig enden würde. Weit mehr als 70 000 Menschen überwanden ihre Angst und stellten sich auf dem Leipziger Ring mit den Rufen „Wir sind das Volk!“ und „Keine Gewalt!“ der bewaffneten SED-Diktatur entgegen. Dieser Tag war der Wendepunkt auf dem Weg zu einer wirklich Friedlichen Revolution für Freiheit und Bürgerrechte und zu einem demokratischen Rechtsstaat, an deren Ende die Deutsche Einheit in einem vereinten Europa stand.
Die „Runde Ecke“, in der sich bis vor 33 Jahren die Leipziger Bezirksverwaltung für Staatssicherheit der DDR befand, war schon während der Montagsdemonstrationen 1989 der neuralgische Punkt, an dem immer die Gefahr einer gewaltsamen Eskalation bestand. Um dies zu verhindern und die friedlichen Absichten besonders zu verdeutlichen, wurden jede Woche tausende Kerzen vor dem Haus und auf den Treppenstufen abgestellt. Somit gilt sie als ein bedeutender Ort der Friedlichen Revolution, in deren Folge die deutsche und die europäische Vereinigung in Frieden und Freiheit möglich wurde.
Wie jedes Jahr erinnert die Stadt Leipzig an den Mut der weit über 70.000 Menschen, die vor über 30 Jahren für Freiheit und Demokratie auf die Straße gingen. Zum Kernprogramm der städtischen Veranstaltungen gehört auch in diesem Jahr um 17.00 Uhr das Friedensgebet in der Nikolaikirche, die nachfolgende Rede zur Demokratie sowie anschließend ab 19.00 Uhr das Lichtfest an drei verschiedenen Orten in der Leipziger Innenstadt.
Die Ereignisse der Friedlichen Revolution müssen bei der Erinnerung immer unmittelbar erlebbar und die Basis für eine Vermittlung in Gegenwart und Zukunft sein
Eine Vermittlung der Ereignisse und konkreten Abläufe der Friedlichen Revolution 1989/90 ist unabdingbar, gerade wenn in aktuellen gesellschaftlichen Debatten historische Erfahrungen mit heutigen Entwicklungen in Beziehung zueinander gesetzt werden. Museen und Gedenkstätten an authentischen Orten bieten mit ihren musealen Sammlungen von Zeitzeugnissen, den Ausstellungen und Veranstaltungen sowie vor allem mit den historisch erhaltenen Räumlichkeiten und Gebäuden einen geradezu idealen Rahmen, um sich der Ereignisse der Vergangenheit zu vergewissern und auf dieser Basis Schlussfolgerungen für Gegenwart und Zukunft zu ziehen. Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ befasst sich mit der Geschichte von 45 Jahren kommunistischer Diktatur in der SBZ und DDR sowie der Überwindung dieser Diktatur durch die Friedliche Revolution von 1989. Im Zentrum stehen dabei die drei am Ort virulenten Themen „Repression in der SED-Diktatur – Friedliche Revolution gegen die SED-Diktatur – Aufarbeitung der SED-Diktatur“, die auch in Zukunft mit einem Blick in Richtung Weiterentwicklung zu einem „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ als ein wichtiger Ort der Selbstvergewisserung der Bedeutung von Freiheit und Bürgerrechte in Gegenwart und Zukunft sein kann. Nur wenn wir vermitteln, wie die SED-Diktatur funktionierte und dass die Menschen 1989 den Mut fanden, sich genau gegen diese über 40-jährige Diktatur völlig friedlich zur Wehr zu setzen, können wir die damals wiedererrungene Freiheit, die Bürgerrechte und den demokratischen Rechtsstaat als etwas schätzen, für das wir uns täglich aufs Neue einsetzen müssen. Dies bedeutet aber auch, dass nicht alle Themen, die auf der Tagesordnung der aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen stehen, einen Bezug zur Friedlichen Revolution haben. Hier ist eine entsprechende Trennschärfe dringend notwendig, um das einmalige historische Ereignis von europäischer Dimension nicht weiter einer thematischen Beliebigkeit auszusetzen.
