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Inventar-Nr: 17518
Objekt: Handzettel


Flugblatt mit dem Aufruf des Ökologischen Arbeitskreises der Dresdner Kirchenbezirke und des Christlichen Umweltseminars Rötha zu der Aktion "Eine Mark für Espenhain" (Symbolische Spendenaktion)

Aus Protest gegen die schlechte Umweltsituation im Braunkohlerevier um Leipzig und Halle riefen im Juni 1988 mehrere Umwelt- und Friedensgruppen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) die Aktion "1 Mark für Espenhain" ins Leben. Es wurde die Forderung gestellt, dass das Braunkohleveredelungswerk Espenhain, das als Synonym für das ökologische Desaster in der DDR stand, sofort rekonstruiert wird. Auf dem vorliegenden Flugblatt vom Oktober 1988 ist der Aufruf des Christlichen Umweltseminars Rötha (CUR) und des Ökologischen Arbeitskreises der Dresdner Kirchenbezirke für diese Unterschriften- und Spendenaktion "abgedruckt" (hektografiert). Das Blatt ist beidseitig beschriftet und besitzt den Vermerk "innerkirchlich". Solche unter dem Schutz der Kirche herausgegebenen Schriftstücke waren eines der wenigen Mittel, das staatliche Informationsmonopol zu durchbrechen und die Öffentlichkeit zu erreichen (vgl. dazu auch den politischen Samisdat und kirchlichen Halbsamisdat). Die symbolische Spende von einer (DDR-)Mark mit unterschriebener Spendenquittung führte zu einer DDR-weiten Unterschriftensammlung gegen die staatliche Umweltpolitik. Obwohl Unterschriftensammlungen in der DDR verboten waren, fanden viele den Mut ihren Namen in die Liste einzutragen. Hinter jeder Mark stand eine Unterschrift mit der Forderung nach einer Verbesserung der Lebensqualität. Bis Ende 1989 kamen über 100.000 (DDR-)Mark an Spendengeldern zusammen (vgl. weitere hektografierte Schriften).

Gemessen an ihrer Gesetzgebung verfolgte die DDR eine vorbildliche Umweltpolitik. In der Praxis aber wurden die hohen ökologischen Ansprüche nie erfüllt. Im Gegenteil, höchste Priorität besaß stets die Erfüllung der wirtschaftlichen Planvorgaben. Je größer der ökonomische Rückstand gegenüber den westlichen Industriestaaten wurde, desto mehr gerieten Umweltschutzaspekte in den Hintergrund, desto mehr wurden die eigenen Ressourcen schonungslos ausgebeutet. Zu keinem Zeitpunkt waren ausreichende Mittel zur Modernisierung vorhanden. Besonders die Verwendung der heimischen Braunkohle als Hauptenergieträger führte zu erheblichen Umweltschäden. Diese waren in Leipzig besonders drastisch zu spüren. Im bedeutendsten industriellen Ballungsraum gelegen, war Leipzig die am stärksten ökologisch belastete Großstadt der DDR. Eine öffentliche Diskussion über die augenscheinlichen Missstände ließ der SED-Staat nicht zu. Alle Daten über den Zustand der natürlichen Umwelt wurden streng geheim gehalten. Die täglich erfahrbaren ökologischen Missstände riefen aber in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre verstärkt Proteste hervor. Vermehrt schrieben Bürger Eingaben oder organisierten sich in unabhängigen Umweltgruppen unter dem Dach der Kirche. Aufgrund des Allmachtsanspruches der SED war jedoch jedes persönliche, staatsunabhängige Engagement für ökologische Belange ein oppositioneller Akt und wurde unterdrückt. Trotzdem erarbeiteten die Umweltgruppen Studien zur Umweltsituation, organisierten Aktionen wie die jährliche kirchliche Veranstaltung "Mobil ohne Auto" oder Baumpflanzungen. Dadurch wuchs ihre Kompetenz. Einige Basisgruppen versuchten bewusst, ökologische Themen zu politisieren. Die erste größere Aktion in Leipzig mit dieser Doppelfunktion war - anlässlich des Weltumwelttages - der Pleißemarsch am 5. Juni 1988. Im Leipziger Raum war besonders die Arbeitsgruppe Umweltschutz beim Jugendpfarramt (AGU) aktiv (siehe auch ein Protesttransparent gegen die chemischen Großbetriebe Leuna und Buna von den Montagsdemonstrationen 1989).


Sammlung: Plakatsammlung
Datierung: 10.1988
Hersteller: Ökologischer Arbeitskreis der Dresdner Kirchenbezirke
Maße: Breite: 21 cm; Länge: 29,7 cm
Material: Papier
Farbe: Blatt: beige,
Aufdruck: schwarz
Verwendung: Information, Protest und Demonstrationen, Spendenaufruf









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