Plei?epilgerweg am 4. Juni 1989

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Der Verschmutzungsgrad der Plei?e ? ein Fluss der durch Leipzig flie?t - nahm ab den 1940er Jahren durch industrielle Abw?sser immer weiter zu. Ma?nahmen zur Verbesserung der Wasserqualit?t wurden zwar von den verantwortlichen Institutionen immer wieder versprochen, aber nie verwirklicht. In den 1980er Jahren formierte sich zuerst in innerkirchlichen Debatten Widerstand gegen die Nichtachtung der Sch?pfung. Die Kritik wurde dann immer mehr von Umweltgruppen vorgetragen, die sich unter dem Dach der Kirche sammelten.

Der Weltumwelttag 1988 stand unter dem Motto ?Beteiligung der ?ffentlichkeit an Umweltaktionen?, so dass Leipziger B?rger zu einem ?Plei?e-Gedenk-Umzug? aufriefen. Roland Quester von der AG Umweltschutz (AGU) und Uwe Schwabe von der Initiativgruppe Leben (IGL) wurden vom Ministerium f?r Staatssicherheit (MfS) zur Kl?rung der Frage nach Urheberschaft und Ziel der Demonstration vorgeladen. Beide konnten nicht zur Aufl?sung des Sachverhalts beitragen, denn ein offizielles Genehmigungsverfahren war f?r die Veranstaltung nicht eingeleitet wurden. Die Kirchenleitung distanzierte sich auf Druck des MfS von dem Vorhaben und untersagte eine weitere Bekanntmachung des Gedenk-Umzuges durch kirchliche Mitarbeiter. Dennoch fand am 5. Juni 1988 der Umzug statt, der von Connewitz, entlang der Plei?e in den Clara-Zetkin-Park f?hrte. Die Kundgebung wurde von staatlichen Sicherheitskr?ften beobachtet, ein Eingreifen fand aber nicht statt.

Ende 1988 begannen die Vorbereitungen f?r die Veranstaltung ?Eine Hoffnung lernt gehen ? 2. Plei?epilgerweg?, die im folgenden Jahr stattfinden sollte. Eigens f?r diesen Zweck wurde von einigen kirchlichen Basisgruppen der Christliche Arbeitskreis Weltumwelttag (AKW) gegr?ndet. In einer Erkl?rung des AKW wurde deutlich, dass es den wenigsten Gruppen nur um Umweltschutz, sondern eben auch um einen politischen Wandel in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ging: ?Die Plei?e ist uns Gel?nder f?r gesellschaftliche Ver?nderungen?. Das Konzept sah vor, die Veranstaltung mit einer Andacht in der Paul-Gerhard-Kirche in Leipzig- Connewitz beginnen zu lassen, die Abschlussveranstaltung sollte in der Reformierten Kirche in der Innenstadt stattfinden. Der Spaziergang zwischen den Gottesdiensten wurde zum Pilgerweg deklariert, der entlang der verrohrten, unterirdischen Plei?e durch Leipzig f?hrte. Der Weltumwelttag fiel im Jahr 1989 auf einen Montag. Ein Zusammengehen mit den Montagsgebeten, welche als Plattform f?r die Ausreisewilligen dienten, sollte von Anfang an vermieden werden, um den staatlichen Stellen keinen Grund zum Eingreifen zu bieten. Auch deshalb wurde der Termin des 2. Gedenk-Umzuges auf den Sonntag, den 4. Juni 1989 verlegt. Die Staatssicherheit verbot den Pilgerweg, die kirchlichen Veranstaltungen selbst konnte sie aber nicht verhindern. Trotz staatlichen Drucks blieben die involvierten Kirchgemeinden und auch Prof. Kurt Nowak, der sich bereit erkl?rte die Andacht in der Paul-Gerhard-Kirche zu halten, bei ihrer Zusage die Gedenkveranstaltungen zu unterst?tzen. Die Bezirksverwaltung f?r Staatssicherheit Leipzig lud ab dem 22. Mai ihnen bekannte Mitglieder der Umweltgruppen vor und lie? sie eine Erkl?rung unterschreiben, die Organisation des Pilgerweges oder ?hnlicher Veranstaltungen zu unterlassen und nicht daran teilzunehmen. Bei Zuwiderhandlung wurden ordnungsstrafrechtliche bzw. strafrechtliche Sanktionen angedroht. Zur Verhinderung des Plei?emarsches f?hrte die Staatssicherheit einen operativen Einsatz unter dem Decknamen ?Spuk? mit ?ber 600 Mitarbeitern durch. Der stellvertretende Minister f?r Staatssicherheit, Generaloberst Rudi Mittig, nahm an einer Beratung in Leipzig teil und best?tigte pers?nlich die Einsatzkonzeption der Leipziger Bezirksverwaltung.

Die Andacht in der Paul-Gerhard-Kirche fand am 4. Juni wie geplant statt, es fanden sich ca. 1.000 Menschen in Connewitz ein. Ein umf?ngliches Aufgebot von Volkspolizei und Staatssicherheit postierte sich um die Kirche und blockierte vor allem die urspr?nglich geplante Wegstrecke. Ein geregelter Gedenkzug zum zweiten Gottesdienst war nicht mehr m?glich, viele Teilnehmer der Andacht verlie?en die Veranstaltung. Bei dem Versuch individuell dem Lauf der Plei?e zu folgen, bzw. ?berhaupt ins Stadtzentrum zu gelangen, kam es zu Zusammenst??en zwischen Sicherheitskr?ften und Teilnehmern der Veranstaltung. Im Laufe des Tages wurden 83 Personen festgenommen. 19 Personen wurden in nachlaufenden Verfahren mit insgesamt 7.100 (DDR-)Mark Ordnungsstrafe belegt. Den Abschlussgottesdienst, in dem auch auf weitere Aktionen der Umweltgruppen und auf die ?kologische Situation der Stadt hingewiesen wurde, besuchten etwa 600 Menschen. Um die weitere ?ffentlichkeit zu erreichen, wurde das Info-Heft ?Die Plei?e? (Sonderheft im Rahmen der AGU-?Streiflichter?) in 1.000facher Auflage herausgegeben.

Seit 1990 engagieren sich Leipziger B?rger in dem Projekt ?Plei?e ans Licht?, das f?r die Offenlegung des Plei?elaufes durch die Stadt eintritt. Die Plei?e-Umz?ge sind Beispiele f?r den Beitrag der kirchlichen Umweltbewegung zum Sturz des SED-Regimes. Den Umweltgruppen gelang es, durch die Problematisierung eines wenig politisch aufgeladenen Themas eine Gegen?ffentlichkeit zu formieren, die langfristige politische und gesellschaftliche Arbeitsstrukturen hervorbrachte. Gerade weil sich diese Gruppen f?r ein vorpolitisches Thema engagierten, konnten ?berhaupt erst unabh?ngige politische Artikulationsm?glichkeiten entstehen. Sie waren Voraussetzungen daf?r, dass zu einem sp?teren Zeitpunkt neue und weitergehende politische Forderungen formuliert werden konnten, die zum Zusammenbruch des Systems beitrugen.


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Literatur