Lange Ausstellungsnacht und historische Original-Aufnahmen der Montagsdemonstrationen
Im ehemaligen Sitz der Stasi-Bezirksverwaltung Leipzig, einem maßgeblichen Schauplatz der Montagsdemonstrationen 1989, informieren das Bundesarchiv – Stasi-Unterlagen-Archiv und die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ über das Wirken der DDR-Geheimpolizei als „Schild und Schwert“ der SED-Diktatur. Mit Beginn des Lichtfestes auf dem Leipziger Nikolaikirchhof am 09.10.2022 um 19.00 Uhr ist das Gebäude geöffnet. In der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ informiert die historische Ausstellung „Stasi – Macht und Banalität“ in original erhaltenen Stasi-Büros über die Arbeitsweise und die Strukturen der berüchtigten DDR-Geheimpolizei. Gezeigt werden einzigartige Objekte wie eine Abhöranlage, Geräte zur Postkontrolle oder eine Kollermaschine zur Vernichtung von Akten. Die Ausstellung ist am Abend des bis 23.00 Uhr geöffnet.
Im ehemaligen Stasi-Kinosaal erzählt die Ausstellung „Leipzig auf dem Weg zur Friedlichen Revolution“ vom friedlichen Umbruch 1989/90. Zahlreiche teils bisher unbekannte Flugblätter, Fotos, Plakate, Filmaufnahmen und Dokumente sowie Objekte zeichnen die Aktionen des politischen Widerstandes in Leipzig sowie die Ereignisse seit dem Herbst 1988 nach, die zur Friedlichen Revolution und zur deutschen Wiedervereinigung in einem vereinten Europa führten. Auch wird ein Blick auf ost-mitteleuropäische Nachbarn und deren Engagement für Freiheit und Demokratie geworfen. Die Ausstellung ist am 09.10.2022 von 10.00 bis 16.00 Uhr geöffnet.
Historische Original-Aufnahmen der entscheidenden Montagsdemonstrationen vom 7. und 9. Oktober 1989 werden ebenfalls am 09.10.2022 von 18.00 bis 23.00 Uhr auf dem Areal der ehemaligen Leipziger Stasizentrale am früheren Matthäikirchhof an die Außenfläche hinter der Klinger-Treppe projiziert.
Stadtrundgang „Auf den Spuren der Friedlichen Revolution“
Herbst ’89: Die Bilder von den Friedensgebeten in der Nikolaikirche, den Montagsdemonstrationen auf dem Innenstadtring und der Besetzung der Leipziger Stasi-Zentrale gingen um die Welt. Die Chronik des Herbstes ’89 begann in Leipzig aber nicht erst mit den Demonstrationen im September und Oktober. Der geführte Stadtrundgang am 08.10.2022 um 14.00 Uhr und am 09.10.2022 um 11.00 Uhr erinnert an markanten Punkten der Leipziger Innenstadt an die historische Entwicklung des Jahres 1989. Zeitgeschichte wird am Ort des Geschehens lebendig und nachvollziehbar. Treffpunkt ist das Hauptportal der Nikolaikirche.
Stasi intern – Rundgang durch die ehemalige Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit
Das ehemalige Stasi-Areal hinter der „Runden Ecke“ birgt noch heute viele original erhaltene Räumlichkeiten, die sonst nicht zugänglich sind. Bei der Führung „Stasi intern – Rundgang durch die ehemalige Zentrale des MfS“ am 08.10.2022 um 16.00 Uhr können diese vom Keller bis zum Boden besichtigt werden. Dazu gehören die verbunkerten Schutzräume im zweiten Kellergeschoss für den Kriegsfall, der Wartebereich der Stasi-eigenen Poliklinik oder die Kegelbahn des MfS. Auch Überbleibsel der einstigen Aktenvernichtung können entdeckt werden. Der Rundgang ist auch für jene interessant, die sich für die anstehende Neugestaltung des Areals interessieren, das zu einem „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ weiterentwickelt werden soll.
Open-Air-Ausstellung „Orte der Friedlichen Revolution“ im Leipziger Stadtraum
An 20 Originalschauplätzen in der Leipziger Innenstadt wird die Aufbruchsstimmung in der DDR 1989/90 erlebbar. Als chronologischer Rundgang angelegt, verdeutlicht die Open-Air-Ausstellung der Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“, wie aus den oppositionellen Aktionen Einzelner eine Massenbewegung entstand, die die SED-Diktatur in der DDR zum Einsturz brachte und den Weg zur Deutschen Einheit freimachte. Die Stelen mit deutsch-englischen Texten und Bildern sind ganztägig zugänglich und bieten einen niedrigschwelligen Zugang zu den historischen Ereignissen, an die am 9. Oktober in Leipzig erinnert wird.
Open-Air-Ausstellung "Von der Burg zur Stasi-Zentrale“ Erinnerungen an den Matthäikirchhof
Die Gedenkstätte Museum in der „Runden Ecke“ präsentiert im Rahmen der Diskussion um die Zukunft Areals der ehemaligen Stasi-Bezirksverwaltung auf dem früheren Matthäikirchhof eine Open-Air-Ausstellung. Auf dem Hintergrund der mehr als 1000-jährigen Stadtgeschichte Leipzigs, die hier mit der urbe libsz ihren Ursprung nahm, steht vor allem die Entwicklung seit Anfang des letzten Jahrhunderts im Mittelpunkt.
