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Inventar-Nr: B02424
Objekt: Samisdat


Samisdatschrift "Die Mücke"
Dokumentation der Ereignisse in Leipzig

Das Informationsblatt "Die Mücke" gehört zur so genannten Samisdat-Literatur die von der Opposition in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) meist unter dem Schutz der Kirche herausgegeben wurde. Solche "innerkirchlichen" Schriften waren eines der wenigen Mittel, das staatliche Informationsmonopol zu durchbrechen. In der von den Leipziger Basisgruppen "Arbeitsgruppe Menschenrechte" und "Arbeitskreis Gerechtigkeit" herausgegebenen Samisdat-Zeitschrift wurden die Ereignisse um die Demonstration für Reformen und Demokratie am 15. Januar 1989 in Leipzig dokumentiert. Es handelte sich dabei um die erste nicht genehmigte Demonstration der 1980er Jahre in Leipzig, an der überwiegend nicht in Oppositionsgruppen organisierte Bürger beteiligt waren. Das hektografierte und von zwei Heftklammern zusammengehaltene Einzelheft erschien im März 1989 in einer Auflage von ca. 100 Exemplaren. Vervielfältigt wurde es im "Spiritus-Umdruck-Verfahren" (Ormig-Vervielfältigung) bei Pfarrer Christoph Wonneberger. Der Titel "Die Mücke" war dabei eine direkte Anspielung auf einen polemischen Kommentar, den das Zentralorgan der Freien Deutschen Jugend (FDJ) - die Zeitung "Junge Welt" - in seiner Ausgabe vom 21./22. Januar 1989 abgedruckt hatte. Der Kommentar griff dabei noch einmal zwei Berichte der Jungen Welt vom 19. Januar auf, in denen die Leipziger Bürgerrechtler diffamiert und gleichzeitig Menschenrechtsverletzungen in Miami/USA angeprangert wurden. Die Ereignisse in Leipzig und Miami wurden von der Jungen Welt noch einmal verglichen, indem sie diese als Mücke ("So groß ist eine Mücke ...") und Elefant ("... und so klein ein Elefant") darstellte (vgl. weiteren politischen Samisdat und kirchlichen Halbsamisdat).

Mitglieder Leipziger Oppositionsgruppen verteilten in der Nacht vom 11. zum 12. Januar 1989 in verschiedenen Stadtbezirken etwa 5.000 Flugblätter in Hausbriefkästen. Auf diesen rief eine "Initiative zur demokratischen Erneuerung der Gesellschaft" alle Bürger der Stadt Leipzig zu einer Demonstration für demokratische Grundrechte am 15. Januar 1989 auf. Zwei der Flugblattverteiler wurden noch während der Nacht verhaftet. Fieberhaft versuchten nun die Volkspolizei und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) die Zettel aus den Briefkästen zu angeln. Aber auch zahlreiche Leipziger gaben im Laufe des nächsten Tages den Demonstrationsaufruf bei den Behörden ab. Da auch ein Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Staatssicherheit bei der Verteilung der Flugblätter mitgeholfen hatte, konnte diese aufgrund seines Berichts und der Ermittlungen in den folgenden beiden Tagen auch die anderen Initiatoren der Flugblattaktion verhaften. Obwohl die Staatssicherheit fieberhaft versucht hatte alle Flugblätter sicherzustellen, folgten dem Aufruf zur Demonstration ca. 500 Bürger. Sie fanden sich am 15. Januar 1989 auf dem Leipziger Marktplatz zusammen. Nach einer Rede für Reformen und Demokratie in der DDR zog die Menge in Richtung des Geburtshauses von Karl Liebknecht, der genau 70 Jahre zuvor zusammen mit Rosa Luxemburg ermordet worden war. Erst außerhalb der Innenstadt löste die Volkspolizei den nicht genehmigten Demonstrationszug auf und führte 53 Personen zu. Die Verhaftungen lösten sofort DDR-weite Proteste und Fürbittandachten aus. Die Vorgänge wurden auch während des 3. KSZE-Folgetreffens in Wien angesprochen, so dass sich die Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in Berlin gezwungen sah, alle Inhaftierten nach wenigen Tagen wieder freizulassen und die Ermittlungsverfahren einzustellen.


Sammlung: Samisdatschriften, kirchliche und Oppositionsblätt
Hersteller: Arbeitskreis Gerechtigkeit, Arbeitsgruppe Menschenrechte
Maße: Länge: 29,9 cm; Breite: 21,1 cm
Material: Heftklammer: Metall,
Heftblock: Papier
Farbe: Aufdruck: violett, schwarz,
Heftblock: weiß

Autor/Herausgeber: Arbeitskreis Gerechtigkeit
Arbeitsgruppe Menschenrechte
Verlag: Eigenverl.
Erscheinungsjahr: 1989
Erscheinungsort: Leipzig
Auflage: Einzelheft
Umfang: 34 S. / 35 Blatt










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