Vom Verwaltungsneubau der Leipziger Feuerversicherungsanstalt 1913, über die Zerstörung der Matthäi-Kirche und des gesamten angrenzenden Areals in der Bombennacht vom 4. Dezember 1943, der Nutzung der „Runden Ecke“ unter amerikanischer und sowjetischen Besatzung und schließlich dem Sitz der Bezirksverwaltung des MfS bis zu ihrer Besetzung während der Friedlichen Revolution am 4. Dezember 1989 und der nachfolgenden Auflösung wird die wechselvolle Geschichte dieses Areals bis heute erzählt werden. Die Ausstellung ist ganztägig von 0.00 bis 24.00 Uhr frei zugänglich.
Montag, den 10.10.2022, 19 Uhr: „Auf alles vorbereitet? Planungen, Abläufe und Hintergründe zur entscheidenden Montagsdemonstration mit neuem Filmmaterial“ – Filme, Vortrag und Gespräch im ehemaligen Stasi-Kinosaal
Die DDR-Sicherheitskräfte waren von den Demonstrationen im Herbst 1989 nicht überrascht, sondern bereits im Juni 1989 gab es auf dem Truppenübungsplatz in Belzig bei Potsdam eine zentrale Großübungen zur Auflösung und Niederschlagung von Protesten durch die Volkspolizei. Es schien, als seien die Sicherheitskräfte bestens vorbereitet. Doch die Sicherheitskräfte hatten nicht mit den weit über 70.000 Personen gerechnet, die am 9. Oktober 1989 in Leipzig mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ friedlich gegen die SED-Diktatur demonstrierten. Viele Demonstranten rechneten mit dem Schlimmsten, auch damit, dass die Polizei auf sie schießen könnte. Doch wie durch ein Wunder ließ die Staatsmacht an diesem Montag die Demonstranten gewähren. Die bewaffneten DDR-Sicherheitskräfte schritten nicht ein. Was war die Ursache?
Der Gedenkstättenleiter Tobias Hollitzer beleuchtet die Gründe, die zum Rückzug der Sicherheitskräfte führten, analysiert Hintergründe und schildert den Ablauf dieses entscheidenden Ereignisses der Friedlichen Revolution. Christian Booß präsentiert bisher unbekannte Schulungs- und Lehrfilme der Deutschen Volkspolizei aus dem Sommer 1989, die das geplante Vorgehen der Sicherheitskräfte im Ernstfall zeigen.
Dienstag, den 11.10.2022, 19 Uhr: Hände weg von der Ukraine! Putinismus, die neue Gefahr für Freiheit, Frieden und Demokratie? – Podiumsgespräch im ehemaligen Stasi-Kinosaal
Seit dem 24. Februar dieses Jahres verteidigt das ukrainische Volk in dem völkerrechtswidrigen Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine seine Freiheit und ein Leben auf Basis einer demokratischen Werteordnung gegen Putins postsowjetische Diktatur. Der Aufstand für eine demokratische und europäische Ukraine 2014 auf dem Maidan in unserer Partnerstadt Kiew wurde ebenso als faschistisch diskreditiert wie der KGB-Mann Putin heute noch behauptet, die Ukraine von Faschisten befreien zu müssen. Zur Durchsetzung der kommunistischen Diktatur nutzte bereits die sowjetische Geheimpolizei „Tscheka“ ab 1917 Terror und Gewalt.
Jeder Protest und alle demokratischen Regungen werden in Russland diskreditiert, kriminalisiert und brutal verfolgt. Im Dezember 2021 wurde die international bekannte Aufarbeitungs- und Menschenrechtsorganisation MEMORIAL verboten. MEMORIAL war Ende der 1980er Jahre unter anderem von dem russischen Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow gegründet worden. Es hat sich der Aufarbeitung insbesondere stalinistischer Verbrechen verschrieben. Anke Giesen, Mitglied des Vorstandes von MEMORIAL Deutschland und der ukrainische Historiker Dr. Mykola Borovyk hinterfragen und analysieren die aktuelle Situation in Russland und der Ukraine und diskutieren die Auswirkungen auf die Demokratie in Europa.
Moderation: Sven-Felix Kellerhoff (Leitender Redakteur für Zeit- und Kulturgeschichte, Die Welt)
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